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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Der Kaufmannsstand in der deutschen Literatur

so ist hieraus wohl die Mißachtung des durch des Teufels List erschaffenen
vierten Standes, der Wucherer, nicht aber die tatsächliche Entwicklungsstufe des
mittelalterlichen Handelsstandes zu ersehen.

"Pfeffersack" und "Negozicmt" waren wohl gelegentlich auftauchende Be¬
zeichnungen für den Kaufmann; sie beziehen sich jedoch meistens auf den dem
Großkaufmann bei weiten: unterstellten Krämer. Denn war auch der Gro߬
kaufmann dem Ritter nicht ebenbürtig, so war doch die Ritterwürde mit dem
Handel vereinbar. Nicht nur die kulturgeschichtliche Überlieferung erzählt uns
von der Rolle, die der Kaufmann trotz der ihm von der Kirche entgegen¬
gestellten Widerwärtigkeiten auf dem Welttheater spielt. Auch die Dichtung
spricht davon:

Gerade zu derselben Zeit, wohl uicht allzulange nach dein Erscheinen von
Freidanks "Bescheidenheit", fließt aus der Feder des schweizerischen Dienst¬
mannes zu Montfort, Rudolf von Eins, eine Legende, in der ein Kaufmann
seine höchsten Triumphe feiert. Ist die Dichtung, das heißt der Stoff, auch
nicht deutsches Original, hat anscheinend Rudolf von Ems auch nur etwas ans
lateinischer Quelle stammendes nachgedichtet, so gibt uns dieses Werk dennoch
ein sehr wertvolles Bild eines kaufmännischen Charakters. Es spiegelt nicht
nur die damalige kommerzielle Ausdehnung wieder, nicht nur erzählt es von
den weiten und gefahrvollen Seehandelsreisen eines Großkaufmanns, sondern
es zeigt uns in der Gestalt des guten Gerhard von Köln den Kaufmann als
Verkörperung aller Rechtschaffenheit und Güte. Und nicht nur das steigert den
Wert dieser Erzählung: hier wird zum allererstemnal in der deutschen Literatur
der Kaufmann zum Held einer Dichtung; zum allererstenmal wird uns klar,
daß auch das Schalten und Walten eines Handelsmanns Qualitäten zur dichte¬
rischen Verarbeitung in sich trägt. Der Inhalt der Dichtung ist kurz folgender:
Kaiser Otto ist so stolz auf seine Tugenden, daß er sich ihrer Gott gegenüber
rühmt. Da aber wird ihn: von einem Engel die Wertlosigkeit aller Tugend
ohne Demut verkündet und ihm als Beispiel der gute Gerhard, ein Kölner
Großkaufmann, empfohlen. Der Kaiser zieht gen Köln und der gute Gerhard
muß ihm, wenngleich mit innerem Widerstreben, all seine guten Taten erzählen.
Nach Reichtum hat auch er einst gestrebt, Meere durchquert, Schätze gesammelt.
Da verschlägt ihn einmal der Sturm an eine fremde Küste im Heidenland.
Dort findet er englische Ritter und Edle, selbst eine norwegische Prinzessin in
schmählicher Gefangenschaft. All sein mühsam erworben Hab und Gut bringt
der Kaufmann den Gefangenen zum Opfer und kauft sie los. So wird er zum
Lebensretter der Edlen. Die Prinzessin bringt er nach Köln in sein Haus.
Hier wartet sie vergeblich auf den ihr seinerzeit angelobten Wilhelm, König
von England. Schon glaubt sie ihren Bräutigam verschollen und verspricht
sich dem Sohne des guten Gerhard. Der Vermählungstag aber bringt den
verloren Geglaubten als Bettler wieder. Der Sohn aber soll nicht zum Ehe¬
brecher an zwei sich schon Versprochenen werden, er muß der Prinzessin ent-


Der Kaufmannsstand in der deutschen Literatur

so ist hieraus wohl die Mißachtung des durch des Teufels List erschaffenen
vierten Standes, der Wucherer, nicht aber die tatsächliche Entwicklungsstufe des
mittelalterlichen Handelsstandes zu ersehen.

„Pfeffersack" und „Negozicmt" waren wohl gelegentlich auftauchende Be¬
zeichnungen für den Kaufmann; sie beziehen sich jedoch meistens auf den dem
Großkaufmann bei weiten: unterstellten Krämer. Denn war auch der Gro߬
kaufmann dem Ritter nicht ebenbürtig, so war doch die Ritterwürde mit dem
Handel vereinbar. Nicht nur die kulturgeschichtliche Überlieferung erzählt uns
von der Rolle, die der Kaufmann trotz der ihm von der Kirche entgegen¬
gestellten Widerwärtigkeiten auf dem Welttheater spielt. Auch die Dichtung
spricht davon:

Gerade zu derselben Zeit, wohl uicht allzulange nach dein Erscheinen von
Freidanks „Bescheidenheit", fließt aus der Feder des schweizerischen Dienst¬
mannes zu Montfort, Rudolf von Eins, eine Legende, in der ein Kaufmann
seine höchsten Triumphe feiert. Ist die Dichtung, das heißt der Stoff, auch
nicht deutsches Original, hat anscheinend Rudolf von Ems auch nur etwas ans
lateinischer Quelle stammendes nachgedichtet, so gibt uns dieses Werk dennoch
ein sehr wertvolles Bild eines kaufmännischen Charakters. Es spiegelt nicht
nur die damalige kommerzielle Ausdehnung wieder, nicht nur erzählt es von
den weiten und gefahrvollen Seehandelsreisen eines Großkaufmanns, sondern
es zeigt uns in der Gestalt des guten Gerhard von Köln den Kaufmann als
Verkörperung aller Rechtschaffenheit und Güte. Und nicht nur das steigert den
Wert dieser Erzählung: hier wird zum allererstemnal in der deutschen Literatur
der Kaufmann zum Held einer Dichtung; zum allererstenmal wird uns klar,
daß auch das Schalten und Walten eines Handelsmanns Qualitäten zur dichte¬
rischen Verarbeitung in sich trägt. Der Inhalt der Dichtung ist kurz folgender:
Kaiser Otto ist so stolz auf seine Tugenden, daß er sich ihrer Gott gegenüber
rühmt. Da aber wird ihn: von einem Engel die Wertlosigkeit aller Tugend
ohne Demut verkündet und ihm als Beispiel der gute Gerhard, ein Kölner
Großkaufmann, empfohlen. Der Kaiser zieht gen Köln und der gute Gerhard
muß ihm, wenngleich mit innerem Widerstreben, all seine guten Taten erzählen.
Nach Reichtum hat auch er einst gestrebt, Meere durchquert, Schätze gesammelt.
Da verschlägt ihn einmal der Sturm an eine fremde Küste im Heidenland.
Dort findet er englische Ritter und Edle, selbst eine norwegische Prinzessin in
schmählicher Gefangenschaft. All sein mühsam erworben Hab und Gut bringt
der Kaufmann den Gefangenen zum Opfer und kauft sie los. So wird er zum
Lebensretter der Edlen. Die Prinzessin bringt er nach Köln in sein Haus.
Hier wartet sie vergeblich auf den ihr seinerzeit angelobten Wilhelm, König
von England. Schon glaubt sie ihren Bräutigam verschollen und verspricht
sich dem Sohne des guten Gerhard. Der Vermählungstag aber bringt den
verloren Geglaubten als Bettler wieder. Der Sohn aber soll nicht zum Ehe¬
brecher an zwei sich schon Versprochenen werden, er muß der Prinzessin ent-


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[0124] Der Kaufmannsstand in der deutschen Literatur so ist hieraus wohl die Mißachtung des durch des Teufels List erschaffenen vierten Standes, der Wucherer, nicht aber die tatsächliche Entwicklungsstufe des mittelalterlichen Handelsstandes zu ersehen. „Pfeffersack" und „Negozicmt" waren wohl gelegentlich auftauchende Be¬ zeichnungen für den Kaufmann; sie beziehen sich jedoch meistens auf den dem Großkaufmann bei weiten: unterstellten Krämer. Denn war auch der Gro߬ kaufmann dem Ritter nicht ebenbürtig, so war doch die Ritterwürde mit dem Handel vereinbar. Nicht nur die kulturgeschichtliche Überlieferung erzählt uns von der Rolle, die der Kaufmann trotz der ihm von der Kirche entgegen¬ gestellten Widerwärtigkeiten auf dem Welttheater spielt. Auch die Dichtung spricht davon: Gerade zu derselben Zeit, wohl uicht allzulange nach dein Erscheinen von Freidanks „Bescheidenheit", fließt aus der Feder des schweizerischen Dienst¬ mannes zu Montfort, Rudolf von Eins, eine Legende, in der ein Kaufmann seine höchsten Triumphe feiert. Ist die Dichtung, das heißt der Stoff, auch nicht deutsches Original, hat anscheinend Rudolf von Ems auch nur etwas ans lateinischer Quelle stammendes nachgedichtet, so gibt uns dieses Werk dennoch ein sehr wertvolles Bild eines kaufmännischen Charakters. Es spiegelt nicht nur die damalige kommerzielle Ausdehnung wieder, nicht nur erzählt es von den weiten und gefahrvollen Seehandelsreisen eines Großkaufmanns, sondern es zeigt uns in der Gestalt des guten Gerhard von Köln den Kaufmann als Verkörperung aller Rechtschaffenheit und Güte. Und nicht nur das steigert den Wert dieser Erzählung: hier wird zum allererstemnal in der deutschen Literatur der Kaufmann zum Held einer Dichtung; zum allererstenmal wird uns klar, daß auch das Schalten und Walten eines Handelsmanns Qualitäten zur dichte¬ rischen Verarbeitung in sich trägt. Der Inhalt der Dichtung ist kurz folgender: Kaiser Otto ist so stolz auf seine Tugenden, daß er sich ihrer Gott gegenüber rühmt. Da aber wird ihn: von einem Engel die Wertlosigkeit aller Tugend ohne Demut verkündet und ihm als Beispiel der gute Gerhard, ein Kölner Großkaufmann, empfohlen. Der Kaiser zieht gen Köln und der gute Gerhard muß ihm, wenngleich mit innerem Widerstreben, all seine guten Taten erzählen. Nach Reichtum hat auch er einst gestrebt, Meere durchquert, Schätze gesammelt. Da verschlägt ihn einmal der Sturm an eine fremde Küste im Heidenland. Dort findet er englische Ritter und Edle, selbst eine norwegische Prinzessin in schmählicher Gefangenschaft. All sein mühsam erworben Hab und Gut bringt der Kaufmann den Gefangenen zum Opfer und kauft sie los. So wird er zum Lebensretter der Edlen. Die Prinzessin bringt er nach Köln in sein Haus. Hier wartet sie vergeblich auf den ihr seinerzeit angelobten Wilhelm, König von England. Schon glaubt sie ihren Bräutigam verschollen und verspricht sich dem Sohne des guten Gerhard. Der Vermählungstag aber bringt den verloren Geglaubten als Bettler wieder. Der Sohn aber soll nicht zum Ehe¬ brecher an zwei sich schon Versprochenen werden, er muß der Prinzessin ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/124>, abgerufen am 29.05.2024.