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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Der Kaufmannsstand in der deutschen Literatur

Nordseestädte, waren die einzigen, die all den Verwüstungen durch ihr neutrales
Verhalten entrannen. In ihre Mauern flüchtete sich, was noch Leben in sich
trug; die Lust und Freude an Dasein, die Arbeit fanden dort fruchtbaren
Boden. 1648 wurde der Westfälische Friede geschlossen. War er national¬
ökonomisch der Kulminationspunkt des Verfalls, so ließ er doch das deutsche
Volk wieder zu Atem kommen.

Um Wunden zu heilen, wie der Dreißigjährige Krieg sie geschlagen, dazu
waren ganze Generationen notwendig. Während diese ihr Jugend-, Mannes¬
und Greisenalter durchschritten, beherrschten Holland, England und Frankreich
infolge ihrer ausgedehnten Kolonialmacht den Welthandel. Erst der Amerikanische
Krieg, das Hinschwinden der Größe Hollands, eröffnete dem neu erwachten
Deutschen Reich den überseeischen Handel. Die Deutschen wurden dann erst zu
Importeuren voll Kolonialwaren, zu Exporteuren deutscher Erzeugnisse nach
überseeischen Märkten. Nun traten sie aus dem kleinen Kreis der Agenten,
Zwischenhändler, Vermittler hervor zu direkter unbegrenzter Teilnahme am inter¬
nationalen Verkehr. Auch bedurften sie jetzt keiner zweiten Hand mehr, um
mit der neuen Welt zu kommunizieren, sie gingen selbsteigen an die Erzeugungs¬
orte, tauschten mit den ersten Produzenten, gaben im Welthandel ihrem Vater¬
lande den Platz, der ihm bisher gefehlt hatte.

Die Satire des siebzehnten Jahrhunderts konnte sich naturgemäß mit dem
sich nur langsam wieder erhebenden Handel nicht befassen. Was die Literatur
jener Zeit vom Kaufmann und seinem Handel erwähnt, kommt in Flug¬
schriften und in zahlreichen Holz- und Kupferstichen zum Ausdruck, wie wir sie
heute im Nürnberger Germanischen Museum noch finden.

Im allgemeinen fließen die Quellen spärlich genug, und wie wir ihnen auch
nachgehen, zeigen sie uns den Kaufmannsstand nicht eben im günstigsten Lichte

Fassen wir noch den Kaufmannsstand ins Auge, wie er am Ausgang des sieb¬
zehnten Jahrhunderts in der deutschen Dichtung zutage tritt, so kommen wir zu dem
Ergebnis, daß die Literatur Schuldnerin der Kulturgeschichte geblieben ist. Der
Übergang von der Natural- zur Geld- und Kreditwirtschaft, der Aufschwung des
früheren Tauschverkehrs zum Kleinhandel und von da zur mächtigen Ausdehnung
des Großhandels ist zu rasch und zu blendend gewesen. Die Nachteile, die die
Entfaltung des Handels mit sich brachte, kamen zum Vorschein, als man die
Vorteile kaum zu ersehen und zu begreifen imstande war. Das Volk hat es
nicht verstanden, diesen mächtigen kulturellen Fortschritt mit seinem Leben zu
vereinbaren und so kam es denn auch, daß der deutsche Kaufmann jener Zeiten
trotz seiner persönlichen Macht und Würde, trotz seinem Einfluß auf das gesamte
bürgerliche Leben, als Ursprung und Ursache nationalen Verderbens angesehen
wurde. Somit hat auch die Dichtung, der Mund des Volkes, nur spöttisch auf
den Kaufmann herabgeschaut, indem sie nur seiue Fehler, nicht aber seine Vorzüge
erkannte.




Grenzboten IV 191016
Der Kaufmannsstand in der deutschen Literatur

Nordseestädte, waren die einzigen, die all den Verwüstungen durch ihr neutrales
Verhalten entrannen. In ihre Mauern flüchtete sich, was noch Leben in sich
trug; die Lust und Freude an Dasein, die Arbeit fanden dort fruchtbaren
Boden. 1648 wurde der Westfälische Friede geschlossen. War er national¬
ökonomisch der Kulminationspunkt des Verfalls, so ließ er doch das deutsche
Volk wieder zu Atem kommen.

Um Wunden zu heilen, wie der Dreißigjährige Krieg sie geschlagen, dazu
waren ganze Generationen notwendig. Während diese ihr Jugend-, Mannes¬
und Greisenalter durchschritten, beherrschten Holland, England und Frankreich
infolge ihrer ausgedehnten Kolonialmacht den Welthandel. Erst der Amerikanische
Krieg, das Hinschwinden der Größe Hollands, eröffnete dem neu erwachten
Deutschen Reich den überseeischen Handel. Die Deutschen wurden dann erst zu
Importeuren voll Kolonialwaren, zu Exporteuren deutscher Erzeugnisse nach
überseeischen Märkten. Nun traten sie aus dem kleinen Kreis der Agenten,
Zwischenhändler, Vermittler hervor zu direkter unbegrenzter Teilnahme am inter¬
nationalen Verkehr. Auch bedurften sie jetzt keiner zweiten Hand mehr, um
mit der neuen Welt zu kommunizieren, sie gingen selbsteigen an die Erzeugungs¬
orte, tauschten mit den ersten Produzenten, gaben im Welthandel ihrem Vater¬
lande den Platz, der ihm bisher gefehlt hatte.

Die Satire des siebzehnten Jahrhunderts konnte sich naturgemäß mit dem
sich nur langsam wieder erhebenden Handel nicht befassen. Was die Literatur
jener Zeit vom Kaufmann und seinem Handel erwähnt, kommt in Flug¬
schriften und in zahlreichen Holz- und Kupferstichen zum Ausdruck, wie wir sie
heute im Nürnberger Germanischen Museum noch finden.

Im allgemeinen fließen die Quellen spärlich genug, und wie wir ihnen auch
nachgehen, zeigen sie uns den Kaufmannsstand nicht eben im günstigsten Lichte

Fassen wir noch den Kaufmannsstand ins Auge, wie er am Ausgang des sieb¬
zehnten Jahrhunderts in der deutschen Dichtung zutage tritt, so kommen wir zu dem
Ergebnis, daß die Literatur Schuldnerin der Kulturgeschichte geblieben ist. Der
Übergang von der Natural- zur Geld- und Kreditwirtschaft, der Aufschwung des
früheren Tauschverkehrs zum Kleinhandel und von da zur mächtigen Ausdehnung
des Großhandels ist zu rasch und zu blendend gewesen. Die Nachteile, die die
Entfaltung des Handels mit sich brachte, kamen zum Vorschein, als man die
Vorteile kaum zu ersehen und zu begreifen imstande war. Das Volk hat es
nicht verstanden, diesen mächtigen kulturellen Fortschritt mit seinem Leben zu
vereinbaren und so kam es denn auch, daß der deutsche Kaufmann jener Zeiten
trotz seiner persönlichen Macht und Würde, trotz seinem Einfluß auf das gesamte
bürgerliche Leben, als Ursprung und Ursache nationalen Verderbens angesehen
wurde. Somit hat auch die Dichtung, der Mund des Volkes, nur spöttisch auf
den Kaufmann herabgeschaut, indem sie nur seiue Fehler, nicht aber seine Vorzüge
erkannte.




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[0133] Der Kaufmannsstand in der deutschen Literatur Nordseestädte, waren die einzigen, die all den Verwüstungen durch ihr neutrales Verhalten entrannen. In ihre Mauern flüchtete sich, was noch Leben in sich trug; die Lust und Freude an Dasein, die Arbeit fanden dort fruchtbaren Boden. 1648 wurde der Westfälische Friede geschlossen. War er national¬ ökonomisch der Kulminationspunkt des Verfalls, so ließ er doch das deutsche Volk wieder zu Atem kommen. Um Wunden zu heilen, wie der Dreißigjährige Krieg sie geschlagen, dazu waren ganze Generationen notwendig. Während diese ihr Jugend-, Mannes¬ und Greisenalter durchschritten, beherrschten Holland, England und Frankreich infolge ihrer ausgedehnten Kolonialmacht den Welthandel. Erst der Amerikanische Krieg, das Hinschwinden der Größe Hollands, eröffnete dem neu erwachten Deutschen Reich den überseeischen Handel. Die Deutschen wurden dann erst zu Importeuren voll Kolonialwaren, zu Exporteuren deutscher Erzeugnisse nach überseeischen Märkten. Nun traten sie aus dem kleinen Kreis der Agenten, Zwischenhändler, Vermittler hervor zu direkter unbegrenzter Teilnahme am inter¬ nationalen Verkehr. Auch bedurften sie jetzt keiner zweiten Hand mehr, um mit der neuen Welt zu kommunizieren, sie gingen selbsteigen an die Erzeugungs¬ orte, tauschten mit den ersten Produzenten, gaben im Welthandel ihrem Vater¬ lande den Platz, der ihm bisher gefehlt hatte. Die Satire des siebzehnten Jahrhunderts konnte sich naturgemäß mit dem sich nur langsam wieder erhebenden Handel nicht befassen. Was die Literatur jener Zeit vom Kaufmann und seinem Handel erwähnt, kommt in Flug¬ schriften und in zahlreichen Holz- und Kupferstichen zum Ausdruck, wie wir sie heute im Nürnberger Germanischen Museum noch finden. Im allgemeinen fließen die Quellen spärlich genug, und wie wir ihnen auch nachgehen, zeigen sie uns den Kaufmannsstand nicht eben im günstigsten Lichte Fassen wir noch den Kaufmannsstand ins Auge, wie er am Ausgang des sieb¬ zehnten Jahrhunderts in der deutschen Dichtung zutage tritt, so kommen wir zu dem Ergebnis, daß die Literatur Schuldnerin der Kulturgeschichte geblieben ist. Der Übergang von der Natural- zur Geld- und Kreditwirtschaft, der Aufschwung des früheren Tauschverkehrs zum Kleinhandel und von da zur mächtigen Ausdehnung des Großhandels ist zu rasch und zu blendend gewesen. Die Nachteile, die die Entfaltung des Handels mit sich brachte, kamen zum Vorschein, als man die Vorteile kaum zu ersehen und zu begreifen imstande war. Das Volk hat es nicht verstanden, diesen mächtigen kulturellen Fortschritt mit seinem Leben zu vereinbaren und so kam es denn auch, daß der deutsche Kaufmann jener Zeiten trotz seiner persönlichen Macht und Würde, trotz seinem Einfluß auf das gesamte bürgerliche Leben, als Ursprung und Ursache nationalen Verderbens angesehen wurde. Somit hat auch die Dichtung, der Mund des Volkes, nur spöttisch auf den Kaufmann herabgeschaut, indem sie nur seiue Fehler, nicht aber seine Vorzüge erkannte. Grenzboten IV 191016

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/133>, abgerufen am 15.05.2024.