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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Im Flocken

anerkannte, und den er deshalb gern unberührt gesehen hätte. Er war freilich
diplomatisch genug, sich einstweilen noch zu beherrschen, denn wenn er von vorn¬
herein die Leute gar zu arg vor den Kopf stieß, konnten sie unter der Anführung
dieses selbständigen Utjanow wohl gar das nie Dagewesene möglich machen und
sich weigern. Wenn diesen Utjanow doch der Teufel geholt hätte!

Botscharow blies den Atem schwer von sich. Das half noch nicht. Da
klirrte Anna Dmitrijewna laut mit den Tassen, mit denen sie sich zu schaffen
machte, und herrisch fuhr er sie an:

"Genug gewirtschaftet und gestört, wo wir von einer wichtigen Sache redenI
Geh fort, Frau. Es ißt und trinkt niemand mehr."

"Möchtest du dann nicht besser die Herren in das Gastzimmer bitten oder
in dein ..."

Botscharow hielt sich die Ohren mit den Händen zu.

"Dummheiten, und immer Dummheiten! Nichts anderes kriegt man von dir
zu hören. Ich sage, geh fort, und dann gehst du fort. Verstanden? Wir haben
hier angefangen uns zu besprechen, und hier bleiben wir. Hinaus, Frau! Und
ihr alle, hinaus! Wir wollen nicht gestört sein. Hört ihr!"

Anna Dmitrijewna verließ schleunigst das Zimmer, und ebenso schnell ent¬
fernten sich die Mägde. Jgnatij zog sich bis zur Tür zurück, wo er sich in die
Ecke neben den Ofen stellte.

"Wie, schämst du dich nicht, Mensch, solche Klagen auszusprechen!" wandte
sich nun Botscharow an Utjanow. "Was ist da schon groß dabei, daß wir
dem Hilfslehrer an der Knabenschule die Gage zahlen! Die ganze Kaufmannschaft
ist doch daran beteiligt, und der Kaufleute gibt es in unsrem Flecken, Gott sei
Dank, nicht wenig. Wieviel kommt auf jeden einzelnen? Einige Kopeken."

"N--nu," reckte Utjanow, "auf mich kommen einige Rubel."

"Und das fällt dir schwer!" höhnte der Älteste.

"Schwer oder nicht, das muß ich wissen. Man zählt das Geld nicht in einer
fremden Tasche."

"Leicht wird uns das Zahlen gewiß nicht", fügte ein anderer hinzu.

"Höre," sprach Botscharow in spöttischem Ton wieder zu Utjanow, "gerade
du solltest wirklich nicht klagen. Dein Geschäft geht immer mehr in die Breite.
Du bist allmählich ein großer Kaufmann geworden. Ich möchte wirklich wissen,
wie du das anfängst."

Der Angeredete setzte sich und blickte zu dem Ältesten auf, wobei in den
Augen ein etwas unsicherer, listiger Ausdruck lag.

"Es ist wahr," sagte er mit treuherzigem Ton, "daß mein Handel nicht
zurückgeht. Ich finde mein kärgliches Auskommen und brauche nicht zu hungern.
Dem Herrn sei Lob und Dank für seinen Segen, den er dazu gibt." Er schlug
das Kreuz und verbeugte sich tief.

"Und du selbst tust nichts dazu?"

"Ah," meinte Utjanow, "von selbst kommt es nicht. Ich gebe mir Mühe.
Ich bin immer selbst zur Stelle, beaufsichtige meine jungen Leute unablässig.
Meine Ware ist gut. Meine Preise sind genau berechnet und darum nicht zu hoch.
Meine Kunden werden ehrlich und gewandt bedient. Das macht es. Ich habe
strenge Ordnung eingeführt, ich möchte sagen, deutsche Ordnung."


Im Flocken

anerkannte, und den er deshalb gern unberührt gesehen hätte. Er war freilich
diplomatisch genug, sich einstweilen noch zu beherrschen, denn wenn er von vorn¬
herein die Leute gar zu arg vor den Kopf stieß, konnten sie unter der Anführung
dieses selbständigen Utjanow wohl gar das nie Dagewesene möglich machen und
sich weigern. Wenn diesen Utjanow doch der Teufel geholt hätte!

Botscharow blies den Atem schwer von sich. Das half noch nicht. Da
klirrte Anna Dmitrijewna laut mit den Tassen, mit denen sie sich zu schaffen
machte, und herrisch fuhr er sie an:

„Genug gewirtschaftet und gestört, wo wir von einer wichtigen Sache redenI
Geh fort, Frau. Es ißt und trinkt niemand mehr."

„Möchtest du dann nicht besser die Herren in das Gastzimmer bitten oder
in dein ..."

Botscharow hielt sich die Ohren mit den Händen zu.

„Dummheiten, und immer Dummheiten! Nichts anderes kriegt man von dir
zu hören. Ich sage, geh fort, und dann gehst du fort. Verstanden? Wir haben
hier angefangen uns zu besprechen, und hier bleiben wir. Hinaus, Frau! Und
ihr alle, hinaus! Wir wollen nicht gestört sein. Hört ihr!"

Anna Dmitrijewna verließ schleunigst das Zimmer, und ebenso schnell ent¬
fernten sich die Mägde. Jgnatij zog sich bis zur Tür zurück, wo er sich in die
Ecke neben den Ofen stellte.

„Wie, schämst du dich nicht, Mensch, solche Klagen auszusprechen!" wandte
sich nun Botscharow an Utjanow. „Was ist da schon groß dabei, daß wir
dem Hilfslehrer an der Knabenschule die Gage zahlen! Die ganze Kaufmannschaft
ist doch daran beteiligt, und der Kaufleute gibt es in unsrem Flecken, Gott sei
Dank, nicht wenig. Wieviel kommt auf jeden einzelnen? Einige Kopeken."

„N—nu," reckte Utjanow, „auf mich kommen einige Rubel."

„Und das fällt dir schwer!" höhnte der Älteste.

„Schwer oder nicht, das muß ich wissen. Man zählt das Geld nicht in einer
fremden Tasche."

„Leicht wird uns das Zahlen gewiß nicht", fügte ein anderer hinzu.

„Höre," sprach Botscharow in spöttischem Ton wieder zu Utjanow, „gerade
du solltest wirklich nicht klagen. Dein Geschäft geht immer mehr in die Breite.
Du bist allmählich ein großer Kaufmann geworden. Ich möchte wirklich wissen,
wie du das anfängst."

Der Angeredete setzte sich und blickte zu dem Ältesten auf, wobei in den
Augen ein etwas unsicherer, listiger Ausdruck lag.

„Es ist wahr," sagte er mit treuherzigem Ton, „daß mein Handel nicht
zurückgeht. Ich finde mein kärgliches Auskommen und brauche nicht zu hungern.
Dem Herrn sei Lob und Dank für seinen Segen, den er dazu gibt." Er schlug
das Kreuz und verbeugte sich tief.

„Und du selbst tust nichts dazu?"

„Ah," meinte Utjanow, „von selbst kommt es nicht. Ich gebe mir Mühe.
Ich bin immer selbst zur Stelle, beaufsichtige meine jungen Leute unablässig.
Meine Ware ist gut. Meine Preise sind genau berechnet und darum nicht zu hoch.
Meine Kunden werden ehrlich und gewandt bedient. Das macht es. Ich habe
strenge Ordnung eingeführt, ich möchte sagen, deutsche Ordnung."


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[0140] Im Flocken anerkannte, und den er deshalb gern unberührt gesehen hätte. Er war freilich diplomatisch genug, sich einstweilen noch zu beherrschen, denn wenn er von vorn¬ herein die Leute gar zu arg vor den Kopf stieß, konnten sie unter der Anführung dieses selbständigen Utjanow wohl gar das nie Dagewesene möglich machen und sich weigern. Wenn diesen Utjanow doch der Teufel geholt hätte! Botscharow blies den Atem schwer von sich. Das half noch nicht. Da klirrte Anna Dmitrijewna laut mit den Tassen, mit denen sie sich zu schaffen machte, und herrisch fuhr er sie an: „Genug gewirtschaftet und gestört, wo wir von einer wichtigen Sache redenI Geh fort, Frau. Es ißt und trinkt niemand mehr." „Möchtest du dann nicht besser die Herren in das Gastzimmer bitten oder in dein ..." Botscharow hielt sich die Ohren mit den Händen zu. „Dummheiten, und immer Dummheiten! Nichts anderes kriegt man von dir zu hören. Ich sage, geh fort, und dann gehst du fort. Verstanden? Wir haben hier angefangen uns zu besprechen, und hier bleiben wir. Hinaus, Frau! Und ihr alle, hinaus! Wir wollen nicht gestört sein. Hört ihr!" Anna Dmitrijewna verließ schleunigst das Zimmer, und ebenso schnell ent¬ fernten sich die Mägde. Jgnatij zog sich bis zur Tür zurück, wo er sich in die Ecke neben den Ofen stellte. „Wie, schämst du dich nicht, Mensch, solche Klagen auszusprechen!" wandte sich nun Botscharow an Utjanow. „Was ist da schon groß dabei, daß wir dem Hilfslehrer an der Knabenschule die Gage zahlen! Die ganze Kaufmannschaft ist doch daran beteiligt, und der Kaufleute gibt es in unsrem Flecken, Gott sei Dank, nicht wenig. Wieviel kommt auf jeden einzelnen? Einige Kopeken." „N—nu," reckte Utjanow, „auf mich kommen einige Rubel." „Und das fällt dir schwer!" höhnte der Älteste. „Schwer oder nicht, das muß ich wissen. Man zählt das Geld nicht in einer fremden Tasche." „Leicht wird uns das Zahlen gewiß nicht", fügte ein anderer hinzu. „Höre," sprach Botscharow in spöttischem Ton wieder zu Utjanow, „gerade du solltest wirklich nicht klagen. Dein Geschäft geht immer mehr in die Breite. Du bist allmählich ein großer Kaufmann geworden. Ich möchte wirklich wissen, wie du das anfängst." Der Angeredete setzte sich und blickte zu dem Ältesten auf, wobei in den Augen ein etwas unsicherer, listiger Ausdruck lag. „Es ist wahr," sagte er mit treuherzigem Ton, „daß mein Handel nicht zurückgeht. Ich finde mein kärgliches Auskommen und brauche nicht zu hungern. Dem Herrn sei Lob und Dank für seinen Segen, den er dazu gibt." Er schlug das Kreuz und verbeugte sich tief. „Und du selbst tust nichts dazu?" „Ah," meinte Utjanow, „von selbst kommt es nicht. Ich gebe mir Mühe. Ich bin immer selbst zur Stelle, beaufsichtige meine jungen Leute unablässig. Meine Ware ist gut. Meine Preise sind genau berechnet und darum nicht zu hoch. Meine Kunden werden ehrlich und gewandt bedient. Das macht es. Ich habe strenge Ordnung eingeführt, ich möchte sagen, deutsche Ordnung."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/140>, abgerufen am 29.05.2024.