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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Für das Erbrecht des Reiches

in denen tiefe Erbitterung über die Habsucht des anderen Teiles und dauernde
Familienfeindschaft die Folge ist. Alle diese Umstände liegen in der Natur des
Menschen und in der Natur der Dinge begründet. Sie werden deswegen im
wesentlichen unverändert bleiben auch bei der in Rede stehenden Änderung des
Rechts. Wer künftig seine Anverwandten nicht als Erben wünscht, weil er mit
ihnen verfeindet ist, braucht sie nicht erst testamentarisch auszuschließen, sondern
er beläßt es einfach bei dem Gesetz. Dasselbe gilt von all den Fällen, in denen
es dem Erblasser im Grunde gleichgültig ist, was einmal aus seinem Nachlaß
wird. Nur da, wo ein ausgesprochenes Interesse für ein Mitglied der weiteren
Familie vorliegt, ist eine letztwillige Anordnung geboten. Das wird ziemlich
häufig bei Geschwisterkindern, selten bei entfernteren Verwandten der Fall sein.
Unter diesen Umständen spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß etwa über den
dritten Teil der in Rede stehenden Erdmassen letztwillig verfügt werden wird,
so daß von den 584 Millionen ein Drittel mit 194 Millionen abzusetzen ist.
Mithin verbleiben im Endergebnis 390 Millionen als Jahresertrag des Reichs¬
erbrechts. Aus doppelten Gründen muß indessen mit einer erheblich höheren
Summe gerechnet werden. Die amtliche Veranschlagung von 1908 kommt auf
die Gesamtsumme des in Deutschland vererbten Vermögens von 5700 Millionen,
indem sie von der statistisch festgestellten Höhe des ergänzungssteuerpflichtigen Ver¬
mögens in Preußen ausgeht und annimmt, daß 5 Prozent dieses Vermögens
sich der Veranlagung zur Steuer entziehen. Dieser Zuschlag ist aber nach den
Erfahrungen des Lebens bei weitem zu niedrig. Nach dem Urteil der Sach¬
verständigen geht man nicht fehl, wenn man 25 Prozent dafür in Ansatz bringt.
Damit erhöht sich der Ertrag der empfohlenen Maßregel von 390 auf 458 Millionen
jährlich. Sodann ist die Berechnung im Entwurf von 1908 für ein bestimmtes
Jahr, für das Jahr 1910, aufgestellt; deswegen ist mit gutem Grunde das
beständige Steigen des Ertrages der Ergänzungssteuer, wie es bisher beobachtet
wurde, in Anschlag gebracht, um das voraussichtliche Ergebnis für 1910 zu
ermitteln. Wenn aber der Durchschnittsertrag des Neichserbrechts veranschlagt
werden soll, kann man sich nicht auf das eine Jahr beschränken. Man kann
nicht annehmen, daß die steigende Tendenz in den Staatseinnahmen, die auf
dem Gebiete der Ergänzungs- und Einkommensteuer erfreulicherweise festzustellen
ist, plötzlich im Jahre 1910 Halt machen wird. Die Ergänzungssteuer ins¬
besondere ergab für das Jahr 1895 ein Gesamtvermögen von 64 Milliarden,
für das Jahr 1905 ein solches von 83 Milliarden. Dieser Fortschritt in der
wirtschaftlichen Entwickelung muß bei einer doch für die Zukunft bestimmten
Reform gebührende Berücksichtigung finden. Legt man demgemäß nur sür die
nächsten fünf Jahre denselben Maßstab der Steigerung an, den der Regierungs¬
entwurf aus den Ergebnissen der Jahre 1903 bis 1905 entnommen hat, so
erhöht sich der oben gefundene Betrag der 458 Millionen jährlich um
13 Millionen, so daß die Einkünfte aus dem Neichserbrecht bereits im Jahre
1914 die Summe von 500 Millionen überschreiten. Dabei ist der Vorsicht


Für das Erbrecht des Reiches

in denen tiefe Erbitterung über die Habsucht des anderen Teiles und dauernde
Familienfeindschaft die Folge ist. Alle diese Umstände liegen in der Natur des
Menschen und in der Natur der Dinge begründet. Sie werden deswegen im
wesentlichen unverändert bleiben auch bei der in Rede stehenden Änderung des
Rechts. Wer künftig seine Anverwandten nicht als Erben wünscht, weil er mit
ihnen verfeindet ist, braucht sie nicht erst testamentarisch auszuschließen, sondern
er beläßt es einfach bei dem Gesetz. Dasselbe gilt von all den Fällen, in denen
es dem Erblasser im Grunde gleichgültig ist, was einmal aus seinem Nachlaß
wird. Nur da, wo ein ausgesprochenes Interesse für ein Mitglied der weiteren
Familie vorliegt, ist eine letztwillige Anordnung geboten. Das wird ziemlich
häufig bei Geschwisterkindern, selten bei entfernteren Verwandten der Fall sein.
Unter diesen Umständen spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß etwa über den
dritten Teil der in Rede stehenden Erdmassen letztwillig verfügt werden wird,
so daß von den 584 Millionen ein Drittel mit 194 Millionen abzusetzen ist.
Mithin verbleiben im Endergebnis 390 Millionen als Jahresertrag des Reichs¬
erbrechts. Aus doppelten Gründen muß indessen mit einer erheblich höheren
Summe gerechnet werden. Die amtliche Veranschlagung von 1908 kommt auf
die Gesamtsumme des in Deutschland vererbten Vermögens von 5700 Millionen,
indem sie von der statistisch festgestellten Höhe des ergänzungssteuerpflichtigen Ver¬
mögens in Preußen ausgeht und annimmt, daß 5 Prozent dieses Vermögens
sich der Veranlagung zur Steuer entziehen. Dieser Zuschlag ist aber nach den
Erfahrungen des Lebens bei weitem zu niedrig. Nach dem Urteil der Sach¬
verständigen geht man nicht fehl, wenn man 25 Prozent dafür in Ansatz bringt.
Damit erhöht sich der Ertrag der empfohlenen Maßregel von 390 auf 458 Millionen
jährlich. Sodann ist die Berechnung im Entwurf von 1908 für ein bestimmtes
Jahr, für das Jahr 1910, aufgestellt; deswegen ist mit gutem Grunde das
beständige Steigen des Ertrages der Ergänzungssteuer, wie es bisher beobachtet
wurde, in Anschlag gebracht, um das voraussichtliche Ergebnis für 1910 zu
ermitteln. Wenn aber der Durchschnittsertrag des Neichserbrechts veranschlagt
werden soll, kann man sich nicht auf das eine Jahr beschränken. Man kann
nicht annehmen, daß die steigende Tendenz in den Staatseinnahmen, die auf
dem Gebiete der Ergänzungs- und Einkommensteuer erfreulicherweise festzustellen
ist, plötzlich im Jahre 1910 Halt machen wird. Die Ergänzungssteuer ins¬
besondere ergab für das Jahr 1895 ein Gesamtvermögen von 64 Milliarden,
für das Jahr 1905 ein solches von 83 Milliarden. Dieser Fortschritt in der
wirtschaftlichen Entwickelung muß bei einer doch für die Zukunft bestimmten
Reform gebührende Berücksichtigung finden. Legt man demgemäß nur sür die
nächsten fünf Jahre denselben Maßstab der Steigerung an, den der Regierungs¬
entwurf aus den Ergebnissen der Jahre 1903 bis 1905 entnommen hat, so
erhöht sich der oben gefundene Betrag der 458 Millionen jährlich um
13 Millionen, so daß die Einkünfte aus dem Neichserbrecht bereits im Jahre
1914 die Summe von 500 Millionen überschreiten. Dabei ist der Vorsicht


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[0167] Für das Erbrecht des Reiches in denen tiefe Erbitterung über die Habsucht des anderen Teiles und dauernde Familienfeindschaft die Folge ist. Alle diese Umstände liegen in der Natur des Menschen und in der Natur der Dinge begründet. Sie werden deswegen im wesentlichen unverändert bleiben auch bei der in Rede stehenden Änderung des Rechts. Wer künftig seine Anverwandten nicht als Erben wünscht, weil er mit ihnen verfeindet ist, braucht sie nicht erst testamentarisch auszuschließen, sondern er beläßt es einfach bei dem Gesetz. Dasselbe gilt von all den Fällen, in denen es dem Erblasser im Grunde gleichgültig ist, was einmal aus seinem Nachlaß wird. Nur da, wo ein ausgesprochenes Interesse für ein Mitglied der weiteren Familie vorliegt, ist eine letztwillige Anordnung geboten. Das wird ziemlich häufig bei Geschwisterkindern, selten bei entfernteren Verwandten der Fall sein. Unter diesen Umständen spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß etwa über den dritten Teil der in Rede stehenden Erdmassen letztwillig verfügt werden wird, so daß von den 584 Millionen ein Drittel mit 194 Millionen abzusetzen ist. Mithin verbleiben im Endergebnis 390 Millionen als Jahresertrag des Reichs¬ erbrechts. Aus doppelten Gründen muß indessen mit einer erheblich höheren Summe gerechnet werden. Die amtliche Veranschlagung von 1908 kommt auf die Gesamtsumme des in Deutschland vererbten Vermögens von 5700 Millionen, indem sie von der statistisch festgestellten Höhe des ergänzungssteuerpflichtigen Ver¬ mögens in Preußen ausgeht und annimmt, daß 5 Prozent dieses Vermögens sich der Veranlagung zur Steuer entziehen. Dieser Zuschlag ist aber nach den Erfahrungen des Lebens bei weitem zu niedrig. Nach dem Urteil der Sach¬ verständigen geht man nicht fehl, wenn man 25 Prozent dafür in Ansatz bringt. Damit erhöht sich der Ertrag der empfohlenen Maßregel von 390 auf 458 Millionen jährlich. Sodann ist die Berechnung im Entwurf von 1908 für ein bestimmtes Jahr, für das Jahr 1910, aufgestellt; deswegen ist mit gutem Grunde das beständige Steigen des Ertrages der Ergänzungssteuer, wie es bisher beobachtet wurde, in Anschlag gebracht, um das voraussichtliche Ergebnis für 1910 zu ermitteln. Wenn aber der Durchschnittsertrag des Neichserbrechts veranschlagt werden soll, kann man sich nicht auf das eine Jahr beschränken. Man kann nicht annehmen, daß die steigende Tendenz in den Staatseinnahmen, die auf dem Gebiete der Ergänzungs- und Einkommensteuer erfreulicherweise festzustellen ist, plötzlich im Jahre 1910 Halt machen wird. Die Ergänzungssteuer ins¬ besondere ergab für das Jahr 1895 ein Gesamtvermögen von 64 Milliarden, für das Jahr 1905 ein solches von 83 Milliarden. Dieser Fortschritt in der wirtschaftlichen Entwickelung muß bei einer doch für die Zukunft bestimmten Reform gebührende Berücksichtigung finden. Legt man demgemäß nur sür die nächsten fünf Jahre denselben Maßstab der Steigerung an, den der Regierungs¬ entwurf aus den Ergebnissen der Jahre 1903 bis 1905 entnommen hat, so erhöht sich der oben gefundene Betrag der 458 Millionen jährlich um 13 Millionen, so daß die Einkünfte aus dem Neichserbrecht bereits im Jahre 1914 die Summe von 500 Millionen überschreiten. Dabei ist der Vorsicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/167>, abgerufen am 15.05.2024.