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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die Verwertung der Staatsarchive in Preußen

am häufigsten aus einer irrtümlichen Anschauung der Verhältnisse entspringt."
Um ein Beispiel dasür zu geben, welche Aufschlüsse die Archive zu gewähren
vermögen, deutete Bismarck auf zwei Aufsätze von Dronsen: "Zur Geschichte
der preußischen Politik in den Jahren 1830 bis 1832" hin, wobei zu erwägen
war, daß dem Verfasser dabei noch immer nicht das gesamte Material zugänglich
gemacht worden war. "Es erscheint deshalb als ein dringendes Bedürfnis,
daß die Urkunden und Akten der Staatsarchive gehörig geordnet und zu guten
Veröffentlichungen benutzt werden; dies gilt vorzugsweise von dem erst kürzlich
aus den: früheren Geheimen Staatsarchive und dein Ministerialarchive in Ver¬
bindung mit dem brandenburgischen Provinzialarchive neu gebildeten Geheimen
Staatsarchive Hierselbst, welches die übrigen Archive an Zahl der Dokumente
und Erheblichkeit ihres Inhalts sür die allgemeine preußische Geschichte weit
übertrifft. Damit dasselbe seine Aufgabe zu lösen vermag, ist es erforderlich,
daß an seine Spitze eine qualifizierte Person gestellt wird, welche sowohl der
Technik des Archivdienstes mächtig als auch die Publikationen in einer genügenden
Weise zu fördern und zu leiten befähigt ist. Zu diesem Behufe bedarf es jedoch
einer Veränderung der Organisation dieser Behörde."

Diese anderweitige Organisation bestand darin, daß in den Etat ein Gehalt
von 9000 Mark für die Stelle des Direktors der Staatsarchive eingesetzt wurde.

Damit, daß diesem selbständigen Amte noch die Stelle des Direktors des
Geheimen Staatsarchivs in Berlin (mit 3000 Mark Gehalt) verbunden wurde,
war die Möglichkeit geschaffen, eine erste Kraft (Prof. Dr. v. Sybel) an die
Spitze der preußischen Archivverwaltung zu berufen.

Diesen Maßnahmen zur ergiebigen Ausnutzung unserer Archivschätze ging
ein Erlaß Bismarcks vom 9. Januar 1876 voraus. Er genehmigte darin, daß
der Direktor der Königlichen Staatsarchive sowie die Vorstände der Provinzial¬
archive bei der Benutzung archivalischer Dokumente zu wissenschaftlichen Zwecken
von einer Revision der gemachten Notizen und Exzerpte Abstand nahmen*),
die durch die Verfügung vom 19. Dezember 1856 und die Instruktion vom
31- August 1867 angeordnet worden war. Damit war einer freieren Forschung
die Tür geöffnet.

Nachdem Bismarck die Organisationsfrage gelöst, war es seine nächste
Sorge, eine fruchtbringende Benutzung der Staatsarchive zu ermöglichen. Die
preußischen Archive hatten, wie bereits angedeutet, bisher dem Staate nicht das
geleistet, was sie leisten sollten; sie hatten insbesondere die historische Wissen¬
schaft nicht in dem Grade durch bedeutende Publikationen gefördert, wie dies
in Wien, Brüssel, London und vor allem in Paris geschehen war. Gerade
diese der öffentlichen Beurteilung am meisten ausgesetzte Seite ihrer Aufgabe
war bisher in Preußen vernachlässigt worden.

Um eine Remedur zu schaffen, forderte Bismarck den Professor v. Sybel
bei Übernahme der Archivdirektion auf, das Interesse für unsere vaterländische



") "Ministerialblatt für die innere Verwaltung," 1876. S. 1.
Die Verwertung der Staatsarchive in Preußen

am häufigsten aus einer irrtümlichen Anschauung der Verhältnisse entspringt."
Um ein Beispiel dasür zu geben, welche Aufschlüsse die Archive zu gewähren
vermögen, deutete Bismarck auf zwei Aufsätze von Dronsen: „Zur Geschichte
der preußischen Politik in den Jahren 1830 bis 1832" hin, wobei zu erwägen
war, daß dem Verfasser dabei noch immer nicht das gesamte Material zugänglich
gemacht worden war. „Es erscheint deshalb als ein dringendes Bedürfnis,
daß die Urkunden und Akten der Staatsarchive gehörig geordnet und zu guten
Veröffentlichungen benutzt werden; dies gilt vorzugsweise von dem erst kürzlich
aus den: früheren Geheimen Staatsarchive und dein Ministerialarchive in Ver¬
bindung mit dem brandenburgischen Provinzialarchive neu gebildeten Geheimen
Staatsarchive Hierselbst, welches die übrigen Archive an Zahl der Dokumente
und Erheblichkeit ihres Inhalts sür die allgemeine preußische Geschichte weit
übertrifft. Damit dasselbe seine Aufgabe zu lösen vermag, ist es erforderlich,
daß an seine Spitze eine qualifizierte Person gestellt wird, welche sowohl der
Technik des Archivdienstes mächtig als auch die Publikationen in einer genügenden
Weise zu fördern und zu leiten befähigt ist. Zu diesem Behufe bedarf es jedoch
einer Veränderung der Organisation dieser Behörde."

Diese anderweitige Organisation bestand darin, daß in den Etat ein Gehalt
von 9000 Mark für die Stelle des Direktors der Staatsarchive eingesetzt wurde.

Damit, daß diesem selbständigen Amte noch die Stelle des Direktors des
Geheimen Staatsarchivs in Berlin (mit 3000 Mark Gehalt) verbunden wurde,
war die Möglichkeit geschaffen, eine erste Kraft (Prof. Dr. v. Sybel) an die
Spitze der preußischen Archivverwaltung zu berufen.

Diesen Maßnahmen zur ergiebigen Ausnutzung unserer Archivschätze ging
ein Erlaß Bismarcks vom 9. Januar 1876 voraus. Er genehmigte darin, daß
der Direktor der Königlichen Staatsarchive sowie die Vorstände der Provinzial¬
archive bei der Benutzung archivalischer Dokumente zu wissenschaftlichen Zwecken
von einer Revision der gemachten Notizen und Exzerpte Abstand nahmen*),
die durch die Verfügung vom 19. Dezember 1856 und die Instruktion vom
31- August 1867 angeordnet worden war. Damit war einer freieren Forschung
die Tür geöffnet.

Nachdem Bismarck die Organisationsfrage gelöst, war es seine nächste
Sorge, eine fruchtbringende Benutzung der Staatsarchive zu ermöglichen. Die
preußischen Archive hatten, wie bereits angedeutet, bisher dem Staate nicht das
geleistet, was sie leisten sollten; sie hatten insbesondere die historische Wissen¬
schaft nicht in dem Grade durch bedeutende Publikationen gefördert, wie dies
in Wien, Brüssel, London und vor allem in Paris geschehen war. Gerade
diese der öffentlichen Beurteilung am meisten ausgesetzte Seite ihrer Aufgabe
war bisher in Preußen vernachlässigt worden.

Um eine Remedur zu schaffen, forderte Bismarck den Professor v. Sybel
bei Übernahme der Archivdirektion auf, das Interesse für unsere vaterländische



") „Ministerialblatt für die innere Verwaltung," 1876. S. 1.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/179>, abgerufen am 16.05.2024.