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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die Weiterentwicklung des deutsch-österreichischen Bündnisses

glücklicherweise das allein Gegebene war, werden erhalten können, scheint mehr
als fraglich. Wir haben mit Österreich das größte Interesse daran, daß die
Türkei nicht zum Spielball der Tripelentente wird, und es läßt sich sehr wohl
eine Lage denken, wo ein aktives Eingreifen zu diesem Zwecke unserseits
durchaus gerechtfertigt sein könnte.

Ein andres Motiv führt auf einen bereits berührten Gedankengang. Die
verhältnismäßige Ruhe in der orientalischen Frage beruht heute einzig und allein
auf dem jungtürkischen Regime, über dessen Zukunftsaussichten sich selbst gute
Kenner des Orients kein sicheres Urteil bilden können. Die Hauptgefahr droht
ihm natürlich im Inneren; aber mehr und mehr läßt sich erkennen, daß die
Mächte der Tripelentente sich mit einer selbstbewußten und wahrhaften Türkei,
die sich Eingriffe von außen verbittet, nur ungern abfinden; gegebenenfalls
würden sie wohl das Ihrige tun, um das jungtürkische Regime zu stürzen.

Tritt dies ein, dann wird die orientalische Frage bedenklicher als seit
langem; denn das Verhältnis zwischen Österreich und Rußland ist heute
noch so schlecht, wie zur Zeit der Annexionskrise und in dem Augenblick, wo
die Türkei ihre Autorität in Albanien nicht mehr aufrechterhalten kann, werden
dort die italienischen Ansprüche wieder lebendig und bringen den latenten
österreichisch-italienischen Konflikt zum Ausbruch. Durch längere Perioden hin¬
durch gab es zwischen Österreich und Rußland Abkommen, die zwar keine
endgültige Verständigung über die kollidierenden Orientinteressen der beiden
Mächte darstellten, wohl aber die Grundlagen von Waffenstillständen: das
Reichstadter und das Mürzsteger Übereinkommen. Heute fehlt irgend etwas
dieser Art gänzlich, ja es bahnt sich nicht einmal an. Wieder sind wir der
Möglichkeit ausgesetzt, daß Österreich wegen eiuer uns gleichgültigen Orientfrage
mit Rußland in Krieg gerät und wir in den Kampf einbezogen werden.
Wäre es da nicht zweckmäßiger, wenn wir die Linien einer gemeinsamen Orient¬
politik mit Osterreich gleich festlegten und uns für das Risiko, das wir laufen,
auch einen Gewinn ausbedängen? Gäbe uns das nicht auch sicherere Gewähr
für die Erhaltung des Friedens?

Und nnn unser Verhältnis zu England. Zur Zeit, als das deutsch¬
österreichische Bündnis abgeschlossen wurde, trübte kein Wölkchen den Freundschafts¬
himmel zwischen Deutschland und England; und da der Gegensatz Englands
zu Rußland vom Russisch-Türkischen Kriege her. der zu Frankreich Egyptens
wegen so lebhaft war wie nur je, galt England als der natürliche Verbündete
der neuen kontinentalen Allianz. Nach Abschluß des Dreibundes übernahm
England sogar die Aufgabe, die lange italienische Küste gegen einen französischen
Angriff zu decken. Ich brauche hier nicht darzulegen, wie sich seitdem die Dinge
gewandelt haben; genug, nur müssen heute mit der Möglichkeit rechnen, daß
wir von England angegriffen werden oder daß England sich irgendeinem
andern Gegner, der uns angreift, zugesellt. Und wenn dies nicht Nußland
ist, so haben wir keinen Anspruch auf eine Hilfeleistung Österreichs. Osterreich


Die Weiterentwicklung des deutsch-österreichischen Bündnisses

glücklicherweise das allein Gegebene war, werden erhalten können, scheint mehr
als fraglich. Wir haben mit Österreich das größte Interesse daran, daß die
Türkei nicht zum Spielball der Tripelentente wird, und es läßt sich sehr wohl
eine Lage denken, wo ein aktives Eingreifen zu diesem Zwecke unserseits
durchaus gerechtfertigt sein könnte.

Ein andres Motiv führt auf einen bereits berührten Gedankengang. Die
verhältnismäßige Ruhe in der orientalischen Frage beruht heute einzig und allein
auf dem jungtürkischen Regime, über dessen Zukunftsaussichten sich selbst gute
Kenner des Orients kein sicheres Urteil bilden können. Die Hauptgefahr droht
ihm natürlich im Inneren; aber mehr und mehr läßt sich erkennen, daß die
Mächte der Tripelentente sich mit einer selbstbewußten und wahrhaften Türkei,
die sich Eingriffe von außen verbittet, nur ungern abfinden; gegebenenfalls
würden sie wohl das Ihrige tun, um das jungtürkische Regime zu stürzen.

Tritt dies ein, dann wird die orientalische Frage bedenklicher als seit
langem; denn das Verhältnis zwischen Österreich und Rußland ist heute
noch so schlecht, wie zur Zeit der Annexionskrise und in dem Augenblick, wo
die Türkei ihre Autorität in Albanien nicht mehr aufrechterhalten kann, werden
dort die italienischen Ansprüche wieder lebendig und bringen den latenten
österreichisch-italienischen Konflikt zum Ausbruch. Durch längere Perioden hin¬
durch gab es zwischen Österreich und Rußland Abkommen, die zwar keine
endgültige Verständigung über die kollidierenden Orientinteressen der beiden
Mächte darstellten, wohl aber die Grundlagen von Waffenstillständen: das
Reichstadter und das Mürzsteger Übereinkommen. Heute fehlt irgend etwas
dieser Art gänzlich, ja es bahnt sich nicht einmal an. Wieder sind wir der
Möglichkeit ausgesetzt, daß Österreich wegen eiuer uns gleichgültigen Orientfrage
mit Rußland in Krieg gerät und wir in den Kampf einbezogen werden.
Wäre es da nicht zweckmäßiger, wenn wir die Linien einer gemeinsamen Orient¬
politik mit Osterreich gleich festlegten und uns für das Risiko, das wir laufen,
auch einen Gewinn ausbedängen? Gäbe uns das nicht auch sicherere Gewähr
für die Erhaltung des Friedens?

Und nnn unser Verhältnis zu England. Zur Zeit, als das deutsch¬
österreichische Bündnis abgeschlossen wurde, trübte kein Wölkchen den Freundschafts¬
himmel zwischen Deutschland und England; und da der Gegensatz Englands
zu Rußland vom Russisch-Türkischen Kriege her. der zu Frankreich Egyptens
wegen so lebhaft war wie nur je, galt England als der natürliche Verbündete
der neuen kontinentalen Allianz. Nach Abschluß des Dreibundes übernahm
England sogar die Aufgabe, die lange italienische Küste gegen einen französischen
Angriff zu decken. Ich brauche hier nicht darzulegen, wie sich seitdem die Dinge
gewandelt haben; genug, nur müssen heute mit der Möglichkeit rechnen, daß
wir von England angegriffen werden oder daß England sich irgendeinem
andern Gegner, der uns angreift, zugesellt. Und wenn dies nicht Nußland
ist, so haben wir keinen Anspruch auf eine Hilfeleistung Österreichs. Osterreich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/19>, abgerufen am 15.05.2024.