Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Mittelschulen

Einjährigenscheine, weil ihnen die Mittel fehlen. Er ist ihnen beim Eintritt in
das bürgerliche Berufsleben nur wertvoll als Schulzeugnis. Aber es wird die
erhoffte Abwanderung der Schüler aus den Unter- und Mittelklassen der höheren
Schulen nach den Mittelschulen hin stattfinden und ein Teil der Einjährigen
wird künftig allerdings aus den Mittelschulen kommen. Eine Verflachung der
Bedingungen wird aber der nicht befürchten, dem der Lehrplan der Mittelschulen
bekannt ist, und der nebenbei einen Einblick gewonnen hat in die "wissenschast-
iche Bildung" unserer Durchschnittsuntersekundaner, die mit dem Einjährigen¬
scheine die höheren Schulen verlassen. Dazu ist die "Berechtigung", die man
für die Mittelschule verlangt, auch eine recht bescheidene. Nicht etwa das
Abgangszeugnis, welches die Schule ausstellt, soll ohne weiteres den Einjährigen¬
schein im Gefolge haben, sondern die Absolventen sollen sich der öffentlichen
Prüfungskommission ihres Regierungsbezirks stellen. Nur die eine Vergünstigung
sollen sie dabei haben, daß sie sich ohne Rücksicht auf ihr Lebensalter zur öffent¬
lichen Prüfung melden dürfen. Nach der allgemeinen Vorschrift darf das erst
nach vollendetem siebzehnten Lebensjahre geschehen. Die Mittelschüler verlassen
aber ihre Schule in der Regel schon mit dem fünfzehnten bis sechzehnten Lebens¬
jahre. Als weitere Vergünstigung wird das erstrebt, was man den Land¬
wirtschaftsschulen seit Jahrzehnten schon sür die eigene Prüfung zugestanden hat,
nämlich daß eine Fremdsprache zur Ablegung der öffentlichen Prüfung genügt.
Die preußische Unterrichtsverwaltung hat sich auch bereit erklärt, dafür
einzutreten. In der Sitzung der Unterrichtskommission des Abgeordnetenhauses
vom 25. Mai dieses Jahres wurde die Frage der Berechtigungen für die
Mittelschulen von allen Rednern in die Besprechung gezogen. Mehrfach wurde
betont, daß der Bestand und die Zukunft der Mittelschule wesentlich durch die
Berechtigungen bedingt sei. Da äußerte der Vertreter der Regierung nach¬
drücklich, "daß die Unterrichtsverwaltung dahin ziele, für den Schüler der
Mittelschule die Möglichkeit zu erwirken, sich gleich bei seinem Abgange nach neun¬
jährigen Lehrgang der Prüfung für den Einjährig-Freiwilligendienst zu unterziehen".

In der Frage, der unsere Erwägungen gewidmet waren, hat die öffentliche
Meinung durch Äußerungen der Presse aller Parteien fast einmütig Stellung
genommen und sich zu dem Wunsche bekannt, daß sie zugunsten der Mittelschule
entschieden werden möchte. Solche Stimmen, wenn sie sich sachlich und maßvoll
kundtun, verklingen in der Regel nicht ungehört und wirken mitbestimmend
auch auf die letzte Entscheidung ein. Wir dürfen deshalb der Weiter¬
entwickelung der Verhältnisse getrost entgegensehen. Mit Wärme haben auch
die Vertreter des preußischen Volkes, Abgeordnete der verschiedensten Parteien,
sich der Sache angenommen, und nicht zuletzt hat die Unterrichtsverwaltung
diese Wünsche gutgeheißen. So einmütiger Überzeugung gegenüber wird auch
das Kriegsministerium feilte Bedenken fallen lassen müssen, und die endgülige
Entscheidung so treffen, daß sie zum Beseelt unseres Volkes ausfällt.




Mittelschulen

Einjährigenscheine, weil ihnen die Mittel fehlen. Er ist ihnen beim Eintritt in
das bürgerliche Berufsleben nur wertvoll als Schulzeugnis. Aber es wird die
erhoffte Abwanderung der Schüler aus den Unter- und Mittelklassen der höheren
Schulen nach den Mittelschulen hin stattfinden und ein Teil der Einjährigen
wird künftig allerdings aus den Mittelschulen kommen. Eine Verflachung der
Bedingungen wird aber der nicht befürchten, dem der Lehrplan der Mittelschulen
bekannt ist, und der nebenbei einen Einblick gewonnen hat in die „wissenschast-
iche Bildung" unserer Durchschnittsuntersekundaner, die mit dem Einjährigen¬
scheine die höheren Schulen verlassen. Dazu ist die „Berechtigung", die man
für die Mittelschule verlangt, auch eine recht bescheidene. Nicht etwa das
Abgangszeugnis, welches die Schule ausstellt, soll ohne weiteres den Einjährigen¬
schein im Gefolge haben, sondern die Absolventen sollen sich der öffentlichen
Prüfungskommission ihres Regierungsbezirks stellen. Nur die eine Vergünstigung
sollen sie dabei haben, daß sie sich ohne Rücksicht auf ihr Lebensalter zur öffent¬
lichen Prüfung melden dürfen. Nach der allgemeinen Vorschrift darf das erst
nach vollendetem siebzehnten Lebensjahre geschehen. Die Mittelschüler verlassen
aber ihre Schule in der Regel schon mit dem fünfzehnten bis sechzehnten Lebens¬
jahre. Als weitere Vergünstigung wird das erstrebt, was man den Land¬
wirtschaftsschulen seit Jahrzehnten schon sür die eigene Prüfung zugestanden hat,
nämlich daß eine Fremdsprache zur Ablegung der öffentlichen Prüfung genügt.
Die preußische Unterrichtsverwaltung hat sich auch bereit erklärt, dafür
einzutreten. In der Sitzung der Unterrichtskommission des Abgeordnetenhauses
vom 25. Mai dieses Jahres wurde die Frage der Berechtigungen für die
Mittelschulen von allen Rednern in die Besprechung gezogen. Mehrfach wurde
betont, daß der Bestand und die Zukunft der Mittelschule wesentlich durch die
Berechtigungen bedingt sei. Da äußerte der Vertreter der Regierung nach¬
drücklich, „daß die Unterrichtsverwaltung dahin ziele, für den Schüler der
Mittelschule die Möglichkeit zu erwirken, sich gleich bei seinem Abgange nach neun¬
jährigen Lehrgang der Prüfung für den Einjährig-Freiwilligendienst zu unterziehen".

In der Frage, der unsere Erwägungen gewidmet waren, hat die öffentliche
Meinung durch Äußerungen der Presse aller Parteien fast einmütig Stellung
genommen und sich zu dem Wunsche bekannt, daß sie zugunsten der Mittelschule
entschieden werden möchte. Solche Stimmen, wenn sie sich sachlich und maßvoll
kundtun, verklingen in der Regel nicht ungehört und wirken mitbestimmend
auch auf die letzte Entscheidung ein. Wir dürfen deshalb der Weiter¬
entwickelung der Verhältnisse getrost entgegensehen. Mit Wärme haben auch
die Vertreter des preußischen Volkes, Abgeordnete der verschiedensten Parteien,
sich der Sache angenommen, und nicht zuletzt hat die Unterrichtsverwaltung
diese Wünsche gutgeheißen. So einmütiger Überzeugung gegenüber wird auch
das Kriegsministerium feilte Bedenken fallen lassen müssen, und die endgülige
Entscheidung so treffen, daß sie zum Beseelt unseres Volkes ausfällt.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317163"/>
          <fw type="header" place="top"> Mittelschulen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_952" prev="#ID_951"> Einjährigenscheine, weil ihnen die Mittel fehlen. Er ist ihnen beim Eintritt in<lb/>
das bürgerliche Berufsleben nur wertvoll als Schulzeugnis. Aber es wird die<lb/>
erhoffte Abwanderung der Schüler aus den Unter- und Mittelklassen der höheren<lb/>
Schulen nach den Mittelschulen hin stattfinden und ein Teil der Einjährigen<lb/>
wird künftig allerdings aus den Mittelschulen kommen. Eine Verflachung der<lb/>
Bedingungen wird aber der nicht befürchten, dem der Lehrplan der Mittelschulen<lb/>
bekannt ist, und der nebenbei einen Einblick gewonnen hat in die &#x201E;wissenschast-<lb/>
iche Bildung" unserer Durchschnittsuntersekundaner, die mit dem Einjährigen¬<lb/>
scheine die höheren Schulen verlassen. Dazu ist die &#x201E;Berechtigung", die man<lb/>
für die Mittelschule verlangt, auch eine recht bescheidene. Nicht etwa das<lb/>
Abgangszeugnis, welches die Schule ausstellt, soll ohne weiteres den Einjährigen¬<lb/>
schein im Gefolge haben, sondern die Absolventen sollen sich der öffentlichen<lb/>
Prüfungskommission ihres Regierungsbezirks stellen. Nur die eine Vergünstigung<lb/>
sollen sie dabei haben, daß sie sich ohne Rücksicht auf ihr Lebensalter zur öffent¬<lb/>
lichen Prüfung melden dürfen. Nach der allgemeinen Vorschrift darf das erst<lb/>
nach vollendetem siebzehnten Lebensjahre geschehen. Die Mittelschüler verlassen<lb/>
aber ihre Schule in der Regel schon mit dem fünfzehnten bis sechzehnten Lebens¬<lb/>
jahre. Als weitere Vergünstigung wird das erstrebt, was man den Land¬<lb/>
wirtschaftsschulen seit Jahrzehnten schon sür die eigene Prüfung zugestanden hat,<lb/>
nämlich daß eine Fremdsprache zur Ablegung der öffentlichen Prüfung genügt.<lb/>
Die preußische Unterrichtsverwaltung hat sich auch bereit erklärt, dafür<lb/>
einzutreten. In der Sitzung der Unterrichtskommission des Abgeordnetenhauses<lb/>
vom 25. Mai dieses Jahres wurde die Frage der Berechtigungen für die<lb/>
Mittelschulen von allen Rednern in die Besprechung gezogen. Mehrfach wurde<lb/>
betont, daß der Bestand und die Zukunft der Mittelschule wesentlich durch die<lb/>
Berechtigungen bedingt sei. Da äußerte der Vertreter der Regierung nach¬<lb/>
drücklich, &#x201E;daß die Unterrichtsverwaltung dahin ziele, für den Schüler der<lb/>
Mittelschule die Möglichkeit zu erwirken, sich gleich bei seinem Abgange nach neun¬<lb/>
jährigen Lehrgang der Prüfung für den Einjährig-Freiwilligendienst zu unterziehen".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_953"> In der Frage, der unsere Erwägungen gewidmet waren, hat die öffentliche<lb/>
Meinung durch Äußerungen der Presse aller Parteien fast einmütig Stellung<lb/>
genommen und sich zu dem Wunsche bekannt, daß sie zugunsten der Mittelschule<lb/>
entschieden werden möchte. Solche Stimmen, wenn sie sich sachlich und maßvoll<lb/>
kundtun, verklingen in der Regel nicht ungehört und wirken mitbestimmend<lb/>
auch auf die letzte Entscheidung ein. Wir dürfen deshalb der Weiter¬<lb/>
entwickelung der Verhältnisse getrost entgegensehen. Mit Wärme haben auch<lb/>
die Vertreter des preußischen Volkes, Abgeordnete der verschiedensten Parteien,<lb/>
sich der Sache angenommen, und nicht zuletzt hat die Unterrichtsverwaltung<lb/>
diese Wünsche gutgeheißen. So einmütiger Überzeugung gegenüber wird auch<lb/>
das Kriegsministerium feilte Bedenken fallen lassen müssen, und die endgülige<lb/>
Entscheidung so treffen, daß sie zum Beseelt unseres Volkes ausfällt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0212] Mittelschulen Einjährigenscheine, weil ihnen die Mittel fehlen. Er ist ihnen beim Eintritt in das bürgerliche Berufsleben nur wertvoll als Schulzeugnis. Aber es wird die erhoffte Abwanderung der Schüler aus den Unter- und Mittelklassen der höheren Schulen nach den Mittelschulen hin stattfinden und ein Teil der Einjährigen wird künftig allerdings aus den Mittelschulen kommen. Eine Verflachung der Bedingungen wird aber der nicht befürchten, dem der Lehrplan der Mittelschulen bekannt ist, und der nebenbei einen Einblick gewonnen hat in die „wissenschast- iche Bildung" unserer Durchschnittsuntersekundaner, die mit dem Einjährigen¬ scheine die höheren Schulen verlassen. Dazu ist die „Berechtigung", die man für die Mittelschule verlangt, auch eine recht bescheidene. Nicht etwa das Abgangszeugnis, welches die Schule ausstellt, soll ohne weiteres den Einjährigen¬ schein im Gefolge haben, sondern die Absolventen sollen sich der öffentlichen Prüfungskommission ihres Regierungsbezirks stellen. Nur die eine Vergünstigung sollen sie dabei haben, daß sie sich ohne Rücksicht auf ihr Lebensalter zur öffent¬ lichen Prüfung melden dürfen. Nach der allgemeinen Vorschrift darf das erst nach vollendetem siebzehnten Lebensjahre geschehen. Die Mittelschüler verlassen aber ihre Schule in der Regel schon mit dem fünfzehnten bis sechzehnten Lebens¬ jahre. Als weitere Vergünstigung wird das erstrebt, was man den Land¬ wirtschaftsschulen seit Jahrzehnten schon sür die eigene Prüfung zugestanden hat, nämlich daß eine Fremdsprache zur Ablegung der öffentlichen Prüfung genügt. Die preußische Unterrichtsverwaltung hat sich auch bereit erklärt, dafür einzutreten. In der Sitzung der Unterrichtskommission des Abgeordnetenhauses vom 25. Mai dieses Jahres wurde die Frage der Berechtigungen für die Mittelschulen von allen Rednern in die Besprechung gezogen. Mehrfach wurde betont, daß der Bestand und die Zukunft der Mittelschule wesentlich durch die Berechtigungen bedingt sei. Da äußerte der Vertreter der Regierung nach¬ drücklich, „daß die Unterrichtsverwaltung dahin ziele, für den Schüler der Mittelschule die Möglichkeit zu erwirken, sich gleich bei seinem Abgange nach neun¬ jährigen Lehrgang der Prüfung für den Einjährig-Freiwilligendienst zu unterziehen". In der Frage, der unsere Erwägungen gewidmet waren, hat die öffentliche Meinung durch Äußerungen der Presse aller Parteien fast einmütig Stellung genommen und sich zu dem Wunsche bekannt, daß sie zugunsten der Mittelschule entschieden werden möchte. Solche Stimmen, wenn sie sich sachlich und maßvoll kundtun, verklingen in der Regel nicht ungehört und wirken mitbestimmend auch auf die letzte Entscheidung ein. Wir dürfen deshalb der Weiter¬ entwickelung der Verhältnisse getrost entgegensehen. Mit Wärme haben auch die Vertreter des preußischen Volkes, Abgeordnete der verschiedensten Parteien, sich der Sache angenommen, und nicht zuletzt hat die Unterrichtsverwaltung diese Wünsche gutgeheißen. So einmütiger Überzeugung gegenüber wird auch das Kriegsministerium feilte Bedenken fallen lassen müssen, und die endgülige Entscheidung so treffen, daß sie zum Beseelt unseres Volkes ausfällt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/212
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/212>, abgerufen am 16.05.2024.