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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Für das Erbrecht des Reiches

aufzuführen, die sich bemüht haben, das Verständnis für den Gedanken des
Reichserbrechts in weite Kreise zu tragen, ist kaum möglich. An erster Stelle
muß aber der "Frankfurter Zeitung" gedacht werden. An den Verhandlungen
im Reichstage beteiligten sich zugunsten der Vorlage namentlich die Abgeordneten
Dr. Wiener, Müller-Meiningen, Dove und Ablaß. Daß endlich auch die
sozialdemokratische Partei sich für die Reform erklärte, braucht kaum hervor¬
gehoben zu werden.

Obwohl die vorstehende Übersicht keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben
kann, so liefert sie jedenfalls den Beweis, daß der Plan des Reichserbrechts bei
Angehörigen aller Parteien Unterstützung gefunden hat. In dieser Überein¬
stimmung aber ist die Bestätigung dafür zu erblicken, daß es sich bei der
empfohlenen Neuordnung des testamentslosen Erbrechts in keiner Weise um eine
Parteiangelegenheit handelt. Unter den Umständen muß es Erstaunen erregen,
daß eine so von der öffentlichen Meinung getragene Vorlage schließlich doch
nicht zur Annahme gelangte. Sie wurde in der Reichstagssitzung vom 5. Juli
1909 mit 190 gegen 1W Stimmen abgelehnt. Dagegen stimmten die konservative,
freikonservative, die Zentrumspartei und die Wirtschaftliche Vereinigung. Der
Widerspruch mit den oben angeführten Erklärungen liegt zutage. Da nun
nicht angenommen werden kann, daß diese Abgeordneten -- oder ein großer
Teil von ihnen -- ihre Ansicht in einer bedeutsamen Frage des Rechts und
der Finanzen innerhalb weniger Monate geändert haben, so wird die Lösung
des Widerspruchs auf einem anderen Gebiete zu suchen sein. Vielfach wurde
die Meinung vertreten, daß die Mehrheitsparteien von einer tiefgehenden
Unzufriedenheit mit der Politik des leitenden Staatsmannes erfüllt gewesen
seien. Ist dies richtig, erschien es den Parteien als politische Pflicht, in erster
Linie auf eine Änderung in der Leitung der Reichsgeschäfte hinzuwirken, so
mußte allerdings auch die Sache der Erbrechtsreform zurücktreten. Nachdem
aber das angestrebte Ziel erreicht worden, ist kein Anlaß mehr vorhanden, mit
der Erledigung der zurückgestellten Aufgabe zu zögern. Alle die gewichtigen
inneren und äußeren Gründe für die Reform bestehen in vollem Umfange fort,
nur daß die Schuldenlast des Reiches inzwischen noch gestiegen ist. Die Tilgung
der Reichsschuld durch das Erbrecht des Reiches ist eine Aufgabe, an deren
Wichtigkeit, Dringlichkeit und Volkstümlichkeit keine andere heranreicht. Damit
erst wird der Abschluß der begonnenen Finanzreform erzielt, ohne daß ein
Rückgriff auf die Erbschaftssteuer erforderlich wird. So sind die Aussichten
einer neuen Vorlage über das Erbrecht des Reiches die denkbar besten, voraus¬
gesetzt, daß sie von den Mängeln frei bleibt, die dem Entwurf von 1908
anhafteten. Sie sei einfach und klar in Form und Inhalt. Es kommt weit
weniger darauf an, daß der Wortlaut des Gesetzes sich dem Bürgerlichen Gesetz¬
buch einfügt, als darauf, daß jedermann im Deutschen Reich das Gesetz versteht.
Es kommt auch nicht auf die Ausnahmen, sondern auf die Regelfälle an. Ohne
Schwäche und Sentimentalität möge die Reichsgewalt in gesundem Egoismus


Für das Erbrecht des Reiches

aufzuführen, die sich bemüht haben, das Verständnis für den Gedanken des
Reichserbrechts in weite Kreise zu tragen, ist kaum möglich. An erster Stelle
muß aber der „Frankfurter Zeitung" gedacht werden. An den Verhandlungen
im Reichstage beteiligten sich zugunsten der Vorlage namentlich die Abgeordneten
Dr. Wiener, Müller-Meiningen, Dove und Ablaß. Daß endlich auch die
sozialdemokratische Partei sich für die Reform erklärte, braucht kaum hervor¬
gehoben zu werden.

Obwohl die vorstehende Übersicht keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben
kann, so liefert sie jedenfalls den Beweis, daß der Plan des Reichserbrechts bei
Angehörigen aller Parteien Unterstützung gefunden hat. In dieser Überein¬
stimmung aber ist die Bestätigung dafür zu erblicken, daß es sich bei der
empfohlenen Neuordnung des testamentslosen Erbrechts in keiner Weise um eine
Parteiangelegenheit handelt. Unter den Umständen muß es Erstaunen erregen,
daß eine so von der öffentlichen Meinung getragene Vorlage schließlich doch
nicht zur Annahme gelangte. Sie wurde in der Reichstagssitzung vom 5. Juli
1909 mit 190 gegen 1W Stimmen abgelehnt. Dagegen stimmten die konservative,
freikonservative, die Zentrumspartei und die Wirtschaftliche Vereinigung. Der
Widerspruch mit den oben angeführten Erklärungen liegt zutage. Da nun
nicht angenommen werden kann, daß diese Abgeordneten — oder ein großer
Teil von ihnen — ihre Ansicht in einer bedeutsamen Frage des Rechts und
der Finanzen innerhalb weniger Monate geändert haben, so wird die Lösung
des Widerspruchs auf einem anderen Gebiete zu suchen sein. Vielfach wurde
die Meinung vertreten, daß die Mehrheitsparteien von einer tiefgehenden
Unzufriedenheit mit der Politik des leitenden Staatsmannes erfüllt gewesen
seien. Ist dies richtig, erschien es den Parteien als politische Pflicht, in erster
Linie auf eine Änderung in der Leitung der Reichsgeschäfte hinzuwirken, so
mußte allerdings auch die Sache der Erbrechtsreform zurücktreten. Nachdem
aber das angestrebte Ziel erreicht worden, ist kein Anlaß mehr vorhanden, mit
der Erledigung der zurückgestellten Aufgabe zu zögern. Alle die gewichtigen
inneren und äußeren Gründe für die Reform bestehen in vollem Umfange fort,
nur daß die Schuldenlast des Reiches inzwischen noch gestiegen ist. Die Tilgung
der Reichsschuld durch das Erbrecht des Reiches ist eine Aufgabe, an deren
Wichtigkeit, Dringlichkeit und Volkstümlichkeit keine andere heranreicht. Damit
erst wird der Abschluß der begonnenen Finanzreform erzielt, ohne daß ein
Rückgriff auf die Erbschaftssteuer erforderlich wird. So sind die Aussichten
einer neuen Vorlage über das Erbrecht des Reiches die denkbar besten, voraus¬
gesetzt, daß sie von den Mängeln frei bleibt, die dem Entwurf von 1908
anhafteten. Sie sei einfach und klar in Form und Inhalt. Es kommt weit
weniger darauf an, daß der Wortlaut des Gesetzes sich dem Bürgerlichen Gesetz¬
buch einfügt, als darauf, daß jedermann im Deutschen Reich das Gesetz versteht.
Es kommt auch nicht auf die Ausnahmen, sondern auf die Regelfälle an. Ohne
Schwäche und Sentimentalität möge die Reichsgewalt in gesundem Egoismus


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[0217] Für das Erbrecht des Reiches aufzuführen, die sich bemüht haben, das Verständnis für den Gedanken des Reichserbrechts in weite Kreise zu tragen, ist kaum möglich. An erster Stelle muß aber der „Frankfurter Zeitung" gedacht werden. An den Verhandlungen im Reichstage beteiligten sich zugunsten der Vorlage namentlich die Abgeordneten Dr. Wiener, Müller-Meiningen, Dove und Ablaß. Daß endlich auch die sozialdemokratische Partei sich für die Reform erklärte, braucht kaum hervor¬ gehoben zu werden. Obwohl die vorstehende Übersicht keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, so liefert sie jedenfalls den Beweis, daß der Plan des Reichserbrechts bei Angehörigen aller Parteien Unterstützung gefunden hat. In dieser Überein¬ stimmung aber ist die Bestätigung dafür zu erblicken, daß es sich bei der empfohlenen Neuordnung des testamentslosen Erbrechts in keiner Weise um eine Parteiangelegenheit handelt. Unter den Umständen muß es Erstaunen erregen, daß eine so von der öffentlichen Meinung getragene Vorlage schließlich doch nicht zur Annahme gelangte. Sie wurde in der Reichstagssitzung vom 5. Juli 1909 mit 190 gegen 1W Stimmen abgelehnt. Dagegen stimmten die konservative, freikonservative, die Zentrumspartei und die Wirtschaftliche Vereinigung. Der Widerspruch mit den oben angeführten Erklärungen liegt zutage. Da nun nicht angenommen werden kann, daß diese Abgeordneten — oder ein großer Teil von ihnen — ihre Ansicht in einer bedeutsamen Frage des Rechts und der Finanzen innerhalb weniger Monate geändert haben, so wird die Lösung des Widerspruchs auf einem anderen Gebiete zu suchen sein. Vielfach wurde die Meinung vertreten, daß die Mehrheitsparteien von einer tiefgehenden Unzufriedenheit mit der Politik des leitenden Staatsmannes erfüllt gewesen seien. Ist dies richtig, erschien es den Parteien als politische Pflicht, in erster Linie auf eine Änderung in der Leitung der Reichsgeschäfte hinzuwirken, so mußte allerdings auch die Sache der Erbrechtsreform zurücktreten. Nachdem aber das angestrebte Ziel erreicht worden, ist kein Anlaß mehr vorhanden, mit der Erledigung der zurückgestellten Aufgabe zu zögern. Alle die gewichtigen inneren und äußeren Gründe für die Reform bestehen in vollem Umfange fort, nur daß die Schuldenlast des Reiches inzwischen noch gestiegen ist. Die Tilgung der Reichsschuld durch das Erbrecht des Reiches ist eine Aufgabe, an deren Wichtigkeit, Dringlichkeit und Volkstümlichkeit keine andere heranreicht. Damit erst wird der Abschluß der begonnenen Finanzreform erzielt, ohne daß ein Rückgriff auf die Erbschaftssteuer erforderlich wird. So sind die Aussichten einer neuen Vorlage über das Erbrecht des Reiches die denkbar besten, voraus¬ gesetzt, daß sie von den Mängeln frei bleibt, die dem Entwurf von 1908 anhafteten. Sie sei einfach und klar in Form und Inhalt. Es kommt weit weniger darauf an, daß der Wortlaut des Gesetzes sich dem Bürgerlichen Gesetz¬ buch einfügt, als darauf, daß jedermann im Deutschen Reich das Gesetz versteht. Es kommt auch nicht auf die Ausnahmen, sondern auf die Regelfälle an. Ohne Schwäche und Sentimentalität möge die Reichsgewalt in gesundem Egoismus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/217>, abgerufen am 15.05.2024.