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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Jahrhunderte währenden despotischen Herrschaft der Hindus und ihrer halb¬
javanischen Abkömmlinge. Jener Malaie ist physisch entschieden besser entwickelt,
besitzt mehr Selbstbewußtsein und Charakter und ist dabei ehrlicher und aufrichtiger
als der Javane, mag ersterer im Vergleiche zu diesem von den mehr auf
finanzielle Ausbeutung der Eingeborenen als auf deren geistige und materielle
Hebung bedachten Holländern auch als trotzig und unbildsam hingestellt werden.
Daß die Malaien von Minang Kabau dabei auch viel unternehmungslustiger
und schneidiger als die Javanen geworden oder geblieben sind (soweit sie es zu
sein der Mühe wert erachten), dürfte schon daraus hervorgehen, daß unter ihnen
allein die schlauen und betriebsamen Söhne des himmlischen Reiches als Handels¬
leute nicht auszukommen vermögen, während sie z. B. aus Java zum Teil sogar
schnell reich werden. Auch habe ich nirgendwo auf der Erde das Eigentum vor
Diebstahl so sicher gefunden wie unter jenen Malaien von Sumatra, aber wohl¬
bemerkt nur dort, wo sie sehr wenig mit Fremdlingen in Berührung gekommen
waren. Auch der Neid, dieser diabolische Agitator in der modernen Gesellschaft,
regt sich bei jenem braunen Volke nur wenig, und auch von Geldgier kann bei
ihnen noch viel weniger die Rede sein als bei den Javanen.

Daß nun alle die Charaktervorzüge, deren sich die Malaien von Minang
Kabau den meisten ihrer Rassengenossen, besonders aber den Javanen gegenüber
rühmen können, ohne Ausnahme den bei ihnen jahrhundertelang in Geltung
gebliebenen sozialistischen bezw. kommunistischen Gesellschaftsbegriffen entsprossen
seien, möchte ich nicht so ohne weiteres sagen; dahingegen ist es gar nicht zu
verkennen, daß die geradezu unglaubliche, selbst ins Komische gehende Trägheit
jener Sumatranen (welche allerdings bei besonderen Anlässen erstaunlich großer
Rührigkeit und Energie Platz macht) eine Ausgeburt der großen malaiischen
Soziale ist. Ich glaube, daß selbst bei den wärmsten Anhängern kommunistischer
Ideen Bedenken gegen deren praktische Durchführung aufkommen würden, wenn
sie einmal, wie ich, gesehen hätten, wie dadurch ein Volk mit sehr guten Anlagen
zweifellos in seiner Kulturentwicklung nur ungünstig beeinflußt worden ist. So
ist denn die schon seit vielen Jahrhunderten unter intelligenten braunen Menschen
im fernen Osten bestehende große Soziale nicht gerade geeignet, Propaganda zu
machen für eine noch größere Soziale unter den weißen Menschen des sich einer
weit fortgeschrittenen Kultur erfreuenden Westens.




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Jahrhunderte währenden despotischen Herrschaft der Hindus und ihrer halb¬
javanischen Abkömmlinge. Jener Malaie ist physisch entschieden besser entwickelt,
besitzt mehr Selbstbewußtsein und Charakter und ist dabei ehrlicher und aufrichtiger
als der Javane, mag ersterer im Vergleiche zu diesem von den mehr auf
finanzielle Ausbeutung der Eingeborenen als auf deren geistige und materielle
Hebung bedachten Holländern auch als trotzig und unbildsam hingestellt werden.
Daß die Malaien von Minang Kabau dabei auch viel unternehmungslustiger
und schneidiger als die Javanen geworden oder geblieben sind (soweit sie es zu
sein der Mühe wert erachten), dürfte schon daraus hervorgehen, daß unter ihnen
allein die schlauen und betriebsamen Söhne des himmlischen Reiches als Handels¬
leute nicht auszukommen vermögen, während sie z. B. aus Java zum Teil sogar
schnell reich werden. Auch habe ich nirgendwo auf der Erde das Eigentum vor
Diebstahl so sicher gefunden wie unter jenen Malaien von Sumatra, aber wohl¬
bemerkt nur dort, wo sie sehr wenig mit Fremdlingen in Berührung gekommen
waren. Auch der Neid, dieser diabolische Agitator in der modernen Gesellschaft,
regt sich bei jenem braunen Volke nur wenig, und auch von Geldgier kann bei
ihnen noch viel weniger die Rede sein als bei den Javanen.

Daß nun alle die Charaktervorzüge, deren sich die Malaien von Minang
Kabau den meisten ihrer Rassengenossen, besonders aber den Javanen gegenüber
rühmen können, ohne Ausnahme den bei ihnen jahrhundertelang in Geltung
gebliebenen sozialistischen bezw. kommunistischen Gesellschaftsbegriffen entsprossen
seien, möchte ich nicht so ohne weiteres sagen; dahingegen ist es gar nicht zu
verkennen, daß die geradezu unglaubliche, selbst ins Komische gehende Trägheit
jener Sumatranen (welche allerdings bei besonderen Anlässen erstaunlich großer
Rührigkeit und Energie Platz macht) eine Ausgeburt der großen malaiischen
Soziale ist. Ich glaube, daß selbst bei den wärmsten Anhängern kommunistischer
Ideen Bedenken gegen deren praktische Durchführung aufkommen würden, wenn
sie einmal, wie ich, gesehen hätten, wie dadurch ein Volk mit sehr guten Anlagen
zweifellos in seiner Kulturentwicklung nur ungünstig beeinflußt worden ist. So
ist denn die schon seit vielen Jahrhunderten unter intelligenten braunen Menschen
im fernen Osten bestehende große Soziale nicht gerade geeignet, Propaganda zu
machen für eine noch größere Soziale unter den weißen Menschen des sich einer
weit fortgeschrittenen Kultur erfreuenden Westens.




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[0234] Line große Soziale unter den M«kam«n Jahrhunderte währenden despotischen Herrschaft der Hindus und ihrer halb¬ javanischen Abkömmlinge. Jener Malaie ist physisch entschieden besser entwickelt, besitzt mehr Selbstbewußtsein und Charakter und ist dabei ehrlicher und aufrichtiger als der Javane, mag ersterer im Vergleiche zu diesem von den mehr auf finanzielle Ausbeutung der Eingeborenen als auf deren geistige und materielle Hebung bedachten Holländern auch als trotzig und unbildsam hingestellt werden. Daß die Malaien von Minang Kabau dabei auch viel unternehmungslustiger und schneidiger als die Javanen geworden oder geblieben sind (soweit sie es zu sein der Mühe wert erachten), dürfte schon daraus hervorgehen, daß unter ihnen allein die schlauen und betriebsamen Söhne des himmlischen Reiches als Handels¬ leute nicht auszukommen vermögen, während sie z. B. aus Java zum Teil sogar schnell reich werden. Auch habe ich nirgendwo auf der Erde das Eigentum vor Diebstahl so sicher gefunden wie unter jenen Malaien von Sumatra, aber wohl¬ bemerkt nur dort, wo sie sehr wenig mit Fremdlingen in Berührung gekommen waren. Auch der Neid, dieser diabolische Agitator in der modernen Gesellschaft, regt sich bei jenem braunen Volke nur wenig, und auch von Geldgier kann bei ihnen noch viel weniger die Rede sein als bei den Javanen. Daß nun alle die Charaktervorzüge, deren sich die Malaien von Minang Kabau den meisten ihrer Rassengenossen, besonders aber den Javanen gegenüber rühmen können, ohne Ausnahme den bei ihnen jahrhundertelang in Geltung gebliebenen sozialistischen bezw. kommunistischen Gesellschaftsbegriffen entsprossen seien, möchte ich nicht so ohne weiteres sagen; dahingegen ist es gar nicht zu verkennen, daß die geradezu unglaubliche, selbst ins Komische gehende Trägheit jener Sumatranen (welche allerdings bei besonderen Anlässen erstaunlich großer Rührigkeit und Energie Platz macht) eine Ausgeburt der großen malaiischen Soziale ist. Ich glaube, daß selbst bei den wärmsten Anhängern kommunistischer Ideen Bedenken gegen deren praktische Durchführung aufkommen würden, wenn sie einmal, wie ich, gesehen hätten, wie dadurch ein Volk mit sehr guten Anlagen zweifellos in seiner Kulturentwicklung nur ungünstig beeinflußt worden ist. So ist denn die schon seit vielen Jahrhunderten unter intelligenten braunen Menschen im fernen Osten bestehende große Soziale nicht gerade geeignet, Propaganda zu machen für eine noch größere Soziale unter den weißen Menschen des sich einer weit fortgeschrittenen Kultur erfreuenden Westens.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/234>, abgerufen am 16.05.2024.