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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung

Kaum minder bedeutungsvoll wegen der außerordentlichen Wichtigkeit und
der selbständigen Stellung dieser Beamten ist die Auswahl der Miuisterialräte
durch die einzelnen Ressorts selbst. Sie bleibt wohl meistens den Unterstaats¬
sekretären oder den Ministerialdirektoren überlassen. Sachlich wird sie wesentlich
dadurch beeinflußt, daß keine allgemein maßgebenden Vorschriften noch Grund¬
sätze für die Auswahl dieser Beamten bestehn, vielmehr jedes Ressort seinen
eignen Ansichten folgen kann, und daß den Fachministerien ein Überblick über
die Personalverhältnisse der allgemeinen Verwaltung fehlen muß.

Wie man sieht, kann die Zersplitterung der Personalverwaltung nicht leicht
größer gedacht werden. Man möchte daher gern annehmen, daß wenigstens
die geringe Einheit, die unter der Herrschaft dieser Ordnung herzustellen wäre,
scharf durchgeführt würde. Aber dies geschieht nicht. Vielmehr haben es immer
einzelne Behörden oder Beamten verstanden, über ihre verfassungsmäßige
Zuständigkeit hinaus einen entscheidenden Einfluß in Personalfragen zu erlangen
-- indem sich beispielsweise Oberpräsidenten oder Regierungspräsidenten Ober¬
präsidialräte, Oberregierungsräte, Dezernenten, Justitiare, Landräte beliebig
aussuchen konnten. Ja, mancher dieser Herren hat nicht selten auch in die
Personalverhältnisse andrer, ihm fremder Verwaltungsbezirke eingegriffen.

Diese zunächst nur äußerliche Zersplitterung der Zuständigkeit für die
Verwaltungspersonalsachen hat Folgen gehabt, die auch das innere Wesen des
preußischen Verwaltungsdiensts verhängnisvoll verändert haben. In ihr muß nämlich
nach meiner festen Überzeugung die Quelle des Stümpertums und der Günstlings¬
wirtschaft in unsrer Verwaltung gesucht werden. Es liegt auf der Hand, daß
auf einem Gebiet, wo der Natur der Sache nach dem persönlichen Ermessen
ein gewisser Spielraum gewährt werden muß, voll der Durchführung bestimmter
Grundsätze oder der Fernhaltung gewisser Einflüsse, die mit der Sache selbst
nichts zu tun haben, keine Rede mehr sein kann, sobald Dutzende von Stellen
und nicht mehr eine einzelne zu entscheiden haben. Da ist es ganz natürlich,
daß sich nun allerlei unerwünschte Einwirkungen geltend machen können.
Vor allem menschliche Mängel und Schwächen: ungenügende Menschenkenntnis,
irrtümliche oder einseitige Auffassungen und Anschauungen, das Bedürfnis,
den Gönner zu spielen, Vorurteile aller Art, etwa besondre Vorliebe für
Juristen oder für Korpsstudenten und Reserveoffiziere der Kavallerie (ich war
beides!), für einen großen Geldsack, oder Abneigungen, etwa gegen geschulte
Beamte "Bureaukraten", oder gegen selbständig gerichtete Untergebene, dann
die Unfähigkeit, sich den Einwirkungen irgendwelcher Schlagwörter, des Zeit¬
geists oder den Forderungen der öffentlichen Meinung zu entziehen.

Verstärkt wird die Wirkung solcher innerlicher Kräfte und Gegenkräfte
durch gewichtige äußere Einflüsse. Ich erinnere hier nur an die politische Ent¬
wicklung im Laufe des vorigen Jahrhunderts mit dem Parlamentarismus und der
durch ihn großgezogenen parlamentarischen Günstlingswirtschast, und die
in diesen Erscheinungen begründete Abhängigkeit anch der höchststehenden


Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung

Kaum minder bedeutungsvoll wegen der außerordentlichen Wichtigkeit und
der selbständigen Stellung dieser Beamten ist die Auswahl der Miuisterialräte
durch die einzelnen Ressorts selbst. Sie bleibt wohl meistens den Unterstaats¬
sekretären oder den Ministerialdirektoren überlassen. Sachlich wird sie wesentlich
dadurch beeinflußt, daß keine allgemein maßgebenden Vorschriften noch Grund¬
sätze für die Auswahl dieser Beamten bestehn, vielmehr jedes Ressort seinen
eignen Ansichten folgen kann, und daß den Fachministerien ein Überblick über
die Personalverhältnisse der allgemeinen Verwaltung fehlen muß.

Wie man sieht, kann die Zersplitterung der Personalverwaltung nicht leicht
größer gedacht werden. Man möchte daher gern annehmen, daß wenigstens
die geringe Einheit, die unter der Herrschaft dieser Ordnung herzustellen wäre,
scharf durchgeführt würde. Aber dies geschieht nicht. Vielmehr haben es immer
einzelne Behörden oder Beamten verstanden, über ihre verfassungsmäßige
Zuständigkeit hinaus einen entscheidenden Einfluß in Personalfragen zu erlangen
— indem sich beispielsweise Oberpräsidenten oder Regierungspräsidenten Ober¬
präsidialräte, Oberregierungsräte, Dezernenten, Justitiare, Landräte beliebig
aussuchen konnten. Ja, mancher dieser Herren hat nicht selten auch in die
Personalverhältnisse andrer, ihm fremder Verwaltungsbezirke eingegriffen.

Diese zunächst nur äußerliche Zersplitterung der Zuständigkeit für die
Verwaltungspersonalsachen hat Folgen gehabt, die auch das innere Wesen des
preußischen Verwaltungsdiensts verhängnisvoll verändert haben. In ihr muß nämlich
nach meiner festen Überzeugung die Quelle des Stümpertums und der Günstlings¬
wirtschaft in unsrer Verwaltung gesucht werden. Es liegt auf der Hand, daß
auf einem Gebiet, wo der Natur der Sache nach dem persönlichen Ermessen
ein gewisser Spielraum gewährt werden muß, voll der Durchführung bestimmter
Grundsätze oder der Fernhaltung gewisser Einflüsse, die mit der Sache selbst
nichts zu tun haben, keine Rede mehr sein kann, sobald Dutzende von Stellen
und nicht mehr eine einzelne zu entscheiden haben. Da ist es ganz natürlich,
daß sich nun allerlei unerwünschte Einwirkungen geltend machen können.
Vor allem menschliche Mängel und Schwächen: ungenügende Menschenkenntnis,
irrtümliche oder einseitige Auffassungen und Anschauungen, das Bedürfnis,
den Gönner zu spielen, Vorurteile aller Art, etwa besondre Vorliebe für
Juristen oder für Korpsstudenten und Reserveoffiziere der Kavallerie (ich war
beides!), für einen großen Geldsack, oder Abneigungen, etwa gegen geschulte
Beamte „Bureaukraten", oder gegen selbständig gerichtete Untergebene, dann
die Unfähigkeit, sich den Einwirkungen irgendwelcher Schlagwörter, des Zeit¬
geists oder den Forderungen der öffentlichen Meinung zu entziehen.

Verstärkt wird die Wirkung solcher innerlicher Kräfte und Gegenkräfte
durch gewichtige äußere Einflüsse. Ich erinnere hier nur an die politische Ent¬
wicklung im Laufe des vorigen Jahrhunderts mit dem Parlamentarismus und der
durch ihn großgezogenen parlamentarischen Günstlingswirtschast, und die
in diesen Erscheinungen begründete Abhängigkeit anch der höchststehenden


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[0268] Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung Kaum minder bedeutungsvoll wegen der außerordentlichen Wichtigkeit und der selbständigen Stellung dieser Beamten ist die Auswahl der Miuisterialräte durch die einzelnen Ressorts selbst. Sie bleibt wohl meistens den Unterstaats¬ sekretären oder den Ministerialdirektoren überlassen. Sachlich wird sie wesentlich dadurch beeinflußt, daß keine allgemein maßgebenden Vorschriften noch Grund¬ sätze für die Auswahl dieser Beamten bestehn, vielmehr jedes Ressort seinen eignen Ansichten folgen kann, und daß den Fachministerien ein Überblick über die Personalverhältnisse der allgemeinen Verwaltung fehlen muß. Wie man sieht, kann die Zersplitterung der Personalverwaltung nicht leicht größer gedacht werden. Man möchte daher gern annehmen, daß wenigstens die geringe Einheit, die unter der Herrschaft dieser Ordnung herzustellen wäre, scharf durchgeführt würde. Aber dies geschieht nicht. Vielmehr haben es immer einzelne Behörden oder Beamten verstanden, über ihre verfassungsmäßige Zuständigkeit hinaus einen entscheidenden Einfluß in Personalfragen zu erlangen — indem sich beispielsweise Oberpräsidenten oder Regierungspräsidenten Ober¬ präsidialräte, Oberregierungsräte, Dezernenten, Justitiare, Landräte beliebig aussuchen konnten. Ja, mancher dieser Herren hat nicht selten auch in die Personalverhältnisse andrer, ihm fremder Verwaltungsbezirke eingegriffen. Diese zunächst nur äußerliche Zersplitterung der Zuständigkeit für die Verwaltungspersonalsachen hat Folgen gehabt, die auch das innere Wesen des preußischen Verwaltungsdiensts verhängnisvoll verändert haben. In ihr muß nämlich nach meiner festen Überzeugung die Quelle des Stümpertums und der Günstlings¬ wirtschaft in unsrer Verwaltung gesucht werden. Es liegt auf der Hand, daß auf einem Gebiet, wo der Natur der Sache nach dem persönlichen Ermessen ein gewisser Spielraum gewährt werden muß, voll der Durchführung bestimmter Grundsätze oder der Fernhaltung gewisser Einflüsse, die mit der Sache selbst nichts zu tun haben, keine Rede mehr sein kann, sobald Dutzende von Stellen und nicht mehr eine einzelne zu entscheiden haben. Da ist es ganz natürlich, daß sich nun allerlei unerwünschte Einwirkungen geltend machen können. Vor allem menschliche Mängel und Schwächen: ungenügende Menschenkenntnis, irrtümliche oder einseitige Auffassungen und Anschauungen, das Bedürfnis, den Gönner zu spielen, Vorurteile aller Art, etwa besondre Vorliebe für Juristen oder für Korpsstudenten und Reserveoffiziere der Kavallerie (ich war beides!), für einen großen Geldsack, oder Abneigungen, etwa gegen geschulte Beamte „Bureaukraten", oder gegen selbständig gerichtete Untergebene, dann die Unfähigkeit, sich den Einwirkungen irgendwelcher Schlagwörter, des Zeit¬ geists oder den Forderungen der öffentlichen Meinung zu entziehen. Verstärkt wird die Wirkung solcher innerlicher Kräfte und Gegenkräfte durch gewichtige äußere Einflüsse. Ich erinnere hier nur an die politische Ent¬ wicklung im Laufe des vorigen Jahrhunderts mit dem Parlamentarismus und der durch ihn großgezogenen parlamentarischen Günstlingswirtschast, und die in diesen Erscheinungen begründete Abhängigkeit anch der höchststehenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/268>, abgerufen am 15.05.2024.