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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Unsere militärische Hochschule

verfolgt und bei tieferem Studium erkennt, wie oft die Grundzüge, auf denen
die Anstalt aufgebaut ist, gewechselt haben, und wie verschieden die Ansichten
der leitenden und maßgebenden Stellen auf diesem Gebiete gewesen sind und
noch sind -- so kann aus dieser wechselnden Entwickelung auch die Berechtigung
zu einer Kritik abgeleitet werden, die den bestehenden Zustand nicht bedingungslos
als vorzüglich anerkennt. So darf sich ein Rückblick, wie ihn eine derartige
Jubelfeier zur Folge hat, mit Recht zu einem Ausblick in die Zukunft erweitern.

Die Kriegsakademie läßt sich nicht für sich allein betrachten, sondern muß
im Zusammenhang mit dem ganzen Militärerziehungs- und -bildungswesen
beurteilt werden, dessen oberste Spitze sie darstellt, wenn sie jetzt auch rein
äußerlich betrachtet, nicht mehr zu dieser Inspektion gehört, sondern seit 1872
von ihr abgetrennt, unmittelbar dem Chef des Generalstabcs unterstellt ist.

Scharnhorst verdanken wir es, daß bei der Reorganisation der Armee und
des Offizierkorps die Ernennung zum Offizier im Frieden von dem Nachweis
einer bestimmten wissenschaftlichen Bildung abhängig gemacht wurde, die durch
Ablegung eines besonderen Examens darzulegen war. Bildung und Kenntnisse
traten an die Stelle adlicher Geburt oder vornehmer Verwandtschaft und Be¬
ziehungen. Diese uns jetzt so selbstverständliche Ansicht konnte erst nach schweren
Kämpfen durchgesetzt werden. Wie verworren selbst nach dem Frieden von Tilsit
die Anschauungen noch waren, zeigt die Tatsache, daß viele hervorragende
Geister, unter ihnen z. B. auch Hardenberg, die Beförderung zum Offizier von
der Wahl durch die Untergebenen, wie es in den französischen Revolutions¬
heeren der Fall gewesen, abhängig machen wollten. An dem von Scharnhorst
eingeführten Nachweis genügender wissenschaftlicher Vorbildung ist in der Zukunft
nicht mehr gerüttelt worden. Fraglich muß es aber erscheinen, ob die.jetzigen
Anforderungen noch genügen, oder ob es nicht notwendig sein sollte, sie zu erhöhen.
Ein Teil des Offizierersatzes verfügt jedenfalls nicht über eine abgeschlossene
wissenschaftliche Vorbildung. Weder das Primanerzeugnis noch die Ablegung
der Fähnrichsprüfung stellt eine solche dar. Auf den Kriegsschulen findet nur
eine rein militärische Ausbildung statt, die auf die Förderung der allgemeinen
Bildung ohne Einfluß ist. Somit erfährt die Bildung, über die der Offizier
bei seinem Eintritt in das Heer verfügt, keine weitere Ausgestaltung. Dies
bleibt seinem privaten Studium überlassen. Diesem Mangel sollte die Akademie
abhelfen. Dies war eine ihrer Aufgaben, die namentlich in dem nach den
Freiheitskriegen aufgestellten Lehrplan besonders scharf betont wurde. Dies
bedingte, daß Gegenstände vorgetragen wurden, die mit dem militärischen
Studium an und für sich nichts zu tun hatten und für die spätere militärische Lauf¬
bahn nur insofern von Bedeutung waren, als die Schärfung des Geistes und
wissenschaftliche Kenntnisse im allgemeinen auch die Entwickelung der militärischen
Fähigkeiten begünstigen. Von diesem Gesichtspunkte aus wurde im Anfange des
Jahrhunderts, der damaligen Anschauung entsprechend, auf Mathematik ein
hoher Wert gelegt. Die Vorträge über dieses Gebiet nahmen nicht nur einen


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verfolgt und bei tieferem Studium erkennt, wie oft die Grundzüge, auf denen
die Anstalt aufgebaut ist, gewechselt haben, und wie verschieden die Ansichten
der leitenden und maßgebenden Stellen auf diesem Gebiete gewesen sind und
noch sind — so kann aus dieser wechselnden Entwickelung auch die Berechtigung
zu einer Kritik abgeleitet werden, die den bestehenden Zustand nicht bedingungslos
als vorzüglich anerkennt. So darf sich ein Rückblick, wie ihn eine derartige
Jubelfeier zur Folge hat, mit Recht zu einem Ausblick in die Zukunft erweitern.

Die Kriegsakademie läßt sich nicht für sich allein betrachten, sondern muß
im Zusammenhang mit dem ganzen Militärerziehungs- und -bildungswesen
beurteilt werden, dessen oberste Spitze sie darstellt, wenn sie jetzt auch rein
äußerlich betrachtet, nicht mehr zu dieser Inspektion gehört, sondern seit 1872
von ihr abgetrennt, unmittelbar dem Chef des Generalstabcs unterstellt ist.

Scharnhorst verdanken wir es, daß bei der Reorganisation der Armee und
des Offizierkorps die Ernennung zum Offizier im Frieden von dem Nachweis
einer bestimmten wissenschaftlichen Bildung abhängig gemacht wurde, die durch
Ablegung eines besonderen Examens darzulegen war. Bildung und Kenntnisse
traten an die Stelle adlicher Geburt oder vornehmer Verwandtschaft und Be¬
ziehungen. Diese uns jetzt so selbstverständliche Ansicht konnte erst nach schweren
Kämpfen durchgesetzt werden. Wie verworren selbst nach dem Frieden von Tilsit
die Anschauungen noch waren, zeigt die Tatsache, daß viele hervorragende
Geister, unter ihnen z. B. auch Hardenberg, die Beförderung zum Offizier von
der Wahl durch die Untergebenen, wie es in den französischen Revolutions¬
heeren der Fall gewesen, abhängig machen wollten. An dem von Scharnhorst
eingeführten Nachweis genügender wissenschaftlicher Vorbildung ist in der Zukunft
nicht mehr gerüttelt worden. Fraglich muß es aber erscheinen, ob die.jetzigen
Anforderungen noch genügen, oder ob es nicht notwendig sein sollte, sie zu erhöhen.
Ein Teil des Offizierersatzes verfügt jedenfalls nicht über eine abgeschlossene
wissenschaftliche Vorbildung. Weder das Primanerzeugnis noch die Ablegung
der Fähnrichsprüfung stellt eine solche dar. Auf den Kriegsschulen findet nur
eine rein militärische Ausbildung statt, die auf die Förderung der allgemeinen
Bildung ohne Einfluß ist. Somit erfährt die Bildung, über die der Offizier
bei seinem Eintritt in das Heer verfügt, keine weitere Ausgestaltung. Dies
bleibt seinem privaten Studium überlassen. Diesem Mangel sollte die Akademie
abhelfen. Dies war eine ihrer Aufgaben, die namentlich in dem nach den
Freiheitskriegen aufgestellten Lehrplan besonders scharf betont wurde. Dies
bedingte, daß Gegenstände vorgetragen wurden, die mit dem militärischen
Studium an und für sich nichts zu tun hatten und für die spätere militärische Lauf¬
bahn nur insofern von Bedeutung waren, als die Schärfung des Geistes und
wissenschaftliche Kenntnisse im allgemeinen auch die Entwickelung der militärischen
Fähigkeiten begünstigen. Von diesem Gesichtspunkte aus wurde im Anfange des
Jahrhunderts, der damaligen Anschauung entsprechend, auf Mathematik ein
hoher Wert gelegt. Die Vorträge über dieses Gebiet nahmen nicht nur einen


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[0270] Unsere militärische Hochschule verfolgt und bei tieferem Studium erkennt, wie oft die Grundzüge, auf denen die Anstalt aufgebaut ist, gewechselt haben, und wie verschieden die Ansichten der leitenden und maßgebenden Stellen auf diesem Gebiete gewesen sind und noch sind — so kann aus dieser wechselnden Entwickelung auch die Berechtigung zu einer Kritik abgeleitet werden, die den bestehenden Zustand nicht bedingungslos als vorzüglich anerkennt. So darf sich ein Rückblick, wie ihn eine derartige Jubelfeier zur Folge hat, mit Recht zu einem Ausblick in die Zukunft erweitern. Die Kriegsakademie läßt sich nicht für sich allein betrachten, sondern muß im Zusammenhang mit dem ganzen Militärerziehungs- und -bildungswesen beurteilt werden, dessen oberste Spitze sie darstellt, wenn sie jetzt auch rein äußerlich betrachtet, nicht mehr zu dieser Inspektion gehört, sondern seit 1872 von ihr abgetrennt, unmittelbar dem Chef des Generalstabcs unterstellt ist. Scharnhorst verdanken wir es, daß bei der Reorganisation der Armee und des Offizierkorps die Ernennung zum Offizier im Frieden von dem Nachweis einer bestimmten wissenschaftlichen Bildung abhängig gemacht wurde, die durch Ablegung eines besonderen Examens darzulegen war. Bildung und Kenntnisse traten an die Stelle adlicher Geburt oder vornehmer Verwandtschaft und Be¬ ziehungen. Diese uns jetzt so selbstverständliche Ansicht konnte erst nach schweren Kämpfen durchgesetzt werden. Wie verworren selbst nach dem Frieden von Tilsit die Anschauungen noch waren, zeigt die Tatsache, daß viele hervorragende Geister, unter ihnen z. B. auch Hardenberg, die Beförderung zum Offizier von der Wahl durch die Untergebenen, wie es in den französischen Revolutions¬ heeren der Fall gewesen, abhängig machen wollten. An dem von Scharnhorst eingeführten Nachweis genügender wissenschaftlicher Vorbildung ist in der Zukunft nicht mehr gerüttelt worden. Fraglich muß es aber erscheinen, ob die.jetzigen Anforderungen noch genügen, oder ob es nicht notwendig sein sollte, sie zu erhöhen. Ein Teil des Offizierersatzes verfügt jedenfalls nicht über eine abgeschlossene wissenschaftliche Vorbildung. Weder das Primanerzeugnis noch die Ablegung der Fähnrichsprüfung stellt eine solche dar. Auf den Kriegsschulen findet nur eine rein militärische Ausbildung statt, die auf die Förderung der allgemeinen Bildung ohne Einfluß ist. Somit erfährt die Bildung, über die der Offizier bei seinem Eintritt in das Heer verfügt, keine weitere Ausgestaltung. Dies bleibt seinem privaten Studium überlassen. Diesem Mangel sollte die Akademie abhelfen. Dies war eine ihrer Aufgaben, die namentlich in dem nach den Freiheitskriegen aufgestellten Lehrplan besonders scharf betont wurde. Dies bedingte, daß Gegenstände vorgetragen wurden, die mit dem militärischen Studium an und für sich nichts zu tun hatten und für die spätere militärische Lauf¬ bahn nur insofern von Bedeutung waren, als die Schärfung des Geistes und wissenschaftliche Kenntnisse im allgemeinen auch die Entwickelung der militärischen Fähigkeiten begünstigen. Von diesem Gesichtspunkte aus wurde im Anfange des Jahrhunderts, der damaligen Anschauung entsprechend, auf Mathematik ein hoher Wert gelegt. Die Vorträge über dieses Gebiet nahmen nicht nur einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/270>, abgerufen am 15.05.2024.