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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches "ut Unmaßgebliches

wie ein Rausch die Kräfte wohl aufflackern, aller bald wieder versinken läßt, so
kann auch die Theaterei unserer versilberten und mit Federbüschen besetzten Leichen¬
wagen, diese gedankenlose und verwässerte Erbschaft eines fürstlichen Barock, dem
Bürger, der da Leid trägt, nur eine Befriedigung des Augenblickes sein, aber
nicht: ein Symbol positiver Pietät. Man sollte anfangen, diese Leichenwagen
erster oder zweiter Klasse abzuschaffen; Künstler von reinem Empfinden, Menschen,
deren Seele von heiligen Schauern sich segnen ließ, sollten dem Fahrzeug des
Todes eine neue, ehrliche, dem Gefühl erschlossene Form suchen. Und sollten
dann sich auch all des übrigen, was zu dem Vorgang der Beerdigung gehört,
sürsorgend annehmen. Ist es doch seltsam, daß solches nicht längst geschah. Die
Künstler, die Männer des schön entfalteten Empfindens, haben das ganze, weit¬
verzweigte Gebiet des Lebens unserer Tage erobert, sie haben auch über den
Friedhof und das Grabdenkmal eine wohltätige Gewalt erlangt; warum sollte es
ihnen nicht möglich sein, den Sarg, den Totenwagen und den Leichenzug von den
Schlacken einer maskierten Gesinnung und eines an Ausdruck armen Pseudo-
reichiums zu reinigen. Eins freilich ist gewiß: eine Totenfeier, ein Leichenzug
darf nicht zu einer Demonstration für moderne Absichten entarten. Das konservative
Bedürfnis ist nirgends berechtigter als im Schatten der Vergänglichkeit. Nie darf
es dahin kommen, daß man sagt: eine moderne Leiche, eine künstlerische Leiche.
Indes, wir dürfen gewiß sein, daß es heute uicht an Kräften fehlt, die an solchen
Klippen des Aufdringlichen und der Verselbständigung des Dienenden vorüber¬
gehen und zu einem aus Wahrhaftigkeit geborenen Rhythmus der Gegenwart
gelangen können. Wir haben das grade während der letzten Jahre an den Fried¬
höfen und Grabdenkmälern erleben können. Die schrecklichen, protzigen Stein-
wüsten, die Lagerplätze für Massenfabrikate aus Granit und Marmor, werden
verdrängt von der Idee des Waldfriedhofes, von den Gärten der Toten, wie sie
in Hamburg und München gepflanzt wurden; von den schweigsamen und doch
beredten Zeugen einer Offenbarung der mildesten Art des Menschlichen im Kunst¬
Robert Vrener werk.




Maßgebliches »ut Unmaßgebliches

wie ein Rausch die Kräfte wohl aufflackern, aller bald wieder versinken läßt, so
kann auch die Theaterei unserer versilberten und mit Federbüschen besetzten Leichen¬
wagen, diese gedankenlose und verwässerte Erbschaft eines fürstlichen Barock, dem
Bürger, der da Leid trägt, nur eine Befriedigung des Augenblickes sein, aber
nicht: ein Symbol positiver Pietät. Man sollte anfangen, diese Leichenwagen
erster oder zweiter Klasse abzuschaffen; Künstler von reinem Empfinden, Menschen,
deren Seele von heiligen Schauern sich segnen ließ, sollten dem Fahrzeug des
Todes eine neue, ehrliche, dem Gefühl erschlossene Form suchen. Und sollten
dann sich auch all des übrigen, was zu dem Vorgang der Beerdigung gehört,
sürsorgend annehmen. Ist es doch seltsam, daß solches nicht längst geschah. Die
Künstler, die Männer des schön entfalteten Empfindens, haben das ganze, weit¬
verzweigte Gebiet des Lebens unserer Tage erobert, sie haben auch über den
Friedhof und das Grabdenkmal eine wohltätige Gewalt erlangt; warum sollte es
ihnen nicht möglich sein, den Sarg, den Totenwagen und den Leichenzug von den
Schlacken einer maskierten Gesinnung und eines an Ausdruck armen Pseudo-
reichiums zu reinigen. Eins freilich ist gewiß: eine Totenfeier, ein Leichenzug
darf nicht zu einer Demonstration für moderne Absichten entarten. Das konservative
Bedürfnis ist nirgends berechtigter als im Schatten der Vergänglichkeit. Nie darf
es dahin kommen, daß man sagt: eine moderne Leiche, eine künstlerische Leiche.
Indes, wir dürfen gewiß sein, daß es heute uicht an Kräften fehlt, die an solchen
Klippen des Aufdringlichen und der Verselbständigung des Dienenden vorüber¬
gehen und zu einem aus Wahrhaftigkeit geborenen Rhythmus der Gegenwart
gelangen können. Wir haben das grade während der letzten Jahre an den Fried¬
höfen und Grabdenkmälern erleben können. Die schrecklichen, protzigen Stein-
wüsten, die Lagerplätze für Massenfabrikate aus Granit und Marmor, werden
verdrängt von der Idee des Waldfriedhofes, von den Gärten der Toten, wie sie
in Hamburg und München gepflanzt wurden; von den schweigsamen und doch
beredten Zeugen einer Offenbarung der mildesten Art des Menschlichen im Kunst¬
Robert Vrener werk.




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[0343] Maßgebliches »ut Unmaßgebliches wie ein Rausch die Kräfte wohl aufflackern, aller bald wieder versinken läßt, so kann auch die Theaterei unserer versilberten und mit Federbüschen besetzten Leichen¬ wagen, diese gedankenlose und verwässerte Erbschaft eines fürstlichen Barock, dem Bürger, der da Leid trägt, nur eine Befriedigung des Augenblickes sein, aber nicht: ein Symbol positiver Pietät. Man sollte anfangen, diese Leichenwagen erster oder zweiter Klasse abzuschaffen; Künstler von reinem Empfinden, Menschen, deren Seele von heiligen Schauern sich segnen ließ, sollten dem Fahrzeug des Todes eine neue, ehrliche, dem Gefühl erschlossene Form suchen. Und sollten dann sich auch all des übrigen, was zu dem Vorgang der Beerdigung gehört, sürsorgend annehmen. Ist es doch seltsam, daß solches nicht längst geschah. Die Künstler, die Männer des schön entfalteten Empfindens, haben das ganze, weit¬ verzweigte Gebiet des Lebens unserer Tage erobert, sie haben auch über den Friedhof und das Grabdenkmal eine wohltätige Gewalt erlangt; warum sollte es ihnen nicht möglich sein, den Sarg, den Totenwagen und den Leichenzug von den Schlacken einer maskierten Gesinnung und eines an Ausdruck armen Pseudo- reichiums zu reinigen. Eins freilich ist gewiß: eine Totenfeier, ein Leichenzug darf nicht zu einer Demonstration für moderne Absichten entarten. Das konservative Bedürfnis ist nirgends berechtigter als im Schatten der Vergänglichkeit. Nie darf es dahin kommen, daß man sagt: eine moderne Leiche, eine künstlerische Leiche. Indes, wir dürfen gewiß sein, daß es heute uicht an Kräften fehlt, die an solchen Klippen des Aufdringlichen und der Verselbständigung des Dienenden vorüber¬ gehen und zu einem aus Wahrhaftigkeit geborenen Rhythmus der Gegenwart gelangen können. Wir haben das grade während der letzten Jahre an den Fried¬ höfen und Grabdenkmälern erleben können. Die schrecklichen, protzigen Stein- wüsten, die Lagerplätze für Massenfabrikate aus Granit und Marmor, werden verdrängt von der Idee des Waldfriedhofes, von den Gärten der Toten, wie sie in Hamburg und München gepflanzt wurden; von den schweigsamen und doch beredten Zeugen einer Offenbarung der mildesten Art des Menschlichen im Kunst¬ Robert Vrener werk.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/343>, abgerufen am 15.05.2024.