Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der neue deutsche Shakespeare

Man höre

Schlegel in "Romeo und Julia" (II, 2):


Ich bin kein Steuermann, doch wärst du fern
Wie Ufer, die das fernste Meer bespült,
Ich wagte mich nach solchem Kleinod hin.

Gundolf:


Ich bin kein Steuermann, doch wärst du fern
Wie weiter Strand vom fernsten Meer vespült,
Ich wagte mich ans solche Knuffahrtei.

Schlegel in "Romeo und Julia" (I, 5):


Entweihet meine Hand verwegen dich,
O Heiligenbild, so will ichs lieblich büßen.
Zwei Pilger, neigen meine Lippen sich,
Den herben Druck im.Kusse zu versüßen.

Dagegen Gundolf:


Wenn die unheilige Hand zu nahe war
Dem heiligen Schrein; zur sanften Sühne muß
Mein Mund dann -- ein errötend Pilgerpanr --
Glätten den rauhen Druck mit zartem Kuß.

Tieck in "Othello" (I. 3): '


So sprach ich denn von anreden harte" Fall
Erschütternder Gefahr zu See und Land,
Von knapper Rettung aus toddroh'über Bresche;
Wie mich der stolze Feind gefangen nahm
Und mich als stimo' verkauft', wie ich erlöst ward;
Und meiner Reisen wundervolle Fahrt:
Wobei von weiten Höhlen, wüsten Steppen,
Steinbrüchen, Felsen, himnielhohen Bergen
Zu melden war im Fortgang der Geschichte.

Gundolf:


Dn sprach ich von verhängnisvollen Lage",
Erregendem Geschick in Flut und Feld,
Haarscharfer Flucht ans tödlich drohender Brandung,
Wie mich der freche Feind gefangen nahm,
In Knechtschaft mich verkauft, ich mich befreite
Und hielt in meiner Reise Abenteuer.
Von weiten Höhlen, öden Wüsten, rauhen
Bergstürzen, Felsen, himmelragenden Gipfeln
Halt' ich zu sprechen Anlaß.

Tieck in "Antonius und Kleopatra" it, 5):


Aus NestlingSjahren,
Wo kaum mein Urteil flügge! Kaltes Herz,
Das noch wie damals spricht!

Gundolf:


Meine grasigen Tage,
Als ich grün von Verstand war, kalt von Blut --
Zu sprechen, wie ich da sprach!

Dazu vergleiche man Shakespeare selbst:


ssllael eiirys
V/Ilm I oss Arsen in juclAineiN-- autel in dlvocl,
l'o ssy hö I ssicl inen!

Grenzboten IV l91v 15
Der neue deutsche Shakespeare

Man höre

Schlegel in „Romeo und Julia" (II, 2):


Ich bin kein Steuermann, doch wärst du fern
Wie Ufer, die das fernste Meer bespült,
Ich wagte mich nach solchem Kleinod hin.

Gundolf:


Ich bin kein Steuermann, doch wärst du fern
Wie weiter Strand vom fernsten Meer vespült,
Ich wagte mich ans solche Knuffahrtei.

Schlegel in „Romeo und Julia" (I, 5):


Entweihet meine Hand verwegen dich,
O Heiligenbild, so will ichs lieblich büßen.
Zwei Pilger, neigen meine Lippen sich,
Den herben Druck im.Kusse zu versüßen.

Dagegen Gundolf:


Wenn die unheilige Hand zu nahe war
Dem heiligen Schrein; zur sanften Sühne muß
Mein Mund dann — ein errötend Pilgerpanr —
Glätten den rauhen Druck mit zartem Kuß.

Tieck in „Othello" (I. 3): '


So sprach ich denn von anreden harte» Fall
Erschütternder Gefahr zu See und Land,
Von knapper Rettung aus toddroh'über Bresche;
Wie mich der stolze Feind gefangen nahm
Und mich als stimo' verkauft', wie ich erlöst ward;
Und meiner Reisen wundervolle Fahrt:
Wobei von weiten Höhlen, wüsten Steppen,
Steinbrüchen, Felsen, himnielhohen Bergen
Zu melden war im Fortgang der Geschichte.

Gundolf:


Dn sprach ich von verhängnisvollen Lage»,
Erregendem Geschick in Flut und Feld,
Haarscharfer Flucht ans tödlich drohender Brandung,
Wie mich der freche Feind gefangen nahm,
In Knechtschaft mich verkauft, ich mich befreite
Und hielt in meiner Reise Abenteuer.
Von weiten Höhlen, öden Wüsten, rauhen
Bergstürzen, Felsen, himmelragenden Gipfeln
Halt' ich zu sprechen Anlaß.

Tieck in „Antonius und Kleopatra" it, 5):


Aus NestlingSjahren,
Wo kaum mein Urteil flügge! Kaltes Herz,
Das noch wie damals spricht!

Gundolf:


Meine grasigen Tage,
Als ich grün von Verstand war, kalt von Blut —
Zu sprechen, wie ich da sprach!

Dazu vergleiche man Shakespeare selbst:


ssllael eiirys
V/Ilm I oss Arsen in juclAineiN— autel in dlvocl,
l'o ssy hö I ssicl inen!

Grenzboten IV l91v 15
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317316"/>
          <fw type="header" place="top"> Der neue deutsche Shakespeare</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1663" next="#ID_1664"> Man höre</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1664" prev="#ID_1663" next="#ID_1665"> Schlegel in &#x201E;Romeo und Julia" (II, 2):</p><lb/>
          <quote> Ich bin kein Steuermann, doch wärst du fern<lb/>
Wie Ufer, die das fernste Meer bespült,<lb/>
Ich wagte mich nach solchem Kleinod hin.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1665" prev="#ID_1664" next="#ID_1666"> Gundolf:</p><lb/>
          <quote> Ich bin kein Steuermann, doch wärst du fern<lb/>
Wie weiter Strand vom fernsten Meer vespült,<lb/>
Ich wagte mich ans solche Knuffahrtei.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1666" prev="#ID_1665" next="#ID_1667"> Schlegel in &#x201E;Romeo und Julia" (I, 5):</p><lb/>
          <quote> Entweihet meine Hand verwegen dich,<lb/>
O Heiligenbild, so will ichs lieblich büßen.<lb/>
Zwei Pilger, neigen meine Lippen sich,<lb/>
Den herben Druck im.Kusse zu versüßen.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1667" prev="#ID_1666" next="#ID_1668"> Dagegen Gundolf:</p><lb/>
          <quote> Wenn die unheilige Hand zu nahe war<lb/>
Dem heiligen Schrein; zur sanften Sühne muß<lb/>
Mein Mund dann &#x2014; ein errötend Pilgerpanr &#x2014;<lb/>
Glätten den rauhen Druck mit zartem Kuß.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1668" prev="#ID_1667" next="#ID_1669"> Tieck in &#x201E;Othello" (I. 3): '</p><lb/>
          <quote> So sprach ich denn von anreden harte» Fall<lb/>
Erschütternder Gefahr zu See und Land,<lb/>
Von knapper Rettung aus toddroh'über Bresche;<lb/>
Wie mich der stolze Feind gefangen nahm<lb/>
Und mich als stimo' verkauft', wie ich erlöst ward;<lb/>
Und meiner Reisen wundervolle Fahrt:<lb/>
Wobei von weiten Höhlen, wüsten Steppen,<lb/>
Steinbrüchen, Felsen, himnielhohen Bergen<lb/>
Zu melden war im Fortgang der Geschichte.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1669" prev="#ID_1668" next="#ID_1670"> Gundolf:</p><lb/>
          <quote> Dn sprach ich von verhängnisvollen Lage»,<lb/>
Erregendem Geschick in Flut und Feld,<lb/>
Haarscharfer Flucht ans tödlich drohender Brandung,<lb/>
Wie mich der freche Feind gefangen nahm,<lb/>
In Knechtschaft mich verkauft, ich mich befreite<lb/>
Und hielt in meiner Reise Abenteuer.<lb/>
Von weiten Höhlen, öden Wüsten, rauhen<lb/>
Bergstürzen, Felsen, himmelragenden Gipfeln<lb/>
Halt' ich zu sprechen Anlaß.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1670" prev="#ID_1669" next="#ID_1671"> Tieck in &#x201E;Antonius und Kleopatra" it, 5):</p><lb/>
          <quote> Aus NestlingSjahren,<lb/>
Wo kaum mein Urteil flügge!  Kaltes Herz,<lb/>
Das noch wie damals spricht!</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1671" prev="#ID_1670" next="#ID_1672"> Gundolf:</p><lb/>
          <quote> Meine grasigen Tage,<lb/>
Als ich grün von Verstand war, kalt von Blut &#x2014;<lb/>
Zu sprechen, wie ich da sprach!</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1672" prev="#ID_1671"> Dazu vergleiche man Shakespeare selbst:</p><lb/>
          <quote> ssllael eiirys<lb/>
V/Ilm I oss Arsen in juclAineiN&#x2014; autel in dlvocl,<lb/>
l'o ssy hö I ssicl inen!</quote><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV l91v 15</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0365] Der neue deutsche Shakespeare Man höre Schlegel in „Romeo und Julia" (II, 2): Ich bin kein Steuermann, doch wärst du fern Wie Ufer, die das fernste Meer bespült, Ich wagte mich nach solchem Kleinod hin. Gundolf: Ich bin kein Steuermann, doch wärst du fern Wie weiter Strand vom fernsten Meer vespült, Ich wagte mich ans solche Knuffahrtei. Schlegel in „Romeo und Julia" (I, 5): Entweihet meine Hand verwegen dich, O Heiligenbild, so will ichs lieblich büßen. Zwei Pilger, neigen meine Lippen sich, Den herben Druck im.Kusse zu versüßen. Dagegen Gundolf: Wenn die unheilige Hand zu nahe war Dem heiligen Schrein; zur sanften Sühne muß Mein Mund dann — ein errötend Pilgerpanr — Glätten den rauhen Druck mit zartem Kuß. Tieck in „Othello" (I. 3): ' So sprach ich denn von anreden harte» Fall Erschütternder Gefahr zu See und Land, Von knapper Rettung aus toddroh'über Bresche; Wie mich der stolze Feind gefangen nahm Und mich als stimo' verkauft', wie ich erlöst ward; Und meiner Reisen wundervolle Fahrt: Wobei von weiten Höhlen, wüsten Steppen, Steinbrüchen, Felsen, himnielhohen Bergen Zu melden war im Fortgang der Geschichte. Gundolf: Dn sprach ich von verhängnisvollen Lage», Erregendem Geschick in Flut und Feld, Haarscharfer Flucht ans tödlich drohender Brandung, Wie mich der freche Feind gefangen nahm, In Knechtschaft mich verkauft, ich mich befreite Und hielt in meiner Reise Abenteuer. Von weiten Höhlen, öden Wüsten, rauhen Bergstürzen, Felsen, himmelragenden Gipfeln Halt' ich zu sprechen Anlaß. Tieck in „Antonius und Kleopatra" it, 5): Aus NestlingSjahren, Wo kaum mein Urteil flügge! Kaltes Herz, Das noch wie damals spricht! Gundolf: Meine grasigen Tage, Als ich grün von Verstand war, kalt von Blut — Zu sprechen, wie ich da sprach! Dazu vergleiche man Shakespeare selbst: ssllael eiirys V/Ilm I oss Arsen in juclAineiN— autel in dlvocl, l'o ssy hö I ssicl inen! Grenzboten IV l91v 15

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/365
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/365>, abgerufen am 15.05.2024.