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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Im Flecken

Der Hund senkte wieder die Nase, nahm eine Spur auf und verfolgte die¬
selbe wedelnd hinaus über das Brückchen auf die Chaussee, Der Soldat leuchtete.
"Suche, suche, Bol!"

Bis zur Mitte des Weges verfolgte Bol die Spur. Dort drehte er sich im
Kreise, lief zur Haustür zurück und kam nochmals auf der Spur an, immer mit
dem Schwänze wedelnd. Zuletzt setzte er sich vor Okolitsch nieder, fuhr fort zu
wedeln und knurrte.

"Es war jemand dabei, den der Hund kennt," sagte Okolitsch.

"Hat er nicht auf Ihrer Spur gewedelt?" meinte der Soldat.

"Nein," sprach der junge Mann entschieden, "das tut er nicht. Er kennt
jemand von den Einbrechern. Du hast gehört, wie böse er knurrte."

"Wenn er doch sprechen könnte!" rief Olga.

"Andrej Fomitsch," wandte Okolitsch sich an Schejin, "der Polizei wird so
schnell wie möglich die Anzeige gemacht werden müssen, damit die Nachforschungen
auf frischer Tat beginnen können. Wenn Sie sich nicht zu angegriffen fühlen,
erlauben Sie vielleicht, daß ich gleich den Aufseher hole?"

"Was soll ich Sie und den Aufseher in der Nacht beschweren!" erwiderte
Schejin, der bereits so weit mit sich in Ordnung gekommen war, daß sein gewöhn¬
licher rücksichtsvoller Charakter zutage trat. "Ich danke. Am Morgen..."

"Andrej Fomitsch, lassen Sie meine Bequemlichkeit aus dem Spiel. Was gilt
Bequemlichkeit, wo es sich um ein schweres Verbrechen handelt! Ich bitte nur
um Ihre Erlaubnis."

"Gewiß, Andrej Fomitsch," bat auch die Mutter, "es ist um so besser, je
früher die Polizei benachrichtigt wird. Ich und Boris, wir werden doch den Rest
der Nacht so wenig schlafen können wie Sie."

"Papachen, wenn Boris" -- begann Olga und blieb stecken, denn sie hatte
sich bis jetzt nicht einmal den vollen Namen des Mieters gemerkt, -- "wenn Herr
Okolitsch so gut sein will -"

"Wenn Boris Stepanowitsch uns seine Ruhe opfern will," gab Schejin zu,
"so kann ich es nur mit Dank annehmen, aber" -- er sprach zögernd weiter --,
"ich fürchte, es wird aus dem Polizeiprotokoll wenig Nutzen entstehen. Herr
Wolski -- ich weiß nicht -- aber -- ich meine --"

"Ihre Wohlgeboren," mischte der alte Soldat sich in das Gespräch, "von
unserm jungen Polizeimeister ist wenig Nutzen, wie Sie zu denken belieben, aber
ich habe heute abend den Bezirksaufseher gesehen. Er ist also zu Hause."

"Das wäre vielleicht etwas."

"Herrn Wolski müssen wir benachrichtigen," sprach Okolitsch. "Er hat im
Flecken die Aufsicht. Aber ich werde den Bezirksaufseher auch herausklopfen und
zur Stelle schaffen."

"Ich spanne gleich meinen kleinen Wagen an," sagte der Soldat. "Da geht
es schneller."

"Ich muß es dir aber schuldig bleiben, Kamerad," versetzte der Hauptmann
dumpf. "Ich habe keine Kopeke Geld."

"Papa, ich .. ." begann Olga, aber der Soldat schnitt ihr die Rede ab und-
rief beleidigt:


Im Flecken

Der Hund senkte wieder die Nase, nahm eine Spur auf und verfolgte die¬
selbe wedelnd hinaus über das Brückchen auf die Chaussee, Der Soldat leuchtete.
„Suche, suche, Bol!"

Bis zur Mitte des Weges verfolgte Bol die Spur. Dort drehte er sich im
Kreise, lief zur Haustür zurück und kam nochmals auf der Spur an, immer mit
dem Schwänze wedelnd. Zuletzt setzte er sich vor Okolitsch nieder, fuhr fort zu
wedeln und knurrte.

„Es war jemand dabei, den der Hund kennt," sagte Okolitsch.

„Hat er nicht auf Ihrer Spur gewedelt?" meinte der Soldat.

„Nein," sprach der junge Mann entschieden, „das tut er nicht. Er kennt
jemand von den Einbrechern. Du hast gehört, wie böse er knurrte."

„Wenn er doch sprechen könnte!" rief Olga.

„Andrej Fomitsch," wandte Okolitsch sich an Schejin, „der Polizei wird so
schnell wie möglich die Anzeige gemacht werden müssen, damit die Nachforschungen
auf frischer Tat beginnen können. Wenn Sie sich nicht zu angegriffen fühlen,
erlauben Sie vielleicht, daß ich gleich den Aufseher hole?"

„Was soll ich Sie und den Aufseher in der Nacht beschweren!" erwiderte
Schejin, der bereits so weit mit sich in Ordnung gekommen war, daß sein gewöhn¬
licher rücksichtsvoller Charakter zutage trat. „Ich danke. Am Morgen..."

„Andrej Fomitsch, lassen Sie meine Bequemlichkeit aus dem Spiel. Was gilt
Bequemlichkeit, wo es sich um ein schweres Verbrechen handelt! Ich bitte nur
um Ihre Erlaubnis."

„Gewiß, Andrej Fomitsch," bat auch die Mutter, „es ist um so besser, je
früher die Polizei benachrichtigt wird. Ich und Boris, wir werden doch den Rest
der Nacht so wenig schlafen können wie Sie."

„Papachen, wenn Boris" — begann Olga und blieb stecken, denn sie hatte
sich bis jetzt nicht einmal den vollen Namen des Mieters gemerkt, — „wenn Herr
Okolitsch so gut sein will -"

„Wenn Boris Stepanowitsch uns seine Ruhe opfern will," gab Schejin zu,
„so kann ich es nur mit Dank annehmen, aber" — er sprach zögernd weiter —,
„ich fürchte, es wird aus dem Polizeiprotokoll wenig Nutzen entstehen. Herr
Wolski — ich weiß nicht — aber — ich meine —"

„Ihre Wohlgeboren," mischte der alte Soldat sich in das Gespräch, „von
unserm jungen Polizeimeister ist wenig Nutzen, wie Sie zu denken belieben, aber
ich habe heute abend den Bezirksaufseher gesehen. Er ist also zu Hause."

„Das wäre vielleicht etwas."

„Herrn Wolski müssen wir benachrichtigen," sprach Okolitsch. „Er hat im
Flecken die Aufsicht. Aber ich werde den Bezirksaufseher auch herausklopfen und
zur Stelle schaffen."

„Ich spanne gleich meinen kleinen Wagen an," sagte der Soldat. „Da geht
es schneller."

„Ich muß es dir aber schuldig bleiben, Kamerad," versetzte der Hauptmann
dumpf. „Ich habe keine Kopeke Geld."

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rief beleidigt:


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[0393] Im Flecken Der Hund senkte wieder die Nase, nahm eine Spur auf und verfolgte die¬ selbe wedelnd hinaus über das Brückchen auf die Chaussee, Der Soldat leuchtete. „Suche, suche, Bol!" Bis zur Mitte des Weges verfolgte Bol die Spur. Dort drehte er sich im Kreise, lief zur Haustür zurück und kam nochmals auf der Spur an, immer mit dem Schwänze wedelnd. Zuletzt setzte er sich vor Okolitsch nieder, fuhr fort zu wedeln und knurrte. „Es war jemand dabei, den der Hund kennt," sagte Okolitsch. „Hat er nicht auf Ihrer Spur gewedelt?" meinte der Soldat. „Nein," sprach der junge Mann entschieden, „das tut er nicht. Er kennt jemand von den Einbrechern. Du hast gehört, wie böse er knurrte." „Wenn er doch sprechen könnte!" rief Olga. „Andrej Fomitsch," wandte Okolitsch sich an Schejin, „der Polizei wird so schnell wie möglich die Anzeige gemacht werden müssen, damit die Nachforschungen auf frischer Tat beginnen können. Wenn Sie sich nicht zu angegriffen fühlen, erlauben Sie vielleicht, daß ich gleich den Aufseher hole?" „Was soll ich Sie und den Aufseher in der Nacht beschweren!" erwiderte Schejin, der bereits so weit mit sich in Ordnung gekommen war, daß sein gewöhn¬ licher rücksichtsvoller Charakter zutage trat. „Ich danke. Am Morgen..." „Andrej Fomitsch, lassen Sie meine Bequemlichkeit aus dem Spiel. Was gilt Bequemlichkeit, wo es sich um ein schweres Verbrechen handelt! Ich bitte nur um Ihre Erlaubnis." „Gewiß, Andrej Fomitsch," bat auch die Mutter, „es ist um so besser, je früher die Polizei benachrichtigt wird. Ich und Boris, wir werden doch den Rest der Nacht so wenig schlafen können wie Sie." „Papachen, wenn Boris" — begann Olga und blieb stecken, denn sie hatte sich bis jetzt nicht einmal den vollen Namen des Mieters gemerkt, — „wenn Herr Okolitsch so gut sein will -" „Wenn Boris Stepanowitsch uns seine Ruhe opfern will," gab Schejin zu, „so kann ich es nur mit Dank annehmen, aber" — er sprach zögernd weiter —, „ich fürchte, es wird aus dem Polizeiprotokoll wenig Nutzen entstehen. Herr Wolski — ich weiß nicht — aber — ich meine —" „Ihre Wohlgeboren," mischte der alte Soldat sich in das Gespräch, „von unserm jungen Polizeimeister ist wenig Nutzen, wie Sie zu denken belieben, aber ich habe heute abend den Bezirksaufseher gesehen. Er ist also zu Hause." „Das wäre vielleicht etwas." „Herrn Wolski müssen wir benachrichtigen," sprach Okolitsch. „Er hat im Flecken die Aufsicht. Aber ich werde den Bezirksaufseher auch herausklopfen und zur Stelle schaffen." „Ich spanne gleich meinen kleinen Wagen an," sagte der Soldat. „Da geht es schneller." „Ich muß es dir aber schuldig bleiben, Kamerad," versetzte der Hauptmann dumpf. „Ich habe keine Kopeke Geld." „Papa, ich .. ." begann Olga, aber der Soldat schnitt ihr die Rede ab und- rief beleidigt:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/393>, abgerufen am 16.05.2024.