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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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I"? Flecke"

"Das gebe ich zu, wenn Ihre Voraussetzung des Vorganges richtig ist. Er
war ja mit Andrej Fomitsch beschäftigt, während die Schatulle geraubt wurde."

"Ganz recht. Der Kleine, den ich zu halten versuchte, hatte auch beide Arme
frei. Es könnte etwa die Möglichkeit vorliegen, daß er es war, der geleuchtet
hatte. Dann muß er die Laterne haben fallen lassen, als ich ihn faßte, und dann
muß sie draußen liegen, wo wir uns balgten. In diesem Falle sind es vier Mann
gewesen."

"Suchen wir!"

"Suchen wir!"

"Hier," sagte Okolitsch, "an dieser Stelle muß es gewesen sein, dicht neben
dem Brückchen."

Die Männer bückten sich und musterten bei dem Scheine der Laterne des
Soldaten den Boden.

"Da," rief Okolitsch und deutete unter das Brückchen, "da scheint etwas zu
liegen."

Der Sohn des Soldaten sprang in den Graben. Richtig, unter dem Rande
des Brückchens hob er das Ding auf, das offenbar dort hinuntergerollt war.
"Haben Sie Augen, junger HerrI" sprach der Soldat bewundernd.
"Jägeraugen, Nachbar."

Es war ein winziges Blendlaternchen aus Blech, hinten mit einem Griffe
für die Hand, vorn mit einer Scheibe, die durch ein Blechtürchen geschlossen wurde.
Solche Laternchen waren überall im Flecken gebräuchlich.

"Also vier Mann?" fragte der Bezirksaufseher.

"Vier," entgegnete Okolitsch bestimmt, "drei im Hause und ein Mann bei
den Pferden."

"Pferden! Das höre ich schon zum zweitenmal von Ihnen. Es war nicht
ein Pferd?"

"Zwei."

"Ja, warum?"

"Ich hörte es, als Sie abfuhren, hörte die Tritte zweier Pferde."

"Entschuldigen Sie, ich kann nicht zugeben, daß Sie bei der Aufregung, in
der Sie sich befinden mußten, das wirklich beobachtet und unterschieden haben."

"Es ist doch geschehen," erwiderte Okolitsch mit Achselzucken.

"Habt ihr es auch unterschieden?" fragte der Bezirksaufseher den Soldaten
und dessen Sohn.

"Wo konnten wir darauf achten, Ihre Wohlgeborenl"

"Sie stellen gewagte Behauptungen auf," ließ Wolski sich spöttisch vernehmen.
"Es dürften wohl auch drei Pferde gewesen sein. Wer schnell vorwärtskommen
will, spannt vor, wie viele er kann. Und ebenso bin ich nicht mit der Zahl der
Räuber einverstanden. Ich gebe zu, daß es nicht weniger als vier waren, aber
ebensogut können sieben oder acht sich beteiligt haben." (Furtsetzung folgt.)




I"? Flecke»

„Das gebe ich zu, wenn Ihre Voraussetzung des Vorganges richtig ist. Er
war ja mit Andrej Fomitsch beschäftigt, während die Schatulle geraubt wurde."

„Ganz recht. Der Kleine, den ich zu halten versuchte, hatte auch beide Arme
frei. Es könnte etwa die Möglichkeit vorliegen, daß er es war, der geleuchtet
hatte. Dann muß er die Laterne haben fallen lassen, als ich ihn faßte, und dann
muß sie draußen liegen, wo wir uns balgten. In diesem Falle sind es vier Mann
gewesen."

„Suchen wir!"

„Suchen wir!"

„Hier," sagte Okolitsch, „an dieser Stelle muß es gewesen sein, dicht neben
dem Brückchen."

Die Männer bückten sich und musterten bei dem Scheine der Laterne des
Soldaten den Boden.

„Da," rief Okolitsch und deutete unter das Brückchen, „da scheint etwas zu
liegen."

Der Sohn des Soldaten sprang in den Graben. Richtig, unter dem Rande
des Brückchens hob er das Ding auf, das offenbar dort hinuntergerollt war.
„Haben Sie Augen, junger HerrI" sprach der Soldat bewundernd.
„Jägeraugen, Nachbar."

Es war ein winziges Blendlaternchen aus Blech, hinten mit einem Griffe
für die Hand, vorn mit einer Scheibe, die durch ein Blechtürchen geschlossen wurde.
Solche Laternchen waren überall im Flecken gebräuchlich.

„Also vier Mann?" fragte der Bezirksaufseher.

„Vier," entgegnete Okolitsch bestimmt, „drei im Hause und ein Mann bei
den Pferden."

„Pferden! Das höre ich schon zum zweitenmal von Ihnen. Es war nicht
ein Pferd?"

„Zwei."

„Ja, warum?"

„Ich hörte es, als Sie abfuhren, hörte die Tritte zweier Pferde."

„Entschuldigen Sie, ich kann nicht zugeben, daß Sie bei der Aufregung, in
der Sie sich befinden mußten, das wirklich beobachtet und unterschieden haben."

„Es ist doch geschehen," erwiderte Okolitsch mit Achselzucken.

„Habt ihr es auch unterschieden?" fragte der Bezirksaufseher den Soldaten
und dessen Sohn.

„Wo konnten wir darauf achten, Ihre Wohlgeborenl"

„Sie stellen gewagte Behauptungen auf," ließ Wolski sich spöttisch vernehmen.
„Es dürften wohl auch drei Pferde gewesen sein. Wer schnell vorwärtskommen
will, spannt vor, wie viele er kann. Und ebenso bin ich nicht mit der Zahl der
Räuber einverstanden. Ich gebe zu, daß es nicht weniger als vier waren, aber
ebensogut können sieben oder acht sich beteiligt haben." (Furtsetzung folgt.)




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[0446] I"? Flecke» „Das gebe ich zu, wenn Ihre Voraussetzung des Vorganges richtig ist. Er war ja mit Andrej Fomitsch beschäftigt, während die Schatulle geraubt wurde." „Ganz recht. Der Kleine, den ich zu halten versuchte, hatte auch beide Arme frei. Es könnte etwa die Möglichkeit vorliegen, daß er es war, der geleuchtet hatte. Dann muß er die Laterne haben fallen lassen, als ich ihn faßte, und dann muß sie draußen liegen, wo wir uns balgten. In diesem Falle sind es vier Mann gewesen." „Suchen wir!" „Suchen wir!" „Hier," sagte Okolitsch, „an dieser Stelle muß es gewesen sein, dicht neben dem Brückchen." Die Männer bückten sich und musterten bei dem Scheine der Laterne des Soldaten den Boden. „Da," rief Okolitsch und deutete unter das Brückchen, „da scheint etwas zu liegen." Der Sohn des Soldaten sprang in den Graben. Richtig, unter dem Rande des Brückchens hob er das Ding auf, das offenbar dort hinuntergerollt war. „Haben Sie Augen, junger HerrI" sprach der Soldat bewundernd. „Jägeraugen, Nachbar." Es war ein winziges Blendlaternchen aus Blech, hinten mit einem Griffe für die Hand, vorn mit einer Scheibe, die durch ein Blechtürchen geschlossen wurde. Solche Laternchen waren überall im Flecken gebräuchlich. „Also vier Mann?" fragte der Bezirksaufseher. „Vier," entgegnete Okolitsch bestimmt, „drei im Hause und ein Mann bei den Pferden." „Pferden! Das höre ich schon zum zweitenmal von Ihnen. Es war nicht ein Pferd?" „Zwei." „Ja, warum?" „Ich hörte es, als Sie abfuhren, hörte die Tritte zweier Pferde." „Entschuldigen Sie, ich kann nicht zugeben, daß Sie bei der Aufregung, in der Sie sich befinden mußten, das wirklich beobachtet und unterschieden haben." „Es ist doch geschehen," erwiderte Okolitsch mit Achselzucken. „Habt ihr es auch unterschieden?" fragte der Bezirksaufseher den Soldaten und dessen Sohn. „Wo konnten wir darauf achten, Ihre Wohlgeborenl" „Sie stellen gewagte Behauptungen auf," ließ Wolski sich spöttisch vernehmen. „Es dürften wohl auch drei Pferde gewesen sein. Wer schnell vorwärtskommen will, spannt vor, wie viele er kann. Und ebenso bin ich nicht mit der Zahl der Räuber einverstanden. Ich gebe zu, daß es nicht weniger als vier waren, aber ebensogut können sieben oder acht sich beteiligt haben." (Furtsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/446>, abgerufen am 26.05.2024.