Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Flecken

"In die Gouvernementsstadt! Wozu, Onkelchen? Was finden Sie da besseres
als hier? Freilich, dort gibt es Gesellschaft, große Kaufleute, aber -- viel Geld
kostet es, und schließlich ist doch wenig daran. Das Gouvernement ist auch eine
ziemlich traurige Stadt."

"Doch immer."

"Wirklich Angenehmes gibt es auch da nicht, zum Beispiel ein Ballettchen."

"Pfui, Teufel! Jetzt erinnert er mich noch an das Ballett!"

"Onkelchen, wollen Sie ein Ballett sehen?"

"Geh du zum Bösen, Hundesohn. Mir gerade zu dieser Zeit mit dem Ballet
zu kommen!"

"Ich frage in allem Ernst, Onkelchen. Wünschen Sie ein Ballett zu sehen?"

"Was soll das heißen?"

"Es gibt ein Ballett, Onkelchen," flüsterte Ssurikow. "Sie haben nur zu
befehlen."

"Willst du mich zum Narren machen? Nimm dich in acht, Jgnaschka."

"Onkelchen, Tit Grigorjewitsch" -- er legte beteuernd die Hand auf das Herz --
"wie mögen Sie so von mir denken! Wie werde ich mich unterstehen! Ich wieder¬
hole, Sie brauchen nur zu befehlen. Ich habe alles vorbereitet und eingerichtet.
Freilich" -- er lächelte pfiffig -- "umsonst ist der Tod, Onkelchen."

"Nu, Bruder, das lügst du. Bei den jetzigen verfluchten Neuerungen kostet
der Tod erst recht viel Geld. Na, übrigens -- ich will nicht sündigen, denn es
ist gerade Fastenzeit -- der Tod ist bei uns Kaufleuten von jeher immer teuer zu
stehen gekommen. Sprich, Taugenichts, hast du wirklich -- nu --"

Er zwinkerte bedeutungsvoll mit den Augen.

"Mein ehrliches Wort, Onkelchen."

"Komm ins Kabinett."

"Aber hörst du, Jgnaschka," sagte nach einiger Zeit Botscharow, als er
Ssurikow aus dem Kabinett begleitete, und sah links und rechts, ob im Saal nicht
jemand anwesend sei, "Gott schütze deine Seele, wenn du mich anführst."

"Onkelchen," beteuerte Ssurikow mit der Hand auf dem Herzen, "es sind
die anständigsten Mädchen von der Welt."

"Sieh zu, Hundesohn."

Der junge Mensch war darauf einige Stunden in der rührigsten Tätigkeit.
Man sah ihn in verschiedenen Handlungen des Fleckens bald allein, bald begleitet
von einem Kerl mit einem großen Korbe. Er kaufte allerlei Delikatessen und
Naschwerk, Limonaden und Weine, Tischgerät und Räucherwerk, Wandleuchter und
Lichte und unzählige Kleinigkeiten. Er wurde gefragt, ob bei Tit Grigorjewitsch
irgendein Fest gefeiert werde. Er log mit dem glattesten Gesicht, daß er von
Anna Dmitrijewna beauftragt sei, diese Einkäufe für das Gut und die dortige
Wirtschaft zu machen.

Am Abend saß Botscharow beim Tee und fühlte sich unbehaglich. Er rückte
auf seinem Stuhle hin und her, war ungewöhnlich schweigsam und schaute ärgerlich
drein. Er hatte die Absicht, der Frau und der Tochter mitzuteilen, daß er noch
heute auf das Gut hinauszufahren beabsichtige, und er wußte nicht, wie er die
Gelegenheit zu dieser Ankündigung vom Zaune brechen sollte.


Im Flecken

„In die Gouvernementsstadt! Wozu, Onkelchen? Was finden Sie da besseres
als hier? Freilich, dort gibt es Gesellschaft, große Kaufleute, aber — viel Geld
kostet es, und schließlich ist doch wenig daran. Das Gouvernement ist auch eine
ziemlich traurige Stadt."

„Doch immer."

„Wirklich Angenehmes gibt es auch da nicht, zum Beispiel ein Ballettchen."

„Pfui, Teufel! Jetzt erinnert er mich noch an das Ballett!"

„Onkelchen, wollen Sie ein Ballett sehen?"

„Geh du zum Bösen, Hundesohn. Mir gerade zu dieser Zeit mit dem Ballet
zu kommen!"

„Ich frage in allem Ernst, Onkelchen. Wünschen Sie ein Ballett zu sehen?"

„Was soll das heißen?"

„Es gibt ein Ballett, Onkelchen," flüsterte Ssurikow. „Sie haben nur zu
befehlen."

„Willst du mich zum Narren machen? Nimm dich in acht, Jgnaschka."

„Onkelchen, Tit Grigorjewitsch" — er legte beteuernd die Hand auf das Herz —
„wie mögen Sie so von mir denken! Wie werde ich mich unterstehen! Ich wieder¬
hole, Sie brauchen nur zu befehlen. Ich habe alles vorbereitet und eingerichtet.
Freilich" — er lächelte pfiffig — „umsonst ist der Tod, Onkelchen."

„Nu, Bruder, das lügst du. Bei den jetzigen verfluchten Neuerungen kostet
der Tod erst recht viel Geld. Na, übrigens — ich will nicht sündigen, denn es
ist gerade Fastenzeit — der Tod ist bei uns Kaufleuten von jeher immer teuer zu
stehen gekommen. Sprich, Taugenichts, hast du wirklich — nu —"

Er zwinkerte bedeutungsvoll mit den Augen.

„Mein ehrliches Wort, Onkelchen."

„Komm ins Kabinett."

„Aber hörst du, Jgnaschka," sagte nach einiger Zeit Botscharow, als er
Ssurikow aus dem Kabinett begleitete, und sah links und rechts, ob im Saal nicht
jemand anwesend sei, „Gott schütze deine Seele, wenn du mich anführst."

„Onkelchen," beteuerte Ssurikow mit der Hand auf dem Herzen, „es sind
die anständigsten Mädchen von der Welt."

„Sieh zu, Hundesohn."

Der junge Mensch war darauf einige Stunden in der rührigsten Tätigkeit.
Man sah ihn in verschiedenen Handlungen des Fleckens bald allein, bald begleitet
von einem Kerl mit einem großen Korbe. Er kaufte allerlei Delikatessen und
Naschwerk, Limonaden und Weine, Tischgerät und Räucherwerk, Wandleuchter und
Lichte und unzählige Kleinigkeiten. Er wurde gefragt, ob bei Tit Grigorjewitsch
irgendein Fest gefeiert werde. Er log mit dem glattesten Gesicht, daß er von
Anna Dmitrijewna beauftragt sei, diese Einkäufe für das Gut und die dortige
Wirtschaft zu machen.

Am Abend saß Botscharow beim Tee und fühlte sich unbehaglich. Er rückte
auf seinem Stuhle hin und her, war ungewöhnlich schweigsam und schaute ärgerlich
drein. Er hatte die Absicht, der Frau und der Tochter mitzuteilen, daß er noch
heute auf das Gut hinauszufahren beabsichtige, und er wußte nicht, wie er die
Gelegenheit zu dieser Ankündigung vom Zaune brechen sollte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0532" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317483"/>
          <fw type="header" place="top"> Im Flecken</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2471"> &#x201E;In die Gouvernementsstadt! Wozu, Onkelchen? Was finden Sie da besseres<lb/>
als hier? Freilich, dort gibt es Gesellschaft, große Kaufleute, aber &#x2014; viel Geld<lb/>
kostet es, und schließlich ist doch wenig daran. Das Gouvernement ist auch eine<lb/>
ziemlich traurige Stadt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2472"> &#x201E;Doch immer."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2473"> &#x201E;Wirklich Angenehmes gibt es auch da nicht, zum Beispiel ein Ballettchen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2474"> &#x201E;Pfui, Teufel! Jetzt erinnert er mich noch an das Ballett!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2475"> &#x201E;Onkelchen, wollen Sie ein Ballett sehen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2476"> &#x201E;Geh du zum Bösen, Hundesohn. Mir gerade zu dieser Zeit mit dem Ballet<lb/>
zu kommen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2477"> &#x201E;Ich frage in allem Ernst, Onkelchen. Wünschen Sie ein Ballett zu sehen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2478"> &#x201E;Was soll das heißen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2479"> &#x201E;Es gibt ein Ballett, Onkelchen," flüsterte Ssurikow. &#x201E;Sie haben nur zu<lb/>
befehlen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2480"> &#x201E;Willst du mich zum Narren machen? Nimm dich in acht, Jgnaschka."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2481"> &#x201E;Onkelchen, Tit Grigorjewitsch" &#x2014; er legte beteuernd die Hand auf das Herz &#x2014;<lb/>
&#x201E;wie mögen Sie so von mir denken! Wie werde ich mich unterstehen! Ich wieder¬<lb/>
hole, Sie brauchen nur zu befehlen. Ich habe alles vorbereitet und eingerichtet.<lb/>
Freilich" &#x2014; er lächelte pfiffig &#x2014; &#x201E;umsonst ist der Tod, Onkelchen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2482"> &#x201E;Nu, Bruder, das lügst du. Bei den jetzigen verfluchten Neuerungen kostet<lb/>
der Tod erst recht viel Geld. Na, übrigens &#x2014; ich will nicht sündigen, denn es<lb/>
ist gerade Fastenzeit &#x2014; der Tod ist bei uns Kaufleuten von jeher immer teuer zu<lb/>
stehen gekommen. Sprich, Taugenichts, hast du wirklich &#x2014; nu &#x2014;"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2483"> Er zwinkerte bedeutungsvoll mit den Augen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2484"> &#x201E;Mein ehrliches Wort, Onkelchen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2485"> &#x201E;Komm ins Kabinett."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2486"> &#x201E;Aber hörst du, Jgnaschka," sagte nach einiger Zeit Botscharow, als er<lb/>
Ssurikow aus dem Kabinett begleitete, und sah links und rechts, ob im Saal nicht<lb/>
jemand anwesend sei, &#x201E;Gott schütze deine Seele, wenn du mich anführst."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2487"> &#x201E;Onkelchen," beteuerte Ssurikow mit der Hand auf dem Herzen, &#x201E;es sind<lb/>
die anständigsten Mädchen von der Welt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2488"> &#x201E;Sieh zu, Hundesohn."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2489"> Der junge Mensch war darauf einige Stunden in der rührigsten Tätigkeit.<lb/>
Man sah ihn in verschiedenen Handlungen des Fleckens bald allein, bald begleitet<lb/>
von einem Kerl mit einem großen Korbe. Er kaufte allerlei Delikatessen und<lb/>
Naschwerk, Limonaden und Weine, Tischgerät und Räucherwerk, Wandleuchter und<lb/>
Lichte und unzählige Kleinigkeiten. Er wurde gefragt, ob bei Tit Grigorjewitsch<lb/>
irgendein Fest gefeiert werde. Er log mit dem glattesten Gesicht, daß er von<lb/>
Anna Dmitrijewna beauftragt sei, diese Einkäufe für das Gut und die dortige<lb/>
Wirtschaft zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2490"> Am Abend saß Botscharow beim Tee und fühlte sich unbehaglich. Er rückte<lb/>
auf seinem Stuhle hin und her, war ungewöhnlich schweigsam und schaute ärgerlich<lb/>
drein. Er hatte die Absicht, der Frau und der Tochter mitzuteilen, daß er noch<lb/>
heute auf das Gut hinauszufahren beabsichtige, und er wußte nicht, wie er die<lb/>
Gelegenheit zu dieser Ankündigung vom Zaune brechen sollte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0532] Im Flecken „In die Gouvernementsstadt! Wozu, Onkelchen? Was finden Sie da besseres als hier? Freilich, dort gibt es Gesellschaft, große Kaufleute, aber — viel Geld kostet es, und schließlich ist doch wenig daran. Das Gouvernement ist auch eine ziemlich traurige Stadt." „Doch immer." „Wirklich Angenehmes gibt es auch da nicht, zum Beispiel ein Ballettchen." „Pfui, Teufel! Jetzt erinnert er mich noch an das Ballett!" „Onkelchen, wollen Sie ein Ballett sehen?" „Geh du zum Bösen, Hundesohn. Mir gerade zu dieser Zeit mit dem Ballet zu kommen!" „Ich frage in allem Ernst, Onkelchen. Wünschen Sie ein Ballett zu sehen?" „Was soll das heißen?" „Es gibt ein Ballett, Onkelchen," flüsterte Ssurikow. „Sie haben nur zu befehlen." „Willst du mich zum Narren machen? Nimm dich in acht, Jgnaschka." „Onkelchen, Tit Grigorjewitsch" — er legte beteuernd die Hand auf das Herz — „wie mögen Sie so von mir denken! Wie werde ich mich unterstehen! Ich wieder¬ hole, Sie brauchen nur zu befehlen. Ich habe alles vorbereitet und eingerichtet. Freilich" — er lächelte pfiffig — „umsonst ist der Tod, Onkelchen." „Nu, Bruder, das lügst du. Bei den jetzigen verfluchten Neuerungen kostet der Tod erst recht viel Geld. Na, übrigens — ich will nicht sündigen, denn es ist gerade Fastenzeit — der Tod ist bei uns Kaufleuten von jeher immer teuer zu stehen gekommen. Sprich, Taugenichts, hast du wirklich — nu —" Er zwinkerte bedeutungsvoll mit den Augen. „Mein ehrliches Wort, Onkelchen." „Komm ins Kabinett." „Aber hörst du, Jgnaschka," sagte nach einiger Zeit Botscharow, als er Ssurikow aus dem Kabinett begleitete, und sah links und rechts, ob im Saal nicht jemand anwesend sei, „Gott schütze deine Seele, wenn du mich anführst." „Onkelchen," beteuerte Ssurikow mit der Hand auf dem Herzen, „es sind die anständigsten Mädchen von der Welt." „Sieh zu, Hundesohn." Der junge Mensch war darauf einige Stunden in der rührigsten Tätigkeit. Man sah ihn in verschiedenen Handlungen des Fleckens bald allein, bald begleitet von einem Kerl mit einem großen Korbe. Er kaufte allerlei Delikatessen und Naschwerk, Limonaden und Weine, Tischgerät und Räucherwerk, Wandleuchter und Lichte und unzählige Kleinigkeiten. Er wurde gefragt, ob bei Tit Grigorjewitsch irgendein Fest gefeiert werde. Er log mit dem glattesten Gesicht, daß er von Anna Dmitrijewna beauftragt sei, diese Einkäufe für das Gut und die dortige Wirtschaft zu machen. Am Abend saß Botscharow beim Tee und fühlte sich unbehaglich. Er rückte auf seinem Stuhle hin und her, war ungewöhnlich schweigsam und schaute ärgerlich drein. Er hatte die Absicht, der Frau und der Tochter mitzuteilen, daß er noch heute auf das Gut hinauszufahren beabsichtige, und er wußte nicht, wie er die Gelegenheit zu dieser Ankündigung vom Zaune brechen sollte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/532
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/532>, abgerufen am 16.05.2024.