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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die Rute in der Uunst und im Leben

Birke und die Tanne" die Birkenrute hinter dem Spiegel, welche die Kinder
erschrocken fliehen, vorführt, -- oder wenn Robert Reinick den faulen Knaben,
der die Schule schwärzt und den ihm nicht gefügigen Spitz mit Schlägen bedroht,
vom Vater überraschen läßt:


Horch? Wer kommt? -- Es ist der Vater.
Streng ruft er dem Knaben zu:
"Wer nichts lernt, verdienet Strafe!
Sprich, und was verdienest du?" --

so sollen den Lesern -- Erwachsenen wie Kindern -- zweifellos Erzeugnisse der
Dichtkunst vorgesetzt sein, an denen sie ihr Vergnügen finden sollen. Ganz ebenso
verfehlt Friedrich Gnlis niedliches Gedicht "Vom Büblein auf dem Eise", das
naß wie eine Wassermaus glücklich aus dem Weiher herausgezogen ist, die
besondere dichterische Wirkung mit den Schlußversen nicht; die Verse lauten:
"Das Büblein hat getropfet, -- der Vater hat's geklopfet zu Haus." Oder
man lese in dem schönen Märchen "Gockel, Hinkel und Gackeleia", wie der
Dichter Clemens Brentano die Eltern ihr Töchterchen Gackeleia des Ungehorsams
überführen läßt, wie der Vater im Walde gemeinsam mit der Mutter starke
Birkenreiser abreißt und schließlich das Töchterchen straft. Die vielen in die
Erzählung eingestreuten Verse sind sicher künstlerisch gedacht. Erst wird die Furcht
des Kindes geschildert:


"Vater Gockel I ich bitt' schön,
Laß das Birkenreis doch stehn.
Ach! ich bin bor Angst verwirrt,
Daß es eine Rute wird."

Und der Dichter folgt auch einer künstlerischen Idee, wenn er uns die Schilderung
nicht erspart, wie der Vater Gackeleia über das Knie legt und ihr tüchtig die
Rute gibt mit den Worten: "Keine Rute, es ist nnr -- eine schöne Kunstfigur"
sowie "Filze, sitze, Domine -- tut die ganze Woche weh".

In seiner "Waldheimat" schreibt Rosegger ein ergreifendes Kapitel "ums Vater¬
wort", das von hohem Kunstwerte und tiefem Ernste ist und jedem Erzieher viel zu
denken gibt. Auch hier ist der Anlaß zu den geschilderten seelischen Spannungen
der, daß der Vater "Birkenruten abschneiden" geht, die aber dann nicht gebraucht
werden.

Goethe spricht in seinem Knabemnärchen "Der neue Paris" davon, daß ein
Knabe (Goethe meint sich selbst) ein eigentümliches Abenteuer erlebt -- in einem
verzauberten Garten, den ein alter Mann bewacht. Der Knabe erzählt, er habe
sich in ein orientalisches Kostüm umkleiden müssen, und fährt fort: "Nun fand ich
mich vor einem großen Spiegel in meiner Vermummung gar hübsch und gefiel
mir besser als in meinem steifen Sonntagskleide. Ich machte einige Gebärden
und Sprünge, wie ich sie von den Tänzern auf dem Meßtheater gesehen hatte.
Unter diesen sah ich in den Spiegel und erblickte zufällig das Bild einer hinter
mir befindlichen Nische. Auf ihrem weißen Grunde hingen drei grüne Strickchen,
jedes in sich auf eine Weise verschlungen, die mir in der Ferne nicht deutlich werden
wollte. Ich kehrte mich daher etwas hastig um und fragte den Alten nach der
Nische sowie nach den Strickchen. Er, ganz gefällig, holte eins herunter und zeigte


Die Rute in der Uunst und im Leben

Birke und die Tanne" die Birkenrute hinter dem Spiegel, welche die Kinder
erschrocken fliehen, vorführt, — oder wenn Robert Reinick den faulen Knaben,
der die Schule schwärzt und den ihm nicht gefügigen Spitz mit Schlägen bedroht,
vom Vater überraschen läßt:


Horch? Wer kommt? — Es ist der Vater.
Streng ruft er dem Knaben zu:
„Wer nichts lernt, verdienet Strafe!
Sprich, und was verdienest du?" —

so sollen den Lesern — Erwachsenen wie Kindern — zweifellos Erzeugnisse der
Dichtkunst vorgesetzt sein, an denen sie ihr Vergnügen finden sollen. Ganz ebenso
verfehlt Friedrich Gnlis niedliches Gedicht „Vom Büblein auf dem Eise", das
naß wie eine Wassermaus glücklich aus dem Weiher herausgezogen ist, die
besondere dichterische Wirkung mit den Schlußversen nicht; die Verse lauten:
„Das Büblein hat getropfet, — der Vater hat's geklopfet zu Haus." Oder
man lese in dem schönen Märchen „Gockel, Hinkel und Gackeleia", wie der
Dichter Clemens Brentano die Eltern ihr Töchterchen Gackeleia des Ungehorsams
überführen läßt, wie der Vater im Walde gemeinsam mit der Mutter starke
Birkenreiser abreißt und schließlich das Töchterchen straft. Die vielen in die
Erzählung eingestreuten Verse sind sicher künstlerisch gedacht. Erst wird die Furcht
des Kindes geschildert:


„Vater Gockel I ich bitt' schön,
Laß das Birkenreis doch stehn.
Ach! ich bin bor Angst verwirrt,
Daß es eine Rute wird."

Und der Dichter folgt auch einer künstlerischen Idee, wenn er uns die Schilderung
nicht erspart, wie der Vater Gackeleia über das Knie legt und ihr tüchtig die
Rute gibt mit den Worten: „Keine Rute, es ist nnr — eine schöne Kunstfigur"
sowie „Filze, sitze, Domine — tut die ganze Woche weh".

In seiner „Waldheimat" schreibt Rosegger ein ergreifendes Kapitel „ums Vater¬
wort", das von hohem Kunstwerte und tiefem Ernste ist und jedem Erzieher viel zu
denken gibt. Auch hier ist der Anlaß zu den geschilderten seelischen Spannungen
der, daß der Vater „Birkenruten abschneiden" geht, die aber dann nicht gebraucht
werden.

Goethe spricht in seinem Knabemnärchen „Der neue Paris" davon, daß ein
Knabe (Goethe meint sich selbst) ein eigentümliches Abenteuer erlebt — in einem
verzauberten Garten, den ein alter Mann bewacht. Der Knabe erzählt, er habe
sich in ein orientalisches Kostüm umkleiden müssen, und fährt fort: „Nun fand ich
mich vor einem großen Spiegel in meiner Vermummung gar hübsch und gefiel
mir besser als in meinem steifen Sonntagskleide. Ich machte einige Gebärden
und Sprünge, wie ich sie von den Tänzern auf dem Meßtheater gesehen hatte.
Unter diesen sah ich in den Spiegel und erblickte zufällig das Bild einer hinter
mir befindlichen Nische. Auf ihrem weißen Grunde hingen drei grüne Strickchen,
jedes in sich auf eine Weise verschlungen, die mir in der Ferne nicht deutlich werden
wollte. Ich kehrte mich daher etwas hastig um und fragte den Alten nach der
Nische sowie nach den Strickchen. Er, ganz gefällig, holte eins herunter und zeigte


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[0553] Die Rute in der Uunst und im Leben Birke und die Tanne" die Birkenrute hinter dem Spiegel, welche die Kinder erschrocken fliehen, vorführt, — oder wenn Robert Reinick den faulen Knaben, der die Schule schwärzt und den ihm nicht gefügigen Spitz mit Schlägen bedroht, vom Vater überraschen läßt: Horch? Wer kommt? — Es ist der Vater. Streng ruft er dem Knaben zu: „Wer nichts lernt, verdienet Strafe! Sprich, und was verdienest du?" — so sollen den Lesern — Erwachsenen wie Kindern — zweifellos Erzeugnisse der Dichtkunst vorgesetzt sein, an denen sie ihr Vergnügen finden sollen. Ganz ebenso verfehlt Friedrich Gnlis niedliches Gedicht „Vom Büblein auf dem Eise", das naß wie eine Wassermaus glücklich aus dem Weiher herausgezogen ist, die besondere dichterische Wirkung mit den Schlußversen nicht; die Verse lauten: „Das Büblein hat getropfet, — der Vater hat's geklopfet zu Haus." Oder man lese in dem schönen Märchen „Gockel, Hinkel und Gackeleia", wie der Dichter Clemens Brentano die Eltern ihr Töchterchen Gackeleia des Ungehorsams überführen läßt, wie der Vater im Walde gemeinsam mit der Mutter starke Birkenreiser abreißt und schließlich das Töchterchen straft. Die vielen in die Erzählung eingestreuten Verse sind sicher künstlerisch gedacht. Erst wird die Furcht des Kindes geschildert: „Vater Gockel I ich bitt' schön, Laß das Birkenreis doch stehn. Ach! ich bin bor Angst verwirrt, Daß es eine Rute wird." Und der Dichter folgt auch einer künstlerischen Idee, wenn er uns die Schilderung nicht erspart, wie der Vater Gackeleia über das Knie legt und ihr tüchtig die Rute gibt mit den Worten: „Keine Rute, es ist nnr — eine schöne Kunstfigur" sowie „Filze, sitze, Domine — tut die ganze Woche weh". In seiner „Waldheimat" schreibt Rosegger ein ergreifendes Kapitel „ums Vater¬ wort", das von hohem Kunstwerte und tiefem Ernste ist und jedem Erzieher viel zu denken gibt. Auch hier ist der Anlaß zu den geschilderten seelischen Spannungen der, daß der Vater „Birkenruten abschneiden" geht, die aber dann nicht gebraucht werden. Goethe spricht in seinem Knabemnärchen „Der neue Paris" davon, daß ein Knabe (Goethe meint sich selbst) ein eigentümliches Abenteuer erlebt — in einem verzauberten Garten, den ein alter Mann bewacht. Der Knabe erzählt, er habe sich in ein orientalisches Kostüm umkleiden müssen, und fährt fort: „Nun fand ich mich vor einem großen Spiegel in meiner Vermummung gar hübsch und gefiel mir besser als in meinem steifen Sonntagskleide. Ich machte einige Gebärden und Sprünge, wie ich sie von den Tänzern auf dem Meßtheater gesehen hatte. Unter diesen sah ich in den Spiegel und erblickte zufällig das Bild einer hinter mir befindlichen Nische. Auf ihrem weißen Grunde hingen drei grüne Strickchen, jedes in sich auf eine Weise verschlungen, die mir in der Ferne nicht deutlich werden wollte. Ich kehrte mich daher etwas hastig um und fragte den Alten nach der Nische sowie nach den Strickchen. Er, ganz gefällig, holte eins herunter und zeigte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/553>, abgerufen am 16.05.2024.