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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Graf Julius AndrKssy

war und dem der "große Ungar" Stefan Szechenui als Knaben sagte: "Aus
dir kann alles werden, was du willst, auch Palatin von Ungarn." Wir lesen,
oder eigentlich wir erleben es dank einer meisterhaften Erzählerkunst mit, wie
Andrassu den ersten Unterricht und die Gymnasialstudien genießt. "An der Pester
Universität soll er danach Jus studiert haben." Mit einundzwanzig Jahren hält
er in der Kongregation seiner Zempliner Heimat die erste politische Rede. Der
Bewegung des Revolutionsjahres wirft er sich mit dem Feuer der Jugend in
die Arme. Im Wirbel der Zeit erhält Ungarn seine 1843 er Verfassung, ein
eigenes Ministerium, die volle staatliche Selbständigkeit. Aber der Rückschlag
kommt rasch, und bald steht ganz Ungarn seinem neuen ungekrönten Könige
Franz Joseph in Waffen gegenüber. Andrässu macht als Honvedmajor den
ganzen Winterfeldzug gegen die Kaiserlichen von 1848 auf 1849 mit. Als
Gesandter Kossuths, der die Dynastie Habsburg des Thrones für verlustig erklärt
hat, geht der junge Politiker nach Konstantinopel, sucht die Pforte vergeblich
zum Kriege gegen Österreich und Rußland zu bewegen. Der Tag von VMgos
hat inzwischen den Widerstand des nationalen Ungarn gebrochen. Acht Jahre
ißt Andrassy (der daheim in contumaciam zum Tode verurteilt und in ekki^is
gehängt wird) zu Paris das Brot der Verbannung. Dank der Unterstützung
seiner reichen Mutter ißt er dieses Brot als Grandseigneur, brilliert in der
Pariser Gesellschaft als geistreicher, witziger, unwiderstehlicher Kavalier, als der
"beau penäu as 1848". Sein unglückliches Vaterland ist unterdessen unter
das Schwert gebeugt, als ein erobertes, rechtloses Land behandelt worden.
Aber Kriegsgericht, Todesurteile und "Bachhuszaren" haben Ungarn nicht von
seinem passiven Widerstande abzubringen vermocht. Im September 1857 kehrt
Andrassv begnadigt heim, und zwei Jahre später kracht das alte absolute Öster¬
reich in allen Fugen.

Der erste zaghafte Schritt zu konstitutionellen Einrichtungen, Goluchowskis
Oktoberdiplom von 1860, wollte das Hauptgewicht der Verfassung (wenn man
von einer solchen überhaupt reden kann) in die Landtage legen, die im Geiste
des Vormärz wieder aufleben sollten. So wollte man, als ein großmütiges
Geschenk und nicht im Wege einer freien Vereinbarung zwischen Krone und
Nation, etwa die alte ungarische Verfassung, wie sie vor 1848 bestanden,
bewilligen. Aber die Ungarn lehnten es dankend ab, eine Provinz dieses
föderalistischen Österreich zu werden. Der gefeiertste und verehrteste Mann des
Landes, Franz Deal, der Mann des strengen Rechtes, der Gewalt hüben und
drüben verabscheute, sand gegen das Oktoberdiplom kraftvolle Worte der Ab¬
wehr. Goluchowskis Werk errang aber auch sonst nirgends Beifall. So ist
dieses "beständige und unveränderliche Staatsgrundgesetz" auch nicht eine Stunde
lang Wahrheit geworden. Der Pole fiel, Schmerling kam.

Das Werk des neuen Staatsministers, das Patent vom 26. Februar 1861,
war eine wirkliche Verfassung, wenn auch keine allzu freisinnige, und ist in der
Hauptsache für Zisleithanien bis heute geltend geblieben. Das Februarpatent


Graf Julius AndrKssy

war und dem der „große Ungar" Stefan Szechenui als Knaben sagte: „Aus
dir kann alles werden, was du willst, auch Palatin von Ungarn." Wir lesen,
oder eigentlich wir erleben es dank einer meisterhaften Erzählerkunst mit, wie
Andrassu den ersten Unterricht und die Gymnasialstudien genießt. „An der Pester
Universität soll er danach Jus studiert haben." Mit einundzwanzig Jahren hält
er in der Kongregation seiner Zempliner Heimat die erste politische Rede. Der
Bewegung des Revolutionsjahres wirft er sich mit dem Feuer der Jugend in
die Arme. Im Wirbel der Zeit erhält Ungarn seine 1843 er Verfassung, ein
eigenes Ministerium, die volle staatliche Selbständigkeit. Aber der Rückschlag
kommt rasch, und bald steht ganz Ungarn seinem neuen ungekrönten Könige
Franz Joseph in Waffen gegenüber. Andrässu macht als Honvedmajor den
ganzen Winterfeldzug gegen die Kaiserlichen von 1848 auf 1849 mit. Als
Gesandter Kossuths, der die Dynastie Habsburg des Thrones für verlustig erklärt
hat, geht der junge Politiker nach Konstantinopel, sucht die Pforte vergeblich
zum Kriege gegen Österreich und Rußland zu bewegen. Der Tag von VMgos
hat inzwischen den Widerstand des nationalen Ungarn gebrochen. Acht Jahre
ißt Andrassy (der daheim in contumaciam zum Tode verurteilt und in ekki^is
gehängt wird) zu Paris das Brot der Verbannung. Dank der Unterstützung
seiner reichen Mutter ißt er dieses Brot als Grandseigneur, brilliert in der
Pariser Gesellschaft als geistreicher, witziger, unwiderstehlicher Kavalier, als der
„beau penäu as 1848". Sein unglückliches Vaterland ist unterdessen unter
das Schwert gebeugt, als ein erobertes, rechtloses Land behandelt worden.
Aber Kriegsgericht, Todesurteile und „Bachhuszaren" haben Ungarn nicht von
seinem passiven Widerstande abzubringen vermocht. Im September 1857 kehrt
Andrassv begnadigt heim, und zwei Jahre später kracht das alte absolute Öster¬
reich in allen Fugen.

Der erste zaghafte Schritt zu konstitutionellen Einrichtungen, Goluchowskis
Oktoberdiplom von 1860, wollte das Hauptgewicht der Verfassung (wenn man
von einer solchen überhaupt reden kann) in die Landtage legen, die im Geiste
des Vormärz wieder aufleben sollten. So wollte man, als ein großmütiges
Geschenk und nicht im Wege einer freien Vereinbarung zwischen Krone und
Nation, etwa die alte ungarische Verfassung, wie sie vor 1848 bestanden,
bewilligen. Aber die Ungarn lehnten es dankend ab, eine Provinz dieses
föderalistischen Österreich zu werden. Der gefeiertste und verehrteste Mann des
Landes, Franz Deal, der Mann des strengen Rechtes, der Gewalt hüben und
drüben verabscheute, sand gegen das Oktoberdiplom kraftvolle Worte der Ab¬
wehr. Goluchowskis Werk errang aber auch sonst nirgends Beifall. So ist
dieses „beständige und unveränderliche Staatsgrundgesetz" auch nicht eine Stunde
lang Wahrheit geworden. Der Pole fiel, Schmerling kam.

Das Werk des neuen Staatsministers, das Patent vom 26. Februar 1861,
war eine wirkliche Verfassung, wenn auch keine allzu freisinnige, und ist in der
Hauptsache für Zisleithanien bis heute geltend geblieben. Das Februarpatent


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/558>, abgerufen am 16.05.2024.