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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die Comenius-Gesellschaft

daß damals in Deutschland die Einsicht in die Bedeutung und das Wesen der
Volkserziehung vielfach fehlte, ja, daß der Begriff und selbst das Wort, das
heute jedermann geläufig ist, erst in das Bewußtsein weiterer Schichten ein¬
geführt werden mußte. Wir lassen es dahingestellt sein, ob auf dem Boden
der Lehre, welche die Natur des Menschen ihrem Wesen nach für völlig verderbt
erklärt, die Idee der Entwicklung des guten Kerns im Menschen oder mit anderen
Worten die Erziehungsidee überhaupt gedeihen kann, jedenfalls lag es am Tage
daß, ehe der Erziehungsgedanke wieder in das allgemeine Bewußtsein getreten
war, eine allgemeinere Mitwirkung für die Ziele, die wir uns gesteckt hatten,
kaum zu erhoffen war. Die gewaltige Werbetätigkeit, die von der Comenius-
Gesellschaft in den ersten Jahren ihres Bestehens entfaltet wurde, galt daher der
Aufklärung über diesen Punkt, und wenn sie auch nur diesen einen Erfolg,
nämlich die Weckung eines größeren Interesses und Verständnisses für die Volks¬
erziehung, erzielt hätte, so dürfte sie hoffen, ein nützliches Werk getan zu haben;
dieser wie alle weiteren Schritte geschahen lediglich aus eigner Kraft und ohne
jegliche Hilfe der großen Machtfaktoren, die in Staat und Kirche das ganze
öffentliche Leben maßgebend bestimmten.

Aber die Comenius-Gesellschaft hat sich auf diese Tätigkeit keineswegs
beschränkt; nachdem ihre Organisation gefestigt war, hat sie unter ihren Mit¬
gliedern eine Verständigung über die Richtlinien ihres Vorgehens hergestellt und
die Lösung praktischer Aufgaben volkserzieherischen Charakters in die Hand
genommen. Das erste praktische Ziel war die Einrichtung von Volkshochschul¬
kursen, und es ist heute anerkannt, daß in Deutschland keine Organisation
früher und keine planmäßiger für diese Aufgabe eingetreten ist als unsere
Gesellschaft. Der Vortrag, welcher von Wilhelm Rein aus Jena in der Haupt¬
versammlung der Comenius-Gesellschaft am 26. Mai 1896 zu Berlin gehalten
wurde, hat den Stein ins Rollen gebracht; die Berliner Universitätslehrer, die am
4. Januar 1897 den entscheidenden Schritt beim Senat taten, darunter Hermann
Diels, Wilhelm Dilthey, Otto Gierke, Wilhelm Kahl, Paul Kleinere und Friedrich
Paulsen, waren meist zugleich Mitglieder unserer Gesellschaft.

Wir müssen es uns hier versagen, auf weitere Einzelheiten einzugehen; wer sich
über die Arbeiten der Comenius-Gesellschaft für die Errichtung von Bücher-und
Lesehallen, von Arbeiterbildungskursen, Landerziehungsheimen, Volksheimen,Jugend-
heimen und neuerdings für die Förderung der staatsbürgerlichen Erziehung näher
unterrichten will, mag sich die Jahresberichte oder die Werbeschriften der
Comenius-Gesellschaft von der Geschäftsstelle (Berlin-Charlottenburg, Berliner
Straße 22) kommen lassen.

Nur ein wichtiger Punkt muß zum Schluß noch erwähnt werden, nämlich
die Stellung, welche die Comenius-Gesellschaft in den geistigen Kämpfen der
Gegenwart eingenommen hat.

Es erschien uus, wie oben betont, aussichtslos, auf die Erziehung zur
Persönlichkeit und auf die Selbsterziehung und Selbstachtung wirksam hinzuarbeiten,


Die Comenius-Gesellschaft

daß damals in Deutschland die Einsicht in die Bedeutung und das Wesen der
Volkserziehung vielfach fehlte, ja, daß der Begriff und selbst das Wort, das
heute jedermann geläufig ist, erst in das Bewußtsein weiterer Schichten ein¬
geführt werden mußte. Wir lassen es dahingestellt sein, ob auf dem Boden
der Lehre, welche die Natur des Menschen ihrem Wesen nach für völlig verderbt
erklärt, die Idee der Entwicklung des guten Kerns im Menschen oder mit anderen
Worten die Erziehungsidee überhaupt gedeihen kann, jedenfalls lag es am Tage
daß, ehe der Erziehungsgedanke wieder in das allgemeine Bewußtsein getreten
war, eine allgemeinere Mitwirkung für die Ziele, die wir uns gesteckt hatten,
kaum zu erhoffen war. Die gewaltige Werbetätigkeit, die von der Comenius-
Gesellschaft in den ersten Jahren ihres Bestehens entfaltet wurde, galt daher der
Aufklärung über diesen Punkt, und wenn sie auch nur diesen einen Erfolg,
nämlich die Weckung eines größeren Interesses und Verständnisses für die Volks¬
erziehung, erzielt hätte, so dürfte sie hoffen, ein nützliches Werk getan zu haben;
dieser wie alle weiteren Schritte geschahen lediglich aus eigner Kraft und ohne
jegliche Hilfe der großen Machtfaktoren, die in Staat und Kirche das ganze
öffentliche Leben maßgebend bestimmten.

Aber die Comenius-Gesellschaft hat sich auf diese Tätigkeit keineswegs
beschränkt; nachdem ihre Organisation gefestigt war, hat sie unter ihren Mit¬
gliedern eine Verständigung über die Richtlinien ihres Vorgehens hergestellt und
die Lösung praktischer Aufgaben volkserzieherischen Charakters in die Hand
genommen. Das erste praktische Ziel war die Einrichtung von Volkshochschul¬
kursen, und es ist heute anerkannt, daß in Deutschland keine Organisation
früher und keine planmäßiger für diese Aufgabe eingetreten ist als unsere
Gesellschaft. Der Vortrag, welcher von Wilhelm Rein aus Jena in der Haupt¬
versammlung der Comenius-Gesellschaft am 26. Mai 1896 zu Berlin gehalten
wurde, hat den Stein ins Rollen gebracht; die Berliner Universitätslehrer, die am
4. Januar 1897 den entscheidenden Schritt beim Senat taten, darunter Hermann
Diels, Wilhelm Dilthey, Otto Gierke, Wilhelm Kahl, Paul Kleinere und Friedrich
Paulsen, waren meist zugleich Mitglieder unserer Gesellschaft.

Wir müssen es uns hier versagen, auf weitere Einzelheiten einzugehen; wer sich
über die Arbeiten der Comenius-Gesellschaft für die Errichtung von Bücher-und
Lesehallen, von Arbeiterbildungskursen, Landerziehungsheimen, Volksheimen,Jugend-
heimen und neuerdings für die Förderung der staatsbürgerlichen Erziehung näher
unterrichten will, mag sich die Jahresberichte oder die Werbeschriften der
Comenius-Gesellschaft von der Geschäftsstelle (Berlin-Charlottenburg, Berliner
Straße 22) kommen lassen.

Nur ein wichtiger Punkt muß zum Schluß noch erwähnt werden, nämlich
die Stellung, welche die Comenius-Gesellschaft in den geistigen Kämpfen der
Gegenwart eingenommen hat.

Es erschien uus, wie oben betont, aussichtslos, auf die Erziehung zur
Persönlichkeit und auf die Selbsterziehung und Selbstachtung wirksam hinzuarbeiten,


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[0575] Die Comenius-Gesellschaft daß damals in Deutschland die Einsicht in die Bedeutung und das Wesen der Volkserziehung vielfach fehlte, ja, daß der Begriff und selbst das Wort, das heute jedermann geläufig ist, erst in das Bewußtsein weiterer Schichten ein¬ geführt werden mußte. Wir lassen es dahingestellt sein, ob auf dem Boden der Lehre, welche die Natur des Menschen ihrem Wesen nach für völlig verderbt erklärt, die Idee der Entwicklung des guten Kerns im Menschen oder mit anderen Worten die Erziehungsidee überhaupt gedeihen kann, jedenfalls lag es am Tage daß, ehe der Erziehungsgedanke wieder in das allgemeine Bewußtsein getreten war, eine allgemeinere Mitwirkung für die Ziele, die wir uns gesteckt hatten, kaum zu erhoffen war. Die gewaltige Werbetätigkeit, die von der Comenius- Gesellschaft in den ersten Jahren ihres Bestehens entfaltet wurde, galt daher der Aufklärung über diesen Punkt, und wenn sie auch nur diesen einen Erfolg, nämlich die Weckung eines größeren Interesses und Verständnisses für die Volks¬ erziehung, erzielt hätte, so dürfte sie hoffen, ein nützliches Werk getan zu haben; dieser wie alle weiteren Schritte geschahen lediglich aus eigner Kraft und ohne jegliche Hilfe der großen Machtfaktoren, die in Staat und Kirche das ganze öffentliche Leben maßgebend bestimmten. Aber die Comenius-Gesellschaft hat sich auf diese Tätigkeit keineswegs beschränkt; nachdem ihre Organisation gefestigt war, hat sie unter ihren Mit¬ gliedern eine Verständigung über die Richtlinien ihres Vorgehens hergestellt und die Lösung praktischer Aufgaben volkserzieherischen Charakters in die Hand genommen. Das erste praktische Ziel war die Einrichtung von Volkshochschul¬ kursen, und es ist heute anerkannt, daß in Deutschland keine Organisation früher und keine planmäßiger für diese Aufgabe eingetreten ist als unsere Gesellschaft. Der Vortrag, welcher von Wilhelm Rein aus Jena in der Haupt¬ versammlung der Comenius-Gesellschaft am 26. Mai 1896 zu Berlin gehalten wurde, hat den Stein ins Rollen gebracht; die Berliner Universitätslehrer, die am 4. Januar 1897 den entscheidenden Schritt beim Senat taten, darunter Hermann Diels, Wilhelm Dilthey, Otto Gierke, Wilhelm Kahl, Paul Kleinere und Friedrich Paulsen, waren meist zugleich Mitglieder unserer Gesellschaft. Wir müssen es uns hier versagen, auf weitere Einzelheiten einzugehen; wer sich über die Arbeiten der Comenius-Gesellschaft für die Errichtung von Bücher-und Lesehallen, von Arbeiterbildungskursen, Landerziehungsheimen, Volksheimen,Jugend- heimen und neuerdings für die Förderung der staatsbürgerlichen Erziehung näher unterrichten will, mag sich die Jahresberichte oder die Werbeschriften der Comenius-Gesellschaft von der Geschäftsstelle (Berlin-Charlottenburg, Berliner Straße 22) kommen lassen. Nur ein wichtiger Punkt muß zum Schluß noch erwähnt werden, nämlich die Stellung, welche die Comenius-Gesellschaft in den geistigen Kämpfen der Gegenwart eingenommen hat. Es erschien uus, wie oben betont, aussichtslos, auf die Erziehung zur Persönlichkeit und auf die Selbsterziehung und Selbstachtung wirksam hinzuarbeiten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/575>, abgerufen am 15.05.2024.