Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Für das Erbrecht des Reiches

ratung des Bürgerlichen Gesetzbuches dahin gestrebt, das schrankenlose Ver¬
wandtenerbrecht im Interesse der Staatsgesamtheit zu begrenzen. Sie betonten,
wie aus dem Bericht der XII. Kommission des Reichstages vom 12. Juni 1896
hervorgeht, daß gerade in der Aufstellung einer Erbrechtsgrenze eine Gewähr
für die Erhaltung der Familie und zugleich ein Damm gegen die dem Erb¬
recht feindlichen sozialistischen Bestrebungen zu finden sei. Kürzer und schlagender
kann nicht dargetan werden, wie ein grundsätzlicher Widerstand gegen not¬
wendige Reformen zwar nicht absichtlich, wohl aber im Erfolge den: gewalt¬
samen Umsturz in die Hände arbeitet.

Da es jedoch ein Vertreter des Zentrums war, der sich zu dem ?i inLipiis
ob8ta hinreißen ließ -- offenbar in der Hitze des Gefechts und weil wirklich
keine besseren Gründe gegen die Erbrechtsreform vorhanden waren --, so wird
es für den Leser von Interesse sein, zu erfahren, wie ganz anders das führende
Organ der Partei, die "Köln. Volks-Zeitung", zu der wichtigen Frage Stellung
nahm. Sie widmet dem Vorschlage der Errichtung eines Reichserbrechts in
der Nummer vom 10. Februar 1908 eine eingehende Besprechung unter dein
Titel "Reform des Erbrechts" und sagt darin wörtlich:

"Zuzugeben ist, daß in dem ethischen Bewußtsein der heutigen Generation
das Erbrecht der ganz entfernten Seitenverwandten, welche vielfach mit den:
Erblasser in gar keiner Verbindung mehr gestanden haben, welche oft sogar
mit dem Erblasser gar nicht mehr bekannt waren, keine ausreichende Stütze
mehr findet. Man versteht es gewiß heute nicht mehr recht, wenn nach dem
Tode eines kinderlosen, reichen Erblassers Polizei und Gerichte der verschiedensten
Weltteile in Bewegung gesetzt werden, und ein Aufgebotsverfahren durch die
Zeitungen ergeht, um noch irgendeinen entfernten Seitenverwandten auf¬
zuspüren, der die Güte haben könnte, die Behörden von der für sie so
lästrgen Erbschaft zu befreien. Für solche Erben, welche selbst nie daran
gedacht haben, daß ihnen noch einmal eine solche Erbschaft in den Schoß
Ma konnte, hat der Volkswitz den bezeichnenden Ausdruck der "lachenden
^rden' geprägt. Er enthält eine beißende Satire, welche besagt, daß das
Volk kein Verständnis dafür hat, wie ein Erbe, der beim Tode des Erblassers
nur "lacht", dafür mit dem Nachlaß des Erblassers beschenkt werden soll----
Der Gedanke "mein Erbe ist das Vaterland" mag unter den heutigen
Verhältnissen vielfach etwas Erhebenderes haben, als der Gedanke: mein
Erbe wird ein entfernter Verwandter sein, den ich gar nicht kenne, der mir
ganz gleichgültig ist, der sich nie um mich gekümmert hat, oder von dem
ich vielleicht sogar schlecht behandelt worden bin."

So denkt ein hervorragendes Mitglied des Zentrums über die Reform
des Erbrechts.

Mit armseligen lateinischen Gemeinplätzen aber werden die Probleme der
Menschheit nicht gelöst.


Für das Erbrecht des Reiches

ratung des Bürgerlichen Gesetzbuches dahin gestrebt, das schrankenlose Ver¬
wandtenerbrecht im Interesse der Staatsgesamtheit zu begrenzen. Sie betonten,
wie aus dem Bericht der XII. Kommission des Reichstages vom 12. Juni 1896
hervorgeht, daß gerade in der Aufstellung einer Erbrechtsgrenze eine Gewähr
für die Erhaltung der Familie und zugleich ein Damm gegen die dem Erb¬
recht feindlichen sozialistischen Bestrebungen zu finden sei. Kürzer und schlagender
kann nicht dargetan werden, wie ein grundsätzlicher Widerstand gegen not¬
wendige Reformen zwar nicht absichtlich, wohl aber im Erfolge den: gewalt¬
samen Umsturz in die Hände arbeitet.

Da es jedoch ein Vertreter des Zentrums war, der sich zu dem ?i inLipiis
ob8ta hinreißen ließ — offenbar in der Hitze des Gefechts und weil wirklich
keine besseren Gründe gegen die Erbrechtsreform vorhanden waren —, so wird
es für den Leser von Interesse sein, zu erfahren, wie ganz anders das führende
Organ der Partei, die „Köln. Volks-Zeitung", zu der wichtigen Frage Stellung
nahm. Sie widmet dem Vorschlage der Errichtung eines Reichserbrechts in
der Nummer vom 10. Februar 1908 eine eingehende Besprechung unter dein
Titel „Reform des Erbrechts" und sagt darin wörtlich:

„Zuzugeben ist, daß in dem ethischen Bewußtsein der heutigen Generation
das Erbrecht der ganz entfernten Seitenverwandten, welche vielfach mit den:
Erblasser in gar keiner Verbindung mehr gestanden haben, welche oft sogar
mit dem Erblasser gar nicht mehr bekannt waren, keine ausreichende Stütze
mehr findet. Man versteht es gewiß heute nicht mehr recht, wenn nach dem
Tode eines kinderlosen, reichen Erblassers Polizei und Gerichte der verschiedensten
Weltteile in Bewegung gesetzt werden, und ein Aufgebotsverfahren durch die
Zeitungen ergeht, um noch irgendeinen entfernten Seitenverwandten auf¬
zuspüren, der die Güte haben könnte, die Behörden von der für sie so
lästrgen Erbschaft zu befreien. Für solche Erben, welche selbst nie daran
gedacht haben, daß ihnen noch einmal eine solche Erbschaft in den Schoß
Ma konnte, hat der Volkswitz den bezeichnenden Ausdruck der „lachenden
^rden' geprägt. Er enthält eine beißende Satire, welche besagt, daß das
Volk kein Verständnis dafür hat, wie ein Erbe, der beim Tode des Erblassers
nur „lacht", dafür mit dem Nachlaß des Erblassers beschenkt werden soll----
Der Gedanke „mein Erbe ist das Vaterland" mag unter den heutigen
Verhältnissen vielfach etwas Erhebenderes haben, als der Gedanke: mein
Erbe wird ein entfernter Verwandter sein, den ich gar nicht kenne, der mir
ganz gleichgültig ist, der sich nie um mich gekümmert hat, oder von dem
ich vielleicht sogar schlecht behandelt worden bin."

So denkt ein hervorragendes Mitglied des Zentrums über die Reform
des Erbrechts.

Mit armseligen lateinischen Gemeinplätzen aber werden die Probleme der
Menschheit nicht gelöst.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317014"/>
            <fw type="header" place="top"> Für das Erbrecht des Reiches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_165" prev="#ID_164"> ratung des Bürgerlichen Gesetzbuches dahin gestrebt, das schrankenlose Ver¬<lb/>
wandtenerbrecht im Interesse der Staatsgesamtheit zu begrenzen. Sie betonten,<lb/>
wie aus dem Bericht der XII. Kommission des Reichstages vom 12. Juni 1896<lb/>
hervorgeht, daß gerade in der Aufstellung einer Erbrechtsgrenze eine Gewähr<lb/>
für die Erhaltung der Familie und zugleich ein Damm gegen die dem Erb¬<lb/>
recht feindlichen sozialistischen Bestrebungen zu finden sei. Kürzer und schlagender<lb/>
kann nicht dargetan werden, wie ein grundsätzlicher Widerstand gegen not¬<lb/>
wendige Reformen zwar nicht absichtlich, wohl aber im Erfolge den: gewalt¬<lb/>
samen Umsturz in die Hände arbeitet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_166"> Da es jedoch ein Vertreter des Zentrums war, der sich zu dem ?i inLipiis<lb/>
ob8ta hinreißen ließ &#x2014; offenbar in der Hitze des Gefechts und weil wirklich<lb/>
keine besseren Gründe gegen die Erbrechtsreform vorhanden waren &#x2014;, so wird<lb/>
es für den Leser von Interesse sein, zu erfahren, wie ganz anders das führende<lb/>
Organ der Partei, die &#x201E;Köln. Volks-Zeitung", zu der wichtigen Frage Stellung<lb/>
nahm. Sie widmet dem Vorschlage der Errichtung eines Reichserbrechts in<lb/>
der Nummer vom 10. Februar 1908 eine eingehende Besprechung unter dein<lb/>
Titel &#x201E;Reform des Erbrechts" und sagt darin wörtlich:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_167"> &#x201E;Zuzugeben ist, daß in dem ethischen Bewußtsein der heutigen Generation<lb/>
das Erbrecht der ganz entfernten Seitenverwandten, welche vielfach mit den:<lb/>
Erblasser in gar keiner Verbindung mehr gestanden haben, welche oft sogar<lb/>
mit dem Erblasser gar nicht mehr bekannt waren, keine ausreichende Stütze<lb/>
mehr findet. Man versteht es gewiß heute nicht mehr recht, wenn nach dem<lb/>
Tode eines kinderlosen, reichen Erblassers Polizei und Gerichte der verschiedensten<lb/>
Weltteile in Bewegung gesetzt werden, und ein Aufgebotsverfahren durch die<lb/>
Zeitungen ergeht, um noch irgendeinen entfernten Seitenverwandten auf¬<lb/>
zuspüren, der die Güte haben könnte, die Behörden von der für sie so<lb/>
lästrgen Erbschaft zu befreien. Für solche Erben, welche selbst nie daran<lb/>
gedacht haben, daß ihnen noch einmal eine solche Erbschaft in den Schoß<lb/>
Ma konnte, hat der Volkswitz den bezeichnenden Ausdruck der &#x201E;lachenden<lb/>
^rden' geprägt. Er enthält eine beißende Satire, welche besagt, daß das<lb/>
Volk kein Verständnis dafür hat, wie ein Erbe, der beim Tode des Erblassers<lb/>
nur &#x201E;lacht", dafür mit dem Nachlaß des Erblassers beschenkt werden soll----<lb/>
Der Gedanke &#x201E;mein Erbe ist das Vaterland" mag unter den heutigen<lb/>
Verhältnissen vielfach etwas Erhebenderes haben, als der Gedanke: mein<lb/>
Erbe wird ein entfernter Verwandter sein, den ich gar nicht kenne, der mir<lb/>
ganz gleichgültig ist, der sich nie um mich gekümmert hat, oder von dem<lb/>
ich vielleicht sogar schlecht behandelt worden bin."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_168"> So denkt ein hervorragendes Mitglied des Zentrums über die Reform<lb/>
des Erbrechts.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_169"> Mit armseligen lateinischen Gemeinplätzen aber werden die Probleme der<lb/>
Menschheit nicht gelöst.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0063] Für das Erbrecht des Reiches ratung des Bürgerlichen Gesetzbuches dahin gestrebt, das schrankenlose Ver¬ wandtenerbrecht im Interesse der Staatsgesamtheit zu begrenzen. Sie betonten, wie aus dem Bericht der XII. Kommission des Reichstages vom 12. Juni 1896 hervorgeht, daß gerade in der Aufstellung einer Erbrechtsgrenze eine Gewähr für die Erhaltung der Familie und zugleich ein Damm gegen die dem Erb¬ recht feindlichen sozialistischen Bestrebungen zu finden sei. Kürzer und schlagender kann nicht dargetan werden, wie ein grundsätzlicher Widerstand gegen not¬ wendige Reformen zwar nicht absichtlich, wohl aber im Erfolge den: gewalt¬ samen Umsturz in die Hände arbeitet. Da es jedoch ein Vertreter des Zentrums war, der sich zu dem ?i inLipiis ob8ta hinreißen ließ — offenbar in der Hitze des Gefechts und weil wirklich keine besseren Gründe gegen die Erbrechtsreform vorhanden waren —, so wird es für den Leser von Interesse sein, zu erfahren, wie ganz anders das führende Organ der Partei, die „Köln. Volks-Zeitung", zu der wichtigen Frage Stellung nahm. Sie widmet dem Vorschlage der Errichtung eines Reichserbrechts in der Nummer vom 10. Februar 1908 eine eingehende Besprechung unter dein Titel „Reform des Erbrechts" und sagt darin wörtlich: „Zuzugeben ist, daß in dem ethischen Bewußtsein der heutigen Generation das Erbrecht der ganz entfernten Seitenverwandten, welche vielfach mit den: Erblasser in gar keiner Verbindung mehr gestanden haben, welche oft sogar mit dem Erblasser gar nicht mehr bekannt waren, keine ausreichende Stütze mehr findet. Man versteht es gewiß heute nicht mehr recht, wenn nach dem Tode eines kinderlosen, reichen Erblassers Polizei und Gerichte der verschiedensten Weltteile in Bewegung gesetzt werden, und ein Aufgebotsverfahren durch die Zeitungen ergeht, um noch irgendeinen entfernten Seitenverwandten auf¬ zuspüren, der die Güte haben könnte, die Behörden von der für sie so lästrgen Erbschaft zu befreien. Für solche Erben, welche selbst nie daran gedacht haben, daß ihnen noch einmal eine solche Erbschaft in den Schoß Ma konnte, hat der Volkswitz den bezeichnenden Ausdruck der „lachenden ^rden' geprägt. Er enthält eine beißende Satire, welche besagt, daß das Volk kein Verständnis dafür hat, wie ein Erbe, der beim Tode des Erblassers nur „lacht", dafür mit dem Nachlaß des Erblassers beschenkt werden soll---- Der Gedanke „mein Erbe ist das Vaterland" mag unter den heutigen Verhältnissen vielfach etwas Erhebenderes haben, als der Gedanke: mein Erbe wird ein entfernter Verwandter sein, den ich gar nicht kenne, der mir ganz gleichgültig ist, der sich nie um mich gekümmert hat, oder von dem ich vielleicht sogar schlecht behandelt worden bin." So denkt ein hervorragendes Mitglied des Zentrums über die Reform des Erbrechts. Mit armseligen lateinischen Gemeinplätzen aber werden die Probleme der Menschheit nicht gelöst.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/63
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/63>, abgerufen am 15.05.2024.