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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Im Flecken

"Aber sage mir, Alexej, was für eine Fratze machte er, während du ihm
so antwortetest?"

"Er lobte immer. ,Gut, gut/ sprach er. .Das gefällt mir. Das ist eine
reine Sache. Tit Grigorjewitsch ist ein Kaufmann ersten Ranges/"
"

"Solch ein Judas I

"Der Antichrist selbst."

"Ich bin neugierig, was er morgen unternehmen wird."

"Tit Grigorjewitsch. . . ."

"Was?"

"Man muß ihm einen Aufpasser geben."

"Wie, einen Aufpasser?"

"Der ihn nicht aus den Augen läßt, ihm folgt, gleich dabei ist, wenn er
mit jemand spricht."

"Ja, Bruder, das ist ein guter Rat. Wen nehmen wir dazu?"

"Ich denke, Jgnatij Leontjewitsch könnte man dazu brauchen. Zu solchen
Sachen ist der wohl gerade recht."

"Der junge Hund! Na ja, freilich, schlau ist der Racker. Gut, schicke mir
den Jgnatij."

Wieder brach der Tag an, und wieder ließ Räbzow sich nur zum Mittagessen
sehen. Über das, was er trieb, verlor er keine Silbe. Am Abend trat Ssurikow
lachend in das Kabinett.

"Hat er mich müde gemacht!" rief er. "Bei Gott, ich fühle meine Beine
nicht. Und er, der alte Teufel, wanderte immer vorwärts. Das ist gar kein
Mensch. Das ist eine Dampfmaschine."

"Wohin gingt ihr?"

"Sehen Sie, Onkelchen, wie er nur das Haus verließ, war ich gleich da.
,Ach, Kusma Karpowitsch, Sie belieben schon so früh auszugehen I' .Höre, junger
Mensch/ sagte er, ,du bist wohl einer von den Botscharowschen?' .Sie brauchen
gar nicht zu fragen, Väterchen/ sagte ich; ,wo finden Sie hier im Flecken einen,
der nicht ein Botscharowscher wäre!' .Ob das wohl so ist?' sagte er. .Gewiß/
sagte ich, .nicht allein im Flecken, sondern im ganzen Kreise können Sie mit der
Laterne nach jemand suchen, der nicht bei Tit Grigorjewitsch in der Tasche säße.'"

"Bravo, Jgnaschka!" lobte Botscharow, "Dafür hast du zehn Rubel verdient."

"Danke, Onkelchen. Kusma Karpowitsch versprach mir auch zehn Rubel,
wenn ich ihn führen und ihm alles zeigen würde, aber gegeben hat er nicht eine
Kopeke, der Geizhals. Ich hoffe, Sie zahlen mir die zehn Rubel gleich aus,
Onkelchen."

"Da, nimm, Blutsauger. Wohin ließ er sich führen?"

"Danke. Er fragte, wohin ich ginge. Ich sagte ihm, ich müßte zu einigen
Mietern, die mit der Zahlung säumig seien. Ob Sie viele Räume zu vermieten
hätten, fragte er. Die Zahl könne ich ihm nicht nennen, sagte ich, denn sie sei
zu groß und auch unbestimmt, da Sie stets neue Häuser zubanden und zukauften.
Er glaube mir nicht recht, meinte er, aber ich solle ihn führen; er möchte gern
alle Ihre Häuser und Grundstücke sehen. Und denken Sie sich, wir sind wirklich
überall gewesen, im Flecken, im Vorstecker und am Bache. Hat der die Augen
aufgerissen!"


Im Flecken

„Aber sage mir, Alexej, was für eine Fratze machte er, während du ihm
so antwortetest?"

„Er lobte immer. ,Gut, gut/ sprach er. .Das gefällt mir. Das ist eine
reine Sache. Tit Grigorjewitsch ist ein Kaufmann ersten Ranges/"
"

„Solch ein Judas I

„Der Antichrist selbst."

„Ich bin neugierig, was er morgen unternehmen wird."

„Tit Grigorjewitsch. . . ."

„Was?"

„Man muß ihm einen Aufpasser geben."

„Wie, einen Aufpasser?"

„Der ihn nicht aus den Augen läßt, ihm folgt, gleich dabei ist, wenn er
mit jemand spricht."

„Ja, Bruder, das ist ein guter Rat. Wen nehmen wir dazu?"

„Ich denke, Jgnatij Leontjewitsch könnte man dazu brauchen. Zu solchen
Sachen ist der wohl gerade recht."

„Der junge Hund! Na ja, freilich, schlau ist der Racker. Gut, schicke mir
den Jgnatij."

Wieder brach der Tag an, und wieder ließ Räbzow sich nur zum Mittagessen
sehen. Über das, was er trieb, verlor er keine Silbe. Am Abend trat Ssurikow
lachend in das Kabinett.

„Hat er mich müde gemacht!" rief er. „Bei Gott, ich fühle meine Beine
nicht. Und er, der alte Teufel, wanderte immer vorwärts. Das ist gar kein
Mensch. Das ist eine Dampfmaschine."

„Wohin gingt ihr?"

„Sehen Sie, Onkelchen, wie er nur das Haus verließ, war ich gleich da.
,Ach, Kusma Karpowitsch, Sie belieben schon so früh auszugehen I' .Höre, junger
Mensch/ sagte er, ,du bist wohl einer von den Botscharowschen?' .Sie brauchen
gar nicht zu fragen, Väterchen/ sagte ich; ,wo finden Sie hier im Flecken einen,
der nicht ein Botscharowscher wäre!' .Ob das wohl so ist?' sagte er. .Gewiß/
sagte ich, .nicht allein im Flecken, sondern im ganzen Kreise können Sie mit der
Laterne nach jemand suchen, der nicht bei Tit Grigorjewitsch in der Tasche säße.'"

„Bravo, Jgnaschka!" lobte Botscharow, „Dafür hast du zehn Rubel verdient."

„Danke, Onkelchen. Kusma Karpowitsch versprach mir auch zehn Rubel,
wenn ich ihn führen und ihm alles zeigen würde, aber gegeben hat er nicht eine
Kopeke, der Geizhals. Ich hoffe, Sie zahlen mir die zehn Rubel gleich aus,
Onkelchen."

„Da, nimm, Blutsauger. Wohin ließ er sich führen?"

„Danke. Er fragte, wohin ich ginge. Ich sagte ihm, ich müßte zu einigen
Mietern, die mit der Zahlung säumig seien. Ob Sie viele Räume zu vermieten
hätten, fragte er. Die Zahl könne ich ihm nicht nennen, sagte ich, denn sie sei
zu groß und auch unbestimmt, da Sie stets neue Häuser zubanden und zukauften.
Er glaube mir nicht recht, meinte er, aber ich solle ihn führen; er möchte gern
alle Ihre Häuser und Grundstücke sehen. Und denken Sie sich, wir sind wirklich
überall gewesen, im Flecken, im Vorstecker und am Bache. Hat der die Augen
aufgerissen!"


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[0638] Im Flecken „Aber sage mir, Alexej, was für eine Fratze machte er, während du ihm so antwortetest?" „Er lobte immer. ,Gut, gut/ sprach er. .Das gefällt mir. Das ist eine reine Sache. Tit Grigorjewitsch ist ein Kaufmann ersten Ranges/" " „Solch ein Judas I „Der Antichrist selbst." „Ich bin neugierig, was er morgen unternehmen wird." „Tit Grigorjewitsch. . . ." „Was?" „Man muß ihm einen Aufpasser geben." „Wie, einen Aufpasser?" „Der ihn nicht aus den Augen läßt, ihm folgt, gleich dabei ist, wenn er mit jemand spricht." „Ja, Bruder, das ist ein guter Rat. Wen nehmen wir dazu?" „Ich denke, Jgnatij Leontjewitsch könnte man dazu brauchen. Zu solchen Sachen ist der wohl gerade recht." „Der junge Hund! Na ja, freilich, schlau ist der Racker. Gut, schicke mir den Jgnatij." Wieder brach der Tag an, und wieder ließ Räbzow sich nur zum Mittagessen sehen. Über das, was er trieb, verlor er keine Silbe. Am Abend trat Ssurikow lachend in das Kabinett. „Hat er mich müde gemacht!" rief er. „Bei Gott, ich fühle meine Beine nicht. Und er, der alte Teufel, wanderte immer vorwärts. Das ist gar kein Mensch. Das ist eine Dampfmaschine." „Wohin gingt ihr?" „Sehen Sie, Onkelchen, wie er nur das Haus verließ, war ich gleich da. ,Ach, Kusma Karpowitsch, Sie belieben schon so früh auszugehen I' .Höre, junger Mensch/ sagte er, ,du bist wohl einer von den Botscharowschen?' .Sie brauchen gar nicht zu fragen, Väterchen/ sagte ich; ,wo finden Sie hier im Flecken einen, der nicht ein Botscharowscher wäre!' .Ob das wohl so ist?' sagte er. .Gewiß/ sagte ich, .nicht allein im Flecken, sondern im ganzen Kreise können Sie mit der Laterne nach jemand suchen, der nicht bei Tit Grigorjewitsch in der Tasche säße.'" „Bravo, Jgnaschka!" lobte Botscharow, „Dafür hast du zehn Rubel verdient." „Danke, Onkelchen. Kusma Karpowitsch versprach mir auch zehn Rubel, wenn ich ihn führen und ihm alles zeigen würde, aber gegeben hat er nicht eine Kopeke, der Geizhals. Ich hoffe, Sie zahlen mir die zehn Rubel gleich aus, Onkelchen." „Da, nimm, Blutsauger. Wohin ließ er sich führen?" „Danke. Er fragte, wohin ich ginge. Ich sagte ihm, ich müßte zu einigen Mietern, die mit der Zahlung säumig seien. Ob Sie viele Räume zu vermieten hätten, fragte er. Die Zahl könne ich ihm nicht nennen, sagte ich, denn sie sei zu groß und auch unbestimmt, da Sie stets neue Häuser zubanden und zukauften. Er glaube mir nicht recht, meinte er, aber ich solle ihn führen; er möchte gern alle Ihre Häuser und Grundstücke sehen. Und denken Sie sich, wir sind wirklich überall gewesen, im Flecken, im Vorstecker und am Bache. Hat der die Augen aufgerissen!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/638>, abgerufen am 15.05.2024.