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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Gskar Jäger

1901 nur als eine Etappe gelten und dürften weiteren Fortschritt nicht aus¬
schließen. -- Gewiß nicht. Nur muß es nach bedächtiger Umschau vorwärts
gehen, nicht mit nervöser Hast; sonst verfehlt man die Richtung. Wenn erprobt
werden sollte, was jede der drei Schulen vermöchte, fo konnte das doch nicht
heißen, es solle versucht werden, welche von ihnen die meisten Besucher anzulocken
wüßte. Das wäre kein edler Wettbewerb und müßte zu einer Art von Sub¬
missionsverfahren, zu einem gegenseitigen Unterbieten in den Anforderungen und
also in den Leistungen führen, bei dem wir nur immer tiefer herabsinken würden:
eine schwere soziale Gefahr. Daß die Zahl der Gymnasiasten und weiter die
der Gymnasien erheblich vermindert werde, wünschen wir selbst am dringendsten.
Vielmehr darauf kommt es an, welche Schule durch die Art, wie sie Verstand
und Willen bildet, einem jungen Geschlechte von Männern die beste Ausrüstung
fürs Leben gibt. In wenigen Jahren kann sich davon noch nichts zeigen. Erst
muß eine Reihe von Schülergenerationen den neunjährigen Lehrgang durch¬
gemacht, dann die Hochschulstudien begonnen und beendet und zuletzt, worauf
doch alles hinzielt, im Berufsleben einige Jahre sich bewährt haben. So sind
zwei Jahrzehnte ungestörter, nach innen gerichteter Arbeit das mindeste, was
wir sür alle höheren Schulen und damit auch für das in seiner Eigenart --
z. B. in der alten Geschichte, im Lateinschreiben -- sich wieder befestigende
Gymnasium verlangen müssen. Wer diesen Spielraum zu verkürzen trachtet,
liefert den Beweis, daß ihm entweder der gute Wille oder die Einsicht fehlt,
um den Gedanken eines Wettkampfes im Dienste der Nation zu verstehen.

Ob die Negierung nicht etwas hätte tun können, um unbillige Zumutungen
abzuwehren und ihr eignes Werk, so wie es gemeint war, zu schützen: diese
Frage mag anderswo erörtert werden. Eins darf hier nicht unausgesprochen
bleiben: der einflußreiche Mann, der für die Schulreform von 1900 die innere
Verantwortung trägt, Althoff, über dessen Unbeständigkeit so oft geklagt worden
ist, diesmal hat er Wort gehalten und ist von der im Juni jenes Jahres
gegebenen Zusage nicht gewichen. Mit der Erhaltung und Wiederbelebung des
Gymnasiums war es ihm ernst. Die Nachfolger, die er und der Minister, der
ihm vertraute, nach einer Periode des Interregnums gefunden haben, können
beanspruchen, daß man ihnen erst Zeit lasse, zu zeigen, wohin sie steuern wollen.

Inzwischen tun wir gut, unser Hauptaugenmerk auf die Stelle zu richten,
von der aus wir selbst helfen könnten, falls nämlich von uns, die wir am
Gymnasium und für das Gymnasium wirken, etwas versäumt sein sollte. Zu
solcher Selbstprüfung aufzufordern, wurde Oskar Jäger nicht müde. 1891, als
die schlimme Zeit begonnen hatte, sagte er am Osterdienstag in Köln: "Ich
sehe der Zukunft des höheren Unterrichts mit großer Sorge entgegen; überall
Schrecken und Beunruhigung. Das Heil wird gesucht in neuen Organisationen,
während es nur besteht in der täglichen Reformarbeit, uns selbst und den
Unterricht besser zu machen." Der erweiterten Mitarbeit an der Aufgabe,
Lehrer zu bilden, waren die letzten Jahre seines Lebens gewidmet. Ostern 1901


Gskar Jäger

1901 nur als eine Etappe gelten und dürften weiteren Fortschritt nicht aus¬
schließen. — Gewiß nicht. Nur muß es nach bedächtiger Umschau vorwärts
gehen, nicht mit nervöser Hast; sonst verfehlt man die Richtung. Wenn erprobt
werden sollte, was jede der drei Schulen vermöchte, fo konnte das doch nicht
heißen, es solle versucht werden, welche von ihnen die meisten Besucher anzulocken
wüßte. Das wäre kein edler Wettbewerb und müßte zu einer Art von Sub¬
missionsverfahren, zu einem gegenseitigen Unterbieten in den Anforderungen und
also in den Leistungen führen, bei dem wir nur immer tiefer herabsinken würden:
eine schwere soziale Gefahr. Daß die Zahl der Gymnasiasten und weiter die
der Gymnasien erheblich vermindert werde, wünschen wir selbst am dringendsten.
Vielmehr darauf kommt es an, welche Schule durch die Art, wie sie Verstand
und Willen bildet, einem jungen Geschlechte von Männern die beste Ausrüstung
fürs Leben gibt. In wenigen Jahren kann sich davon noch nichts zeigen. Erst
muß eine Reihe von Schülergenerationen den neunjährigen Lehrgang durch¬
gemacht, dann die Hochschulstudien begonnen und beendet und zuletzt, worauf
doch alles hinzielt, im Berufsleben einige Jahre sich bewährt haben. So sind
zwei Jahrzehnte ungestörter, nach innen gerichteter Arbeit das mindeste, was
wir sür alle höheren Schulen und damit auch für das in seiner Eigenart —
z. B. in der alten Geschichte, im Lateinschreiben — sich wieder befestigende
Gymnasium verlangen müssen. Wer diesen Spielraum zu verkürzen trachtet,
liefert den Beweis, daß ihm entweder der gute Wille oder die Einsicht fehlt,
um den Gedanken eines Wettkampfes im Dienste der Nation zu verstehen.

Ob die Negierung nicht etwas hätte tun können, um unbillige Zumutungen
abzuwehren und ihr eignes Werk, so wie es gemeint war, zu schützen: diese
Frage mag anderswo erörtert werden. Eins darf hier nicht unausgesprochen
bleiben: der einflußreiche Mann, der für die Schulreform von 1900 die innere
Verantwortung trägt, Althoff, über dessen Unbeständigkeit so oft geklagt worden
ist, diesmal hat er Wort gehalten und ist von der im Juni jenes Jahres
gegebenen Zusage nicht gewichen. Mit der Erhaltung und Wiederbelebung des
Gymnasiums war es ihm ernst. Die Nachfolger, die er und der Minister, der
ihm vertraute, nach einer Periode des Interregnums gefunden haben, können
beanspruchen, daß man ihnen erst Zeit lasse, zu zeigen, wohin sie steuern wollen.

Inzwischen tun wir gut, unser Hauptaugenmerk auf die Stelle zu richten,
von der aus wir selbst helfen könnten, falls nämlich von uns, die wir am
Gymnasium und für das Gymnasium wirken, etwas versäumt sein sollte. Zu
solcher Selbstprüfung aufzufordern, wurde Oskar Jäger nicht müde. 1891, als
die schlimme Zeit begonnen hatte, sagte er am Osterdienstag in Köln: „Ich
sehe der Zukunft des höheren Unterrichts mit großer Sorge entgegen; überall
Schrecken und Beunruhigung. Das Heil wird gesucht in neuen Organisationen,
während es nur besteht in der täglichen Reformarbeit, uns selbst und den
Unterricht besser zu machen." Der erweiterten Mitarbeit an der Aufgabe,
Lehrer zu bilden, waren die letzten Jahre seines Lebens gewidmet. Ostern 1901


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[0075] Gskar Jäger 1901 nur als eine Etappe gelten und dürften weiteren Fortschritt nicht aus¬ schließen. — Gewiß nicht. Nur muß es nach bedächtiger Umschau vorwärts gehen, nicht mit nervöser Hast; sonst verfehlt man die Richtung. Wenn erprobt werden sollte, was jede der drei Schulen vermöchte, fo konnte das doch nicht heißen, es solle versucht werden, welche von ihnen die meisten Besucher anzulocken wüßte. Das wäre kein edler Wettbewerb und müßte zu einer Art von Sub¬ missionsverfahren, zu einem gegenseitigen Unterbieten in den Anforderungen und also in den Leistungen führen, bei dem wir nur immer tiefer herabsinken würden: eine schwere soziale Gefahr. Daß die Zahl der Gymnasiasten und weiter die der Gymnasien erheblich vermindert werde, wünschen wir selbst am dringendsten. Vielmehr darauf kommt es an, welche Schule durch die Art, wie sie Verstand und Willen bildet, einem jungen Geschlechte von Männern die beste Ausrüstung fürs Leben gibt. In wenigen Jahren kann sich davon noch nichts zeigen. Erst muß eine Reihe von Schülergenerationen den neunjährigen Lehrgang durch¬ gemacht, dann die Hochschulstudien begonnen und beendet und zuletzt, worauf doch alles hinzielt, im Berufsleben einige Jahre sich bewährt haben. So sind zwei Jahrzehnte ungestörter, nach innen gerichteter Arbeit das mindeste, was wir sür alle höheren Schulen und damit auch für das in seiner Eigenart — z. B. in der alten Geschichte, im Lateinschreiben — sich wieder befestigende Gymnasium verlangen müssen. Wer diesen Spielraum zu verkürzen trachtet, liefert den Beweis, daß ihm entweder der gute Wille oder die Einsicht fehlt, um den Gedanken eines Wettkampfes im Dienste der Nation zu verstehen. Ob die Negierung nicht etwas hätte tun können, um unbillige Zumutungen abzuwehren und ihr eignes Werk, so wie es gemeint war, zu schützen: diese Frage mag anderswo erörtert werden. Eins darf hier nicht unausgesprochen bleiben: der einflußreiche Mann, der für die Schulreform von 1900 die innere Verantwortung trägt, Althoff, über dessen Unbeständigkeit so oft geklagt worden ist, diesmal hat er Wort gehalten und ist von der im Juni jenes Jahres gegebenen Zusage nicht gewichen. Mit der Erhaltung und Wiederbelebung des Gymnasiums war es ihm ernst. Die Nachfolger, die er und der Minister, der ihm vertraute, nach einer Periode des Interregnums gefunden haben, können beanspruchen, daß man ihnen erst Zeit lasse, zu zeigen, wohin sie steuern wollen. Inzwischen tun wir gut, unser Hauptaugenmerk auf die Stelle zu richten, von der aus wir selbst helfen könnten, falls nämlich von uns, die wir am Gymnasium und für das Gymnasium wirken, etwas versäumt sein sollte. Zu solcher Selbstprüfung aufzufordern, wurde Oskar Jäger nicht müde. 1891, als die schlimme Zeit begonnen hatte, sagte er am Osterdienstag in Köln: „Ich sehe der Zukunft des höheren Unterrichts mit großer Sorge entgegen; überall Schrecken und Beunruhigung. Das Heil wird gesucht in neuen Organisationen, während es nur besteht in der täglichen Reformarbeit, uns selbst und den Unterricht besser zu machen." Der erweiterten Mitarbeit an der Aufgabe, Lehrer zu bilden, waren die letzten Jahre seines Lebens gewidmet. Ostern 1901

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/75>, abgerufen am 04.06.2024.