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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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immer vorhanden ist. Bedenkt man dazu
noch, wie unserm Volke oft noch die wirt¬
schaftliche Tüchtigkeit fehlt, wie die gesunde
Volkskraft, die uns sonst vor andern Völkern
auszeichnete, immer mehr schwindet, wie bei
der heutigen herrschenden individualistischen
Lebensanschauung das soziale Empfinden
immer mehr geschwächt wird, dann werden
wir einsehen, das; auch in dieser Hinsicht der
Praktischen Pädagogik wichtige Aufgaben harren,
und es ist mit Freuden zu begrüßen, daß
man das Schlagwort von der staatsbürger¬
lichen Erziehung nicht mehr so einseitig auf¬
faßt und darunter allein bürgcrkundliche
Belehrung versteht, sondern daß man es zum
Weckruf macht, an den alle die Forderungen
anklingen, die aus der Not unsrer Zeit be¬
sonders deutlich herausredeu.

Bei den Erwachsenen wird in dieser
Beziehung nicht mehr allzuviel zu erreichen
sein, aber die Jugend kann durch Planvolle
Einwirkung doch in andre Bahnen geleitet
werden. Vor allem wird es hier darauf an¬
kommen, neben den höheren die Fortbildungs¬
schulen für die neuen Ziele zu erobern. Wenn
irgendwo, dann muß bei ihren Schülern die
staatsbürgerliche Erziehung den Hebel ansetzen.
Denn es ist hier zunächst von Bedeutung, daß
man die breiten Massen einmal beieinander
hat. Jede andre Einwirkung ans die schul¬
entlassene Jugend wird schon deshalb nur
geringe Erfolge haben, weil man sie in ihrer
Gesamtheit nirgends fassen kann. In Vereinen
z. B. sind es ja doch meist Freiwillige, die
erscheinen und die der Beeinflussung zugäng¬
lich sind; die aber eine Erziehung um nötigsten
hätten', bleiben in der Regel fern. In der
Fortbildungsschule hätte man sie aber alle
beieinander. Und man hat eS hier im Gegensatz
zur Volksschule mit Schülern zu tun, die
schon alter sind, die schon einen weitere"
Horizont besitzen und den Belehrungen mehr
Interesse entgegenbringen. Sie stehen schon
selber mehr im öffentlichen Leben drin und
zeigen für öffentliche Angelegenheiten mehr
Teilnahme. In diesem Alter fängt die Jugend
ober auch schon an, umworben zu werden.
Es ist bekannt, wie gerade die Sozialdemo-
kratie in den Jugendvcreinigungen für ihre
Zukunft Saat ausstreut. Das Alter vou
vierzehn bis achtzehn Jahren ist aber in

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mancher Beziehung recht kritisch, auch darin,
daß der junge Mensch in dieser Zeit sich als
Persönlichkeit zu fühlen beginnt, daß er ohne
tiefere Überlegung an allem unreife .Kritik
übt, herumnörgelt, was andre ohne ihn ge¬
schaffen haben. Und es ist mir zu bedauern,
daß der schulentlassene Knabe, der jetzt in
seinem ganzen Leben eine Führung am aller-
nötigsten hätte, ganz allein dasteht und daher
den schlechten Einflüssen ganz und gar hin¬
gegeben ist, die von losen Genossen, von
Parteien, vom öffentlichen Leben auf ihn ein¬
wirken.

Die Fortbildungsschule ist daher der
staatsbürgerlichen Erziehung auf jeden Fall
dienstbar zu machen. Gewiß soll sie jn durch
ihre ganze Arbeit die Ziele nationaler Er¬
ziehung erreichen, sie soll den Schüler zum
tüchtigen Berufsarbeitcr heranbilden, sie soll
durch Pflege von Spiel und Wanderung,
durch Turnübungen den Körper kräftigen, sie
soll durch deu Unterricht, durch Unterhaltuugs-
abcude, durch Persönliche Beeinflussung das
sittliche Empfinden stärken, aber sie soll ebenso
wie die höheren Schulen zu einer tieferen
Einsicht des gesamten öffentlichen Lebens, der
staatlichen Einrichtungen führen. Jn der
Volksschule ist diese Erkenntnis erst anzu¬
bahnen, hier aber ist sie zu vervollständigen,
zu vertiefen. Jn der Volksschule kann man
von der Einführung eines neuen Faches Wohl
absehen, da genügen reichliche Hinweise in
der Geschichte, wo eben die Geschichte der
Gegenwart mehr betont werden muß, ferner
in der Geographie und im Deutschen. Anders
in der Fortbildungsschule. Hier wird man
kaum um die Einführung eines besonderen
Faches, eben der Staats- oder Bürgerkunde,
mit einer Wochenstunde herumkommen. An
lebensvollen Stoff wird's nicht fehlen.

Freilich muß dieser Stoff und einem ge¬
wissen Takt erteilt werden. Zunächst musz er
auf jeden Fall objektiv sein. Das mag
vielleicht nicht immer genügend beachtet werden,
denn in unsern Tagen, wo dieWeltanschauungen
oft so unversöhnlich aufeinanderstoßen, besteht
die Gefahr nur zu sehr, daß er Parteipolitisch
gefärbt wird. Die Schule sollte aber in dem
Sinne nie zum Politiknm gemacht werden,
daß in ihr Parteipolitik getrieben würde. Es
wäre entschieden zu verwerfen, daß in ihr?

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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immer vorhanden ist. Bedenkt man dazu
noch, wie unserm Volke oft noch die wirt¬
schaftliche Tüchtigkeit fehlt, wie die gesunde
Volkskraft, die uns sonst vor andern Völkern
auszeichnete, immer mehr schwindet, wie bei
der heutigen herrschenden individualistischen
Lebensanschauung das soziale Empfinden
immer mehr geschwächt wird, dann werden
wir einsehen, das; auch in dieser Hinsicht der
Praktischen Pädagogik wichtige Aufgaben harren,
und es ist mit Freuden zu begrüßen, daß
man das Schlagwort von der staatsbürger¬
lichen Erziehung nicht mehr so einseitig auf¬
faßt und darunter allein bürgcrkundliche
Belehrung versteht, sondern daß man es zum
Weckruf macht, an den alle die Forderungen
anklingen, die aus der Not unsrer Zeit be¬
sonders deutlich herausredeu.

Bei den Erwachsenen wird in dieser
Beziehung nicht mehr allzuviel zu erreichen
sein, aber die Jugend kann durch Planvolle
Einwirkung doch in andre Bahnen geleitet
werden. Vor allem wird es hier darauf an¬
kommen, neben den höheren die Fortbildungs¬
schulen für die neuen Ziele zu erobern. Wenn
irgendwo, dann muß bei ihren Schülern die
staatsbürgerliche Erziehung den Hebel ansetzen.
Denn es ist hier zunächst von Bedeutung, daß
man die breiten Massen einmal beieinander
hat. Jede andre Einwirkung ans die schul¬
entlassene Jugend wird schon deshalb nur
geringe Erfolge haben, weil man sie in ihrer
Gesamtheit nirgends fassen kann. In Vereinen
z. B. sind es ja doch meist Freiwillige, die
erscheinen und die der Beeinflussung zugäng¬
lich sind; die aber eine Erziehung um nötigsten
hätten', bleiben in der Regel fern. In der
Fortbildungsschule hätte man sie aber alle
beieinander. Und man hat eS hier im Gegensatz
zur Volksschule mit Schülern zu tun, die
schon alter sind, die schon einen weitere»
Horizont besitzen und den Belehrungen mehr
Interesse entgegenbringen. Sie stehen schon
selber mehr im öffentlichen Leben drin und
zeigen für öffentliche Angelegenheiten mehr
Teilnahme. In diesem Alter fängt die Jugend
ober auch schon an, umworben zu werden.
Es ist bekannt, wie gerade die Sozialdemo-
kratie in den Jugendvcreinigungen für ihre
Zukunft Saat ausstreut. Das Alter vou
vierzehn bis achtzehn Jahren ist aber in

[Spaltenumbruch]

mancher Beziehung recht kritisch, auch darin,
daß der junge Mensch in dieser Zeit sich als
Persönlichkeit zu fühlen beginnt, daß er ohne
tiefere Überlegung an allem unreife .Kritik
übt, herumnörgelt, was andre ohne ihn ge¬
schaffen haben. Und es ist mir zu bedauern,
daß der schulentlassene Knabe, der jetzt in
seinem ganzen Leben eine Führung am aller-
nötigsten hätte, ganz allein dasteht und daher
den schlechten Einflüssen ganz und gar hin¬
gegeben ist, die von losen Genossen, von
Parteien, vom öffentlichen Leben auf ihn ein¬
wirken.

Die Fortbildungsschule ist daher der
staatsbürgerlichen Erziehung auf jeden Fall
dienstbar zu machen. Gewiß soll sie jn durch
ihre ganze Arbeit die Ziele nationaler Er¬
ziehung erreichen, sie soll den Schüler zum
tüchtigen Berufsarbeitcr heranbilden, sie soll
durch Pflege von Spiel und Wanderung,
durch Turnübungen den Körper kräftigen, sie
soll durch deu Unterricht, durch Unterhaltuugs-
abcude, durch Persönliche Beeinflussung das
sittliche Empfinden stärken, aber sie soll ebenso
wie die höheren Schulen zu einer tieferen
Einsicht des gesamten öffentlichen Lebens, der
staatlichen Einrichtungen führen. Jn der
Volksschule ist diese Erkenntnis erst anzu¬
bahnen, hier aber ist sie zu vervollständigen,
zu vertiefen. Jn der Volksschule kann man
von der Einführung eines neuen Faches Wohl
absehen, da genügen reichliche Hinweise in
der Geschichte, wo eben die Geschichte der
Gegenwart mehr betont werden muß, ferner
in der Geographie und im Deutschen. Anders
in der Fortbildungsschule. Hier wird man
kaum um die Einführung eines besonderen
Faches, eben der Staats- oder Bürgerkunde,
mit einer Wochenstunde herumkommen. An
lebensvollen Stoff wird's nicht fehlen.

Freilich muß dieser Stoff und einem ge¬
wissen Takt erteilt werden. Zunächst musz er
auf jeden Fall objektiv sein. Das mag
vielleicht nicht immer genügend beachtet werden,
denn in unsern Tagen, wo dieWeltanschauungen
oft so unversöhnlich aufeinanderstoßen, besteht
die Gefahr nur zu sehr, daß er Parteipolitisch
gefärbt wird. Die Schule sollte aber in dem
Sinne nie zum Politiknm gemacht werden,
daß in ihr Parteipolitik getrieben würde. Es
wäre entschieden zu verwerfen, daß in ihr?

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[0108] Maßgebliches und Unmaßgebliches immer vorhanden ist. Bedenkt man dazu noch, wie unserm Volke oft noch die wirt¬ schaftliche Tüchtigkeit fehlt, wie die gesunde Volkskraft, die uns sonst vor andern Völkern auszeichnete, immer mehr schwindet, wie bei der heutigen herrschenden individualistischen Lebensanschauung das soziale Empfinden immer mehr geschwächt wird, dann werden wir einsehen, das; auch in dieser Hinsicht der Praktischen Pädagogik wichtige Aufgaben harren, und es ist mit Freuden zu begrüßen, daß man das Schlagwort von der staatsbürger¬ lichen Erziehung nicht mehr so einseitig auf¬ faßt und darunter allein bürgcrkundliche Belehrung versteht, sondern daß man es zum Weckruf macht, an den alle die Forderungen anklingen, die aus der Not unsrer Zeit be¬ sonders deutlich herausredeu. Bei den Erwachsenen wird in dieser Beziehung nicht mehr allzuviel zu erreichen sein, aber die Jugend kann durch Planvolle Einwirkung doch in andre Bahnen geleitet werden. Vor allem wird es hier darauf an¬ kommen, neben den höheren die Fortbildungs¬ schulen für die neuen Ziele zu erobern. Wenn irgendwo, dann muß bei ihren Schülern die staatsbürgerliche Erziehung den Hebel ansetzen. Denn es ist hier zunächst von Bedeutung, daß man die breiten Massen einmal beieinander hat. Jede andre Einwirkung ans die schul¬ entlassene Jugend wird schon deshalb nur geringe Erfolge haben, weil man sie in ihrer Gesamtheit nirgends fassen kann. In Vereinen z. B. sind es ja doch meist Freiwillige, die erscheinen und die der Beeinflussung zugäng¬ lich sind; die aber eine Erziehung um nötigsten hätten', bleiben in der Regel fern. In der Fortbildungsschule hätte man sie aber alle beieinander. Und man hat eS hier im Gegensatz zur Volksschule mit Schülern zu tun, die schon alter sind, die schon einen weitere» Horizont besitzen und den Belehrungen mehr Interesse entgegenbringen. Sie stehen schon selber mehr im öffentlichen Leben drin und zeigen für öffentliche Angelegenheiten mehr Teilnahme. In diesem Alter fängt die Jugend ober auch schon an, umworben zu werden. Es ist bekannt, wie gerade die Sozialdemo- kratie in den Jugendvcreinigungen für ihre Zukunft Saat ausstreut. Das Alter vou vierzehn bis achtzehn Jahren ist aber in mancher Beziehung recht kritisch, auch darin, daß der junge Mensch in dieser Zeit sich als Persönlichkeit zu fühlen beginnt, daß er ohne tiefere Überlegung an allem unreife .Kritik übt, herumnörgelt, was andre ohne ihn ge¬ schaffen haben. Und es ist mir zu bedauern, daß der schulentlassene Knabe, der jetzt in seinem ganzen Leben eine Führung am aller- nötigsten hätte, ganz allein dasteht und daher den schlechten Einflüssen ganz und gar hin¬ gegeben ist, die von losen Genossen, von Parteien, vom öffentlichen Leben auf ihn ein¬ wirken. Die Fortbildungsschule ist daher der staatsbürgerlichen Erziehung auf jeden Fall dienstbar zu machen. Gewiß soll sie jn durch ihre ganze Arbeit die Ziele nationaler Er¬ ziehung erreichen, sie soll den Schüler zum tüchtigen Berufsarbeitcr heranbilden, sie soll durch Pflege von Spiel und Wanderung, durch Turnübungen den Körper kräftigen, sie soll durch deu Unterricht, durch Unterhaltuugs- abcude, durch Persönliche Beeinflussung das sittliche Empfinden stärken, aber sie soll ebenso wie die höheren Schulen zu einer tieferen Einsicht des gesamten öffentlichen Lebens, der staatlichen Einrichtungen führen. Jn der Volksschule ist diese Erkenntnis erst anzu¬ bahnen, hier aber ist sie zu vervollständigen, zu vertiefen. Jn der Volksschule kann man von der Einführung eines neuen Faches Wohl absehen, da genügen reichliche Hinweise in der Geschichte, wo eben die Geschichte der Gegenwart mehr betont werden muß, ferner in der Geographie und im Deutschen. Anders in der Fortbildungsschule. Hier wird man kaum um die Einführung eines besonderen Faches, eben der Staats- oder Bürgerkunde, mit einer Wochenstunde herumkommen. An lebensvollen Stoff wird's nicht fehlen. Freilich muß dieser Stoff und einem ge¬ wissen Takt erteilt werden. Zunächst musz er auf jeden Fall objektiv sein. Das mag vielleicht nicht immer genügend beachtet werden, denn in unsern Tagen, wo dieWeltanschauungen oft so unversöhnlich aufeinanderstoßen, besteht die Gefahr nur zu sehr, daß er Parteipolitisch gefärbt wird. Die Schule sollte aber in dem Sinne nie zum Politiknm gemacht werden, daß in ihr Parteipolitik getrieben würde. Es wäre entschieden zu verwerfen, daß in ihr?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/108>, abgerufen am 21.05.2024.