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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Grundfragen der Privatangestelltonversicherung

lassen, mindestens aber die Angestellten nicht zu dieser Versicherungsform zu
zwingen. Gerade vom Standpunkte der Befriedigung der Angestellten ist diese
Versicherungsform die am allerwenigsten geeignete. Es mag ja sein, daß sie sich
vielleicht in der theoretischen Leistungsverteilung den Möglichkeiten des Lebens
am allermeisten anschmiegt. Wenn aber dabei ausreichende Renten gewährt
werden sollen, dann ist sie bei weitem zu teuer. Die erste Denkschrift des
Reichsamts des Innern hat nachgewiesen, daß für eine Versicherung, die den
Pensionsansprüchen der Staatsbeamten entspricht, ein Beitrag von etwa 19 Prozent
des Gehalts erforderlich wäre, und dabei hat eine solche Versicherung immer
noch ganz bedeutende Mängel. Man denke nur an die lange Karenzzeit, in
welcher der Versicherte und seine Angehörigen unversorgt sind; man denke an
die niedrigen Ruhegehälter und Witwenrenten, die in den ersten Jahren nach
Ablauf der Karenzzeit zu zahlen sind. Will man sich wirklich dem Bedarf an¬
schmiegen, dann müssen die Mindestrenten viel höher angesetzt werden. Das
würde natürlich die Versicherung noch weiter verteuern. Wird aber diese Ver¬
sicherungsform bei niedrigen Beiträgen durchgeführt, dann werden die Renten
so unansehnlich, daß sie nicht einmal die äußerste Notdurft zu decken vermögen,
wie das ja der Entwurf zur Genüge nachweist. Dazu kommt noch, daß die
Kosten dieser Versicherungsform am allermeisten unterschätzt werden. Wieviel
Pensionskassen gibt es, deren Beiträge ihren Leistungen entsprechen? Selbst
wirkliche Versichernngsfachmänner haben sich sicher noch vor wenigen Jahren über
die Beitragshöhe getäuscht. Erst die erste Denkschrift des Reichsamts des Innern
hat in weiteren Kreisen einige Erkenntnis über die Höhe des erforderlichen
Beitrages gebracht. Die meisten Privatangestellten haben sicher auch jetzt noch
von den Kosten einer solchen Versicherung keine Ahnung. Zur Unterschätzung
dieser Kosten hat nicht nur die anscheinende Existenzfähigkeit der alten Penstons-
kassen trotz viel zu niedriger Beiträge, zum Teil hat dazu auch die Invaliden¬
versicherung des Reichs beigetragen. Die Invalidenversicherung enthält ja bis
jetzt keine Hinterbliebenenversorgung und konnte schon deswegen mit verhältnis¬
mäßig niedrigen Beiträgen auskommen; sie ist aber auch auf ganz anderen
versicherungstechnischen Gesichtspunkten aufgebaut, als sie bei der Privatbeamten¬
versicherung angewendet werden müssen, indem bei ihr die Prämienreserve im
allgemeinen nur die bereits angefallenen Renten, nicht aber auch unter Berück¬
sichtigung der zukünftigen Beiträge die zukünftig anfallenden Renten deckt und
infolgedessen sowohl die Reserve, als auch die gegenwärtigen Beiträge vom
versicherungstechnischen Standpunkte aus zu niedrig angesetzt sind. Wie wenig
die Pensions-, Witwen- und Waisenversicherung bei freier Wahl der Versicherungs¬
nehmer von diesen gewünscht und für zweckmäßig gehalten wird, beweist die
Tatsache, daß in der privaten Lebensversicherung sowohl die Pensionsversicherung,
als auch die Witwenrentenversicherung so gut wie gar nicht abgeschlossen wird.
Die privaten Lebensversicherungsgesellschaften haben das bei ihnen versicherte
Publikum eben erkannt, daß die Kapitalversicherung nicht nur wirtschaftlich viel


Grundfragen der Privatangestelltonversicherung

lassen, mindestens aber die Angestellten nicht zu dieser Versicherungsform zu
zwingen. Gerade vom Standpunkte der Befriedigung der Angestellten ist diese
Versicherungsform die am allerwenigsten geeignete. Es mag ja sein, daß sie sich
vielleicht in der theoretischen Leistungsverteilung den Möglichkeiten des Lebens
am allermeisten anschmiegt. Wenn aber dabei ausreichende Renten gewährt
werden sollen, dann ist sie bei weitem zu teuer. Die erste Denkschrift des
Reichsamts des Innern hat nachgewiesen, daß für eine Versicherung, die den
Pensionsansprüchen der Staatsbeamten entspricht, ein Beitrag von etwa 19 Prozent
des Gehalts erforderlich wäre, und dabei hat eine solche Versicherung immer
noch ganz bedeutende Mängel. Man denke nur an die lange Karenzzeit, in
welcher der Versicherte und seine Angehörigen unversorgt sind; man denke an
die niedrigen Ruhegehälter und Witwenrenten, die in den ersten Jahren nach
Ablauf der Karenzzeit zu zahlen sind. Will man sich wirklich dem Bedarf an¬
schmiegen, dann müssen die Mindestrenten viel höher angesetzt werden. Das
würde natürlich die Versicherung noch weiter verteuern. Wird aber diese Ver¬
sicherungsform bei niedrigen Beiträgen durchgeführt, dann werden die Renten
so unansehnlich, daß sie nicht einmal die äußerste Notdurft zu decken vermögen,
wie das ja der Entwurf zur Genüge nachweist. Dazu kommt noch, daß die
Kosten dieser Versicherungsform am allermeisten unterschätzt werden. Wieviel
Pensionskassen gibt es, deren Beiträge ihren Leistungen entsprechen? Selbst
wirkliche Versichernngsfachmänner haben sich sicher noch vor wenigen Jahren über
die Beitragshöhe getäuscht. Erst die erste Denkschrift des Reichsamts des Innern
hat in weiteren Kreisen einige Erkenntnis über die Höhe des erforderlichen
Beitrages gebracht. Die meisten Privatangestellten haben sicher auch jetzt noch
von den Kosten einer solchen Versicherung keine Ahnung. Zur Unterschätzung
dieser Kosten hat nicht nur die anscheinende Existenzfähigkeit der alten Penstons-
kassen trotz viel zu niedriger Beiträge, zum Teil hat dazu auch die Invaliden¬
versicherung des Reichs beigetragen. Die Invalidenversicherung enthält ja bis
jetzt keine Hinterbliebenenversorgung und konnte schon deswegen mit verhältnis¬
mäßig niedrigen Beiträgen auskommen; sie ist aber auch auf ganz anderen
versicherungstechnischen Gesichtspunkten aufgebaut, als sie bei der Privatbeamten¬
versicherung angewendet werden müssen, indem bei ihr die Prämienreserve im
allgemeinen nur die bereits angefallenen Renten, nicht aber auch unter Berück¬
sichtigung der zukünftigen Beiträge die zukünftig anfallenden Renten deckt und
infolgedessen sowohl die Reserve, als auch die gegenwärtigen Beiträge vom
versicherungstechnischen Standpunkte aus zu niedrig angesetzt sind. Wie wenig
die Pensions-, Witwen- und Waisenversicherung bei freier Wahl der Versicherungs¬
nehmer von diesen gewünscht und für zweckmäßig gehalten wird, beweist die
Tatsache, daß in der privaten Lebensversicherung sowohl die Pensionsversicherung,
als auch die Witwenrentenversicherung so gut wie gar nicht abgeschlossen wird.
Die privaten Lebensversicherungsgesellschaften haben das bei ihnen versicherte
Publikum eben erkannt, daß die Kapitalversicherung nicht nur wirtschaftlich viel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/532>, abgerufen am 21.05.2024.