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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Grundfragen der Privatangestelltenversicherung

infolge der großen Konkurrenz möglich wäre, sich in der am geeignetsten
erscheinenden Weise zu versichern. Auch die Beteiligung der Versicherten an der
Rechtsprechung würde bis zu einem gewissen Grade zugelassen werden können,
wenigstens soweit die Feststellung der Invalidität in Frage kommt. Nach den
gegenwärtigen Versicherungsbedingungen der meisten Gesellschaften wird die
Frage der Invalidität und des Grades der Invalidität von einer Kommission
von Ärzten entschieden. Es würde kaum Bedenken unterliegen, für die Privat¬
angestelltenversicherung diese Sachverständigenkommission durch Ausnahme von
Vertretern der Angestellten und der Arbeitgeber zu erweitern, vorausgesetzt, daß
eine solche Erweiterung sich mit Rücksicht auf die Kosten empfiehlt. Auch dem
Mißstände, daß ein Arbeitgeber möglicherweise an die verschiedenen privaten
Versicherungsgesellschaften Beiträge zu zahlen hätte, läßt sich leicht durch Er¬
richtung einer gemeinsamen Annahmestelle für sämtliche Gesellschaften begegnen,
wenn sich das als zweckmäßig herausstellen sollte.

Die Bedenken, welche die Negierung gegen die Durchführung der neuen
Versicherung durch die privaten Lebensversicherungsgesellschaften angeführt hat,
würden sich also ganz zweifellos beseitigen lassen. Daß die Privatversicherung
den Privatangestellten wesentliche Vorteile bieten würde, haben wir oben nach¬
gewiesen. Ein weiterer Vorteil wäre eine erhebliche Vereinfachung des Gesetzes.
Denn dasselbe würde sich im wesentlichen darauf beschränken können, festzulegen,
welchen Beitrag der Arbeitgeber zu leisten hat und unter welchen Bedingungen,
wie beschaffen eine Versicherung sein muß, damit der Arbeitgeber für sie seinen
Beitragsteil zu leisten hat und in welcher Weise die Versicherung festzulegen ist,
damit sie von den Angestellten nicht vorzeitig angegriffen werden kann und dem
Zwecke der Angestelltenfürsorge zugute kommt.

Selbstverständlich würden zur Durchführung der Privatangestelltenversichernng
nicht bloß die eigentlichen großen privaten Lebensversicherungsgesellschaften, sondern
auch die Pensionskassen herangezogen werden können. Bekanntlich gewähren auch
einzelne Lebensversicherungsgesellschaften die Kollektivpensionsversicherung in der¬
selben Weise, wie sie die Pensionskassen gewähren und der Gesetzentwurf in
Aussicht nimmt. Soweit die Pensionskassen in Frage kommen, müßte selbst¬
verständlich dafür gesorgt werden, daß auch sie einen Rechtsanspruch auf die
Leistungen sowie volle Freizügigkeit gewähren, und daß ihre Leistungsfähigkeit,
insbesondere auch das richtige Verhältnis der Beiträge zu den Leistungen durch
Unterstellung unter eine sachverständige Aufsichtsbehörde sichergestellt wird.

Für die private Versicherung gilt natürlich dasselbe wie für die öffentliche
Versicherung: sie kann nicht der Gesamtheit der Versicherten einen finanziellen
Gewinn bringen. Ihre Leistung besteht lediglich in einer zweckmäßigen Ver¬
teilung der Einzahlungen entsprechend dem Bedarf der einzelnen Versicherten.
Auch die private Versicherung kann nicht im ganzen dem Barwert nach mehr
auszahlen, als sie an Beiträgen erhalten hat, aber sie kann die Versicherungs¬
form in einem viel besseren Maße als die staatliche Versicherung dem Bedürfnis


Grundfragen der Privatangestelltenversicherung

infolge der großen Konkurrenz möglich wäre, sich in der am geeignetsten
erscheinenden Weise zu versichern. Auch die Beteiligung der Versicherten an der
Rechtsprechung würde bis zu einem gewissen Grade zugelassen werden können,
wenigstens soweit die Feststellung der Invalidität in Frage kommt. Nach den
gegenwärtigen Versicherungsbedingungen der meisten Gesellschaften wird die
Frage der Invalidität und des Grades der Invalidität von einer Kommission
von Ärzten entschieden. Es würde kaum Bedenken unterliegen, für die Privat¬
angestelltenversicherung diese Sachverständigenkommission durch Ausnahme von
Vertretern der Angestellten und der Arbeitgeber zu erweitern, vorausgesetzt, daß
eine solche Erweiterung sich mit Rücksicht auf die Kosten empfiehlt. Auch dem
Mißstände, daß ein Arbeitgeber möglicherweise an die verschiedenen privaten
Versicherungsgesellschaften Beiträge zu zahlen hätte, läßt sich leicht durch Er¬
richtung einer gemeinsamen Annahmestelle für sämtliche Gesellschaften begegnen,
wenn sich das als zweckmäßig herausstellen sollte.

Die Bedenken, welche die Negierung gegen die Durchführung der neuen
Versicherung durch die privaten Lebensversicherungsgesellschaften angeführt hat,
würden sich also ganz zweifellos beseitigen lassen. Daß die Privatversicherung
den Privatangestellten wesentliche Vorteile bieten würde, haben wir oben nach¬
gewiesen. Ein weiterer Vorteil wäre eine erhebliche Vereinfachung des Gesetzes.
Denn dasselbe würde sich im wesentlichen darauf beschränken können, festzulegen,
welchen Beitrag der Arbeitgeber zu leisten hat und unter welchen Bedingungen,
wie beschaffen eine Versicherung sein muß, damit der Arbeitgeber für sie seinen
Beitragsteil zu leisten hat und in welcher Weise die Versicherung festzulegen ist,
damit sie von den Angestellten nicht vorzeitig angegriffen werden kann und dem
Zwecke der Angestelltenfürsorge zugute kommt.

Selbstverständlich würden zur Durchführung der Privatangestelltenversichernng
nicht bloß die eigentlichen großen privaten Lebensversicherungsgesellschaften, sondern
auch die Pensionskassen herangezogen werden können. Bekanntlich gewähren auch
einzelne Lebensversicherungsgesellschaften die Kollektivpensionsversicherung in der¬
selben Weise, wie sie die Pensionskassen gewähren und der Gesetzentwurf in
Aussicht nimmt. Soweit die Pensionskassen in Frage kommen, müßte selbst¬
verständlich dafür gesorgt werden, daß auch sie einen Rechtsanspruch auf die
Leistungen sowie volle Freizügigkeit gewähren, und daß ihre Leistungsfähigkeit,
insbesondere auch das richtige Verhältnis der Beiträge zu den Leistungen durch
Unterstellung unter eine sachverständige Aufsichtsbehörde sichergestellt wird.

Für die private Versicherung gilt natürlich dasselbe wie für die öffentliche
Versicherung: sie kann nicht der Gesamtheit der Versicherten einen finanziellen
Gewinn bringen. Ihre Leistung besteht lediglich in einer zweckmäßigen Ver¬
teilung der Einzahlungen entsprechend dem Bedarf der einzelnen Versicherten.
Auch die private Versicherung kann nicht im ganzen dem Barwert nach mehr
auszahlen, als sie an Beiträgen erhalten hat, aber sie kann die Versicherungs¬
form in einem viel besseren Maße als die staatliche Versicherung dem Bedürfnis


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[0537] Grundfragen der Privatangestelltenversicherung infolge der großen Konkurrenz möglich wäre, sich in der am geeignetsten erscheinenden Weise zu versichern. Auch die Beteiligung der Versicherten an der Rechtsprechung würde bis zu einem gewissen Grade zugelassen werden können, wenigstens soweit die Feststellung der Invalidität in Frage kommt. Nach den gegenwärtigen Versicherungsbedingungen der meisten Gesellschaften wird die Frage der Invalidität und des Grades der Invalidität von einer Kommission von Ärzten entschieden. Es würde kaum Bedenken unterliegen, für die Privat¬ angestelltenversicherung diese Sachverständigenkommission durch Ausnahme von Vertretern der Angestellten und der Arbeitgeber zu erweitern, vorausgesetzt, daß eine solche Erweiterung sich mit Rücksicht auf die Kosten empfiehlt. Auch dem Mißstände, daß ein Arbeitgeber möglicherweise an die verschiedenen privaten Versicherungsgesellschaften Beiträge zu zahlen hätte, läßt sich leicht durch Er¬ richtung einer gemeinsamen Annahmestelle für sämtliche Gesellschaften begegnen, wenn sich das als zweckmäßig herausstellen sollte. Die Bedenken, welche die Negierung gegen die Durchführung der neuen Versicherung durch die privaten Lebensversicherungsgesellschaften angeführt hat, würden sich also ganz zweifellos beseitigen lassen. Daß die Privatversicherung den Privatangestellten wesentliche Vorteile bieten würde, haben wir oben nach¬ gewiesen. Ein weiterer Vorteil wäre eine erhebliche Vereinfachung des Gesetzes. Denn dasselbe würde sich im wesentlichen darauf beschränken können, festzulegen, welchen Beitrag der Arbeitgeber zu leisten hat und unter welchen Bedingungen, wie beschaffen eine Versicherung sein muß, damit der Arbeitgeber für sie seinen Beitragsteil zu leisten hat und in welcher Weise die Versicherung festzulegen ist, damit sie von den Angestellten nicht vorzeitig angegriffen werden kann und dem Zwecke der Angestelltenfürsorge zugute kommt. Selbstverständlich würden zur Durchführung der Privatangestelltenversichernng nicht bloß die eigentlichen großen privaten Lebensversicherungsgesellschaften, sondern auch die Pensionskassen herangezogen werden können. Bekanntlich gewähren auch einzelne Lebensversicherungsgesellschaften die Kollektivpensionsversicherung in der¬ selben Weise, wie sie die Pensionskassen gewähren und der Gesetzentwurf in Aussicht nimmt. Soweit die Pensionskassen in Frage kommen, müßte selbst¬ verständlich dafür gesorgt werden, daß auch sie einen Rechtsanspruch auf die Leistungen sowie volle Freizügigkeit gewähren, und daß ihre Leistungsfähigkeit, insbesondere auch das richtige Verhältnis der Beiträge zu den Leistungen durch Unterstellung unter eine sachverständige Aufsichtsbehörde sichergestellt wird. Für die private Versicherung gilt natürlich dasselbe wie für die öffentliche Versicherung: sie kann nicht der Gesamtheit der Versicherten einen finanziellen Gewinn bringen. Ihre Leistung besteht lediglich in einer zweckmäßigen Ver¬ teilung der Einzahlungen entsprechend dem Bedarf der einzelnen Versicherten. Auch die private Versicherung kann nicht im ganzen dem Barwert nach mehr auszahlen, als sie an Beiträgen erhalten hat, aber sie kann die Versicherungs¬ form in einem viel besseren Maße als die staatliche Versicherung dem Bedürfnis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/537>, abgerufen am 21.05.2024.