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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Die Partei der Gebildeten

Konservative aber und wirkliche Liberale sind die gegebenen Bundesgenossen.
Schließen sie sich fest zusammen und stellen sie ihre Sache auf die Intelligenz,
so können sie die neukonservative Partei bilden, nach der wir uns sehnen, nach
der unsere gesamte Kultur verlangt.

Ich habe diesem Jungkonservatismus den Namen "Kulturkonservatismus"
gegeben, und dieser Name hat -- ich darf es wohl sagen -- ungemeinen Widerhall
gefunden. Wenn ich den Begriff "Kultur" hier einfügte, so geschah es, weil
ich nicht kürzer und besser unsere Intelligenz als Trägerin dieses verjüngten
Konservatismus bezeichnen konnte. Ich weiß wohl, daß mit dem Begriffe
Kultur ungeheuerer Mißbrauch getrieben wird, und daß sich namentlich die
vorhin gekennzeichneten Vegetarier und Abstinenzler mit Vorliebe als Kultur¬
apostel aufspielen. Auf diese Art umzittern denjenigen, der seine Kultur betont,
leicht die Nebel eines komischen Dilettantismus. Aber man soll sich nicht
scheuen, blind gewordene Worte höchsten Inhalts durch rechten Gebrauch wieder
blank zu machen. Man soll den Namen Kultur nicht mißbrauchen; wo er aber
am Platze ist, soll man ihn wie den Gottes in den Mund nehmen.

Und es handelt sich ja um nicht mehr und nicht weniger, als den Bar¬
bareneinbruch der Demokratie abzuwehren und ihm ein neues -- ach so altes!
-- Ideal entgegenzustellen. Will aber die konservative Partei künftig so auf
die Gebildeten zählen, so muß sie sich mit der ganzen Kultur des Jahrhunderts
bewaffnen. Mit Muckereien und hinterwäldlerischen Ängstlichkeiten kann sie nicht
vorwärts kommen. Der Gebildete will zu ihr, aber sie muß auch zu ihm.
Geht es so weiter, daß der Mann der Wissenschaft und Kunst, der sich eigene
Wege bahnt, nur von der radikalen Presse gesucht und empfangen wird, so wird
die Partei der Gebildeten niemals zur konservativen Partei stoßen. Der Kon¬
servatismus, der tausendmal mehr mit dem Liberalismus zu tun hat als die
Demokratie -- denn die Masse haßt und beneidet immer den einzelnen, der
sich über sie schwingt --, überläßt heute dem Radikalismus alle liberalen Trümpfe.
Wird das nicht anders, so ist die konservative Partei verloren, ist mit Haut
und Haaren aufgezehrt von dem Agrariertum.

Bei der Partei der Gebildeten also, die heute vorhanden ist wie die
unsichtbare Kirche, fühlbar, aber nicht greifbar, ruht unser Schicksal. Ihre
konservative Weltanschauung treibt sie nach rechts, dort aber möge sie keine
neue Formation bilden, welche die Kräfte zersplittert, sondern sie möge ganz
verschmelzen mit den bestehenden Parteien, die durch sie umgebildet und neu
gebildet werden sollen im Sinne eines Kulturkonservatismus.




Die Partei der Gebildeten

Konservative aber und wirkliche Liberale sind die gegebenen Bundesgenossen.
Schließen sie sich fest zusammen und stellen sie ihre Sache auf die Intelligenz,
so können sie die neukonservative Partei bilden, nach der wir uns sehnen, nach
der unsere gesamte Kultur verlangt.

Ich habe diesem Jungkonservatismus den Namen „Kulturkonservatismus"
gegeben, und dieser Name hat — ich darf es wohl sagen — ungemeinen Widerhall
gefunden. Wenn ich den Begriff „Kultur" hier einfügte, so geschah es, weil
ich nicht kürzer und besser unsere Intelligenz als Trägerin dieses verjüngten
Konservatismus bezeichnen konnte. Ich weiß wohl, daß mit dem Begriffe
Kultur ungeheuerer Mißbrauch getrieben wird, und daß sich namentlich die
vorhin gekennzeichneten Vegetarier und Abstinenzler mit Vorliebe als Kultur¬
apostel aufspielen. Auf diese Art umzittern denjenigen, der seine Kultur betont,
leicht die Nebel eines komischen Dilettantismus. Aber man soll sich nicht
scheuen, blind gewordene Worte höchsten Inhalts durch rechten Gebrauch wieder
blank zu machen. Man soll den Namen Kultur nicht mißbrauchen; wo er aber
am Platze ist, soll man ihn wie den Gottes in den Mund nehmen.

Und es handelt sich ja um nicht mehr und nicht weniger, als den Bar¬
bareneinbruch der Demokratie abzuwehren und ihm ein neues — ach so altes!
— Ideal entgegenzustellen. Will aber die konservative Partei künftig so auf
die Gebildeten zählen, so muß sie sich mit der ganzen Kultur des Jahrhunderts
bewaffnen. Mit Muckereien und hinterwäldlerischen Ängstlichkeiten kann sie nicht
vorwärts kommen. Der Gebildete will zu ihr, aber sie muß auch zu ihm.
Geht es so weiter, daß der Mann der Wissenschaft und Kunst, der sich eigene
Wege bahnt, nur von der radikalen Presse gesucht und empfangen wird, so wird
die Partei der Gebildeten niemals zur konservativen Partei stoßen. Der Kon¬
servatismus, der tausendmal mehr mit dem Liberalismus zu tun hat als die
Demokratie — denn die Masse haßt und beneidet immer den einzelnen, der
sich über sie schwingt —, überläßt heute dem Radikalismus alle liberalen Trümpfe.
Wird das nicht anders, so ist die konservative Partei verloren, ist mit Haut
und Haaren aufgezehrt von dem Agrariertum.

Bei der Partei der Gebildeten also, die heute vorhanden ist wie die
unsichtbare Kirche, fühlbar, aber nicht greifbar, ruht unser Schicksal. Ihre
konservative Weltanschauung treibt sie nach rechts, dort aber möge sie keine
neue Formation bilden, welche die Kräfte zersplittert, sondern sie möge ganz
verschmelzen mit den bestehenden Parteien, die durch sie umgebildet und neu
gebildet werden sollen im Sinne eines Kulturkonservatismus.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/570>, abgerufen am 21.05.2024.