Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rcichsspiegel

ungarischen Regierung wegen der Reform des Militärstrafgesetzes. Es handelt
sich dabei um die Verhandlungssprache der Gerichte. Bisher hat der österreichische
Justizminister Hochenburger den ungarischen Forderungen tapfer widerstanden,
aber er hätte es wohl nicht tun können, wenn er nicht oben den Rücken gedeckt
gehabt hätte. "Oben" bedeutet aber in diesem Falle nicht den Kaiser allein,
sondern auch den Thronfolger, der die Seele des Widerstandes gegenüber den
nationalen Forderungen der Magyaren ist. Indes versucht Graf Khuen die
Sache doch nochmals beim Kaiser, er empfiehlt den braven ungarischen Reichstag
gegenüber dem unartigen Bruder in Wien und macht sich anheischig, das Wehr¬
gesetz in zwei Monaten zu erledigen, ohne Rücksicht darauf, ob es in Österreich
erledigt wird oder nicht; nur das kleine rot-weiß-grüne Fähnchen möge man
ihn daran heften lassen, damit er vor dem ungarischen Reichstag in Ehren
erscheinen kann. Und dann noch eins: das Gesetz bedarf, um Kraft zu erhalten,
der Annahme durch den österreichischen Reichsrat in gleichem Wortlaut;
könnte sich dieser nicht doch vielleicht an dem bescheidenen ungarischen Fähnchen
stoßen, und wäre es darum nicht besser, auch gleich das Wehrgesetz mit dem
gleichen segensreichen Paragraphen in Österreich ins Leben treten zu lassen?
so gewissermaßen um Lebens und Sterbens willen? Da wird die nächste Zeit
interessante Entscheidungen bringen.

Indes kommt der Thronfolger anläßlich des Besuchs des deutschen Kron¬
prinzenpaares wieder nach Wien. Zwischen ihm und dem Kaiser hat es in der
letzten Zeit wohl einige Verstimmungen gegeben, zunächst wegen der Stellung
seiner Gattin bei Hofe, für die er wieder eine Rangerhöhung forderte; der
Kaiser hat nicht nachgegeben, und als die Seele des Widerstandes wird vor allen,
seine Tochter, die Erzherzogin Valerie, genannt. Der Thronfolger vermied
infolgedessen im vergangenen Winter die Hoffeste, und es hieß sogar, er werde
dies so lange tun, bis er sein Ziel erreicht habe. Indessen hat er sich nun doch
gefügt und ist mit seiner Gattin zum Empfange des deutschen Kaiserpaares nach
Wien gekommen.

Wer das sind Fanlilienangelegenheiten, die freilich auch auf die Politik
ihre Schlaglichter werfen. Ernsthafter ist, daß der Kriegsminister in der öster¬
reichischen Delegation ganz offen gegen den Thronfolger polemisiert hat. In
einem christlichsozialen Blatte, der Reichspost, waren die Militärvorlagen, die
der Kriegsminister vor den Delegationen vertrat, als völlig ungenügend und
als "elende Brocken" kritisiert worden. Infolge der Eigenart des Wiener
Telephons, bei dem man die intimsten Gespräche Dritter belauschen kann, war
es bekannt geworden, daß der Vorstand der Militärkanzlei des Thronfolgers
den betreffenden Artikel inspiriert habe. Nach Schluß der Delegationssitzungen
verlautete, dieser Offizier werde zur Truppe versetzt, was schließlich doch nicht
eintrat. Tatsache ist. daß der Kriegsminister beim Thronfolger in schwerer
Ungnade steht, vom Kaiser aber gehalten wird. Wenn auf Fürstengunst schon
im allgemeinen keine Häuser zu bauen sind, so mag dies nach den bisherigen


Rcichsspiegel

ungarischen Regierung wegen der Reform des Militärstrafgesetzes. Es handelt
sich dabei um die Verhandlungssprache der Gerichte. Bisher hat der österreichische
Justizminister Hochenburger den ungarischen Forderungen tapfer widerstanden,
aber er hätte es wohl nicht tun können, wenn er nicht oben den Rücken gedeckt
gehabt hätte. „Oben" bedeutet aber in diesem Falle nicht den Kaiser allein,
sondern auch den Thronfolger, der die Seele des Widerstandes gegenüber den
nationalen Forderungen der Magyaren ist. Indes versucht Graf Khuen die
Sache doch nochmals beim Kaiser, er empfiehlt den braven ungarischen Reichstag
gegenüber dem unartigen Bruder in Wien und macht sich anheischig, das Wehr¬
gesetz in zwei Monaten zu erledigen, ohne Rücksicht darauf, ob es in Österreich
erledigt wird oder nicht; nur das kleine rot-weiß-grüne Fähnchen möge man
ihn daran heften lassen, damit er vor dem ungarischen Reichstag in Ehren
erscheinen kann. Und dann noch eins: das Gesetz bedarf, um Kraft zu erhalten,
der Annahme durch den österreichischen Reichsrat in gleichem Wortlaut;
könnte sich dieser nicht doch vielleicht an dem bescheidenen ungarischen Fähnchen
stoßen, und wäre es darum nicht besser, auch gleich das Wehrgesetz mit dem
gleichen segensreichen Paragraphen in Österreich ins Leben treten zu lassen?
so gewissermaßen um Lebens und Sterbens willen? Da wird die nächste Zeit
interessante Entscheidungen bringen.

Indes kommt der Thronfolger anläßlich des Besuchs des deutschen Kron¬
prinzenpaares wieder nach Wien. Zwischen ihm und dem Kaiser hat es in der
letzten Zeit wohl einige Verstimmungen gegeben, zunächst wegen der Stellung
seiner Gattin bei Hofe, für die er wieder eine Rangerhöhung forderte; der
Kaiser hat nicht nachgegeben, und als die Seele des Widerstandes wird vor allen,
seine Tochter, die Erzherzogin Valerie, genannt. Der Thronfolger vermied
infolgedessen im vergangenen Winter die Hoffeste, und es hieß sogar, er werde
dies so lange tun, bis er sein Ziel erreicht habe. Indessen hat er sich nun doch
gefügt und ist mit seiner Gattin zum Empfange des deutschen Kaiserpaares nach
Wien gekommen.

Wer das sind Fanlilienangelegenheiten, die freilich auch auf die Politik
ihre Schlaglichter werfen. Ernsthafter ist, daß der Kriegsminister in der öster¬
reichischen Delegation ganz offen gegen den Thronfolger polemisiert hat. In
einem christlichsozialen Blatte, der Reichspost, waren die Militärvorlagen, die
der Kriegsminister vor den Delegationen vertrat, als völlig ungenügend und
als „elende Brocken" kritisiert worden. Infolge der Eigenart des Wiener
Telephons, bei dem man die intimsten Gespräche Dritter belauschen kann, war
es bekannt geworden, daß der Vorstand der Militärkanzlei des Thronfolgers
den betreffenden Artikel inspiriert habe. Nach Schluß der Delegationssitzungen
verlautete, dieser Offizier werde zur Truppe versetzt, was schließlich doch nicht
eintrat. Tatsache ist. daß der Kriegsminister beim Thronfolger in schwerer
Ungnade steht, vom Kaiser aber gehalten wird. Wenn auf Fürstengunst schon
im allgemeinen keine Häuser zu bauen sind, so mag dies nach den bisherigen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0151" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318434"/>
            <fw type="header" place="top"> Rcichsspiegel</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_673" prev="#ID_672"> ungarischen Regierung wegen der Reform des Militärstrafgesetzes. Es handelt<lb/>
sich dabei um die Verhandlungssprache der Gerichte. Bisher hat der österreichische<lb/>
Justizminister Hochenburger den ungarischen Forderungen tapfer widerstanden,<lb/>
aber er hätte es wohl nicht tun können, wenn er nicht oben den Rücken gedeckt<lb/>
gehabt hätte. &#x201E;Oben" bedeutet aber in diesem Falle nicht den Kaiser allein,<lb/>
sondern auch den Thronfolger, der die Seele des Widerstandes gegenüber den<lb/>
nationalen Forderungen der Magyaren ist. Indes versucht Graf Khuen die<lb/>
Sache doch nochmals beim Kaiser, er empfiehlt den braven ungarischen Reichstag<lb/>
gegenüber dem unartigen Bruder in Wien und macht sich anheischig, das Wehr¬<lb/>
gesetz in zwei Monaten zu erledigen, ohne Rücksicht darauf, ob es in Österreich<lb/>
erledigt wird oder nicht; nur das kleine rot-weiß-grüne Fähnchen möge man<lb/>
ihn daran heften lassen, damit er vor dem ungarischen Reichstag in Ehren<lb/>
erscheinen kann. Und dann noch eins: das Gesetz bedarf, um Kraft zu erhalten,<lb/>
der Annahme durch den österreichischen Reichsrat in gleichem Wortlaut;<lb/>
könnte sich dieser nicht doch vielleicht an dem bescheidenen ungarischen Fähnchen<lb/>
stoßen, und wäre es darum nicht besser, auch gleich das Wehrgesetz mit dem<lb/>
gleichen segensreichen Paragraphen in Österreich ins Leben treten zu lassen?<lb/>
so gewissermaßen um Lebens und Sterbens willen? Da wird die nächste Zeit<lb/>
interessante Entscheidungen bringen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_674"> Indes kommt der Thronfolger anläßlich des Besuchs des deutschen Kron¬<lb/>
prinzenpaares wieder nach Wien. Zwischen ihm und dem Kaiser hat es in der<lb/>
letzten Zeit wohl einige Verstimmungen gegeben, zunächst wegen der Stellung<lb/>
seiner Gattin bei Hofe, für die er wieder eine Rangerhöhung forderte; der<lb/>
Kaiser hat nicht nachgegeben, und als die Seele des Widerstandes wird vor allen,<lb/>
seine Tochter, die Erzherzogin Valerie, genannt. Der Thronfolger vermied<lb/>
infolgedessen im vergangenen Winter die Hoffeste, und es hieß sogar, er werde<lb/>
dies so lange tun, bis er sein Ziel erreicht habe. Indessen hat er sich nun doch<lb/>
gefügt und ist mit seiner Gattin zum Empfange des deutschen Kaiserpaares nach<lb/>
Wien gekommen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_675" next="#ID_676"> Wer das sind Fanlilienangelegenheiten, die freilich auch auf die Politik<lb/>
ihre Schlaglichter werfen. Ernsthafter ist, daß der Kriegsminister in der öster¬<lb/>
reichischen Delegation ganz offen gegen den Thronfolger polemisiert hat. In<lb/>
einem christlichsozialen Blatte, der Reichspost, waren die Militärvorlagen, die<lb/>
der Kriegsminister vor den Delegationen vertrat, als völlig ungenügend und<lb/>
als &#x201E;elende Brocken" kritisiert worden. Infolge der Eigenart des Wiener<lb/>
Telephons, bei dem man die intimsten Gespräche Dritter belauschen kann, war<lb/>
es bekannt geworden, daß der Vorstand der Militärkanzlei des Thronfolgers<lb/>
den betreffenden Artikel inspiriert habe. Nach Schluß der Delegationssitzungen<lb/>
verlautete, dieser Offizier werde zur Truppe versetzt, was schließlich doch nicht<lb/>
eintrat. Tatsache ist. daß der Kriegsminister beim Thronfolger in schwerer<lb/>
Ungnade steht, vom Kaiser aber gehalten wird. Wenn auf Fürstengunst schon<lb/>
im allgemeinen keine Häuser zu bauen sind, so mag dies nach den bisherigen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0151] Rcichsspiegel ungarischen Regierung wegen der Reform des Militärstrafgesetzes. Es handelt sich dabei um die Verhandlungssprache der Gerichte. Bisher hat der österreichische Justizminister Hochenburger den ungarischen Forderungen tapfer widerstanden, aber er hätte es wohl nicht tun können, wenn er nicht oben den Rücken gedeckt gehabt hätte. „Oben" bedeutet aber in diesem Falle nicht den Kaiser allein, sondern auch den Thronfolger, der die Seele des Widerstandes gegenüber den nationalen Forderungen der Magyaren ist. Indes versucht Graf Khuen die Sache doch nochmals beim Kaiser, er empfiehlt den braven ungarischen Reichstag gegenüber dem unartigen Bruder in Wien und macht sich anheischig, das Wehr¬ gesetz in zwei Monaten zu erledigen, ohne Rücksicht darauf, ob es in Österreich erledigt wird oder nicht; nur das kleine rot-weiß-grüne Fähnchen möge man ihn daran heften lassen, damit er vor dem ungarischen Reichstag in Ehren erscheinen kann. Und dann noch eins: das Gesetz bedarf, um Kraft zu erhalten, der Annahme durch den österreichischen Reichsrat in gleichem Wortlaut; könnte sich dieser nicht doch vielleicht an dem bescheidenen ungarischen Fähnchen stoßen, und wäre es darum nicht besser, auch gleich das Wehrgesetz mit dem gleichen segensreichen Paragraphen in Österreich ins Leben treten zu lassen? so gewissermaßen um Lebens und Sterbens willen? Da wird die nächste Zeit interessante Entscheidungen bringen. Indes kommt der Thronfolger anläßlich des Besuchs des deutschen Kron¬ prinzenpaares wieder nach Wien. Zwischen ihm und dem Kaiser hat es in der letzten Zeit wohl einige Verstimmungen gegeben, zunächst wegen der Stellung seiner Gattin bei Hofe, für die er wieder eine Rangerhöhung forderte; der Kaiser hat nicht nachgegeben, und als die Seele des Widerstandes wird vor allen, seine Tochter, die Erzherzogin Valerie, genannt. Der Thronfolger vermied infolgedessen im vergangenen Winter die Hoffeste, und es hieß sogar, er werde dies so lange tun, bis er sein Ziel erreicht habe. Indessen hat er sich nun doch gefügt und ist mit seiner Gattin zum Empfange des deutschen Kaiserpaares nach Wien gekommen. Wer das sind Fanlilienangelegenheiten, die freilich auch auf die Politik ihre Schlaglichter werfen. Ernsthafter ist, daß der Kriegsminister in der öster¬ reichischen Delegation ganz offen gegen den Thronfolger polemisiert hat. In einem christlichsozialen Blatte, der Reichspost, waren die Militärvorlagen, die der Kriegsminister vor den Delegationen vertrat, als völlig ungenügend und als „elende Brocken" kritisiert worden. Infolge der Eigenart des Wiener Telephons, bei dem man die intimsten Gespräche Dritter belauschen kann, war es bekannt geworden, daß der Vorstand der Militärkanzlei des Thronfolgers den betreffenden Artikel inspiriert habe. Nach Schluß der Delegationssitzungen verlautete, dieser Offizier werde zur Truppe versetzt, was schließlich doch nicht eintrat. Tatsache ist. daß der Kriegsminister beim Thronfolger in schwerer Ungnade steht, vom Kaiser aber gehalten wird. Wenn auf Fürstengunst schon im allgemeinen keine Häuser zu bauen sind, so mag dies nach den bisherigen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/151
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/151>, abgerufen am 17.06.2024.