Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichsspiegol

Jndustriegesellschaften und Banken die Verpflichtung auferlegen solle, einen
bestimmten Betrag von Staatspapieren unter ihren Beständen auszuweisen.
Herr v. Gwinner bejaht die Frage, soweit sie die Sparkassen angeht; dagegen
lehnt er eine gesetzliche Bindung der Aktiengesellschaften ab. Er
begründet die Maßnahme mit der Notwendigkeit, auf eine größere Liquidität
der Sparkassen hinzuwirken, die angesichts eines Hypothekenbestandes in Höhe
von fast zwei Drittel der Anlagen durchaus ungenügend sei. Wie der Finanz¬
minister erklärte, wird die Negierung schon in aller Kürze einen dahingehender
Gesetzesvorschlag einbringen. Die Frage ist daher an sich wohl schon entschieden;
nur wird man hinsichtlich der Begründung, die sich anscheinend auch die
Regierung zu eigen machen will, einige Bedenken erheben müssen. Es ist
nämlich nicht richtig, daß durch eine vergrößerte Anlage in Staatspapieren die
Liquidität der Sparkassen sür den Ernstfall eine nennenswerte Stärkung erfährt.
Konsols sind ja freilich eine leichter bewegliche Anlage als Hypotheken; man
darf indessen nicht übersehen, daß bei Ausdruck) eines Krieges -- auf den
ausdrücklich exemplifiziert worden ist -- die Verwertung von Staatspapieren
kaun: geringeren Schwierigkeiten begegnen dürfte als die Beleihung von
Hypotheken. Herr v. Gwinner hat vollständig recht. Bei einem Kriege der
Zukunft müßte die erste Maßregel der Zwangskurs der Reichsbanknoten und
eine Suspendierung des Bankgesetzes sein. Wenn die Reichsbank schon in
normalen Zeiten wie am letzten Quartalswechsel eine Verschlechterung ihres
Status von etwa dreiviertel Milliarden erfährt, so liegt die Frage nahe, wie
der Reichsbankausweis im Augenblick einer Kriegserklärung sich gestalten wird.
Ja, die Maßregel des Zwangskurses wird sogar nicht ausreichen; es wird
notwendig sein, eine Stelle zu schaffen -- sei es um bei der Reichsbank oder
der Seehandlung --, welche die Beleihung von Staatspapieren und Hypotheken
bis zu einem gewissen Maximalbetrage gegen Staatspapiergeld oder gegen
Zwangsnoten durchführt. Ohne eine solche Maßregel würde sofort die Mehrzahl
unserer Sparkassen bankrott sein. Man sieht also, im Ernstfall ist der Unter¬
schied zwischen einer Anlage in Hypotheken und einer solchen in Staatspapieren
nicht so bedeutend, als es den Anschein hat. Es sind also auch nicht sowohl
Gründe der Liquidität als der Wunsch, dem Markt der Staatspapiere einen
ständigen Abnehmer zuzuführen, das bestimmende Motiv zu diesem gesetzgeberischen
Vorgehen. Uuter diesen Umständen aber ist eine Ausdehnung der Vorschrift
zum mindesten auf die Banken durchaus erwägenswert.

Der andere Punkt der Verhandlungen betraf wie im Vorjahre die Frage
der etatmäßigen Behandlung unserer Eisenbahneinnahmen. Herr
v. Gwinner vertritt mit Lebhaftigkeit und mit überzeugenden Gründen den
Standpunkt, daß es unwirtschaftlich sei, Investitionen der Eisenbahnen aus
Mitteln des Betriebs zu Schreiten. Er verlangt die Übernahme solcher Aus¬
gaben auf amortisablen Anleihekredit und demgemäß eine Erhöhung der zugunsten
der allgemeinen Staatseinnahmen abzuführenden Rente der Eisenbahnen. Bei


Reichsspiegol

Jndustriegesellschaften und Banken die Verpflichtung auferlegen solle, einen
bestimmten Betrag von Staatspapieren unter ihren Beständen auszuweisen.
Herr v. Gwinner bejaht die Frage, soweit sie die Sparkassen angeht; dagegen
lehnt er eine gesetzliche Bindung der Aktiengesellschaften ab. Er
begründet die Maßnahme mit der Notwendigkeit, auf eine größere Liquidität
der Sparkassen hinzuwirken, die angesichts eines Hypothekenbestandes in Höhe
von fast zwei Drittel der Anlagen durchaus ungenügend sei. Wie der Finanz¬
minister erklärte, wird die Negierung schon in aller Kürze einen dahingehender
Gesetzesvorschlag einbringen. Die Frage ist daher an sich wohl schon entschieden;
nur wird man hinsichtlich der Begründung, die sich anscheinend auch die
Regierung zu eigen machen will, einige Bedenken erheben müssen. Es ist
nämlich nicht richtig, daß durch eine vergrößerte Anlage in Staatspapieren die
Liquidität der Sparkassen sür den Ernstfall eine nennenswerte Stärkung erfährt.
Konsols sind ja freilich eine leichter bewegliche Anlage als Hypotheken; man
darf indessen nicht übersehen, daß bei Ausdruck) eines Krieges — auf den
ausdrücklich exemplifiziert worden ist — die Verwertung von Staatspapieren
kaun: geringeren Schwierigkeiten begegnen dürfte als die Beleihung von
Hypotheken. Herr v. Gwinner hat vollständig recht. Bei einem Kriege der
Zukunft müßte die erste Maßregel der Zwangskurs der Reichsbanknoten und
eine Suspendierung des Bankgesetzes sein. Wenn die Reichsbank schon in
normalen Zeiten wie am letzten Quartalswechsel eine Verschlechterung ihres
Status von etwa dreiviertel Milliarden erfährt, so liegt die Frage nahe, wie
der Reichsbankausweis im Augenblick einer Kriegserklärung sich gestalten wird.
Ja, die Maßregel des Zwangskurses wird sogar nicht ausreichen; es wird
notwendig sein, eine Stelle zu schaffen — sei es um bei der Reichsbank oder
der Seehandlung —, welche die Beleihung von Staatspapieren und Hypotheken
bis zu einem gewissen Maximalbetrage gegen Staatspapiergeld oder gegen
Zwangsnoten durchführt. Ohne eine solche Maßregel würde sofort die Mehrzahl
unserer Sparkassen bankrott sein. Man sieht also, im Ernstfall ist der Unter¬
schied zwischen einer Anlage in Hypotheken und einer solchen in Staatspapieren
nicht so bedeutend, als es den Anschein hat. Es sind also auch nicht sowohl
Gründe der Liquidität als der Wunsch, dem Markt der Staatspapiere einen
ständigen Abnehmer zuzuführen, das bestimmende Motiv zu diesem gesetzgeberischen
Vorgehen. Uuter diesen Umständen aber ist eine Ausdehnung der Vorschrift
zum mindesten auf die Banken durchaus erwägenswert.

Der andere Punkt der Verhandlungen betraf wie im Vorjahre die Frage
der etatmäßigen Behandlung unserer Eisenbahneinnahmen. Herr
v. Gwinner vertritt mit Lebhaftigkeit und mit überzeugenden Gründen den
Standpunkt, daß es unwirtschaftlich sei, Investitionen der Eisenbahnen aus
Mitteln des Betriebs zu Schreiten. Er verlangt die Übernahme solcher Aus¬
gaben auf amortisablen Anleihekredit und demgemäß eine Erhöhung der zugunsten
der allgemeinen Staatseinnahmen abzuführenden Rente der Eisenbahnen. Bei


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0153" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318436"/>
            <fw type="header" place="top"> Reichsspiegol</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_680" prev="#ID_679"> Jndustriegesellschaften und Banken die Verpflichtung auferlegen solle, einen<lb/>
bestimmten Betrag von Staatspapieren unter ihren Beständen auszuweisen.<lb/>
Herr v. Gwinner bejaht die Frage, soweit sie die Sparkassen angeht; dagegen<lb/>
lehnt er eine gesetzliche Bindung der Aktiengesellschaften ab. Er<lb/>
begründet die Maßnahme mit der Notwendigkeit, auf eine größere Liquidität<lb/>
der Sparkassen hinzuwirken, die angesichts eines Hypothekenbestandes in Höhe<lb/>
von fast zwei Drittel der Anlagen durchaus ungenügend sei. Wie der Finanz¬<lb/>
minister erklärte, wird die Negierung schon in aller Kürze einen dahingehender<lb/>
Gesetzesvorschlag einbringen. Die Frage ist daher an sich wohl schon entschieden;<lb/>
nur wird man hinsichtlich der Begründung, die sich anscheinend auch die<lb/>
Regierung zu eigen machen will, einige Bedenken erheben müssen. Es ist<lb/>
nämlich nicht richtig, daß durch eine vergrößerte Anlage in Staatspapieren die<lb/>
Liquidität der Sparkassen sür den Ernstfall eine nennenswerte Stärkung erfährt.<lb/>
Konsols sind ja freilich eine leichter bewegliche Anlage als Hypotheken; man<lb/>
darf indessen nicht übersehen, daß bei Ausdruck) eines Krieges &#x2014; auf den<lb/>
ausdrücklich exemplifiziert worden ist &#x2014; die Verwertung von Staatspapieren<lb/>
kaun: geringeren Schwierigkeiten begegnen dürfte als die Beleihung von<lb/>
Hypotheken. Herr v. Gwinner hat vollständig recht. Bei einem Kriege der<lb/>
Zukunft müßte die erste Maßregel der Zwangskurs der Reichsbanknoten und<lb/>
eine Suspendierung des Bankgesetzes sein. Wenn die Reichsbank schon in<lb/>
normalen Zeiten wie am letzten Quartalswechsel eine Verschlechterung ihres<lb/>
Status von etwa dreiviertel Milliarden erfährt, so liegt die Frage nahe, wie<lb/>
der Reichsbankausweis im Augenblick einer Kriegserklärung sich gestalten wird.<lb/>
Ja, die Maßregel des Zwangskurses wird sogar nicht ausreichen; es wird<lb/>
notwendig sein, eine Stelle zu schaffen &#x2014; sei es um bei der Reichsbank oder<lb/>
der Seehandlung &#x2014;, welche die Beleihung von Staatspapieren und Hypotheken<lb/>
bis zu einem gewissen Maximalbetrage gegen Staatspapiergeld oder gegen<lb/>
Zwangsnoten durchführt. Ohne eine solche Maßregel würde sofort die Mehrzahl<lb/>
unserer Sparkassen bankrott sein. Man sieht also, im Ernstfall ist der Unter¬<lb/>
schied zwischen einer Anlage in Hypotheken und einer solchen in Staatspapieren<lb/>
nicht so bedeutend, als es den Anschein hat. Es sind also auch nicht sowohl<lb/>
Gründe der Liquidität als der Wunsch, dem Markt der Staatspapiere einen<lb/>
ständigen Abnehmer zuzuführen, das bestimmende Motiv zu diesem gesetzgeberischen<lb/>
Vorgehen. Uuter diesen Umständen aber ist eine Ausdehnung der Vorschrift<lb/>
zum mindesten auf die Banken durchaus erwägenswert.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_681" next="#ID_682"> Der andere Punkt der Verhandlungen betraf wie im Vorjahre die Frage<lb/>
der etatmäßigen Behandlung unserer Eisenbahneinnahmen. Herr<lb/>
v. Gwinner vertritt mit Lebhaftigkeit und mit überzeugenden Gründen den<lb/>
Standpunkt, daß es unwirtschaftlich sei, Investitionen der Eisenbahnen aus<lb/>
Mitteln des Betriebs zu Schreiten. Er verlangt die Übernahme solcher Aus¬<lb/>
gaben auf amortisablen Anleihekredit und demgemäß eine Erhöhung der zugunsten<lb/>
der allgemeinen Staatseinnahmen abzuführenden Rente der Eisenbahnen. Bei</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0153] Reichsspiegol Jndustriegesellschaften und Banken die Verpflichtung auferlegen solle, einen bestimmten Betrag von Staatspapieren unter ihren Beständen auszuweisen. Herr v. Gwinner bejaht die Frage, soweit sie die Sparkassen angeht; dagegen lehnt er eine gesetzliche Bindung der Aktiengesellschaften ab. Er begründet die Maßnahme mit der Notwendigkeit, auf eine größere Liquidität der Sparkassen hinzuwirken, die angesichts eines Hypothekenbestandes in Höhe von fast zwei Drittel der Anlagen durchaus ungenügend sei. Wie der Finanz¬ minister erklärte, wird die Negierung schon in aller Kürze einen dahingehender Gesetzesvorschlag einbringen. Die Frage ist daher an sich wohl schon entschieden; nur wird man hinsichtlich der Begründung, die sich anscheinend auch die Regierung zu eigen machen will, einige Bedenken erheben müssen. Es ist nämlich nicht richtig, daß durch eine vergrößerte Anlage in Staatspapieren die Liquidität der Sparkassen sür den Ernstfall eine nennenswerte Stärkung erfährt. Konsols sind ja freilich eine leichter bewegliche Anlage als Hypotheken; man darf indessen nicht übersehen, daß bei Ausdruck) eines Krieges — auf den ausdrücklich exemplifiziert worden ist — die Verwertung von Staatspapieren kaun: geringeren Schwierigkeiten begegnen dürfte als die Beleihung von Hypotheken. Herr v. Gwinner hat vollständig recht. Bei einem Kriege der Zukunft müßte die erste Maßregel der Zwangskurs der Reichsbanknoten und eine Suspendierung des Bankgesetzes sein. Wenn die Reichsbank schon in normalen Zeiten wie am letzten Quartalswechsel eine Verschlechterung ihres Status von etwa dreiviertel Milliarden erfährt, so liegt die Frage nahe, wie der Reichsbankausweis im Augenblick einer Kriegserklärung sich gestalten wird. Ja, die Maßregel des Zwangskurses wird sogar nicht ausreichen; es wird notwendig sein, eine Stelle zu schaffen — sei es um bei der Reichsbank oder der Seehandlung —, welche die Beleihung von Staatspapieren und Hypotheken bis zu einem gewissen Maximalbetrage gegen Staatspapiergeld oder gegen Zwangsnoten durchführt. Ohne eine solche Maßregel würde sofort die Mehrzahl unserer Sparkassen bankrott sein. Man sieht also, im Ernstfall ist der Unter¬ schied zwischen einer Anlage in Hypotheken und einer solchen in Staatspapieren nicht so bedeutend, als es den Anschein hat. Es sind also auch nicht sowohl Gründe der Liquidität als der Wunsch, dem Markt der Staatspapiere einen ständigen Abnehmer zuzuführen, das bestimmende Motiv zu diesem gesetzgeberischen Vorgehen. Uuter diesen Umständen aber ist eine Ausdehnung der Vorschrift zum mindesten auf die Banken durchaus erwägenswert. Der andere Punkt der Verhandlungen betraf wie im Vorjahre die Frage der etatmäßigen Behandlung unserer Eisenbahneinnahmen. Herr v. Gwinner vertritt mit Lebhaftigkeit und mit überzeugenden Gründen den Standpunkt, daß es unwirtschaftlich sei, Investitionen der Eisenbahnen aus Mitteln des Betriebs zu Schreiten. Er verlangt die Übernahme solcher Aus¬ gaben auf amortisablen Anleihekredit und demgemäß eine Erhöhung der zugunsten der allgemeinen Staatseinnahmen abzuführenden Rente der Eisenbahnen. Bei

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/153
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/153>, abgerufen am 17.06.2024.