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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Gärten" für möglich, "die ebensogut als musikalische oder poetische Kompositionen
fähig sein müßten, einen bestimmten Empfindungszustand auszudrücken und zu
erzeugen".

Als Beispiel dafür führt er die große Gartenanlage zu Hohenheim an, in
der der Betrachter zunächst nicht ohne Befremdung römische Grabmäler, Tempel,
verfallene Mauern und dergleichen mit Schweizerhütten und lachende Blumenbeete
mit schwarzen Gefängnismauern abwechseln sieht. Aber, so meint er, wenn seine
Einbildungskraft die Verbindung so disparater Dinge nicht begreifen kann, so
wird die Vorstellung, eine ländliche Kolonie, die sich unter den Ruinen einer
römischen Stadt niederließ, vor Augen zu haben, mit einem Male die Wider¬
sprüche lösen und eine geistvolle Einheit in die barocke Komposition bringen.
"Ländliche Simplizität und versunkene städtische Herrlichkeit, die zwei äußersten
Zustände der Gesellschaft, grenzen auf eine rührende Art aneinander, und das
ernste Gefühl der Vergänglichkeit verliert sich wunderbar schön in dem Gefühl
des siegenden Lebens. Diese glückliche Mischung gießt durch die ganze Landschaft
einen tiefen elegischen Ton ans, der den empfindenden Betrachter zwischen Ruhe
und Bewegung, Nachdenken und Genuß schwankend erhält und noch lange nach¬
hallt, wenn schon alles verschwunden ist."

Wir fühlen deutlich, daß es sich also auch hier nicht um ein Kunstwerk,
sondern um eine Art von stummem natürlichen Theater mit Staffage handelt,
und es ist schwer zu begreifen, wie Schiller das "Gemälde (I) dieser Hohenheimer
Anlage" loben und zugleich das Seifersdorfer Tal bei Dresden, wo Sitten¬
sprüche auf eigene Täfelchen geschrieben an den Bäumen hingen und Moscheen
und griechische Tempel in buntem Gemisch durcheinander gewürfelt waren, in
einem Atem mit dem Garten zu Schwetzingen verurteilen konnte.

Die Annahme freilich, daß ein Landschaftsgarten überhaupt möglich sei,
daß man die natürliche Freiheit zu einem künstlerischen Gesetz erheben könne,
mußte notwendig in die Irre führen. Einige Jahrzehnte später suchten Leopold
v. Dessau in Wörlitz, Leurs in Potsdam und Berlin, und mit noch feinerem
Takte, größerer Kenntnis aller europäischen Gärten, reicherem Wissen des pflanz¬
lichen Lebens Fürst Pückler in Muskau den englischen Garten von allem
romantischen Wirrwarr zu befreien und den reinen Typus eines landschaftlichen
Gartens zu gewinnen. Was Pückler vor allem erreichte, war die bewunderungs¬
würdige Ordnung und Bepflanzung eines Neißetales, deren einzelne Baum¬
gruppen für uns dort, wo Pückler sich durch eine Verdoppelung geschlossener
Sichten dem Raumprinzip nähert, von herrlicher Wirkung sind, als Ganzes
aber keinen Garten bilden, sondern eine "idealisierte Landschaft". Diese
erweckt aber durch ihre Teile in uns nicht mehr, wie ihr Schöpfer forderte,
"gleich einem guten Buche neue Gedanken und Gefühle", weil die Gedanken
und Gefühle jener Zeit erloschen sind und keine künstlerischen Formen in diesen
Landschaftsbildern auf uns einen lebendigen Zwang ausüben. Wir empfinden
eine sorgfältige Pflege und ein tiefes Verständnis für die stofflichen Grundelemente


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Gärten" für möglich, „die ebensogut als musikalische oder poetische Kompositionen
fähig sein müßten, einen bestimmten Empfindungszustand auszudrücken und zu
erzeugen".

Als Beispiel dafür führt er die große Gartenanlage zu Hohenheim an, in
der der Betrachter zunächst nicht ohne Befremdung römische Grabmäler, Tempel,
verfallene Mauern und dergleichen mit Schweizerhütten und lachende Blumenbeete
mit schwarzen Gefängnismauern abwechseln sieht. Aber, so meint er, wenn seine
Einbildungskraft die Verbindung so disparater Dinge nicht begreifen kann, so
wird die Vorstellung, eine ländliche Kolonie, die sich unter den Ruinen einer
römischen Stadt niederließ, vor Augen zu haben, mit einem Male die Wider¬
sprüche lösen und eine geistvolle Einheit in die barocke Komposition bringen.
„Ländliche Simplizität und versunkene städtische Herrlichkeit, die zwei äußersten
Zustände der Gesellschaft, grenzen auf eine rührende Art aneinander, und das
ernste Gefühl der Vergänglichkeit verliert sich wunderbar schön in dem Gefühl
des siegenden Lebens. Diese glückliche Mischung gießt durch die ganze Landschaft
einen tiefen elegischen Ton ans, der den empfindenden Betrachter zwischen Ruhe
und Bewegung, Nachdenken und Genuß schwankend erhält und noch lange nach¬
hallt, wenn schon alles verschwunden ist."

Wir fühlen deutlich, daß es sich also auch hier nicht um ein Kunstwerk,
sondern um eine Art von stummem natürlichen Theater mit Staffage handelt,
und es ist schwer zu begreifen, wie Schiller das „Gemälde (I) dieser Hohenheimer
Anlage" loben und zugleich das Seifersdorfer Tal bei Dresden, wo Sitten¬
sprüche auf eigene Täfelchen geschrieben an den Bäumen hingen und Moscheen
und griechische Tempel in buntem Gemisch durcheinander gewürfelt waren, in
einem Atem mit dem Garten zu Schwetzingen verurteilen konnte.

Die Annahme freilich, daß ein Landschaftsgarten überhaupt möglich sei,
daß man die natürliche Freiheit zu einem künstlerischen Gesetz erheben könne,
mußte notwendig in die Irre führen. Einige Jahrzehnte später suchten Leopold
v. Dessau in Wörlitz, Leurs in Potsdam und Berlin, und mit noch feinerem
Takte, größerer Kenntnis aller europäischen Gärten, reicherem Wissen des pflanz¬
lichen Lebens Fürst Pückler in Muskau den englischen Garten von allem
romantischen Wirrwarr zu befreien und den reinen Typus eines landschaftlichen
Gartens zu gewinnen. Was Pückler vor allem erreichte, war die bewunderungs¬
würdige Ordnung und Bepflanzung eines Neißetales, deren einzelne Baum¬
gruppen für uns dort, wo Pückler sich durch eine Verdoppelung geschlossener
Sichten dem Raumprinzip nähert, von herrlicher Wirkung sind, als Ganzes
aber keinen Garten bilden, sondern eine „idealisierte Landschaft". Diese
erweckt aber durch ihre Teile in uns nicht mehr, wie ihr Schöpfer forderte,
„gleich einem guten Buche neue Gedanken und Gefühle", weil die Gedanken
und Gefühle jener Zeit erloschen sind und keine künstlerischen Formen in diesen
Landschaftsbildern auf uns einen lebendigen Zwang ausüben. Wir empfinden
eine sorgfältige Pflege und ein tiefes Verständnis für die stofflichen Grundelemente


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/166>, abgerufen am 17.06.2024.