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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Naturerkenntnis und Weltanschauung

mächtigeren zu schwächeren, welch letztere den ersten, ja oft sogar der Kraft des
Menschen unterliegen. Nur die ersteren können sich in der Vorstellung des
Menschen auf die Tauer als Götter erhalten, die letzteren werden durch den
Kampf ums Dasein, der also auch bis ins Götterleben seine Wellen schlägt,
entweder vernichtet oder in untergeordnete Stellungen gedrängt, wo sie für eine
Weltanschauung im Großen nicht mehr in Betracht kommen. Schließlich kon¬
zentriert sich fast alle Gewalt auf einen Obergott, den des Himmels bei den
Griechen, den der Sonne bei den Ägyptern.

Ich sage fast alle Gewalt; denn zu einer vollkommenen Einheit kann es
ans diesem Wege nicht kommen. Zu sehr tritt überall in der Natur wie im
Menschenleben der Kampf hervor, als daß man nicht neben dem Hauptgott
noch mindestens ein ihm widerstrebendes Prinzip anzunehmen genötigt wäre.
Stellt man beide Mächte als gleichberechtigt nebeneinander, dann hat man den
Gott des Lichtes und den der Finsternis, den Ormazd und Arimna der alten
Eranier, oder auf den Menschen bezogen den . guten und den bösen Gott. Er¬
kennt man im Glauben an den endlichen Sieg des Lichtes dein guten Gott die
Übermacht zu, dann muß man doch dem entgegengesetzten Prinzip gleichfalls
einige Selbständigkeit, zum mindesten die Macht zu einer gewissen Widersetzlichkeit
lassen und hat dann Gott und den Teufel, oder in stufenweiser Abänderung
Gott und die böse Welt, Gott und die Natur.

Der Dualismus scheint nun das non plus ultia aller Weltanschauung
zu sein, und ihm lassen sich auch alle Dinge und Geschehnisse der uns umgebenden
Welt zwanglos einordnen. Tatsächlich ist er stillschweigende Voraussetzung aller
höheren Religionen. Dennoch aber drängt es uns weiter.

Denn dieser Zweiheit von Gott und Welt oder -- abstrakter ausgedrückt--Geist
und Materie sieht sich der Mensch als ein Drittes gegenübergestellt. Beides ist
in ihm, und doch hat er das Bewußtsein, ja das Bedürfnis, eine Einheit zu
bilden. Darum folgt er nur einem inneren Drange, wenn er nun versucht, die
Kluft zwischen Geist und Materie zu überbrücken, eine Aufgabe, an der die
Philosophie seit zweiundeinhalb Jahrtausenden unermüdlich gearbeitet hat.

Die moderne Naturwissenschaft erhebt den Anspruch, diese Aufgabe gelöst
oder doch der Lösung recht nahe gebracht zu haben.

Um nun aber zu dem Punkte zu gelangen, an dem die Reformarbeit der
Naturwissenschaft einsetzte, müssen wir noch einmal auf unsere Definition von
Weltanschauung zurückgreifen. Bisher hat uns hauptsächlich die eine Hälfte des
Begriffes, nämlich die Vorstellung vom. Wesen der Welt in ihrer historischen
Entwicklung, beschäftigt. Es ist aber anzunehmen, daß auch die zweite Teil¬
vorstellung, nämlich die von der Stellung des Menschen in der Welt, im Laufe
der Menschheitsgeschichte wesentliche Abänderungen erfahren hat.

Dem urweltlichen Höhlenbewohner, der das Feuer noch nicht zu benutzen
verstand, der keine Waffe kannte als den gelegentlich aufgelesenen Stein, dessen
sicherster Schutz in der Verborgenheit bestand, werden wir noch kein Gefühl für


Naturerkenntnis und Weltanschauung

mächtigeren zu schwächeren, welch letztere den ersten, ja oft sogar der Kraft des
Menschen unterliegen. Nur die ersteren können sich in der Vorstellung des
Menschen auf die Tauer als Götter erhalten, die letzteren werden durch den
Kampf ums Dasein, der also auch bis ins Götterleben seine Wellen schlägt,
entweder vernichtet oder in untergeordnete Stellungen gedrängt, wo sie für eine
Weltanschauung im Großen nicht mehr in Betracht kommen. Schließlich kon¬
zentriert sich fast alle Gewalt auf einen Obergott, den des Himmels bei den
Griechen, den der Sonne bei den Ägyptern.

Ich sage fast alle Gewalt; denn zu einer vollkommenen Einheit kann es
ans diesem Wege nicht kommen. Zu sehr tritt überall in der Natur wie im
Menschenleben der Kampf hervor, als daß man nicht neben dem Hauptgott
noch mindestens ein ihm widerstrebendes Prinzip anzunehmen genötigt wäre.
Stellt man beide Mächte als gleichberechtigt nebeneinander, dann hat man den
Gott des Lichtes und den der Finsternis, den Ormazd und Arimna der alten
Eranier, oder auf den Menschen bezogen den . guten und den bösen Gott. Er¬
kennt man im Glauben an den endlichen Sieg des Lichtes dein guten Gott die
Übermacht zu, dann muß man doch dem entgegengesetzten Prinzip gleichfalls
einige Selbständigkeit, zum mindesten die Macht zu einer gewissen Widersetzlichkeit
lassen und hat dann Gott und den Teufel, oder in stufenweiser Abänderung
Gott und die böse Welt, Gott und die Natur.

Der Dualismus scheint nun das non plus ultia aller Weltanschauung
zu sein, und ihm lassen sich auch alle Dinge und Geschehnisse der uns umgebenden
Welt zwanglos einordnen. Tatsächlich ist er stillschweigende Voraussetzung aller
höheren Religionen. Dennoch aber drängt es uns weiter.

Denn dieser Zweiheit von Gott und Welt oder — abstrakter ausgedrückt—Geist
und Materie sieht sich der Mensch als ein Drittes gegenübergestellt. Beides ist
in ihm, und doch hat er das Bewußtsein, ja das Bedürfnis, eine Einheit zu
bilden. Darum folgt er nur einem inneren Drange, wenn er nun versucht, die
Kluft zwischen Geist und Materie zu überbrücken, eine Aufgabe, an der die
Philosophie seit zweiundeinhalb Jahrtausenden unermüdlich gearbeitet hat.

Die moderne Naturwissenschaft erhebt den Anspruch, diese Aufgabe gelöst
oder doch der Lösung recht nahe gebracht zu haben.

Um nun aber zu dem Punkte zu gelangen, an dem die Reformarbeit der
Naturwissenschaft einsetzte, müssen wir noch einmal auf unsere Definition von
Weltanschauung zurückgreifen. Bisher hat uns hauptsächlich die eine Hälfte des
Begriffes, nämlich die Vorstellung vom. Wesen der Welt in ihrer historischen
Entwicklung, beschäftigt. Es ist aber anzunehmen, daß auch die zweite Teil¬
vorstellung, nämlich die von der Stellung des Menschen in der Welt, im Laufe
der Menschheitsgeschichte wesentliche Abänderungen erfahren hat.

Dem urweltlichen Höhlenbewohner, der das Feuer noch nicht zu benutzen
verstand, der keine Waffe kannte als den gelegentlich aufgelesenen Stein, dessen
sicherster Schutz in der Verborgenheit bestand, werden wir noch kein Gefühl für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/17>, abgerufen am 17.06.2024.