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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die Ankaufsgeschäste der Ansiedlungskommission

ungesunden Emporschnellen der Güterpreise in dem so heftig entbrannten deutsch¬
polnischen Kampfe um den ostmärkischen Boden und bei verringerten Angebot
brauchbaren Bodens, namentlich aus polnischer Hand, im Jahre 1907 eine
kleine Ruhepause eintreten ließ, indem sie noch nicht 10000 Hektar ankaufte.
1909 entwickelte sie ihren Ankauf wieder über 20000 Hektar hinaus; das
folgende Jahr aber brachte dann einen neuen Rückgang auf weniger als
15000 Hektar, wovon, wie gesagt, nur noch rund 9 Prozent aus polnischer
Hand stammten -- einen Rückgang, der zum Beginn einer Periode vollständigen
Stillstandes zu werden droht, wenn nicht durch die Anwendung des Ent¬
eignungsgesetzes einerseits auch wieder der Erwerb polnischen Bodens ermöglicht,
anderseits dem ungesunden Weiteremporschnellen der Güterpreise Abbruch
getan wird.

Ebenso wie die nationalpolitische Aufgabe des Enteignungsgesetzes scheint
auch diese sehr wichtige wirtschaftspolitische Aufgabe vollkommen in Vergessenheit
geraten zu sein. Wohl hat man darauf hingewiesen, daß der Ansiedlungs-
kommission ja noch sehr starke Landangebote zur Verfügung stehen -- tatsächlich
wurden ihr auch jetzt noch über 100000 Hektar jährlich angeboten --; aber
einmal ist zu bedenken, daß es sich fast nur um Angebote aus deutscher Hand
handelt, zum zweiten, daß Jahr für Jahr immer wieder dieselben Angebote
unbrauchbaren Landes oder zu phantastischen Preisen wiederkehren, die ohne
weiteres auszuscheiden sind, und dann endlich, daß doch auch bei den neuen
Angeboten immer die Frage der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit des Ankaufes
eine sehr ernste Prüfung erheischt und weitaus der größere Teil des Angebotes
bei dieser Prüfung wiederum ausscheiden muß.

Der deutsch-polnische Kampf um den Boden hat zu einer Preissteigerung
geführt, bei der besonders vorsichtig mit der Auswahl des Bodens und der
Stellenauslegung vorgegangen werden muß, wenn die geschaffenen Anstedlungs-
stellen sich als lebensfähig erweisen sollen. Der Höhepunkt der ungesund
gesteigerten Bodenpreise war im Jahre 1907 mit 1508 Mark Durchschnittspreis
pro Hektar erreicht. Die Verabschiedung des Enteignungsgesetzes zu Beginn des
Jahres 1908 zeitigte eine so vorteilhafte Wirkung auf den Gütermarkt, daß
der pro Hektar anzuwendende Durchschnittspreis scharf auf 1181 Mark zurück¬
ging. Scheinbar haben sich nun für 1910 die Verhältnisse sogar noch günstiger
gestaltet, da nur 1114 Mark Durchschnittspreis pro Hektar angelegt zu werden
brauchten. Einmal aber ist dieser scheinbare Fortschritt verursacht durch den
Domänenerwerb und zum anderen durch den Ankauf sehr schlechten Bodens.
Das geht ganz klar hervor aus der Tatsache, daß die Ansiedlungskommission
noch niemals so hohe Summen pro Hektar im Vergleich zum Grundsteuer¬
reinertrag hat zahlen müssen wie im Jahre 1910. 1908, nach Verabschiedung
des Enteignungsgesetzes, zahlte sie das 115,1 sache des Grundsteuerreinertrages,
1909, als die Polen auf die Nichtanwendung des Enteignungsgesetzes zu hoffen
begannen, das 130,8 fache, 1910 aber gar das 150,6 fache des Grundsteuer-


Die Ankaufsgeschäste der Ansiedlungskommission

ungesunden Emporschnellen der Güterpreise in dem so heftig entbrannten deutsch¬
polnischen Kampfe um den ostmärkischen Boden und bei verringerten Angebot
brauchbaren Bodens, namentlich aus polnischer Hand, im Jahre 1907 eine
kleine Ruhepause eintreten ließ, indem sie noch nicht 10000 Hektar ankaufte.
1909 entwickelte sie ihren Ankauf wieder über 20000 Hektar hinaus; das
folgende Jahr aber brachte dann einen neuen Rückgang auf weniger als
15000 Hektar, wovon, wie gesagt, nur noch rund 9 Prozent aus polnischer
Hand stammten — einen Rückgang, der zum Beginn einer Periode vollständigen
Stillstandes zu werden droht, wenn nicht durch die Anwendung des Ent¬
eignungsgesetzes einerseits auch wieder der Erwerb polnischen Bodens ermöglicht,
anderseits dem ungesunden Weiteremporschnellen der Güterpreise Abbruch
getan wird.

Ebenso wie die nationalpolitische Aufgabe des Enteignungsgesetzes scheint
auch diese sehr wichtige wirtschaftspolitische Aufgabe vollkommen in Vergessenheit
geraten zu sein. Wohl hat man darauf hingewiesen, daß der Ansiedlungs-
kommission ja noch sehr starke Landangebote zur Verfügung stehen — tatsächlich
wurden ihr auch jetzt noch über 100000 Hektar jährlich angeboten —; aber
einmal ist zu bedenken, daß es sich fast nur um Angebote aus deutscher Hand
handelt, zum zweiten, daß Jahr für Jahr immer wieder dieselben Angebote
unbrauchbaren Landes oder zu phantastischen Preisen wiederkehren, die ohne
weiteres auszuscheiden sind, und dann endlich, daß doch auch bei den neuen
Angeboten immer die Frage der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit des Ankaufes
eine sehr ernste Prüfung erheischt und weitaus der größere Teil des Angebotes
bei dieser Prüfung wiederum ausscheiden muß.

Der deutsch-polnische Kampf um den Boden hat zu einer Preissteigerung
geführt, bei der besonders vorsichtig mit der Auswahl des Bodens und der
Stellenauslegung vorgegangen werden muß, wenn die geschaffenen Anstedlungs-
stellen sich als lebensfähig erweisen sollen. Der Höhepunkt der ungesund
gesteigerten Bodenpreise war im Jahre 1907 mit 1508 Mark Durchschnittspreis
pro Hektar erreicht. Die Verabschiedung des Enteignungsgesetzes zu Beginn des
Jahres 1908 zeitigte eine so vorteilhafte Wirkung auf den Gütermarkt, daß
der pro Hektar anzuwendende Durchschnittspreis scharf auf 1181 Mark zurück¬
ging. Scheinbar haben sich nun für 1910 die Verhältnisse sogar noch günstiger
gestaltet, da nur 1114 Mark Durchschnittspreis pro Hektar angelegt zu werden
brauchten. Einmal aber ist dieser scheinbare Fortschritt verursacht durch den
Domänenerwerb und zum anderen durch den Ankauf sehr schlechten Bodens.
Das geht ganz klar hervor aus der Tatsache, daß die Ansiedlungskommission
noch niemals so hohe Summen pro Hektar im Vergleich zum Grundsteuer¬
reinertrag hat zahlen müssen wie im Jahre 1910. 1908, nach Verabschiedung
des Enteignungsgesetzes, zahlte sie das 115,1 sache des Grundsteuerreinertrages,
1909, als die Polen auf die Nichtanwendung des Enteignungsgesetzes zu hoffen
begannen, das 130,8 fache, 1910 aber gar das 150,6 fache des Grundsteuer-


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[0177] Die Ankaufsgeschäste der Ansiedlungskommission ungesunden Emporschnellen der Güterpreise in dem so heftig entbrannten deutsch¬ polnischen Kampfe um den ostmärkischen Boden und bei verringerten Angebot brauchbaren Bodens, namentlich aus polnischer Hand, im Jahre 1907 eine kleine Ruhepause eintreten ließ, indem sie noch nicht 10000 Hektar ankaufte. 1909 entwickelte sie ihren Ankauf wieder über 20000 Hektar hinaus; das folgende Jahr aber brachte dann einen neuen Rückgang auf weniger als 15000 Hektar, wovon, wie gesagt, nur noch rund 9 Prozent aus polnischer Hand stammten — einen Rückgang, der zum Beginn einer Periode vollständigen Stillstandes zu werden droht, wenn nicht durch die Anwendung des Ent¬ eignungsgesetzes einerseits auch wieder der Erwerb polnischen Bodens ermöglicht, anderseits dem ungesunden Weiteremporschnellen der Güterpreise Abbruch getan wird. Ebenso wie die nationalpolitische Aufgabe des Enteignungsgesetzes scheint auch diese sehr wichtige wirtschaftspolitische Aufgabe vollkommen in Vergessenheit geraten zu sein. Wohl hat man darauf hingewiesen, daß der Ansiedlungs- kommission ja noch sehr starke Landangebote zur Verfügung stehen — tatsächlich wurden ihr auch jetzt noch über 100000 Hektar jährlich angeboten —; aber einmal ist zu bedenken, daß es sich fast nur um Angebote aus deutscher Hand handelt, zum zweiten, daß Jahr für Jahr immer wieder dieselben Angebote unbrauchbaren Landes oder zu phantastischen Preisen wiederkehren, die ohne weiteres auszuscheiden sind, und dann endlich, daß doch auch bei den neuen Angeboten immer die Frage der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit des Ankaufes eine sehr ernste Prüfung erheischt und weitaus der größere Teil des Angebotes bei dieser Prüfung wiederum ausscheiden muß. Der deutsch-polnische Kampf um den Boden hat zu einer Preissteigerung geführt, bei der besonders vorsichtig mit der Auswahl des Bodens und der Stellenauslegung vorgegangen werden muß, wenn die geschaffenen Anstedlungs- stellen sich als lebensfähig erweisen sollen. Der Höhepunkt der ungesund gesteigerten Bodenpreise war im Jahre 1907 mit 1508 Mark Durchschnittspreis pro Hektar erreicht. Die Verabschiedung des Enteignungsgesetzes zu Beginn des Jahres 1908 zeitigte eine so vorteilhafte Wirkung auf den Gütermarkt, daß der pro Hektar anzuwendende Durchschnittspreis scharf auf 1181 Mark zurück¬ ging. Scheinbar haben sich nun für 1910 die Verhältnisse sogar noch günstiger gestaltet, da nur 1114 Mark Durchschnittspreis pro Hektar angelegt zu werden brauchten. Einmal aber ist dieser scheinbare Fortschritt verursacht durch den Domänenerwerb und zum anderen durch den Ankauf sehr schlechten Bodens. Das geht ganz klar hervor aus der Tatsache, daß die Ansiedlungskommission noch niemals so hohe Summen pro Hektar im Vergleich zum Grundsteuer¬ reinertrag hat zahlen müssen wie im Jahre 1910. 1908, nach Verabschiedung des Enteignungsgesetzes, zahlte sie das 115,1 sache des Grundsteuerreinertrages, 1909, als die Polen auf die Nichtanwendung des Enteignungsgesetzes zu hoffen begannen, das 130,8 fache, 1910 aber gar das 150,6 fache des Grundsteuer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/177>, abgerufen am 17.06.2024.