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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Der Geircidebau

trotz der Getreidezölle noch unter dem Niveau der Getreidepreise von 1850
bis 1880 gestanden hätten (vor 1850 waren wir reines Ausfuhrland).

Diese Ansicht wird durch einen eigentümlichen Umstand bestätigt. Die
Erhöhung des Getreidezolltarifs trat 1906 in Kraft, die Besserung der land¬
wirtschaftlichen Verhältnisse setzte aber schon 1904 ein. Nun ist es ja möglich,
daß die Zollerhöhung ihren Schatten schon einige Jahre voraus geworfen haben
könnte. Aber dies Argument ist doch nur hinsichtlich der Bodenpreise glaubhaft.
Nach meinen Beobachtungen als steuerveranlagender Landrat waren aber schon
die Gutserträge der Jahre 1904 und 1905 weit höher als die irgendeines
der zwölf vorhergehenden Jahre. Bin ich da nicht durch eine rein lokale
Erscheinung getäuscht worden, so kann ich nur annehmen, daß dieselbe entweder
auf einen Umschwung des Klimas zurückzuführen ist, oder auf jenes unerklärliche
Etwas, das man als Konjunktur bezeichnet und das wesentlich im allgemeinen
Vertrauen der Geschäftswelt zu wurzeln scheint, oder endlich, daß die Vervoll¬
kommnung unserer staatlichen Einrichtungen und unserer landwirtschaftlichen
Betriebe diese Erfolge gezeitigt hat. Wahrscheinlich wirkten alle drei Momente
zusammen, und die als viertes Moment 1906 einsetzenden Zölle haben dann nur
den Druck der erschlossenen fernen Getreideländer abgewehrt.

Liegen die Dinge aber so, so ist -- auch bei bestehenbleibenden Zöllen --
ein Konjunkturrückschlag gar nicht ausgeschlossen, sogar wahrscheinlich. Das
sollten alle Landwirte beherzigen, die sich heute an der börsenartigen Hauffe
des Grund und Bodens beteiligen. Schon im alten Pharaonenlande, das
noch keinen Zolltarif kannte, sollen auf sieben fette Jahre sieben magere
gefolgt sein.

Wenn Brentano endlich zwar nicht für eine plötzliche Aufhebung, wohl
aber für eine allmähliche Herabsetzung der Zölle eintritt, so ist es auch einem
überzeugten Freunde der Landwirtschaft gar nicht unmöglich, eine derartige
Maßregel für die Zukunft in den Bereich des Möglichen und Zulässigen zu
ziehen. Nur über den Zeitpunkt einer solchen Maßregel wird er mit Professor
Brentano hadern. Der Getreidezoll muß bleiben, solange der Getreidepreisdruck
von auswärts bleibt, namentlich also, solange noch immer neue Getreideländer
(Mesopotamien) erschlossen werden. Daß die Getreideausfuhr aber aufhört,
sobald sich ein Land genügend mit Menschen, mit eigener Industrie vollgesogen
hat, sehen wir an den Vereinigten Staaten und ein wenig wohl auch schon an
Rußland. Und so ist wohl der Ausblick in die Zukunft gestattet, daß auch
Rußland, Argentinien. Kanada, Australien unserer Landwirtschaft dereinst --
wann, ist Tatfrage -- nicht mehr gefahrvoll sein und daß dann die zöllnerischen
Gegensätze bei uns erlöschen werden. Wehe aber dem Lande, das bis dahin
seine Landwirtschaft hat untergehen lassen! Das Italien der römischen Kaiserzeit
hatte jahrhundertelang von: Getreidebau seiner Kolonien gelebt. Als die Ver¬
hältnisse sich änderten, war Rom verloren. Die Landwirtschaft ließ sich nicht
wieder herstellen. Über die verlassenen Limes-Garnisonen hinweg drangen die


Der Geircidebau

trotz der Getreidezölle noch unter dem Niveau der Getreidepreise von 1850
bis 1880 gestanden hätten (vor 1850 waren wir reines Ausfuhrland).

Diese Ansicht wird durch einen eigentümlichen Umstand bestätigt. Die
Erhöhung des Getreidezolltarifs trat 1906 in Kraft, die Besserung der land¬
wirtschaftlichen Verhältnisse setzte aber schon 1904 ein. Nun ist es ja möglich,
daß die Zollerhöhung ihren Schatten schon einige Jahre voraus geworfen haben
könnte. Aber dies Argument ist doch nur hinsichtlich der Bodenpreise glaubhaft.
Nach meinen Beobachtungen als steuerveranlagender Landrat waren aber schon
die Gutserträge der Jahre 1904 und 1905 weit höher als die irgendeines
der zwölf vorhergehenden Jahre. Bin ich da nicht durch eine rein lokale
Erscheinung getäuscht worden, so kann ich nur annehmen, daß dieselbe entweder
auf einen Umschwung des Klimas zurückzuführen ist, oder auf jenes unerklärliche
Etwas, das man als Konjunktur bezeichnet und das wesentlich im allgemeinen
Vertrauen der Geschäftswelt zu wurzeln scheint, oder endlich, daß die Vervoll¬
kommnung unserer staatlichen Einrichtungen und unserer landwirtschaftlichen
Betriebe diese Erfolge gezeitigt hat. Wahrscheinlich wirkten alle drei Momente
zusammen, und die als viertes Moment 1906 einsetzenden Zölle haben dann nur
den Druck der erschlossenen fernen Getreideländer abgewehrt.

Liegen die Dinge aber so, so ist — auch bei bestehenbleibenden Zöllen —
ein Konjunkturrückschlag gar nicht ausgeschlossen, sogar wahrscheinlich. Das
sollten alle Landwirte beherzigen, die sich heute an der börsenartigen Hauffe
des Grund und Bodens beteiligen. Schon im alten Pharaonenlande, das
noch keinen Zolltarif kannte, sollen auf sieben fette Jahre sieben magere
gefolgt sein.

Wenn Brentano endlich zwar nicht für eine plötzliche Aufhebung, wohl
aber für eine allmähliche Herabsetzung der Zölle eintritt, so ist es auch einem
überzeugten Freunde der Landwirtschaft gar nicht unmöglich, eine derartige
Maßregel für die Zukunft in den Bereich des Möglichen und Zulässigen zu
ziehen. Nur über den Zeitpunkt einer solchen Maßregel wird er mit Professor
Brentano hadern. Der Getreidezoll muß bleiben, solange der Getreidepreisdruck
von auswärts bleibt, namentlich also, solange noch immer neue Getreideländer
(Mesopotamien) erschlossen werden. Daß die Getreideausfuhr aber aufhört,
sobald sich ein Land genügend mit Menschen, mit eigener Industrie vollgesogen
hat, sehen wir an den Vereinigten Staaten und ein wenig wohl auch schon an
Rußland. Und so ist wohl der Ausblick in die Zukunft gestattet, daß auch
Rußland, Argentinien. Kanada, Australien unserer Landwirtschaft dereinst —
wann, ist Tatfrage — nicht mehr gefahrvoll sein und daß dann die zöllnerischen
Gegensätze bei uns erlöschen werden. Wehe aber dem Lande, das bis dahin
seine Landwirtschaft hat untergehen lassen! Das Italien der römischen Kaiserzeit
hatte jahrhundertelang von: Getreidebau seiner Kolonien gelebt. Als die Ver¬
hältnisse sich änderten, war Rom verloren. Die Landwirtschaft ließ sich nicht
wieder herstellen. Über die verlassenen Limes-Garnisonen hinweg drangen die


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[0227] Der Geircidebau trotz der Getreidezölle noch unter dem Niveau der Getreidepreise von 1850 bis 1880 gestanden hätten (vor 1850 waren wir reines Ausfuhrland). Diese Ansicht wird durch einen eigentümlichen Umstand bestätigt. Die Erhöhung des Getreidezolltarifs trat 1906 in Kraft, die Besserung der land¬ wirtschaftlichen Verhältnisse setzte aber schon 1904 ein. Nun ist es ja möglich, daß die Zollerhöhung ihren Schatten schon einige Jahre voraus geworfen haben könnte. Aber dies Argument ist doch nur hinsichtlich der Bodenpreise glaubhaft. Nach meinen Beobachtungen als steuerveranlagender Landrat waren aber schon die Gutserträge der Jahre 1904 und 1905 weit höher als die irgendeines der zwölf vorhergehenden Jahre. Bin ich da nicht durch eine rein lokale Erscheinung getäuscht worden, so kann ich nur annehmen, daß dieselbe entweder auf einen Umschwung des Klimas zurückzuführen ist, oder auf jenes unerklärliche Etwas, das man als Konjunktur bezeichnet und das wesentlich im allgemeinen Vertrauen der Geschäftswelt zu wurzeln scheint, oder endlich, daß die Vervoll¬ kommnung unserer staatlichen Einrichtungen und unserer landwirtschaftlichen Betriebe diese Erfolge gezeitigt hat. Wahrscheinlich wirkten alle drei Momente zusammen, und die als viertes Moment 1906 einsetzenden Zölle haben dann nur den Druck der erschlossenen fernen Getreideländer abgewehrt. Liegen die Dinge aber so, so ist — auch bei bestehenbleibenden Zöllen — ein Konjunkturrückschlag gar nicht ausgeschlossen, sogar wahrscheinlich. Das sollten alle Landwirte beherzigen, die sich heute an der börsenartigen Hauffe des Grund und Bodens beteiligen. Schon im alten Pharaonenlande, das noch keinen Zolltarif kannte, sollen auf sieben fette Jahre sieben magere gefolgt sein. Wenn Brentano endlich zwar nicht für eine plötzliche Aufhebung, wohl aber für eine allmähliche Herabsetzung der Zölle eintritt, so ist es auch einem überzeugten Freunde der Landwirtschaft gar nicht unmöglich, eine derartige Maßregel für die Zukunft in den Bereich des Möglichen und Zulässigen zu ziehen. Nur über den Zeitpunkt einer solchen Maßregel wird er mit Professor Brentano hadern. Der Getreidezoll muß bleiben, solange der Getreidepreisdruck von auswärts bleibt, namentlich also, solange noch immer neue Getreideländer (Mesopotamien) erschlossen werden. Daß die Getreideausfuhr aber aufhört, sobald sich ein Land genügend mit Menschen, mit eigener Industrie vollgesogen hat, sehen wir an den Vereinigten Staaten und ein wenig wohl auch schon an Rußland. Und so ist wohl der Ausblick in die Zukunft gestattet, daß auch Rußland, Argentinien. Kanada, Australien unserer Landwirtschaft dereinst — wann, ist Tatfrage — nicht mehr gefahrvoll sein und daß dann die zöllnerischen Gegensätze bei uns erlöschen werden. Wehe aber dem Lande, das bis dahin seine Landwirtschaft hat untergehen lassen! Das Italien der römischen Kaiserzeit hatte jahrhundertelang von: Getreidebau seiner Kolonien gelebt. Als die Ver¬ hältnisse sich änderten, war Rom verloren. Die Landwirtschaft ließ sich nicht wieder herstellen. Über die verlassenen Limes-Garnisonen hinweg drangen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/227>, abgerufen am 17.06.2024.