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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Das Verhältnis von Staat und Kirche in Portugal

Prognose. Die geistlichen Großen stellten ihre Bedingungen, ebenso der Papst
(Lucius der Zweite), der zunächst den Titel "König" nicht bestätigte, bis die
Zugeständnisse auch ihm (Alexander dem Dritten) genügten. Der hundertjährige
Kampf zwischen Staat und Klerus, der schon unter Alfons' Nachfolger, Sancho
dem Ersten (1185 bis 1211), begann, zeitigte die Exkommunikation Alfons des
Zweiten (1211 bis 1223). die Absetzung Sanchos des Zweiten (1223 bis 1245)
durch den Papst Innocenz den Vierten (1244) -- auch gegen den übermäßigen
Grunderwcrb der Kirche kämpfte der Staat vergebens an -- und endete mit der
Gründung der Universität Lissabon (1290, 1308 nach Coimbra verlegt). Die
Bekämpfung des gemeinsamen äußeren Feindes, der Mauren, deren Besiegung
sie getrennt hatte, führte die inneren Feinde wieder zusammen. Während des
Schismas stand daher Portugal ans selten des "römischen" Papstes Bonifaz des
Vierten. Den geographischen Entdeckungen in Afrika, Amerika und Ostindien
um die Wende des fünfzehnten Jahrhunderts und der staatspolitischen Macht¬
erweiterung entsprachen außer dein staatlichen "Plazet" für päpstliche Erlasse
keine kirchenpolitischen Erfolge. Die Reichtümer, die Portugal durch seine koloniale
und handelspolitische Ausdehnung gewann, flössen zum großen Teil der Kirche
zu, die sich trotzdem weigerte, den Staat in äußeren Kämpfen wirtschaftlich zu
unterstützen; herrschte doch im zweiten Drittel des sechzehnten Jahrhunderts der
fromme König Joao der Dritte, der die Mission in den portugiesischen Kolonien
besser zu fördern verstand als das Prestige der Krone gegenüber der Kirche,
die Jesuiten begünstigte und der Einführung der Inquisition nicht widersprach.

Auf das den Handel und die Kolonialmacht Portugals schwächende Inter¬
regnum unter Philipp dem Zweiten folgten Johann von Braganza (Joao der
Vierte, 1640 bis 1662) und seine Söhne, die den Staat nach innen und außen
zu restaurieren bestrebt waren, freilich um die beschämende koloniale Abhängigkeit
von England (Methuen-Vertrag von 1703) vorzubereiten. Dafür errang König
Joao der Fünfte (1706 bis 1750) auf allen geistigen Gebieten um so größere
Erfolge. Die Geschichtsakademie wurde 1720 gegründet, Kunst- und Dicht¬
werke und Gesetze wurden gesammelt, eine Landesvermessung vorgenommen.
Freilich ließ sich Rom nicht entgehen, bei dieser "sanfteren Weise" mitzuspielen.
Das Land mußte die Herrschaft der Jesuiten tragen. Die Bevölkerung bestand
schließlich fast zu einem Zehntel aus Geistlichen (einschließlich Mönchen und
Nonnen). Die portugiesische Kirche kam in den Besitz ungeheurer Reichtümer.
Der fromme König, der das glanzvolle Patriarchat von Lissabon errichtet hat,
wurde von Papst Benedikt dem Vierzehnten im Jahre 1748 mit dem Ehrentitel
eines "Kex !in!eil8Sinn8" begnadet. Der letzte Trüger dieses Titels harrt
heute in England in: Exil der Fürsprache Pius des Zehnten zu seiner Wieder¬
einsetzung.

Wie in der französischen, so sucht man auch in der portugiesischen Geschichte
unwillkürlich nach Antezedentien, wenn man sich die Entstehung der heutigen
kirchenpolitischen Lage erklären will. Einen Ausgangspunkt bildet für Portugal


Das Verhältnis von Staat und Kirche in Portugal

Prognose. Die geistlichen Großen stellten ihre Bedingungen, ebenso der Papst
(Lucius der Zweite), der zunächst den Titel „König" nicht bestätigte, bis die
Zugeständnisse auch ihm (Alexander dem Dritten) genügten. Der hundertjährige
Kampf zwischen Staat und Klerus, der schon unter Alfons' Nachfolger, Sancho
dem Ersten (1185 bis 1211), begann, zeitigte die Exkommunikation Alfons des
Zweiten (1211 bis 1223). die Absetzung Sanchos des Zweiten (1223 bis 1245)
durch den Papst Innocenz den Vierten (1244) — auch gegen den übermäßigen
Grunderwcrb der Kirche kämpfte der Staat vergebens an — und endete mit der
Gründung der Universität Lissabon (1290, 1308 nach Coimbra verlegt). Die
Bekämpfung des gemeinsamen äußeren Feindes, der Mauren, deren Besiegung
sie getrennt hatte, führte die inneren Feinde wieder zusammen. Während des
Schismas stand daher Portugal ans selten des „römischen" Papstes Bonifaz des
Vierten. Den geographischen Entdeckungen in Afrika, Amerika und Ostindien
um die Wende des fünfzehnten Jahrhunderts und der staatspolitischen Macht¬
erweiterung entsprachen außer dein staatlichen „Plazet" für päpstliche Erlasse
keine kirchenpolitischen Erfolge. Die Reichtümer, die Portugal durch seine koloniale
und handelspolitische Ausdehnung gewann, flössen zum großen Teil der Kirche
zu, die sich trotzdem weigerte, den Staat in äußeren Kämpfen wirtschaftlich zu
unterstützen; herrschte doch im zweiten Drittel des sechzehnten Jahrhunderts der
fromme König Joao der Dritte, der die Mission in den portugiesischen Kolonien
besser zu fördern verstand als das Prestige der Krone gegenüber der Kirche,
die Jesuiten begünstigte und der Einführung der Inquisition nicht widersprach.

Auf das den Handel und die Kolonialmacht Portugals schwächende Inter¬
regnum unter Philipp dem Zweiten folgten Johann von Braganza (Joao der
Vierte, 1640 bis 1662) und seine Söhne, die den Staat nach innen und außen
zu restaurieren bestrebt waren, freilich um die beschämende koloniale Abhängigkeit
von England (Methuen-Vertrag von 1703) vorzubereiten. Dafür errang König
Joao der Fünfte (1706 bis 1750) auf allen geistigen Gebieten um so größere
Erfolge. Die Geschichtsakademie wurde 1720 gegründet, Kunst- und Dicht¬
werke und Gesetze wurden gesammelt, eine Landesvermessung vorgenommen.
Freilich ließ sich Rom nicht entgehen, bei dieser „sanfteren Weise" mitzuspielen.
Das Land mußte die Herrschaft der Jesuiten tragen. Die Bevölkerung bestand
schließlich fast zu einem Zehntel aus Geistlichen (einschließlich Mönchen und
Nonnen). Die portugiesische Kirche kam in den Besitz ungeheurer Reichtümer.
Der fromme König, der das glanzvolle Patriarchat von Lissabon errichtet hat,
wurde von Papst Benedikt dem Vierzehnten im Jahre 1748 mit dem Ehrentitel
eines „Kex !in!eil8Sinn8" begnadet. Der letzte Trüger dieses Titels harrt
heute in England in: Exil der Fürsprache Pius des Zehnten zu seiner Wieder¬
einsetzung.

Wie in der französischen, so sucht man auch in der portugiesischen Geschichte
unwillkürlich nach Antezedentien, wenn man sich die Entstehung der heutigen
kirchenpolitischen Lage erklären will. Einen Ausgangspunkt bildet für Portugal


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/254>, abgerufen am 17.06.2024.