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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Das Verhältnis von Staat und Kirche in Portugal

(National- und Zentrallyzeen) sollen eine höhere Bildung vorbereiten helfen, die
Privatreal- und Militär-, Kriegs-, Schiffahrts-, Literatur-, Kunst-, medizinisch¬
chirurgischen, Industrie-, Handels-, Tierarznei-, Landwirtschaftsschulen spezielle
Fachbildung vermitteln. Die Hochschulen in Coimbra (50 Professoren, 1200
Studenten) mit 5 Fakultäten (Theologie, Jurisprudenz, Medizin, Mathematik,
Philosophie), die technischen Schulen und Akademien in Lissabon und Oporto
(etwa 300 Schüler), die Sonderschule (curso 8upsrior ac tetras) in Lissabon
sowie die Akademie der Wissenschaften repräsentieren den wissensch aftlichen Bildungs¬
grad des Landes. Die Staatsfinanzen sind die denkbar schlechtesten; das Budget
verzeichnet nahezu 4000 Millionen Mark Schulden.

Der Staat hat ein Kultusbudget für die Kirche in Höhe von 650000 Milreis
pro Jahr, während die Gemeinden ihre Pfarrer selbst besolden müssen, dafür
aber (seit 1836) den Kirchenzehnten nicht mehr abzuliefern brauchen.

Zivilstandsregister, und damit die Möglichkeit gesetzlichen Eheabschlusses für
Nichtkatholiken. wurden 1878 eingeführt.

Noch ist der Einfluß der römisch-katholischen Kirche in Portugal groß, die
Zucht der Hierarchie stramm, die geistlichen Orden (Jesuiten, Franziskaner,
Väter vom Heiligen Geist, Lazaristen usw.) sind angesehen, die Staatsreligion
beherrscht die Seelen. 3 Erzbistümer (1 Patriarchat) und 9 Bistümer bezeichnen
die kirchlichen Herrschaftsgrenzen innerhalb der drei Kirchenprovinzen Braga,
Eoora und Lissabon. In der ersten Kammer der Stände sitzen 10 Bischöfe und
3 Erzbischöfe. Die Verfassung (von 1826) erkennt keine Religion als die
katholische an und verbietet jeder anderen Konfession die Errichtung gotteshaus¬
ähnlicher Gebäude. Nahezu 4000 Pfarrer leiten die Seelsorge. In den Kolonien
bestehen 4 Bistümer für die Inseln und Westafrika; 5 Bischöfe und 1 Erzbischof
unter dem "Primas des Ostens", dem Erzbischof von Goa, sind die geistlichen
Beherrscher Westindiens, dem Primas unterstehen auch die drei portugiesischen
Bischöfe in China. Alles in allem: eine machtvolle Organisation, die dem
Pöbel gegenüber noch nichts von ihrem Einfluß eingebüßt hat. Dem Pöbel
und -- den Frauen gegenüber. Auch in diesem Punkte liegen die Verhältnisse in
Portugal ähnlich denen in Spanien. Wer die Portugiesinnen beherrscht, hat
die -- höflichen, nicht ungelehrigen, aber kirchenfreundlichen und nachsichtigen --
Portugiesen an der Hand. Solange das gewaltige psychische Zwangsmittel der
geistlichen Ohrenbeichte (insonderheit der privaten) die zarten weiblichen Seelen
bedrückt, wird auch der rücksichtsloseste Mannesmut die "Trennung von Staat
und Kirche" in Portugal nicht zustande bringen.




Das Verhältnis von Staat und Kirche in Portugal

(National- und Zentrallyzeen) sollen eine höhere Bildung vorbereiten helfen, die
Privatreal- und Militär-, Kriegs-, Schiffahrts-, Literatur-, Kunst-, medizinisch¬
chirurgischen, Industrie-, Handels-, Tierarznei-, Landwirtschaftsschulen spezielle
Fachbildung vermitteln. Die Hochschulen in Coimbra (50 Professoren, 1200
Studenten) mit 5 Fakultäten (Theologie, Jurisprudenz, Medizin, Mathematik,
Philosophie), die technischen Schulen und Akademien in Lissabon und Oporto
(etwa 300 Schüler), die Sonderschule (curso 8upsrior ac tetras) in Lissabon
sowie die Akademie der Wissenschaften repräsentieren den wissensch aftlichen Bildungs¬
grad des Landes. Die Staatsfinanzen sind die denkbar schlechtesten; das Budget
verzeichnet nahezu 4000 Millionen Mark Schulden.

Der Staat hat ein Kultusbudget für die Kirche in Höhe von 650000 Milreis
pro Jahr, während die Gemeinden ihre Pfarrer selbst besolden müssen, dafür
aber (seit 1836) den Kirchenzehnten nicht mehr abzuliefern brauchen.

Zivilstandsregister, und damit die Möglichkeit gesetzlichen Eheabschlusses für
Nichtkatholiken. wurden 1878 eingeführt.

Noch ist der Einfluß der römisch-katholischen Kirche in Portugal groß, die
Zucht der Hierarchie stramm, die geistlichen Orden (Jesuiten, Franziskaner,
Väter vom Heiligen Geist, Lazaristen usw.) sind angesehen, die Staatsreligion
beherrscht die Seelen. 3 Erzbistümer (1 Patriarchat) und 9 Bistümer bezeichnen
die kirchlichen Herrschaftsgrenzen innerhalb der drei Kirchenprovinzen Braga,
Eoora und Lissabon. In der ersten Kammer der Stände sitzen 10 Bischöfe und
3 Erzbischöfe. Die Verfassung (von 1826) erkennt keine Religion als die
katholische an und verbietet jeder anderen Konfession die Errichtung gotteshaus¬
ähnlicher Gebäude. Nahezu 4000 Pfarrer leiten die Seelsorge. In den Kolonien
bestehen 4 Bistümer für die Inseln und Westafrika; 5 Bischöfe und 1 Erzbischof
unter dem „Primas des Ostens", dem Erzbischof von Goa, sind die geistlichen
Beherrscher Westindiens, dem Primas unterstehen auch die drei portugiesischen
Bischöfe in China. Alles in allem: eine machtvolle Organisation, die dem
Pöbel gegenüber noch nichts von ihrem Einfluß eingebüßt hat. Dem Pöbel
und — den Frauen gegenüber. Auch in diesem Punkte liegen die Verhältnisse in
Portugal ähnlich denen in Spanien. Wer die Portugiesinnen beherrscht, hat
die — höflichen, nicht ungelehrigen, aber kirchenfreundlichen und nachsichtigen —
Portugiesen an der Hand. Solange das gewaltige psychische Zwangsmittel der
geistlichen Ohrenbeichte (insonderheit der privaten) die zarten weiblichen Seelen
bedrückt, wird auch der rücksichtsloseste Mannesmut die „Trennung von Staat
und Kirche" in Portugal nicht zustande bringen.




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[0257] Das Verhältnis von Staat und Kirche in Portugal (National- und Zentrallyzeen) sollen eine höhere Bildung vorbereiten helfen, die Privatreal- und Militär-, Kriegs-, Schiffahrts-, Literatur-, Kunst-, medizinisch¬ chirurgischen, Industrie-, Handels-, Tierarznei-, Landwirtschaftsschulen spezielle Fachbildung vermitteln. Die Hochschulen in Coimbra (50 Professoren, 1200 Studenten) mit 5 Fakultäten (Theologie, Jurisprudenz, Medizin, Mathematik, Philosophie), die technischen Schulen und Akademien in Lissabon und Oporto (etwa 300 Schüler), die Sonderschule (curso 8upsrior ac tetras) in Lissabon sowie die Akademie der Wissenschaften repräsentieren den wissensch aftlichen Bildungs¬ grad des Landes. Die Staatsfinanzen sind die denkbar schlechtesten; das Budget verzeichnet nahezu 4000 Millionen Mark Schulden. Der Staat hat ein Kultusbudget für die Kirche in Höhe von 650000 Milreis pro Jahr, während die Gemeinden ihre Pfarrer selbst besolden müssen, dafür aber (seit 1836) den Kirchenzehnten nicht mehr abzuliefern brauchen. Zivilstandsregister, und damit die Möglichkeit gesetzlichen Eheabschlusses für Nichtkatholiken. wurden 1878 eingeführt. Noch ist der Einfluß der römisch-katholischen Kirche in Portugal groß, die Zucht der Hierarchie stramm, die geistlichen Orden (Jesuiten, Franziskaner, Väter vom Heiligen Geist, Lazaristen usw.) sind angesehen, die Staatsreligion beherrscht die Seelen. 3 Erzbistümer (1 Patriarchat) und 9 Bistümer bezeichnen die kirchlichen Herrschaftsgrenzen innerhalb der drei Kirchenprovinzen Braga, Eoora und Lissabon. In der ersten Kammer der Stände sitzen 10 Bischöfe und 3 Erzbischöfe. Die Verfassung (von 1826) erkennt keine Religion als die katholische an und verbietet jeder anderen Konfession die Errichtung gotteshaus¬ ähnlicher Gebäude. Nahezu 4000 Pfarrer leiten die Seelsorge. In den Kolonien bestehen 4 Bistümer für die Inseln und Westafrika; 5 Bischöfe und 1 Erzbischof unter dem „Primas des Ostens", dem Erzbischof von Goa, sind die geistlichen Beherrscher Westindiens, dem Primas unterstehen auch die drei portugiesischen Bischöfe in China. Alles in allem: eine machtvolle Organisation, die dem Pöbel gegenüber noch nichts von ihrem Einfluß eingebüßt hat. Dem Pöbel und — den Frauen gegenüber. Auch in diesem Punkte liegen die Verhältnisse in Portugal ähnlich denen in Spanien. Wer die Portugiesinnen beherrscht, hat die — höflichen, nicht ungelehrigen, aber kirchenfreundlichen und nachsichtigen — Portugiesen an der Hand. Solange das gewaltige psychische Zwangsmittel der geistlichen Ohrenbeichte (insonderheit der privaten) die zarten weiblichen Seelen bedrückt, wird auch der rücksichtsloseste Mannesmut die „Trennung von Staat und Kirche" in Portugal nicht zustande bringen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/257>, abgerufen am 17.06.2024.