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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reformvorschläge für die deutschen Universitäten

Er beruht nicht allein darin, daß der Ordinarius ein höheres Gehalt bezieht
als der Extraordinarius, sondern vor allein auch darin, daß nur der Ordinarius
vollberechtigtes Fakultätsmitglied ist und als solches sowohl an der Verwaltung
der Fakultätsangelegenheiten vollen Anteil nimmt, als auch von den besonderen
Fakultätseinnahmen eine entsprechende Quote genießt. Hieraus folgt aber, daß
die Beantwortung der Frage, ob eine neu zu errichtende Lehrkanzel ein Ordi¬
nariat oder ein Extraordinariat werden soll, nicht nur davon abhängt, ob die
Mittel für die höhere Besoldung eines Ordinarius vorhanden, sondern auch
davon, ob die Voraussetzungen zu einer Erweiterung der Fakultät gegeben sin d
Zu diesen Voraussetzungen wird, obwohl eine ausdrückliche Rechtsvorschrift nicht
besteht, von einem Teil der deutschen Bundesstaaten, die Universitäten besitzen,
auch die Zustimmung der betreffenden Fakultät gerechnet, und mindestens wird
in der Regel vor Errichtung eines neuen Ordinariats die betreffende Fakultät
darüber gehört werden. Deshalb scheint es angebracht, zu erörtern, wie sich
voraussichtlich die einzelnen Fakultäten zu einer anzuregenden Vermehrung ihrer
Ordinariate stellen werden.

Am wenigsten ist das Bedürfnis nach einer weiteren Teilung der Fach¬
professuren bisher wohl bei der theologischen Fakultät hervorgetreten. Bei der
juristischen Fakultät hat die neuzeitliche Entwicklung der Wissenschaft vom Staate und
seinen Grundlagen einer- und vom Rechte anderseits die Zweckmäßigkeit der Ver¬
bindung der Rechts- mit der Staatswissenschaft nahegelegt. In der Tat verlangt
man heute von dem künftigen Juristen, und zwar nicht nur von dem künftigen Ver¬
waltungsmann, sondern auch von dem künftigen Richter und Rechtsanwalt mehr als
je, daß er auch in derVolkswirtschaftslehre, Finanzwissenschaft und Politik, geschweige
denn im Staats- und Verwaltungsrecht sich umgesehen habe, ja es bricht sich
immer entscheidender die Überzeugung Bahn, daß richtiges und volles Ver¬
ständnis für die Erscheinungen des Rechts überhaupt nur auf staatswissenschaft¬
licher Grundlage zu gewinnen ist. Deshalb darf gehofft werden, daß seitens
der juristischen Fakultäten einer Umwandlung der seitherigen juristischen Fakul¬
täten in rechts- und staatswissenschaftliche, auch, unter Vermehrung der Zahl der
Ordinariate, kein Hindernis bereitet werden wird.

Am häufigsten von den drei oberen Fakultäten wird wohl in der medi¬
zinischen Fakultät das Bedürfnis zur Errichtung eines neuen Ordinariats ein¬
treten. Hier hat sich nämlich die Behandlung der Kinderkrankheiten, der Haut-
und Geschlechtskrankheiten, der Ohren-, Hals- und Nasenkrankheiten in den letzten
Jahrzehnten mehr und mehr zu selbständigen Gebieten entwickelt, für die man
vielfach eigene klinische Anstalten, getrennt von den Kliniken für innere Krank¬
heiten und für Chirurgie, unter besonderen Direktoren errichtet hat. Die medi¬
zinischen Fakultäten haben, dem Bedürfnisse der Zeit und der Studenten Rechnung
tragend, selbst hierzu Anregung gegeben, wollen aber zum Teil den Direktoren
dieser Sonderkliniken nicht die Rechte ordentlicher Professoren zugestehen. Für
die Vertreter der betreffenden Fächer, der Pädiatrie, Dermatologie, Svphilido-


Reformvorschläge für die deutschen Universitäten

Er beruht nicht allein darin, daß der Ordinarius ein höheres Gehalt bezieht
als der Extraordinarius, sondern vor allein auch darin, daß nur der Ordinarius
vollberechtigtes Fakultätsmitglied ist und als solches sowohl an der Verwaltung
der Fakultätsangelegenheiten vollen Anteil nimmt, als auch von den besonderen
Fakultätseinnahmen eine entsprechende Quote genießt. Hieraus folgt aber, daß
die Beantwortung der Frage, ob eine neu zu errichtende Lehrkanzel ein Ordi¬
nariat oder ein Extraordinariat werden soll, nicht nur davon abhängt, ob die
Mittel für die höhere Besoldung eines Ordinarius vorhanden, sondern auch
davon, ob die Voraussetzungen zu einer Erweiterung der Fakultät gegeben sin d
Zu diesen Voraussetzungen wird, obwohl eine ausdrückliche Rechtsvorschrift nicht
besteht, von einem Teil der deutschen Bundesstaaten, die Universitäten besitzen,
auch die Zustimmung der betreffenden Fakultät gerechnet, und mindestens wird
in der Regel vor Errichtung eines neuen Ordinariats die betreffende Fakultät
darüber gehört werden. Deshalb scheint es angebracht, zu erörtern, wie sich
voraussichtlich die einzelnen Fakultäten zu einer anzuregenden Vermehrung ihrer
Ordinariate stellen werden.

Am wenigsten ist das Bedürfnis nach einer weiteren Teilung der Fach¬
professuren bisher wohl bei der theologischen Fakultät hervorgetreten. Bei der
juristischen Fakultät hat die neuzeitliche Entwicklung der Wissenschaft vom Staate und
seinen Grundlagen einer- und vom Rechte anderseits die Zweckmäßigkeit der Ver¬
bindung der Rechts- mit der Staatswissenschaft nahegelegt. In der Tat verlangt
man heute von dem künftigen Juristen, und zwar nicht nur von dem künftigen Ver¬
waltungsmann, sondern auch von dem künftigen Richter und Rechtsanwalt mehr als
je, daß er auch in derVolkswirtschaftslehre, Finanzwissenschaft und Politik, geschweige
denn im Staats- und Verwaltungsrecht sich umgesehen habe, ja es bricht sich
immer entscheidender die Überzeugung Bahn, daß richtiges und volles Ver¬
ständnis für die Erscheinungen des Rechts überhaupt nur auf staatswissenschaft¬
licher Grundlage zu gewinnen ist. Deshalb darf gehofft werden, daß seitens
der juristischen Fakultäten einer Umwandlung der seitherigen juristischen Fakul¬
täten in rechts- und staatswissenschaftliche, auch, unter Vermehrung der Zahl der
Ordinariate, kein Hindernis bereitet werden wird.

Am häufigsten von den drei oberen Fakultäten wird wohl in der medi¬
zinischen Fakultät das Bedürfnis zur Errichtung eines neuen Ordinariats ein¬
treten. Hier hat sich nämlich die Behandlung der Kinderkrankheiten, der Haut-
und Geschlechtskrankheiten, der Ohren-, Hals- und Nasenkrankheiten in den letzten
Jahrzehnten mehr und mehr zu selbständigen Gebieten entwickelt, für die man
vielfach eigene klinische Anstalten, getrennt von den Kliniken für innere Krank¬
heiten und für Chirurgie, unter besonderen Direktoren errichtet hat. Die medi¬
zinischen Fakultäten haben, dem Bedürfnisse der Zeit und der Studenten Rechnung
tragend, selbst hierzu Anregung gegeben, wollen aber zum Teil den Direktoren
dieser Sonderkliniken nicht die Rechte ordentlicher Professoren zugestehen. Für
die Vertreter der betreffenden Fächer, der Pädiatrie, Dermatologie, Svphilido-


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[0259] Reformvorschläge für die deutschen Universitäten Er beruht nicht allein darin, daß der Ordinarius ein höheres Gehalt bezieht als der Extraordinarius, sondern vor allein auch darin, daß nur der Ordinarius vollberechtigtes Fakultätsmitglied ist und als solches sowohl an der Verwaltung der Fakultätsangelegenheiten vollen Anteil nimmt, als auch von den besonderen Fakultätseinnahmen eine entsprechende Quote genießt. Hieraus folgt aber, daß die Beantwortung der Frage, ob eine neu zu errichtende Lehrkanzel ein Ordi¬ nariat oder ein Extraordinariat werden soll, nicht nur davon abhängt, ob die Mittel für die höhere Besoldung eines Ordinarius vorhanden, sondern auch davon, ob die Voraussetzungen zu einer Erweiterung der Fakultät gegeben sin d Zu diesen Voraussetzungen wird, obwohl eine ausdrückliche Rechtsvorschrift nicht besteht, von einem Teil der deutschen Bundesstaaten, die Universitäten besitzen, auch die Zustimmung der betreffenden Fakultät gerechnet, und mindestens wird in der Regel vor Errichtung eines neuen Ordinariats die betreffende Fakultät darüber gehört werden. Deshalb scheint es angebracht, zu erörtern, wie sich voraussichtlich die einzelnen Fakultäten zu einer anzuregenden Vermehrung ihrer Ordinariate stellen werden. Am wenigsten ist das Bedürfnis nach einer weiteren Teilung der Fach¬ professuren bisher wohl bei der theologischen Fakultät hervorgetreten. Bei der juristischen Fakultät hat die neuzeitliche Entwicklung der Wissenschaft vom Staate und seinen Grundlagen einer- und vom Rechte anderseits die Zweckmäßigkeit der Ver¬ bindung der Rechts- mit der Staatswissenschaft nahegelegt. In der Tat verlangt man heute von dem künftigen Juristen, und zwar nicht nur von dem künftigen Ver¬ waltungsmann, sondern auch von dem künftigen Richter und Rechtsanwalt mehr als je, daß er auch in derVolkswirtschaftslehre, Finanzwissenschaft und Politik, geschweige denn im Staats- und Verwaltungsrecht sich umgesehen habe, ja es bricht sich immer entscheidender die Überzeugung Bahn, daß richtiges und volles Ver¬ ständnis für die Erscheinungen des Rechts überhaupt nur auf staatswissenschaft¬ licher Grundlage zu gewinnen ist. Deshalb darf gehofft werden, daß seitens der juristischen Fakultäten einer Umwandlung der seitherigen juristischen Fakul¬ täten in rechts- und staatswissenschaftliche, auch, unter Vermehrung der Zahl der Ordinariate, kein Hindernis bereitet werden wird. Am häufigsten von den drei oberen Fakultäten wird wohl in der medi¬ zinischen Fakultät das Bedürfnis zur Errichtung eines neuen Ordinariats ein¬ treten. Hier hat sich nämlich die Behandlung der Kinderkrankheiten, der Haut- und Geschlechtskrankheiten, der Ohren-, Hals- und Nasenkrankheiten in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr zu selbständigen Gebieten entwickelt, für die man vielfach eigene klinische Anstalten, getrennt von den Kliniken für innere Krank¬ heiten und für Chirurgie, unter besonderen Direktoren errichtet hat. Die medi¬ zinischen Fakultäten haben, dem Bedürfnisse der Zeit und der Studenten Rechnung tragend, selbst hierzu Anregung gegeben, wollen aber zum Teil den Direktoren dieser Sonderkliniken nicht die Rechte ordentlicher Professoren zugestehen. Für die Vertreter der betreffenden Fächer, der Pädiatrie, Dermatologie, Svphilido-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/259>, abgerufen am 17.06.2024.