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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

den Reichstag beschäftigen wird. Schweden gehört zu den wenigen Ländern,
mit denen Deutschland eine sogenannte aktive Handelsbilanz hat. Der Überschuß
unserer Ausfuhr von 190 Millionen über unsere Einfuhr von 163 Millionen
im letzten Jahre ist zwar nicht sehr beträchtlich, aber die Ausfuhrziffern an sich
zeigen in ihrer Höhe, daß unsere Industrie ein lebhaftes Interesse an günstigen
Tarifabkommen mit dem nordischen Nachbar hat. Die Zollverhältnisse waren
nun dadurch gefährdet, daß Schweden im nächsten Jahre einen autonomen Tarif
mit wesentlich erhöhten Sätzen einführt; es galt also, angesichts dieser Bedrohung
unserer Ausfuhr im Wege vertraglicher Vereinbarung unserer Industrie möglichst
große Vorteile zu sichern. Dabei fällt in das Gewicht, daß die letztere auch
erheblich an der schwedischen Einfuhr nach Deutschland beteiligt ist. Denn
mehr als ein Drittel derselben entfällt auf Eisenerze, nahezu ein Fünftel auf
Bau- und Nutzholz. Schweden befolgt mit der Einführung des autonomen
Zolltarifs das Beispiel Deutschlands, das für die allmähliche Bekehrung der
Welt zum Schutzzoll bahnbrechend gewesen ist. Ein autonomer Zolltarif bringt
aber für ein exportierendes Land unter allen Umständen schwere Nachteile.
Selbst wenn es gelingt, die größten Härten im Wege der vertraglichen Ver¬
einbarung zik beseitigen, so kann dies doch niemals ohne bedeutende Gegen¬
konzessionen geschehen; die Sätze eines derartigen Tarifs sind schon danach
bemessen, daß die Gegenleistungen für die Ermäßigung recht erklecklich ausfallen
müssen. So war denn auch zu erwarten, daß der neue Handelsvertrag für
Deutschland kaum Vorteile gegen den bisherigen Zustand bringen würde; und
man muß zufrieden sein, wenn das neue Abkommen sich nicht als eine wesent¬
liche Verschlechterung darstellt. Klagen der beteiligten Industrie- und Handels¬
kreise werden freilich, obwohl dieses Ziel von unseren Unterhändlern erreicht ist,
nicht ausbleiben. Insbesondere wird die Zollfreiheit für schwedische Pflastersteine
und die Aufrechterhaltung des bisherigen mäßigen Zollsatzes für grobe Tischler-
wareu von den Interessenten voraussichtlich lebhaft bekämpft werden, denn in
beiden Fällen waren Zollerschwerungen deutscherseits begehrt worden. Indessen,
es wäre unbillig, unsere Unterhändler wegen dieses Mißerfolges der Ungeschicklich¬
keit zu zeihen. Gibt es doch keine dornenvollere und undankbarere Aufgabe
als die vertragliche Feststellung eines Zolltarifes. Es geht nun einmal ohne
die Verletzung einzelner Sonderinteressen nicht ab, wenn das Wohl des Ganzen
gesichert werden soll. Und die durch den neuen Handelsvertrag angeblich
Geschädigten werden sich nicht darauf berufen können, daß die Regierung leicht¬
fertig über ihre Wünsche zur Tagesordnung übergegangen sei; denn sie war
so vorsichtig, sich bei Abschluß des schwierigen Vertragswerkes der Mitwirkung
des wirtschaftlichen Ausschusses in weitesten Umfang zu bedienen. Die berufene
Vertretung der Interessenten ist in jeden: Stadium der Verhandlungen zugezogen
und gehört worden. Das Plenum des Ausschusses hat denn auch nach mehr¬
tägigen Verhandlungen sein Plazet gegeben. Unter diesen Umständen erscheint
es ratsam, sich mit den Tatsachen abzufinden und das Augenmerk vornehmlich


Reichsspiegel

den Reichstag beschäftigen wird. Schweden gehört zu den wenigen Ländern,
mit denen Deutschland eine sogenannte aktive Handelsbilanz hat. Der Überschuß
unserer Ausfuhr von 190 Millionen über unsere Einfuhr von 163 Millionen
im letzten Jahre ist zwar nicht sehr beträchtlich, aber die Ausfuhrziffern an sich
zeigen in ihrer Höhe, daß unsere Industrie ein lebhaftes Interesse an günstigen
Tarifabkommen mit dem nordischen Nachbar hat. Die Zollverhältnisse waren
nun dadurch gefährdet, daß Schweden im nächsten Jahre einen autonomen Tarif
mit wesentlich erhöhten Sätzen einführt; es galt also, angesichts dieser Bedrohung
unserer Ausfuhr im Wege vertraglicher Vereinbarung unserer Industrie möglichst
große Vorteile zu sichern. Dabei fällt in das Gewicht, daß die letztere auch
erheblich an der schwedischen Einfuhr nach Deutschland beteiligt ist. Denn
mehr als ein Drittel derselben entfällt auf Eisenerze, nahezu ein Fünftel auf
Bau- und Nutzholz. Schweden befolgt mit der Einführung des autonomen
Zolltarifs das Beispiel Deutschlands, das für die allmähliche Bekehrung der
Welt zum Schutzzoll bahnbrechend gewesen ist. Ein autonomer Zolltarif bringt
aber für ein exportierendes Land unter allen Umständen schwere Nachteile.
Selbst wenn es gelingt, die größten Härten im Wege der vertraglichen Ver¬
einbarung zik beseitigen, so kann dies doch niemals ohne bedeutende Gegen¬
konzessionen geschehen; die Sätze eines derartigen Tarifs sind schon danach
bemessen, daß die Gegenleistungen für die Ermäßigung recht erklecklich ausfallen
müssen. So war denn auch zu erwarten, daß der neue Handelsvertrag für
Deutschland kaum Vorteile gegen den bisherigen Zustand bringen würde; und
man muß zufrieden sein, wenn das neue Abkommen sich nicht als eine wesent¬
liche Verschlechterung darstellt. Klagen der beteiligten Industrie- und Handels¬
kreise werden freilich, obwohl dieses Ziel von unseren Unterhändlern erreicht ist,
nicht ausbleiben. Insbesondere wird die Zollfreiheit für schwedische Pflastersteine
und die Aufrechterhaltung des bisherigen mäßigen Zollsatzes für grobe Tischler-
wareu von den Interessenten voraussichtlich lebhaft bekämpft werden, denn in
beiden Fällen waren Zollerschwerungen deutscherseits begehrt worden. Indessen,
es wäre unbillig, unsere Unterhändler wegen dieses Mißerfolges der Ungeschicklich¬
keit zu zeihen. Gibt es doch keine dornenvollere und undankbarere Aufgabe
als die vertragliche Feststellung eines Zolltarifes. Es geht nun einmal ohne
die Verletzung einzelner Sonderinteressen nicht ab, wenn das Wohl des Ganzen
gesichert werden soll. Und die durch den neuen Handelsvertrag angeblich
Geschädigten werden sich nicht darauf berufen können, daß die Regierung leicht¬
fertig über ihre Wünsche zur Tagesordnung übergegangen sei; denn sie war
so vorsichtig, sich bei Abschluß des schwierigen Vertragswerkes der Mitwirkung
des wirtschaftlichen Ausschusses in weitesten Umfang zu bedienen. Die berufene
Vertretung der Interessenten ist in jeden: Stadium der Verhandlungen zugezogen
und gehört worden. Das Plenum des Ausschusses hat denn auch nach mehr¬
tägigen Verhandlungen sein Plazet gegeben. Unter diesen Umständen erscheint
es ratsam, sich mit den Tatsachen abzufinden und das Augenmerk vornehmlich


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[0295] Reichsspiegel den Reichstag beschäftigen wird. Schweden gehört zu den wenigen Ländern, mit denen Deutschland eine sogenannte aktive Handelsbilanz hat. Der Überschuß unserer Ausfuhr von 190 Millionen über unsere Einfuhr von 163 Millionen im letzten Jahre ist zwar nicht sehr beträchtlich, aber die Ausfuhrziffern an sich zeigen in ihrer Höhe, daß unsere Industrie ein lebhaftes Interesse an günstigen Tarifabkommen mit dem nordischen Nachbar hat. Die Zollverhältnisse waren nun dadurch gefährdet, daß Schweden im nächsten Jahre einen autonomen Tarif mit wesentlich erhöhten Sätzen einführt; es galt also, angesichts dieser Bedrohung unserer Ausfuhr im Wege vertraglicher Vereinbarung unserer Industrie möglichst große Vorteile zu sichern. Dabei fällt in das Gewicht, daß die letztere auch erheblich an der schwedischen Einfuhr nach Deutschland beteiligt ist. Denn mehr als ein Drittel derselben entfällt auf Eisenerze, nahezu ein Fünftel auf Bau- und Nutzholz. Schweden befolgt mit der Einführung des autonomen Zolltarifs das Beispiel Deutschlands, das für die allmähliche Bekehrung der Welt zum Schutzzoll bahnbrechend gewesen ist. Ein autonomer Zolltarif bringt aber für ein exportierendes Land unter allen Umständen schwere Nachteile. Selbst wenn es gelingt, die größten Härten im Wege der vertraglichen Ver¬ einbarung zik beseitigen, so kann dies doch niemals ohne bedeutende Gegen¬ konzessionen geschehen; die Sätze eines derartigen Tarifs sind schon danach bemessen, daß die Gegenleistungen für die Ermäßigung recht erklecklich ausfallen müssen. So war denn auch zu erwarten, daß der neue Handelsvertrag für Deutschland kaum Vorteile gegen den bisherigen Zustand bringen würde; und man muß zufrieden sein, wenn das neue Abkommen sich nicht als eine wesent¬ liche Verschlechterung darstellt. Klagen der beteiligten Industrie- und Handels¬ kreise werden freilich, obwohl dieses Ziel von unseren Unterhändlern erreicht ist, nicht ausbleiben. Insbesondere wird die Zollfreiheit für schwedische Pflastersteine und die Aufrechterhaltung des bisherigen mäßigen Zollsatzes für grobe Tischler- wareu von den Interessenten voraussichtlich lebhaft bekämpft werden, denn in beiden Fällen waren Zollerschwerungen deutscherseits begehrt worden. Indessen, es wäre unbillig, unsere Unterhändler wegen dieses Mißerfolges der Ungeschicklich¬ keit zu zeihen. Gibt es doch keine dornenvollere und undankbarere Aufgabe als die vertragliche Feststellung eines Zolltarifes. Es geht nun einmal ohne die Verletzung einzelner Sonderinteressen nicht ab, wenn das Wohl des Ganzen gesichert werden soll. Und die durch den neuen Handelsvertrag angeblich Geschädigten werden sich nicht darauf berufen können, daß die Regierung leicht¬ fertig über ihre Wünsche zur Tagesordnung übergegangen sei; denn sie war so vorsichtig, sich bei Abschluß des schwierigen Vertragswerkes der Mitwirkung des wirtschaftlichen Ausschusses in weitesten Umfang zu bedienen. Die berufene Vertretung der Interessenten ist in jeden: Stadium der Verhandlungen zugezogen und gehört worden. Das Plenum des Ausschusses hat denn auch nach mehr¬ tägigen Verhandlungen sein Plazet gegeben. Unter diesen Umständen erscheint es ratsam, sich mit den Tatsachen abzufinden und das Augenmerk vornehmlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/295>, abgerufen am 17.06.2024.