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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die britische Reichskonforenz

same Schutzzölle gegen das Ausland, mit Freihandel im Inneren des Reichs,
aufzurichten; aber für eine derartige zentralistische Politik waren die Kolonien
nicht zu haben, denn die Selbständigkeit ihrer eigenen Handelspolitik wäre
dadurch aufgehoben worden. Sein zweiter Plan, der von der kanadischen Politik
ausging und der ein handelspolitisches System gegenseitiger Vorzugszölle für
das ganze Reich schaffen wollte, scheiterte daran, daß die englischen Konservativen
die Wahlen von 1906 verloren und daß die Liberalen, die am Freihandel
festhalten, seitdem ihre Herrschaft behauptet haben. Inzwischen hat Kanada
seine eigene Handelspolitik weiter entwickelt; es hat mit mehreren Staaten des
nichtbritischen Auslands Handelsverträge und -abkommen geschlossen, es steht im
Begriff, ein handelspolitisches Gegenseitigkeitsverhältnis mit den Vereinigten
Staaten einzugehen; und damit ist der Chamberlainsche Plan einer gemeinsamen
und einheitlichen britischen Handelspolitik noch mehr außerhalb des Bereichs des
Ausführbaren gerückt worden.

Während die unionistischen Imperialisten oder doch deren Mehrzahl
die Reichsorganisation auf handelspolitischer Grundlage erstrebten, machten sich
die Liberalen das Programm einer wehrpolitischen Organisation zu eigen. Und
die liberale Negierung hat die Zeit ihrer Herrschaft besser benutzt als das
unionistische Kabinett Balfour-Chamberlain; auf der letzten substdiären Reichs¬
konferenz von 1909 sind in der Tat die Grundlagen für eine wehrpolitische
Organisation des Reichs geschaffen worden. Aber gerade hierdurch ist das
verfassungspolitische Problem von neuem in den Vordergrund gerückt worden.
Zwar boten die Einrichtungen eines Reichsgeneralstabes und die Entwicklung
der kolonialen Milizen auf englischer Grundlage keine besonderen Schwierig¬
keiten, da man auf dein militärischen Gebiet unschwer an dem Grundsatz der
kolonialen Autonomie festhalten konnte. Bei der Flottenfrage lagen die Dinge
anders. Schon auf der Kolonialkonferenz von 1902 hatte der kanadische
Premierminister Sir Wilfried Lcmrier erklärt, daß Kanada den Wünschen der
englischen Admiralität, sich durch Geldbeiträge an der Reichsverteidigung zu
beteiligen, nicht entsprechen könnte, und daß die Kolonie vielmehr ihre eigene
Flotte bauen wollte. Die Admiralität hat diesen Selbständigkeitsbestrebungen
der Kolonien lange Widerstand geleistet. Auf der Konferenz von 1907 mußte
sie den Widerstand aufgeben, und damit war die Flottenfrage grundsätzlich
im Sinne der Kolonien entschieden. Nicht nur Kanada, sondern auch Australien
hat bereits den Grund für eine selbständige koloniale Flotte gelegt. Damit ist
der alte Grundsatz der Admiralität, die Einheitlichkeit der britischen Flotte nicht
antasten zu lassen, durchlöchert worden. Sowohl die kanadische als die
australische Regierung hat sich selbst die letzte Entscheidung vorbehalten, ob und
wann ihre Flotten in Tätigkeit treten sollen. Sir Wilfried Laurier hat im
kanadischen Unterhause ausdrücklich erklärt, daß er nicht uuter allen Umständen
bereit sein würde, die kanadische Flotte der englischen Admiralität zur Ver¬
fügung zu stellen. Kanada müßte freie Hand behalten, um sich zu entscheiden.


Die britische Reichskonforenz

same Schutzzölle gegen das Ausland, mit Freihandel im Inneren des Reichs,
aufzurichten; aber für eine derartige zentralistische Politik waren die Kolonien
nicht zu haben, denn die Selbständigkeit ihrer eigenen Handelspolitik wäre
dadurch aufgehoben worden. Sein zweiter Plan, der von der kanadischen Politik
ausging und der ein handelspolitisches System gegenseitiger Vorzugszölle für
das ganze Reich schaffen wollte, scheiterte daran, daß die englischen Konservativen
die Wahlen von 1906 verloren und daß die Liberalen, die am Freihandel
festhalten, seitdem ihre Herrschaft behauptet haben. Inzwischen hat Kanada
seine eigene Handelspolitik weiter entwickelt; es hat mit mehreren Staaten des
nichtbritischen Auslands Handelsverträge und -abkommen geschlossen, es steht im
Begriff, ein handelspolitisches Gegenseitigkeitsverhältnis mit den Vereinigten
Staaten einzugehen; und damit ist der Chamberlainsche Plan einer gemeinsamen
und einheitlichen britischen Handelspolitik noch mehr außerhalb des Bereichs des
Ausführbaren gerückt worden.

Während die unionistischen Imperialisten oder doch deren Mehrzahl
die Reichsorganisation auf handelspolitischer Grundlage erstrebten, machten sich
die Liberalen das Programm einer wehrpolitischen Organisation zu eigen. Und
die liberale Negierung hat die Zeit ihrer Herrschaft besser benutzt als das
unionistische Kabinett Balfour-Chamberlain; auf der letzten substdiären Reichs¬
konferenz von 1909 sind in der Tat die Grundlagen für eine wehrpolitische
Organisation des Reichs geschaffen worden. Aber gerade hierdurch ist das
verfassungspolitische Problem von neuem in den Vordergrund gerückt worden.
Zwar boten die Einrichtungen eines Reichsgeneralstabes und die Entwicklung
der kolonialen Milizen auf englischer Grundlage keine besonderen Schwierig¬
keiten, da man auf dein militärischen Gebiet unschwer an dem Grundsatz der
kolonialen Autonomie festhalten konnte. Bei der Flottenfrage lagen die Dinge
anders. Schon auf der Kolonialkonferenz von 1902 hatte der kanadische
Premierminister Sir Wilfried Lcmrier erklärt, daß Kanada den Wünschen der
englischen Admiralität, sich durch Geldbeiträge an der Reichsverteidigung zu
beteiligen, nicht entsprechen könnte, und daß die Kolonie vielmehr ihre eigene
Flotte bauen wollte. Die Admiralität hat diesen Selbständigkeitsbestrebungen
der Kolonien lange Widerstand geleistet. Auf der Konferenz von 1907 mußte
sie den Widerstand aufgeben, und damit war die Flottenfrage grundsätzlich
im Sinne der Kolonien entschieden. Nicht nur Kanada, sondern auch Australien
hat bereits den Grund für eine selbständige koloniale Flotte gelegt. Damit ist
der alte Grundsatz der Admiralität, die Einheitlichkeit der britischen Flotte nicht
antasten zu lassen, durchlöchert worden. Sowohl die kanadische als die
australische Regierung hat sich selbst die letzte Entscheidung vorbehalten, ob und
wann ihre Flotten in Tätigkeit treten sollen. Sir Wilfried Laurier hat im
kanadischen Unterhause ausdrücklich erklärt, daß er nicht uuter allen Umständen
bereit sein würde, die kanadische Flotte der englischen Admiralität zur Ver¬
fügung zu stellen. Kanada müßte freie Hand behalten, um sich zu entscheiden.


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[0302] Die britische Reichskonforenz same Schutzzölle gegen das Ausland, mit Freihandel im Inneren des Reichs, aufzurichten; aber für eine derartige zentralistische Politik waren die Kolonien nicht zu haben, denn die Selbständigkeit ihrer eigenen Handelspolitik wäre dadurch aufgehoben worden. Sein zweiter Plan, der von der kanadischen Politik ausging und der ein handelspolitisches System gegenseitiger Vorzugszölle für das ganze Reich schaffen wollte, scheiterte daran, daß die englischen Konservativen die Wahlen von 1906 verloren und daß die Liberalen, die am Freihandel festhalten, seitdem ihre Herrschaft behauptet haben. Inzwischen hat Kanada seine eigene Handelspolitik weiter entwickelt; es hat mit mehreren Staaten des nichtbritischen Auslands Handelsverträge und -abkommen geschlossen, es steht im Begriff, ein handelspolitisches Gegenseitigkeitsverhältnis mit den Vereinigten Staaten einzugehen; und damit ist der Chamberlainsche Plan einer gemeinsamen und einheitlichen britischen Handelspolitik noch mehr außerhalb des Bereichs des Ausführbaren gerückt worden. Während die unionistischen Imperialisten oder doch deren Mehrzahl die Reichsorganisation auf handelspolitischer Grundlage erstrebten, machten sich die Liberalen das Programm einer wehrpolitischen Organisation zu eigen. Und die liberale Negierung hat die Zeit ihrer Herrschaft besser benutzt als das unionistische Kabinett Balfour-Chamberlain; auf der letzten substdiären Reichs¬ konferenz von 1909 sind in der Tat die Grundlagen für eine wehrpolitische Organisation des Reichs geschaffen worden. Aber gerade hierdurch ist das verfassungspolitische Problem von neuem in den Vordergrund gerückt worden. Zwar boten die Einrichtungen eines Reichsgeneralstabes und die Entwicklung der kolonialen Milizen auf englischer Grundlage keine besonderen Schwierig¬ keiten, da man auf dein militärischen Gebiet unschwer an dem Grundsatz der kolonialen Autonomie festhalten konnte. Bei der Flottenfrage lagen die Dinge anders. Schon auf der Kolonialkonferenz von 1902 hatte der kanadische Premierminister Sir Wilfried Lcmrier erklärt, daß Kanada den Wünschen der englischen Admiralität, sich durch Geldbeiträge an der Reichsverteidigung zu beteiligen, nicht entsprechen könnte, und daß die Kolonie vielmehr ihre eigene Flotte bauen wollte. Die Admiralität hat diesen Selbständigkeitsbestrebungen der Kolonien lange Widerstand geleistet. Auf der Konferenz von 1907 mußte sie den Widerstand aufgeben, und damit war die Flottenfrage grundsätzlich im Sinne der Kolonien entschieden. Nicht nur Kanada, sondern auch Australien hat bereits den Grund für eine selbständige koloniale Flotte gelegt. Damit ist der alte Grundsatz der Admiralität, die Einheitlichkeit der britischen Flotte nicht antasten zu lassen, durchlöchert worden. Sowohl die kanadische als die australische Regierung hat sich selbst die letzte Entscheidung vorbehalten, ob und wann ihre Flotten in Tätigkeit treten sollen. Sir Wilfried Laurier hat im kanadischen Unterhause ausdrücklich erklärt, daß er nicht uuter allen Umständen bereit sein würde, die kanadische Flotte der englischen Admiralität zur Ver¬ fügung zu stellen. Kanada müßte freie Hand behalten, um sich zu entscheiden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/302>, abgerufen am 17.06.2024.