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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Die Wiederkunft Naundorffs

dieselbe Umgebung, in welcher der der Falschmünzerei Angeklagte von Branden¬
burg sich im Gefängnisse und im Zuchthause mit so viel Gewandtheit und Er¬
fahrung bewegt, als wenn er immer unter Verbrechern gelebt hätte. Insofern
sind die Feststellungen Manteuers nicht ohne Bedeutung, wenn ich auch
nicht zu erkennen vermag, daß sie das Rätsel der Herkunft Naundorffs
völlig lösen.

Aber daß wir des Erzschelms Schliche nicht bis in seine letzten Schlupf¬
winkel zu verfolgen vermögen, erlaubt uns doch noch nicht daran zu zweifeln,
daß er ein Erzschelm war. Immer wieder freilich beteuern die Kämpen der
Naundorffsache. das Geheimnis des Rätsels liege in den preußischen Archiven
begraben, und Ferkel de Bourbonne hat diese Botschaft am 1. April 1911 von
neuem ini Pariser Matin verkündigt. Darauf hat der Generaldirektor der
preußischen Archive Dr. Koser im Herrenhause feierlich erklärt, daß es keine
geheimen Naundorffakten im Berliner Archive gäbe, und daß das gesamte dort
vorhandene Material ja dem Forscher zur Einsicht offen liege. Dabei hat er
besonders auf meine Untersuchung hingewiesen, die auf Grund des ganzen
Berliner Aktenmaterials aufgebaut sei. Wie man angesichts der lückenlosen,
konsequenten und in sich übereinstimmenden, nicht bloß offiziellen, sondern auch
vertraulichen Äußerungen der preußischen Regierung daran zweifeln kann, daß sie
Naundorffstets für einen Betrüger hielt, istmir unverständlich. Aber es geschiehtimmer
wieder, und der Hauptprophet derNaundorfflegendeOttoFriedrichsglaubtgegenüber
dem schwerwiegendenBelastungsmaterial immer noch dieThese verteidigen zu können,
daß der Krossener Prätendent recht hat, wenn er behauptet, der Berliner Polizei¬
präsident Lecoq und der Staatskanzler Hardenberg hätten ihm 1811 die Beweise
seiner königlichen Abkunft abgenommen und verschwinden lassen'). Weil der
Minister des Innern v. Rochow 1836 darauf hinweist, daß etwa im Jahre 1810
nach Angabe der Ministerialakten bei der ehemaligen Polizeiintendantur Ver¬
handlungen über Naundorff geführt worden seien, ist für ihn dadurch die betreffende
Behauptung des Prätendenten bewiesen. Der Uhrmacher von Brandenburg
hatte durch seine kriminellen Verfehlungen seit 1824 genug von sich reden
gemacht, daß man im Ministerium des Innern wohl Grund hatte, eine Polizei¬
verhandlung aus früherer Zeit über ihn zu notieren; aber es kann auch
irgendeine Eingabe des unruhigen Mannes zugrunde gelegen haben, denn
Naundorff hat schon vor seinem Prätendentenspiel wiederholt die höchsten
Behörden durch zudringliche Bittschriften beschäftigt. Jedenfalls gehört ein hoher
Grad von Vertrauen dazu, um allen Gegengründen zum Trotz an der These
von Naundorffs Redlichkeit festzuhalten. Bei Männern, die ihr ganzes Leben
dem Kampfe für dieses Phantom geweiht haben, ist er nicht erstaunlich. Und



Otto Friedrichs, "Naundorff oder Ludwig der Siebzehnte". Der Tag. 21. Slpril 1911.
Der Verfasser wiederholt seine Ausführungen unter dem Titel- Der Schlüssel der Ncmndorff-
affäre in der "Oktavkorrespondenz", ohne weitere Gründe hinzuzufügen. Vgl. Frankfurter
Zeitung, 17. Mai 1911, Ur. 136 Abendblatt.
Die Wiederkunft Naundorffs

dieselbe Umgebung, in welcher der der Falschmünzerei Angeklagte von Branden¬
burg sich im Gefängnisse und im Zuchthause mit so viel Gewandtheit und Er¬
fahrung bewegt, als wenn er immer unter Verbrechern gelebt hätte. Insofern
sind die Feststellungen Manteuers nicht ohne Bedeutung, wenn ich auch
nicht zu erkennen vermag, daß sie das Rätsel der Herkunft Naundorffs
völlig lösen.

Aber daß wir des Erzschelms Schliche nicht bis in seine letzten Schlupf¬
winkel zu verfolgen vermögen, erlaubt uns doch noch nicht daran zu zweifeln,
daß er ein Erzschelm war. Immer wieder freilich beteuern die Kämpen der
Naundorffsache. das Geheimnis des Rätsels liege in den preußischen Archiven
begraben, und Ferkel de Bourbonne hat diese Botschaft am 1. April 1911 von
neuem ini Pariser Matin verkündigt. Darauf hat der Generaldirektor der
preußischen Archive Dr. Koser im Herrenhause feierlich erklärt, daß es keine
geheimen Naundorffakten im Berliner Archive gäbe, und daß das gesamte dort
vorhandene Material ja dem Forscher zur Einsicht offen liege. Dabei hat er
besonders auf meine Untersuchung hingewiesen, die auf Grund des ganzen
Berliner Aktenmaterials aufgebaut sei. Wie man angesichts der lückenlosen,
konsequenten und in sich übereinstimmenden, nicht bloß offiziellen, sondern auch
vertraulichen Äußerungen der preußischen Regierung daran zweifeln kann, daß sie
Naundorffstets für einen Betrüger hielt, istmir unverständlich. Aber es geschiehtimmer
wieder, und der Hauptprophet derNaundorfflegendeOttoFriedrichsglaubtgegenüber
dem schwerwiegendenBelastungsmaterial immer noch dieThese verteidigen zu können,
daß der Krossener Prätendent recht hat, wenn er behauptet, der Berliner Polizei¬
präsident Lecoq und der Staatskanzler Hardenberg hätten ihm 1811 die Beweise
seiner königlichen Abkunft abgenommen und verschwinden lassen'). Weil der
Minister des Innern v. Rochow 1836 darauf hinweist, daß etwa im Jahre 1810
nach Angabe der Ministerialakten bei der ehemaligen Polizeiintendantur Ver¬
handlungen über Naundorff geführt worden seien, ist für ihn dadurch die betreffende
Behauptung des Prätendenten bewiesen. Der Uhrmacher von Brandenburg
hatte durch seine kriminellen Verfehlungen seit 1824 genug von sich reden
gemacht, daß man im Ministerium des Innern wohl Grund hatte, eine Polizei¬
verhandlung aus früherer Zeit über ihn zu notieren; aber es kann auch
irgendeine Eingabe des unruhigen Mannes zugrunde gelegen haben, denn
Naundorff hat schon vor seinem Prätendentenspiel wiederholt die höchsten
Behörden durch zudringliche Bittschriften beschäftigt. Jedenfalls gehört ein hoher
Grad von Vertrauen dazu, um allen Gegengründen zum Trotz an der These
von Naundorffs Redlichkeit festzuhalten. Bei Männern, die ihr ganzes Leben
dem Kampfe für dieses Phantom geweiht haben, ist er nicht erstaunlich. Und



Otto Friedrichs, „Naundorff oder Ludwig der Siebzehnte". Der Tag. 21. Slpril 1911.
Der Verfasser wiederholt seine Ausführungen unter dem Titel- Der Schlüssel der Ncmndorff-
affäre in der „Oktavkorrespondenz", ohne weitere Gründe hinzuzufügen. Vgl. Frankfurter
Zeitung, 17. Mai 1911, Ur. 136 Abendblatt.
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[0363] Die Wiederkunft Naundorffs dieselbe Umgebung, in welcher der der Falschmünzerei Angeklagte von Branden¬ burg sich im Gefängnisse und im Zuchthause mit so viel Gewandtheit und Er¬ fahrung bewegt, als wenn er immer unter Verbrechern gelebt hätte. Insofern sind die Feststellungen Manteuers nicht ohne Bedeutung, wenn ich auch nicht zu erkennen vermag, daß sie das Rätsel der Herkunft Naundorffs völlig lösen. Aber daß wir des Erzschelms Schliche nicht bis in seine letzten Schlupf¬ winkel zu verfolgen vermögen, erlaubt uns doch noch nicht daran zu zweifeln, daß er ein Erzschelm war. Immer wieder freilich beteuern die Kämpen der Naundorffsache. das Geheimnis des Rätsels liege in den preußischen Archiven begraben, und Ferkel de Bourbonne hat diese Botschaft am 1. April 1911 von neuem ini Pariser Matin verkündigt. Darauf hat der Generaldirektor der preußischen Archive Dr. Koser im Herrenhause feierlich erklärt, daß es keine geheimen Naundorffakten im Berliner Archive gäbe, und daß das gesamte dort vorhandene Material ja dem Forscher zur Einsicht offen liege. Dabei hat er besonders auf meine Untersuchung hingewiesen, die auf Grund des ganzen Berliner Aktenmaterials aufgebaut sei. Wie man angesichts der lückenlosen, konsequenten und in sich übereinstimmenden, nicht bloß offiziellen, sondern auch vertraulichen Äußerungen der preußischen Regierung daran zweifeln kann, daß sie Naundorffstets für einen Betrüger hielt, istmir unverständlich. Aber es geschiehtimmer wieder, und der Hauptprophet derNaundorfflegendeOttoFriedrichsglaubtgegenüber dem schwerwiegendenBelastungsmaterial immer noch dieThese verteidigen zu können, daß der Krossener Prätendent recht hat, wenn er behauptet, der Berliner Polizei¬ präsident Lecoq und der Staatskanzler Hardenberg hätten ihm 1811 die Beweise seiner königlichen Abkunft abgenommen und verschwinden lassen'). Weil der Minister des Innern v. Rochow 1836 darauf hinweist, daß etwa im Jahre 1810 nach Angabe der Ministerialakten bei der ehemaligen Polizeiintendantur Ver¬ handlungen über Naundorff geführt worden seien, ist für ihn dadurch die betreffende Behauptung des Prätendenten bewiesen. Der Uhrmacher von Brandenburg hatte durch seine kriminellen Verfehlungen seit 1824 genug von sich reden gemacht, daß man im Ministerium des Innern wohl Grund hatte, eine Polizei¬ verhandlung aus früherer Zeit über ihn zu notieren; aber es kann auch irgendeine Eingabe des unruhigen Mannes zugrunde gelegen haben, denn Naundorff hat schon vor seinem Prätendentenspiel wiederholt die höchsten Behörden durch zudringliche Bittschriften beschäftigt. Jedenfalls gehört ein hoher Grad von Vertrauen dazu, um allen Gegengründen zum Trotz an der These von Naundorffs Redlichkeit festzuhalten. Bei Männern, die ihr ganzes Leben dem Kampfe für dieses Phantom geweiht haben, ist er nicht erstaunlich. Und Otto Friedrichs, „Naundorff oder Ludwig der Siebzehnte". Der Tag. 21. Slpril 1911. Der Verfasser wiederholt seine Ausführungen unter dem Titel- Der Schlüssel der Ncmndorff- affäre in der „Oktavkorrespondenz", ohne weitere Gründe hinzuzufügen. Vgl. Frankfurter Zeitung, 17. Mai 1911, Ur. 136 Abendblatt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/363>, abgerufen am 17.06.2024.