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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichssxiegel

Außenstehenden erscheint es unbegreiflich: just die Verwirklichung der großen
Sorge, unter deren Druck die Börsenleute seit Monaten gestanden haben! Der
Spruch des Bundesobergerichts in den Trustprozessen ist gefallen, und er
lautet zuungunsten der Standard Oil Company, des Rockefellerschen
Riesentrustes, Die gewaltige Kapitalzusammenballung, welche diesen Namen
trügt, ist als ein ungesetzliches Unternehmen der Auflösung verfallen und muß
binnen sechs Monaten liquidieren. Das war es gerade, was die Börse fürchtete:
das Bundesgericht könnte das erstinstanzliche Urteil beseitigen und der Regierung
in ihrem Feldzug gegen die Trusts, dieser so populären Hinterlassenschaft
Roosevelts, zu einem Siege verhelfen, vor dessen Folgen den wirtschaftlichen
Machthabern bange werden müßte. Und als nun das Befürchtete eingetreten,
feiert die Börse das Ereignis wie eine gewonnene Schlacht, nicht anders, als
habe das Bundesgericht dem Geschäftsgebaren der Rockefeller und Konsorten
sein Planet erteilt.

Und doch ist das Verhalten der Börse von ihrem Standpunkt aus weniger
widersinnig, als es den Anschein hat; sie betrachtet den Erfolg der Regierung
als einen Pyrrhussieg und bringt mit triumphierender Gewißheit die Überzeugung
zum Allsdruck, daß mit solchen Waffen die proteusartige Geschicklichkeit der
Kapitalmagnaten nicht zu besiegen ist. Sollte man ihr in dieser Auffassung
unrecht geben? Ist doch die nämliche Standard Oil Company schon einmal
im Jahre .1.892 durch Richterspruch der Auflösung verfallen gewesen! Sie trat
in aller Ruhe in Liquidation und wußte die Durchführung derselben so lange
zu verzögern, bis ein vielbesprochenes Gesetz des Staates New Jersey ihr wie
allen anderen .Kontrollgesellschaften einen neuen Unterschlupf bot. Denn dieser
Bundesstaat gestattete 1899 die Errichtung von Gesellschaften, die nur den
Zweck haben, die Effekten anderer im Besitz zu haben, wofern sie nur ein
Bureau in New Jersey unterhalten. Die Folge war, daß zahllose Gesellschaften
dort sich registrieren ließen, ohne größere geschäftliche Aufwendungen als die
Anschaffung eines Firmenschildes zu machen. Zu diesen gehörte also auch die
Standard Oil, die jetzt zum zweiten Male von dem Schicksal der gewaltsamen
Auflösung betroffen wird. Herr Rockefeller wird darüber nicht seinen Gleichmut
verlieren. Die Durchführung des Urteils wird seiner Schöpfung das Lebens¬
licht nicht ausblasen. Denn ein Gebilde wie das der Standard Oil läßt sich
überhaupt nicht durch einen Federzug in seine ursprünglichen Bestandteile auf¬
lösen. Die Verflechtung und organisatorische Zusammenfassung der Interessen
von Hunderten von Gesellschaften zu einem kapitalkräftigen, mit absolutem
Monopol der Produktion und des Vertriebes ausgestatteten Unternehmen besitzt
eine solche Tragkraft, daß die Beseitigung der obersten Spitze dieser Organi¬
sation keinen Schaden tut. Das gilt ebensowohl von der Standard Oil,
als von den anderen großen Trustgesellschasten, gegen die sich die Gegnerschaft
der Regierung und man darf sagen der Allgemeinheit richtet: dem Tabak-,
dem Mehl-, dem Fi.eischtrust, der Amalgamated Company und unzähligen anderen.


Reichssxiegel

Außenstehenden erscheint es unbegreiflich: just die Verwirklichung der großen
Sorge, unter deren Druck die Börsenleute seit Monaten gestanden haben! Der
Spruch des Bundesobergerichts in den Trustprozessen ist gefallen, und er
lautet zuungunsten der Standard Oil Company, des Rockefellerschen
Riesentrustes, Die gewaltige Kapitalzusammenballung, welche diesen Namen
trügt, ist als ein ungesetzliches Unternehmen der Auflösung verfallen und muß
binnen sechs Monaten liquidieren. Das war es gerade, was die Börse fürchtete:
das Bundesgericht könnte das erstinstanzliche Urteil beseitigen und der Regierung
in ihrem Feldzug gegen die Trusts, dieser so populären Hinterlassenschaft
Roosevelts, zu einem Siege verhelfen, vor dessen Folgen den wirtschaftlichen
Machthabern bange werden müßte. Und als nun das Befürchtete eingetreten,
feiert die Börse das Ereignis wie eine gewonnene Schlacht, nicht anders, als
habe das Bundesgericht dem Geschäftsgebaren der Rockefeller und Konsorten
sein Planet erteilt.

Und doch ist das Verhalten der Börse von ihrem Standpunkt aus weniger
widersinnig, als es den Anschein hat; sie betrachtet den Erfolg der Regierung
als einen Pyrrhussieg und bringt mit triumphierender Gewißheit die Überzeugung
zum Allsdruck, daß mit solchen Waffen die proteusartige Geschicklichkeit der
Kapitalmagnaten nicht zu besiegen ist. Sollte man ihr in dieser Auffassung
unrecht geben? Ist doch die nämliche Standard Oil Company schon einmal
im Jahre .1.892 durch Richterspruch der Auflösung verfallen gewesen! Sie trat
in aller Ruhe in Liquidation und wußte die Durchführung derselben so lange
zu verzögern, bis ein vielbesprochenes Gesetz des Staates New Jersey ihr wie
allen anderen .Kontrollgesellschaften einen neuen Unterschlupf bot. Denn dieser
Bundesstaat gestattete 1899 die Errichtung von Gesellschaften, die nur den
Zweck haben, die Effekten anderer im Besitz zu haben, wofern sie nur ein
Bureau in New Jersey unterhalten. Die Folge war, daß zahllose Gesellschaften
dort sich registrieren ließen, ohne größere geschäftliche Aufwendungen als die
Anschaffung eines Firmenschildes zu machen. Zu diesen gehörte also auch die
Standard Oil, die jetzt zum zweiten Male von dem Schicksal der gewaltsamen
Auflösung betroffen wird. Herr Rockefeller wird darüber nicht seinen Gleichmut
verlieren. Die Durchführung des Urteils wird seiner Schöpfung das Lebens¬
licht nicht ausblasen. Denn ein Gebilde wie das der Standard Oil läßt sich
überhaupt nicht durch einen Federzug in seine ursprünglichen Bestandteile auf¬
lösen. Die Verflechtung und organisatorische Zusammenfassung der Interessen
von Hunderten von Gesellschaften zu einem kapitalkräftigen, mit absolutem
Monopol der Produktion und des Vertriebes ausgestatteten Unternehmen besitzt
eine solche Tragkraft, daß die Beseitigung der obersten Spitze dieser Organi¬
sation keinen Schaden tut. Das gilt ebensowohl von der Standard Oil,
als von den anderen großen Trustgesellschasten, gegen die sich die Gegnerschaft
der Regierung und man darf sagen der Allgemeinheit richtet: dem Tabak-,
dem Mehl-, dem Fi.eischtrust, der Amalgamated Company und unzähligen anderen.


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[0392] Reichssxiegel Außenstehenden erscheint es unbegreiflich: just die Verwirklichung der großen Sorge, unter deren Druck die Börsenleute seit Monaten gestanden haben! Der Spruch des Bundesobergerichts in den Trustprozessen ist gefallen, und er lautet zuungunsten der Standard Oil Company, des Rockefellerschen Riesentrustes, Die gewaltige Kapitalzusammenballung, welche diesen Namen trügt, ist als ein ungesetzliches Unternehmen der Auflösung verfallen und muß binnen sechs Monaten liquidieren. Das war es gerade, was die Börse fürchtete: das Bundesgericht könnte das erstinstanzliche Urteil beseitigen und der Regierung in ihrem Feldzug gegen die Trusts, dieser so populären Hinterlassenschaft Roosevelts, zu einem Siege verhelfen, vor dessen Folgen den wirtschaftlichen Machthabern bange werden müßte. Und als nun das Befürchtete eingetreten, feiert die Börse das Ereignis wie eine gewonnene Schlacht, nicht anders, als habe das Bundesgericht dem Geschäftsgebaren der Rockefeller und Konsorten sein Planet erteilt. Und doch ist das Verhalten der Börse von ihrem Standpunkt aus weniger widersinnig, als es den Anschein hat; sie betrachtet den Erfolg der Regierung als einen Pyrrhussieg und bringt mit triumphierender Gewißheit die Überzeugung zum Allsdruck, daß mit solchen Waffen die proteusartige Geschicklichkeit der Kapitalmagnaten nicht zu besiegen ist. Sollte man ihr in dieser Auffassung unrecht geben? Ist doch die nämliche Standard Oil Company schon einmal im Jahre .1.892 durch Richterspruch der Auflösung verfallen gewesen! Sie trat in aller Ruhe in Liquidation und wußte die Durchführung derselben so lange zu verzögern, bis ein vielbesprochenes Gesetz des Staates New Jersey ihr wie allen anderen .Kontrollgesellschaften einen neuen Unterschlupf bot. Denn dieser Bundesstaat gestattete 1899 die Errichtung von Gesellschaften, die nur den Zweck haben, die Effekten anderer im Besitz zu haben, wofern sie nur ein Bureau in New Jersey unterhalten. Die Folge war, daß zahllose Gesellschaften dort sich registrieren ließen, ohne größere geschäftliche Aufwendungen als die Anschaffung eines Firmenschildes zu machen. Zu diesen gehörte also auch die Standard Oil, die jetzt zum zweiten Male von dem Schicksal der gewaltsamen Auflösung betroffen wird. Herr Rockefeller wird darüber nicht seinen Gleichmut verlieren. Die Durchführung des Urteils wird seiner Schöpfung das Lebens¬ licht nicht ausblasen. Denn ein Gebilde wie das der Standard Oil läßt sich überhaupt nicht durch einen Federzug in seine ursprünglichen Bestandteile auf¬ lösen. Die Verflechtung und organisatorische Zusammenfassung der Interessen von Hunderten von Gesellschaften zu einem kapitalkräftigen, mit absolutem Monopol der Produktion und des Vertriebes ausgestatteten Unternehmen besitzt eine solche Tragkraft, daß die Beseitigung der obersten Spitze dieser Organi¬ sation keinen Schaden tut. Das gilt ebensowohl von der Standard Oil, als von den anderen großen Trustgesellschasten, gegen die sich die Gegnerschaft der Regierung und man darf sagen der Allgemeinheit richtet: dem Tabak-, dem Mehl-, dem Fi.eischtrust, der Amalgamated Company und unzähligen anderen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/392>, abgerufen am 11.06.2024.