Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Logende voni wcicholderhügel

Sie machten ausgiebigen Gebrauch davon. Luder und Heino gingen darauf in
den Oberstock, um ein Zimmer für sie herzurichten.




Zwei Wochen war die Fremde da, und im Kloster war es ganz anders
geworden.

Als Luder sie in ihr Zimmer brachte, das er mit Heino gewissenhaft gesäubert
hatte, war sie auf Zehenspitzen und die Kleider raffend hinter ihm drein gegangen,
um den Staub der Korridore nicht aufzuwirbeln. Luder kam zurück, kriegte
Severin und Heino auf, und mit Besen und sehr viel Wasser begann eine gründ¬
liche Säuberung. Die Fremde wollte helfen, aber Luder wehrte entschieden ab.
Eines Morgens kam Rudi in seine Küche und machte große Augen, wie alles
darin glänzte und blitzte. Fortan sorgte er, daß es immer so war. Im Garten
erschien die Fremde und ordnete ein paar Blumenbeete. Da ging Luder an die
anderen Beete. In den Zimmern standen Blumen in Töpfen und Gläsern.
Tische und Bänke wurden unter ihrer Anleitung anders gestellt. Die Fenster
mußten ihre Spinnwebvorhänge missen und blänkerten im Morgen- und Abend¬
licht. Schäden an Mauern und Holz wurden ausgebessert. Luder und die Fremde
waren überall.

Sehr unbequem waren den Brüdern anfangs die gemeinsamen Mahlzeiten,
von denen sich der Pater seit der Anwesenheit der Fremden fernhielt. Die alten
Klosterbären, besonders Rupert, Göte, Heino und Severin, hatten wenig Manieren,
und die wenigen taugten nicht gerade viel. Rupert lernte einsehen, daß man
wohl allein im grünen Walde nach einem Vesper über den Daumen weg rülpsen
dürfe, nicht aber bei Tische, wenn ein schönes, feines Weib zugegen war. Heino
schnäuzte sich in Gegenwart der Fremden nicht mehr mit der Faust, und Gode
gab seinem breiten Lachen einen milderen Ton, hieb sich auch nicht mehr mit der
flachen Hand den Schenkel, weil die Fremde jedesmal erschreckt ausflog.

So wurde bald alles der Schönen, Feinen Untertan, die mit jedem Tage
schöner und strahlender wurde. Aus dem Zeugvorrat des Klosters vermähle sie
braunen Kuttenstoff und weißes Linnen zu einem schönen, neuen Gewände. Als
sie damit zum ersten Male erschien, sperrte Severin den Mund so weit auf, daß
Rudi ihm zurief: "Severin, Severin, gleich werf' ich dir wieder einen Brummer
ins Refektorium!" und der Blöde den Mund hörbar schloß. Aber die Fremde sah
mißbilligend auf Rudi, und da schlugen ihm die Flammen in den Kopf.

Einer schien von dem allen nichts zu merken, das war der Pater Reinhold.
Daß er sich in der Nacht aus der Zeugkammer eine neue Kutte und neue San¬
dalen geholt hatte, war natürlich nur geschehen, weil die alte Gewandung zer¬
schlissen war. Auch war es selbstverständlich, daß er einsehen mußte, wie Spinnen¬
gewebe seine Bücher nicht sonderlich zierte und daß es ihnen nichts schade, wenn
man sie, bevor man in ihnen las, aus dem Fenster ausstäube. So stand er
eines Mittags in tiefen Gedanken, als sich die Tür öffnete und die Fremde,
strahlend wie der Junitag, über die Schwelle trat. Sie leuchtete ihn mit ihren
Augen an und machte eine Bewegung, die er richtig dahin deutete, daß er mit
ihr zum Essen kommen solle. Reinhold war aus gutem ritterlichen Hause. Und
in einer chevaleresken Anwandlung, in seiner plötzlichen Verwirrung und unter


Logende voni wcicholderhügel

Sie machten ausgiebigen Gebrauch davon. Luder und Heino gingen darauf in
den Oberstock, um ein Zimmer für sie herzurichten.




Zwei Wochen war die Fremde da, und im Kloster war es ganz anders
geworden.

Als Luder sie in ihr Zimmer brachte, das er mit Heino gewissenhaft gesäubert
hatte, war sie auf Zehenspitzen und die Kleider raffend hinter ihm drein gegangen,
um den Staub der Korridore nicht aufzuwirbeln. Luder kam zurück, kriegte
Severin und Heino auf, und mit Besen und sehr viel Wasser begann eine gründ¬
liche Säuberung. Die Fremde wollte helfen, aber Luder wehrte entschieden ab.
Eines Morgens kam Rudi in seine Küche und machte große Augen, wie alles
darin glänzte und blitzte. Fortan sorgte er, daß es immer so war. Im Garten
erschien die Fremde und ordnete ein paar Blumenbeete. Da ging Luder an die
anderen Beete. In den Zimmern standen Blumen in Töpfen und Gläsern.
Tische und Bänke wurden unter ihrer Anleitung anders gestellt. Die Fenster
mußten ihre Spinnwebvorhänge missen und blänkerten im Morgen- und Abend¬
licht. Schäden an Mauern und Holz wurden ausgebessert. Luder und die Fremde
waren überall.

Sehr unbequem waren den Brüdern anfangs die gemeinsamen Mahlzeiten,
von denen sich der Pater seit der Anwesenheit der Fremden fernhielt. Die alten
Klosterbären, besonders Rupert, Göte, Heino und Severin, hatten wenig Manieren,
und die wenigen taugten nicht gerade viel. Rupert lernte einsehen, daß man
wohl allein im grünen Walde nach einem Vesper über den Daumen weg rülpsen
dürfe, nicht aber bei Tische, wenn ein schönes, feines Weib zugegen war. Heino
schnäuzte sich in Gegenwart der Fremden nicht mehr mit der Faust, und Gode
gab seinem breiten Lachen einen milderen Ton, hieb sich auch nicht mehr mit der
flachen Hand den Schenkel, weil die Fremde jedesmal erschreckt ausflog.

So wurde bald alles der Schönen, Feinen Untertan, die mit jedem Tage
schöner und strahlender wurde. Aus dem Zeugvorrat des Klosters vermähle sie
braunen Kuttenstoff und weißes Linnen zu einem schönen, neuen Gewände. Als
sie damit zum ersten Male erschien, sperrte Severin den Mund so weit auf, daß
Rudi ihm zurief: „Severin, Severin, gleich werf' ich dir wieder einen Brummer
ins Refektorium!" und der Blöde den Mund hörbar schloß. Aber die Fremde sah
mißbilligend auf Rudi, und da schlugen ihm die Flammen in den Kopf.

Einer schien von dem allen nichts zu merken, das war der Pater Reinhold.
Daß er sich in der Nacht aus der Zeugkammer eine neue Kutte und neue San¬
dalen geholt hatte, war natürlich nur geschehen, weil die alte Gewandung zer¬
schlissen war. Auch war es selbstverständlich, daß er einsehen mußte, wie Spinnen¬
gewebe seine Bücher nicht sonderlich zierte und daß es ihnen nichts schade, wenn
man sie, bevor man in ihnen las, aus dem Fenster ausstäube. So stand er
eines Mittags in tiefen Gedanken, als sich die Tür öffnete und die Fremde,
strahlend wie der Junitag, über die Schwelle trat. Sie leuchtete ihn mit ihren
Augen an und machte eine Bewegung, die er richtig dahin deutete, daß er mit
ihr zum Essen kommen solle. Reinhold war aus gutem ritterlichen Hause. Und
in einer chevaleresken Anwandlung, in seiner plötzlichen Verwirrung und unter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0426" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318709"/>
          <fw type="header" place="top"> Logende voni wcicholderhügel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1878" prev="#ID_1877"> Sie machten ausgiebigen Gebrauch davon. Luder und Heino gingen darauf in<lb/>
den Oberstock, um ein Zimmer für sie herzurichten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1879"> Zwei Wochen war die Fremde da, und im Kloster war es ganz anders<lb/>
geworden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1880"> Als Luder sie in ihr Zimmer brachte, das er mit Heino gewissenhaft gesäubert<lb/>
hatte, war sie auf Zehenspitzen und die Kleider raffend hinter ihm drein gegangen,<lb/>
um den Staub der Korridore nicht aufzuwirbeln. Luder kam zurück, kriegte<lb/>
Severin und Heino auf, und mit Besen und sehr viel Wasser begann eine gründ¬<lb/>
liche Säuberung. Die Fremde wollte helfen, aber Luder wehrte entschieden ab.<lb/>
Eines Morgens kam Rudi in seine Küche und machte große Augen, wie alles<lb/>
darin glänzte und blitzte. Fortan sorgte er, daß es immer so war. Im Garten<lb/>
erschien die Fremde und ordnete ein paar Blumenbeete. Da ging Luder an die<lb/>
anderen Beete. In den Zimmern standen Blumen in Töpfen und Gläsern.<lb/>
Tische und Bänke wurden unter ihrer Anleitung anders gestellt. Die Fenster<lb/>
mußten ihre Spinnwebvorhänge missen und blänkerten im Morgen- und Abend¬<lb/>
licht. Schäden an Mauern und Holz wurden ausgebessert. Luder und die Fremde<lb/>
waren überall.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1881"> Sehr unbequem waren den Brüdern anfangs die gemeinsamen Mahlzeiten,<lb/>
von denen sich der Pater seit der Anwesenheit der Fremden fernhielt. Die alten<lb/>
Klosterbären, besonders Rupert, Göte, Heino und Severin, hatten wenig Manieren,<lb/>
und die wenigen taugten nicht gerade viel. Rupert lernte einsehen, daß man<lb/>
wohl allein im grünen Walde nach einem Vesper über den Daumen weg rülpsen<lb/>
dürfe, nicht aber bei Tische, wenn ein schönes, feines Weib zugegen war. Heino<lb/>
schnäuzte sich in Gegenwart der Fremden nicht mehr mit der Faust, und Gode<lb/>
gab seinem breiten Lachen einen milderen Ton, hieb sich auch nicht mehr mit der<lb/>
flachen Hand den Schenkel, weil die Fremde jedesmal erschreckt ausflog.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1882"> So wurde bald alles der Schönen, Feinen Untertan, die mit jedem Tage<lb/>
schöner und strahlender wurde. Aus dem Zeugvorrat des Klosters vermähle sie<lb/>
braunen Kuttenstoff und weißes Linnen zu einem schönen, neuen Gewände. Als<lb/>
sie damit zum ersten Male erschien, sperrte Severin den Mund so weit auf, daß<lb/>
Rudi ihm zurief: &#x201E;Severin, Severin, gleich werf' ich dir wieder einen Brummer<lb/>
ins Refektorium!" und der Blöde den Mund hörbar schloß. Aber die Fremde sah<lb/>
mißbilligend auf Rudi, und da schlugen ihm die Flammen in den Kopf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1883" next="#ID_1884"> Einer schien von dem allen nichts zu merken, das war der Pater Reinhold.<lb/>
Daß er sich in der Nacht aus der Zeugkammer eine neue Kutte und neue San¬<lb/>
dalen geholt hatte, war natürlich nur geschehen, weil die alte Gewandung zer¬<lb/>
schlissen war. Auch war es selbstverständlich, daß er einsehen mußte, wie Spinnen¬<lb/>
gewebe seine Bücher nicht sonderlich zierte und daß es ihnen nichts schade, wenn<lb/>
man sie, bevor man in ihnen las, aus dem Fenster ausstäube. So stand er<lb/>
eines Mittags in tiefen Gedanken, als sich die Tür öffnete und die Fremde,<lb/>
strahlend wie der Junitag, über die Schwelle trat. Sie leuchtete ihn mit ihren<lb/>
Augen an und machte eine Bewegung, die er richtig dahin deutete, daß er mit<lb/>
ihr zum Essen kommen solle. Reinhold war aus gutem ritterlichen Hause. Und<lb/>
in einer chevaleresken Anwandlung, in seiner plötzlichen Verwirrung und unter</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0426] Logende voni wcicholderhügel Sie machten ausgiebigen Gebrauch davon. Luder und Heino gingen darauf in den Oberstock, um ein Zimmer für sie herzurichten. Zwei Wochen war die Fremde da, und im Kloster war es ganz anders geworden. Als Luder sie in ihr Zimmer brachte, das er mit Heino gewissenhaft gesäubert hatte, war sie auf Zehenspitzen und die Kleider raffend hinter ihm drein gegangen, um den Staub der Korridore nicht aufzuwirbeln. Luder kam zurück, kriegte Severin und Heino auf, und mit Besen und sehr viel Wasser begann eine gründ¬ liche Säuberung. Die Fremde wollte helfen, aber Luder wehrte entschieden ab. Eines Morgens kam Rudi in seine Küche und machte große Augen, wie alles darin glänzte und blitzte. Fortan sorgte er, daß es immer so war. Im Garten erschien die Fremde und ordnete ein paar Blumenbeete. Da ging Luder an die anderen Beete. In den Zimmern standen Blumen in Töpfen und Gläsern. Tische und Bänke wurden unter ihrer Anleitung anders gestellt. Die Fenster mußten ihre Spinnwebvorhänge missen und blänkerten im Morgen- und Abend¬ licht. Schäden an Mauern und Holz wurden ausgebessert. Luder und die Fremde waren überall. Sehr unbequem waren den Brüdern anfangs die gemeinsamen Mahlzeiten, von denen sich der Pater seit der Anwesenheit der Fremden fernhielt. Die alten Klosterbären, besonders Rupert, Göte, Heino und Severin, hatten wenig Manieren, und die wenigen taugten nicht gerade viel. Rupert lernte einsehen, daß man wohl allein im grünen Walde nach einem Vesper über den Daumen weg rülpsen dürfe, nicht aber bei Tische, wenn ein schönes, feines Weib zugegen war. Heino schnäuzte sich in Gegenwart der Fremden nicht mehr mit der Faust, und Gode gab seinem breiten Lachen einen milderen Ton, hieb sich auch nicht mehr mit der flachen Hand den Schenkel, weil die Fremde jedesmal erschreckt ausflog. So wurde bald alles der Schönen, Feinen Untertan, die mit jedem Tage schöner und strahlender wurde. Aus dem Zeugvorrat des Klosters vermähle sie braunen Kuttenstoff und weißes Linnen zu einem schönen, neuen Gewände. Als sie damit zum ersten Male erschien, sperrte Severin den Mund so weit auf, daß Rudi ihm zurief: „Severin, Severin, gleich werf' ich dir wieder einen Brummer ins Refektorium!" und der Blöde den Mund hörbar schloß. Aber die Fremde sah mißbilligend auf Rudi, und da schlugen ihm die Flammen in den Kopf. Einer schien von dem allen nichts zu merken, das war der Pater Reinhold. Daß er sich in der Nacht aus der Zeugkammer eine neue Kutte und neue San¬ dalen geholt hatte, war natürlich nur geschehen, weil die alte Gewandung zer¬ schlissen war. Auch war es selbstverständlich, daß er einsehen mußte, wie Spinnen¬ gewebe seine Bücher nicht sonderlich zierte und daß es ihnen nichts schade, wenn man sie, bevor man in ihnen las, aus dem Fenster ausstäube. So stand er eines Mittags in tiefen Gedanken, als sich die Tür öffnete und die Fremde, strahlend wie der Junitag, über die Schwelle trat. Sie leuchtete ihn mit ihren Augen an und machte eine Bewegung, die er richtig dahin deutete, daß er mit ihr zum Essen kommen solle. Reinhold war aus gutem ritterlichen Hause. Und in einer chevaleresken Anwandlung, in seiner plötzlichen Verwirrung und unter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/426
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/426>, abgerufen am 17.06.2024.