Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neichsspiegel

niedriger als der Kassenvorrat, den die Hunderte von selbständigen In¬
stituten im ganzen zur Verfügung haben würden, wenn das Bank¬
wesen nicht zentralisiert wäre. Für den Fehlbetrag muß also mehr auf das
Wechselportefeuille zurückgegriffen werden, das ohnehin schon den Hauptteil
der Mittel zur Bestreitung des Bedarfs liefern muß. So ist es schließlich die
Reichs baut, die in die Bresche tritt. Denn sie ist nach der ganzen Organisation
unseres Geldwesens "die Bank der Banken", sie ist die einzige Stelle, bei der
das fehlende Geld in Form von Noten gegen Diskontierung oder Verpfändung
von Wechseln beschafft werden kann. Auch hier macht sich ein Nachteil der
Zentralisation geltend, der in Kauf genommen werden muß, wenn man die
außerordentlichen Wohltaten einer einheitlichen Notenbank nicht missen will. Die
Folgen zeigen sich in einer sprunghafter Verschlechterung des Status der Neichs-
bank, die im letzten Frühjahrstermin über 700 Millionen Mark betragen hat
und die ernstesten Besorgnisse erregen mußte. Liegt es doch im Bereich der
Möglichkeit, daß bei solcher Inanspruchnahme die bare Notendeckung unter das
gesetzliche Drittel sinken könnte. Das würde dann heißen: schleunige Suspen¬
dierung des Bankgesetzes oder Zwangskurs, wenn ein allgemeiner Bankerott
vermieden werden soll. Wie aber einer solchen Gefahr steuern? Die Reichsbank
hat es zunächst auf dem Wege einer Verschärfung der Lombardbedingungen
versucht -- ein Palliativ aber kein Heilmittel! Die Verfügung richtet sich nur
gegen die unzweckmäßige Art, in welcher die Banken die Reichsbank in Anspruch
zu nehmen pflegen. Um eine Zinsausgabe zu sparen, diskontieren sie nicht die
Wechsel, sondern verpfänden sie. Da nun die Quartalsbedürfnisse sich stets nur
auf wenige Tage verteilen und schön am Zweiten oder Dritten des neuen Monats
ein kräftiger Rückstrom einsetzt, so ist es ihnen ein leichtes, die verpfändeten
Wechsel wieder einzulösen oder, wenn die Minimalfrist für das Lombarddarlehen
noch nicht abgelaufen ist, die Gelder an der Börse auszuleihen und dadurch die
Zinseinbuße zu verringern. Dem will die Neichsbank entgegentreten, indem sie
für Lombarddarlehen am Quartalstermin einen Zinszuschlag von zehn Tagen
erhebt. Diese Zinseinbuße ist so erheblich, daß es vorteilhafter ist, Wechsel von der
Lauffrist annähernd eines Monats zu diskontieren. Die Banken werden also diesen
Weg der Geldbeschaffung vorziehen. In den diskontierten Wechseln erhält aber
die Reichsbank wenigstens eine Notendeckung, was bei den bloß lombardierten
nicht der Fall ist. Gegen eine Verminderung der baren Notendeckung kann
sie sich aber auf diesem Weg nicht schützen. Es gibt überhaupt kein Mittel,
die vorhandenen Ansprüche einzuschränken oder von der Reichsbank
abzulenken. Es ist eine notwendige Folge der vorhandenen Zentralisation, daß
sie letzten Endes die Reichsbank belasten. Aber freilich: bessern ließe sich manches,
zwar nicht über Nacht oder auf dem Weg eurer Verfügung, wohl aber durch
eine Korrektur unserer Zahlungssitten. Die Zusammendrängung so vieler
Zahlungsverpflichtungen auf die Quartalstermine istkeineNotwendigkeit. Hypotheken
undZinszahluugen könnten durch die Hypothekenbanken auf andere Termine verschoben


Neichsspiegel

niedriger als der Kassenvorrat, den die Hunderte von selbständigen In¬
stituten im ganzen zur Verfügung haben würden, wenn das Bank¬
wesen nicht zentralisiert wäre. Für den Fehlbetrag muß also mehr auf das
Wechselportefeuille zurückgegriffen werden, das ohnehin schon den Hauptteil
der Mittel zur Bestreitung des Bedarfs liefern muß. So ist es schließlich die
Reichs baut, die in die Bresche tritt. Denn sie ist nach der ganzen Organisation
unseres Geldwesens „die Bank der Banken", sie ist die einzige Stelle, bei der
das fehlende Geld in Form von Noten gegen Diskontierung oder Verpfändung
von Wechseln beschafft werden kann. Auch hier macht sich ein Nachteil der
Zentralisation geltend, der in Kauf genommen werden muß, wenn man die
außerordentlichen Wohltaten einer einheitlichen Notenbank nicht missen will. Die
Folgen zeigen sich in einer sprunghafter Verschlechterung des Status der Neichs-
bank, die im letzten Frühjahrstermin über 700 Millionen Mark betragen hat
und die ernstesten Besorgnisse erregen mußte. Liegt es doch im Bereich der
Möglichkeit, daß bei solcher Inanspruchnahme die bare Notendeckung unter das
gesetzliche Drittel sinken könnte. Das würde dann heißen: schleunige Suspen¬
dierung des Bankgesetzes oder Zwangskurs, wenn ein allgemeiner Bankerott
vermieden werden soll. Wie aber einer solchen Gefahr steuern? Die Reichsbank
hat es zunächst auf dem Wege einer Verschärfung der Lombardbedingungen
versucht — ein Palliativ aber kein Heilmittel! Die Verfügung richtet sich nur
gegen die unzweckmäßige Art, in welcher die Banken die Reichsbank in Anspruch
zu nehmen pflegen. Um eine Zinsausgabe zu sparen, diskontieren sie nicht die
Wechsel, sondern verpfänden sie. Da nun die Quartalsbedürfnisse sich stets nur
auf wenige Tage verteilen und schön am Zweiten oder Dritten des neuen Monats
ein kräftiger Rückstrom einsetzt, so ist es ihnen ein leichtes, die verpfändeten
Wechsel wieder einzulösen oder, wenn die Minimalfrist für das Lombarddarlehen
noch nicht abgelaufen ist, die Gelder an der Börse auszuleihen und dadurch die
Zinseinbuße zu verringern. Dem will die Neichsbank entgegentreten, indem sie
für Lombarddarlehen am Quartalstermin einen Zinszuschlag von zehn Tagen
erhebt. Diese Zinseinbuße ist so erheblich, daß es vorteilhafter ist, Wechsel von der
Lauffrist annähernd eines Monats zu diskontieren. Die Banken werden also diesen
Weg der Geldbeschaffung vorziehen. In den diskontierten Wechseln erhält aber
die Reichsbank wenigstens eine Notendeckung, was bei den bloß lombardierten
nicht der Fall ist. Gegen eine Verminderung der baren Notendeckung kann
sie sich aber auf diesem Weg nicht schützen. Es gibt überhaupt kein Mittel,
die vorhandenen Ansprüche einzuschränken oder von der Reichsbank
abzulenken. Es ist eine notwendige Folge der vorhandenen Zentralisation, daß
sie letzten Endes die Reichsbank belasten. Aber freilich: bessern ließe sich manches,
zwar nicht über Nacht oder auf dem Weg eurer Verfügung, wohl aber durch
eine Korrektur unserer Zahlungssitten. Die Zusammendrängung so vieler
Zahlungsverpflichtungen auf die Quartalstermine istkeineNotwendigkeit. Hypotheken
undZinszahluugen könnten durch die Hypothekenbanken auf andere Termine verschoben


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0443" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/318726"/>
            <fw type="header" place="top"> Neichsspiegel</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1942" prev="#ID_1941" next="#ID_1943"> niedriger als der Kassenvorrat, den die Hunderte von selbständigen In¬<lb/>
stituten im ganzen zur Verfügung haben würden, wenn das Bank¬<lb/>
wesen nicht zentralisiert wäre. Für den Fehlbetrag muß also mehr auf das<lb/>
Wechselportefeuille zurückgegriffen werden, das ohnehin schon den Hauptteil<lb/>
der Mittel zur Bestreitung des Bedarfs liefern muß. So ist es schließlich die<lb/>
Reichs baut, die in die Bresche tritt. Denn sie ist nach der ganzen Organisation<lb/>
unseres Geldwesens &#x201E;die Bank der Banken", sie ist die einzige Stelle, bei der<lb/>
das fehlende Geld in Form von Noten gegen Diskontierung oder Verpfändung<lb/>
von Wechseln beschafft werden kann. Auch hier macht sich ein Nachteil der<lb/>
Zentralisation geltend, der in Kauf genommen werden muß, wenn man die<lb/>
außerordentlichen Wohltaten einer einheitlichen Notenbank nicht missen will. Die<lb/>
Folgen zeigen sich in einer sprunghafter Verschlechterung des Status der Neichs-<lb/>
bank, die im letzten Frühjahrstermin über 700 Millionen Mark betragen hat<lb/>
und die ernstesten Besorgnisse erregen mußte. Liegt es doch im Bereich der<lb/>
Möglichkeit, daß bei solcher Inanspruchnahme die bare Notendeckung unter das<lb/>
gesetzliche Drittel sinken könnte. Das würde dann heißen: schleunige Suspen¬<lb/>
dierung des Bankgesetzes oder Zwangskurs, wenn ein allgemeiner Bankerott<lb/>
vermieden werden soll. Wie aber einer solchen Gefahr steuern? Die Reichsbank<lb/>
hat es zunächst auf dem Wege einer Verschärfung der Lombardbedingungen<lb/>
versucht &#x2014; ein Palliativ aber kein Heilmittel! Die Verfügung richtet sich nur<lb/>
gegen die unzweckmäßige Art, in welcher die Banken die Reichsbank in Anspruch<lb/>
zu nehmen pflegen. Um eine Zinsausgabe zu sparen, diskontieren sie nicht die<lb/>
Wechsel, sondern verpfänden sie. Da nun die Quartalsbedürfnisse sich stets nur<lb/>
auf wenige Tage verteilen und schön am Zweiten oder Dritten des neuen Monats<lb/>
ein kräftiger Rückstrom einsetzt, so ist es ihnen ein leichtes, die verpfändeten<lb/>
Wechsel wieder einzulösen oder, wenn die Minimalfrist für das Lombarddarlehen<lb/>
noch nicht abgelaufen ist, die Gelder an der Börse auszuleihen und dadurch die<lb/>
Zinseinbuße zu verringern. Dem will die Neichsbank entgegentreten, indem sie<lb/>
für Lombarddarlehen am Quartalstermin einen Zinszuschlag von zehn Tagen<lb/>
erhebt. Diese Zinseinbuße ist so erheblich, daß es vorteilhafter ist, Wechsel von der<lb/>
Lauffrist annähernd eines Monats zu diskontieren. Die Banken werden also diesen<lb/>
Weg der Geldbeschaffung vorziehen. In den diskontierten Wechseln erhält aber<lb/>
die Reichsbank wenigstens eine Notendeckung, was bei den bloß lombardierten<lb/>
nicht der Fall ist. Gegen eine Verminderung der baren Notendeckung kann<lb/>
sie sich aber auf diesem Weg nicht schützen. Es gibt überhaupt kein Mittel,<lb/>
die vorhandenen Ansprüche einzuschränken oder von der Reichsbank<lb/>
abzulenken. Es ist eine notwendige Folge der vorhandenen Zentralisation, daß<lb/>
sie letzten Endes die Reichsbank belasten. Aber freilich: bessern ließe sich manches,<lb/>
zwar nicht über Nacht oder auf dem Weg eurer Verfügung, wohl aber durch<lb/>
eine Korrektur unserer Zahlungssitten. Die Zusammendrängung so vieler<lb/>
Zahlungsverpflichtungen auf die Quartalstermine istkeineNotwendigkeit. Hypotheken<lb/>
undZinszahluugen könnten durch die Hypothekenbanken auf andere Termine verschoben</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0443] Neichsspiegel niedriger als der Kassenvorrat, den die Hunderte von selbständigen In¬ stituten im ganzen zur Verfügung haben würden, wenn das Bank¬ wesen nicht zentralisiert wäre. Für den Fehlbetrag muß also mehr auf das Wechselportefeuille zurückgegriffen werden, das ohnehin schon den Hauptteil der Mittel zur Bestreitung des Bedarfs liefern muß. So ist es schließlich die Reichs baut, die in die Bresche tritt. Denn sie ist nach der ganzen Organisation unseres Geldwesens „die Bank der Banken", sie ist die einzige Stelle, bei der das fehlende Geld in Form von Noten gegen Diskontierung oder Verpfändung von Wechseln beschafft werden kann. Auch hier macht sich ein Nachteil der Zentralisation geltend, der in Kauf genommen werden muß, wenn man die außerordentlichen Wohltaten einer einheitlichen Notenbank nicht missen will. Die Folgen zeigen sich in einer sprunghafter Verschlechterung des Status der Neichs- bank, die im letzten Frühjahrstermin über 700 Millionen Mark betragen hat und die ernstesten Besorgnisse erregen mußte. Liegt es doch im Bereich der Möglichkeit, daß bei solcher Inanspruchnahme die bare Notendeckung unter das gesetzliche Drittel sinken könnte. Das würde dann heißen: schleunige Suspen¬ dierung des Bankgesetzes oder Zwangskurs, wenn ein allgemeiner Bankerott vermieden werden soll. Wie aber einer solchen Gefahr steuern? Die Reichsbank hat es zunächst auf dem Wege einer Verschärfung der Lombardbedingungen versucht — ein Palliativ aber kein Heilmittel! Die Verfügung richtet sich nur gegen die unzweckmäßige Art, in welcher die Banken die Reichsbank in Anspruch zu nehmen pflegen. Um eine Zinsausgabe zu sparen, diskontieren sie nicht die Wechsel, sondern verpfänden sie. Da nun die Quartalsbedürfnisse sich stets nur auf wenige Tage verteilen und schön am Zweiten oder Dritten des neuen Monats ein kräftiger Rückstrom einsetzt, so ist es ihnen ein leichtes, die verpfändeten Wechsel wieder einzulösen oder, wenn die Minimalfrist für das Lombarddarlehen noch nicht abgelaufen ist, die Gelder an der Börse auszuleihen und dadurch die Zinseinbuße zu verringern. Dem will die Neichsbank entgegentreten, indem sie für Lombarddarlehen am Quartalstermin einen Zinszuschlag von zehn Tagen erhebt. Diese Zinseinbuße ist so erheblich, daß es vorteilhafter ist, Wechsel von der Lauffrist annähernd eines Monats zu diskontieren. Die Banken werden also diesen Weg der Geldbeschaffung vorziehen. In den diskontierten Wechseln erhält aber die Reichsbank wenigstens eine Notendeckung, was bei den bloß lombardierten nicht der Fall ist. Gegen eine Verminderung der baren Notendeckung kann sie sich aber auf diesem Weg nicht schützen. Es gibt überhaupt kein Mittel, die vorhandenen Ansprüche einzuschränken oder von der Reichsbank abzulenken. Es ist eine notwendige Folge der vorhandenen Zentralisation, daß sie letzten Endes die Reichsbank belasten. Aber freilich: bessern ließe sich manches, zwar nicht über Nacht oder auf dem Weg eurer Verfügung, wohl aber durch eine Korrektur unserer Zahlungssitten. Die Zusammendrängung so vieler Zahlungsverpflichtungen auf die Quartalstermine istkeineNotwendigkeit. Hypotheken undZinszahluugen könnten durch die Hypothekenbanken auf andere Termine verschoben

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/443
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/443>, abgerufen am 17.06.2024.