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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Rußlands Lage und Aufgaben im fernen Gsten

Schenkung und Tschiki, Frankreich mit den Südprovinzen und drei nördlichen,
Japan verlangte ausschließliche Borherrschaft in Korea und der Provinz Fuzsjan.
Hauptgegner Rußlands in Ostasien waren Japan, Großbritannien und die Ver¬
einigten Staaten. Ihnen standen Deutschland und Frankreich mit ihren Interessen
gegenüber, so daß sich die Mächte in Ostasien in zwei Gruppen mit Rußland,
Deutschland und Frankreich auf der einen Seite schieden. Diese Gruppierung
trat in Erscheinung im Jahre 1895, aber sie entwickelte sich nicht weiter, obgleich
dazu im Jahre 1900 Gelegenheit gewesen wäre.

Zu dieser Zeit hatte sich die internationale Lage wesentlich verschoben. Die
Erfolge, die Nußland in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts mit der
Besetzung von Kwantung, mit der Okkupation der Mandschurei und der Durch¬
führung der sibirischen Eisenbahn durch chinesisches Gebiet errungen hatte, schienen
so gut gesichert, daß es auf die Unterwerfung nicht nur der ganzen Mandschurei,
sondern auch eines Teiles Koreas in wirtschaftlicher und politischer Beziehung
rechnen zu können glaubte. Aber seine Politik der "verschlossenen Türen"
begegnete ausgesprochener Abneigung auf feiten der Mächte der zweiten Gruppe
und natürlich erst recht in China selber, welches das Auftreten Rußlands in
einem mit der Geschichte der Dynastie eng verbundenen Gebietsteil mit unver¬
hohlenem Widerwillen betrachtete. Rußland befand sich sehr bald in einer Lage,
die dank der mangelhaften Unterstützung Frankreichs einer splenäiä iZoIation
sehr nahe kam. Trotzdem antwortete es auf die dringenden Aufforderungen Japans,
sich über die Einflußsphären zu verständigen, mit maßlosen Forderungen, drohte
mit der gepanzerten Faust und trieb auf diese Weise in den Krieg.

Das Ergebnis des Krieges täuschte alle Erwartungen. Rußlands weit¬
gehenden Plänen ward Halt geboten. Durch die erlittenen Niederlagen, die
Verluste und durch die Unruhen im eigenen Lande verschob sich die Lage des
Zarenreichs im fernen Osten völlig zu seinen Ungunsten. Materiell und moralisch
geschwächt, fast isoliert, mußte es sich eine Zeitlang jede aktive Politik versagen,
sich ducken und bei allen Unterhandlungen mit politischen Gegnern nachgeben.
Seine ganz außerordentlich schwierige Lage hat wohl dazu geführt, daß die
russische Politik es in der nächsten Zeit an der besonders im Orient so not¬
wendigen Festigkeit und Entschlossenheit hat fehlen lassen müssen und vielleicht
manchmal zuviel nachgegeben hat.

Rußlands zeitweiliger Verzicht auf eine aktive Politik hatte in Europa eine
unerwartete Wirkung zur Folge: das politische Gleichgewicht änderte sich von
Grund aus. Eifersucht auf Deutschlands wachsende Macht veranlaßte Gro߬
britannien zu einer Umkehr von seiner traditionellen Politik. Während die bis¬
herigen Beziehungen des Jnselreichs zu Rußland durch die ständige Konkurrenz
um die politische Vorherrschaft in Asien getrübt waren, lind während es mehr
als ein halbes Jahrhundert lang mit eifrigstem Bemühen Rußland alle nur
möglichen feindlichen Elemente auf den Hals gesetzt hatte, trat es mit einem
Male in freundschaftliche Unterhandlungen ein. Hieraus entstand und ver-


Rußlands Lage und Aufgaben im fernen Gsten

Schenkung und Tschiki, Frankreich mit den Südprovinzen und drei nördlichen,
Japan verlangte ausschließliche Borherrschaft in Korea und der Provinz Fuzsjan.
Hauptgegner Rußlands in Ostasien waren Japan, Großbritannien und die Ver¬
einigten Staaten. Ihnen standen Deutschland und Frankreich mit ihren Interessen
gegenüber, so daß sich die Mächte in Ostasien in zwei Gruppen mit Rußland,
Deutschland und Frankreich auf der einen Seite schieden. Diese Gruppierung
trat in Erscheinung im Jahre 1895, aber sie entwickelte sich nicht weiter, obgleich
dazu im Jahre 1900 Gelegenheit gewesen wäre.

Zu dieser Zeit hatte sich die internationale Lage wesentlich verschoben. Die
Erfolge, die Nußland in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts mit der
Besetzung von Kwantung, mit der Okkupation der Mandschurei und der Durch¬
führung der sibirischen Eisenbahn durch chinesisches Gebiet errungen hatte, schienen
so gut gesichert, daß es auf die Unterwerfung nicht nur der ganzen Mandschurei,
sondern auch eines Teiles Koreas in wirtschaftlicher und politischer Beziehung
rechnen zu können glaubte. Aber seine Politik der „verschlossenen Türen"
begegnete ausgesprochener Abneigung auf feiten der Mächte der zweiten Gruppe
und natürlich erst recht in China selber, welches das Auftreten Rußlands in
einem mit der Geschichte der Dynastie eng verbundenen Gebietsteil mit unver¬
hohlenem Widerwillen betrachtete. Rußland befand sich sehr bald in einer Lage,
die dank der mangelhaften Unterstützung Frankreichs einer splenäiä iZoIation
sehr nahe kam. Trotzdem antwortete es auf die dringenden Aufforderungen Japans,
sich über die Einflußsphären zu verständigen, mit maßlosen Forderungen, drohte
mit der gepanzerten Faust und trieb auf diese Weise in den Krieg.

Das Ergebnis des Krieges täuschte alle Erwartungen. Rußlands weit¬
gehenden Plänen ward Halt geboten. Durch die erlittenen Niederlagen, die
Verluste und durch die Unruhen im eigenen Lande verschob sich die Lage des
Zarenreichs im fernen Osten völlig zu seinen Ungunsten. Materiell und moralisch
geschwächt, fast isoliert, mußte es sich eine Zeitlang jede aktive Politik versagen,
sich ducken und bei allen Unterhandlungen mit politischen Gegnern nachgeben.
Seine ganz außerordentlich schwierige Lage hat wohl dazu geführt, daß die
russische Politik es in der nächsten Zeit an der besonders im Orient so not¬
wendigen Festigkeit und Entschlossenheit hat fehlen lassen müssen und vielleicht
manchmal zuviel nachgegeben hat.

Rußlands zeitweiliger Verzicht auf eine aktive Politik hatte in Europa eine
unerwartete Wirkung zur Folge: das politische Gleichgewicht änderte sich von
Grund aus. Eifersucht auf Deutschlands wachsende Macht veranlaßte Gro߬
britannien zu einer Umkehr von seiner traditionellen Politik. Während die bis¬
herigen Beziehungen des Jnselreichs zu Rußland durch die ständige Konkurrenz
um die politische Vorherrschaft in Asien getrübt waren, lind während es mehr
als ein halbes Jahrhundert lang mit eifrigstem Bemühen Rußland alle nur
möglichen feindlichen Elemente auf den Hals gesetzt hatte, trat es mit einem
Male in freundschaftliche Unterhandlungen ein. Hieraus entstand und ver-


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[0062] Rußlands Lage und Aufgaben im fernen Gsten Schenkung und Tschiki, Frankreich mit den Südprovinzen und drei nördlichen, Japan verlangte ausschließliche Borherrschaft in Korea und der Provinz Fuzsjan. Hauptgegner Rußlands in Ostasien waren Japan, Großbritannien und die Ver¬ einigten Staaten. Ihnen standen Deutschland und Frankreich mit ihren Interessen gegenüber, so daß sich die Mächte in Ostasien in zwei Gruppen mit Rußland, Deutschland und Frankreich auf der einen Seite schieden. Diese Gruppierung trat in Erscheinung im Jahre 1895, aber sie entwickelte sich nicht weiter, obgleich dazu im Jahre 1900 Gelegenheit gewesen wäre. Zu dieser Zeit hatte sich die internationale Lage wesentlich verschoben. Die Erfolge, die Nußland in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts mit der Besetzung von Kwantung, mit der Okkupation der Mandschurei und der Durch¬ führung der sibirischen Eisenbahn durch chinesisches Gebiet errungen hatte, schienen so gut gesichert, daß es auf die Unterwerfung nicht nur der ganzen Mandschurei, sondern auch eines Teiles Koreas in wirtschaftlicher und politischer Beziehung rechnen zu können glaubte. Aber seine Politik der „verschlossenen Türen" begegnete ausgesprochener Abneigung auf feiten der Mächte der zweiten Gruppe und natürlich erst recht in China selber, welches das Auftreten Rußlands in einem mit der Geschichte der Dynastie eng verbundenen Gebietsteil mit unver¬ hohlenem Widerwillen betrachtete. Rußland befand sich sehr bald in einer Lage, die dank der mangelhaften Unterstützung Frankreichs einer splenäiä iZoIation sehr nahe kam. Trotzdem antwortete es auf die dringenden Aufforderungen Japans, sich über die Einflußsphären zu verständigen, mit maßlosen Forderungen, drohte mit der gepanzerten Faust und trieb auf diese Weise in den Krieg. Das Ergebnis des Krieges täuschte alle Erwartungen. Rußlands weit¬ gehenden Plänen ward Halt geboten. Durch die erlittenen Niederlagen, die Verluste und durch die Unruhen im eigenen Lande verschob sich die Lage des Zarenreichs im fernen Osten völlig zu seinen Ungunsten. Materiell und moralisch geschwächt, fast isoliert, mußte es sich eine Zeitlang jede aktive Politik versagen, sich ducken und bei allen Unterhandlungen mit politischen Gegnern nachgeben. Seine ganz außerordentlich schwierige Lage hat wohl dazu geführt, daß die russische Politik es in der nächsten Zeit an der besonders im Orient so not¬ wendigen Festigkeit und Entschlossenheit hat fehlen lassen müssen und vielleicht manchmal zuviel nachgegeben hat. Rußlands zeitweiliger Verzicht auf eine aktive Politik hatte in Europa eine unerwartete Wirkung zur Folge: das politische Gleichgewicht änderte sich von Grund aus. Eifersucht auf Deutschlands wachsende Macht veranlaßte Gro߬ britannien zu einer Umkehr von seiner traditionellen Politik. Während die bis¬ herigen Beziehungen des Jnselreichs zu Rußland durch die ständige Konkurrenz um die politische Vorherrschaft in Asien getrübt waren, lind während es mehr als ein halbes Jahrhundert lang mit eifrigstem Bemühen Rußland alle nur möglichen feindlichen Elemente auf den Hals gesetzt hatte, trat es mit einem Male in freundschaftliche Unterhandlungen ein. Hieraus entstand und ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/62>, abgerufen am 17.06.2024.