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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Mittelpunkt der Erörterungen des Wohnungskongresses gestanden, wenn es
anderseits auch natürlich war, sie wenigstens zu streifen. Es waren vielmehr
Fragen ausschließlich wirtschaftlicher Natur, welche die Versammlung beschäftigten:
das Erbbaurecht, die Arbeiterrcntengüter, die Finanzierung der Bautätigkeit,
insbesondere die Beschaffung der zweiten Hypotheken. Bei weitem die inter¬
essanteste und von unmittelbarer praktischer Wichtigkeit ist die letzte, weil sie
sich mit der Organisation des Realkredites befaßt und eine" außerordent¬
lich wunden Punkt berührt. Es ist ein von den Bauunternehmern, aber auch
von den Baugenossenschaften schwer empfundener Übelstand, daß Kapitalien für
zweite Hypotheken gar nicht oder doch nnr uuter drückenden Bedingungen auf¬
zutreiben sind. Die erste Hypothek, meist von einer Hypothekenbank nach Ma߬
gabe der gesetzlichen Vorschriften gegeben, reicht nicht hin, die Kosten des Neu¬
baues einschließlich des Grunderwerbs zu decken. Meist kann damit nur ein
Teil des Rohbaues bezahlt werden, denn einen erheblichen Teil verschlingen
die Kosten der Baustelle, die aus der Hypothekenvaluta zu entrichten sind. So
bleibt die Geldbeschaffung für die Fertigstellung des Baues auf die unsicheren
Quellen angewiesen, aus denen die Mittel für zweite Hypotheken fließen. Diese
sind nun häufig recht trübe. Meist sind die Geldgeber Bodenspekulanten, welche
das Kapital nur unter der Bedingung zur Verfügung stellen, daß eine andere
Baustelle in Anrechnung auf die Valuta in Zahlung genommen wird (man
kann sich denken, zu welchem Preise!), und zwar mit der Verpflichtung des Bau¬
unternehmers, diese Baustelle binnen kurzer Frist in Angriff zu nehmen. So
wird der Bauunternehmer mit Schulden und Verpflichtungen belastet, denen er
häufig genug nicht gewachsen ist, und in seinen Ruin werden dann die Hand¬
werker mit hineingezogen, welche den Bau fertiggestellt haben und nun auf die
schnmhlichste Weise ihr Geld verlieren. Das Gesetz zur Sicherung der For¬
derungen der Bauhandwerker sollte bekanntlich diesen Mißstand durch Einräumung
einer gesetzlichen Hypothek mildern; man hat aber in übergroßer Zaghaftigkeit
das Inkrafttreten desselben hinausgeschoben, und die Verordnung, die es ein¬
fuhren soll, wird wohl, so hat es den Anschein, noch lange auf sich warten
lassen. Angesichts dieser Zustände hat sich nun die Meinung gebildet, in der
Organisation unseres Rcalkredits sei etwas nicht in Ordnung, es müßte der
Bautätigkeit doch so viel Kapital zur Verfügung gestellt werden können, um
die Kosten des Neubaues zu decken. Man bemüht sich also, Mittel und Wege
ausfindig zu machen, um neue Kreditquellen für diese "zweiten Hypotheken" zu
erschließen. So ist denn auch auf dem Wohnuugskongreß eine ganze Anzahl
solcher Projekte ventiliert worden. Die einen wollen die Hilfe der Kommunen
in Anspruch nehmen, andere denken an die Errichtung besonderer Kreditinstitute
nach Art der Hypothekenbanken, noch andere wollen die Sparkassen verpflichten,
in gewissem Umfang und unter bestimmten Kautelen Geld auf zweite Hypo¬
theken herzugeben. Durch alle diese Vorschläge zieht sich aber wie ein roter
Faden der Gedanke: dem städtischen Grundbesitz und der Bautätigkeit steht


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Mittelpunkt der Erörterungen des Wohnungskongresses gestanden, wenn es
anderseits auch natürlich war, sie wenigstens zu streifen. Es waren vielmehr
Fragen ausschließlich wirtschaftlicher Natur, welche die Versammlung beschäftigten:
das Erbbaurecht, die Arbeiterrcntengüter, die Finanzierung der Bautätigkeit,
insbesondere die Beschaffung der zweiten Hypotheken. Bei weitem die inter¬
essanteste und von unmittelbarer praktischer Wichtigkeit ist die letzte, weil sie
sich mit der Organisation des Realkredites befaßt und eine» außerordent¬
lich wunden Punkt berührt. Es ist ein von den Bauunternehmern, aber auch
von den Baugenossenschaften schwer empfundener Übelstand, daß Kapitalien für
zweite Hypotheken gar nicht oder doch nnr uuter drückenden Bedingungen auf¬
zutreiben sind. Die erste Hypothek, meist von einer Hypothekenbank nach Ma߬
gabe der gesetzlichen Vorschriften gegeben, reicht nicht hin, die Kosten des Neu¬
baues einschließlich des Grunderwerbs zu decken. Meist kann damit nur ein
Teil des Rohbaues bezahlt werden, denn einen erheblichen Teil verschlingen
die Kosten der Baustelle, die aus der Hypothekenvaluta zu entrichten sind. So
bleibt die Geldbeschaffung für die Fertigstellung des Baues auf die unsicheren
Quellen angewiesen, aus denen die Mittel für zweite Hypotheken fließen. Diese
sind nun häufig recht trübe. Meist sind die Geldgeber Bodenspekulanten, welche
das Kapital nur unter der Bedingung zur Verfügung stellen, daß eine andere
Baustelle in Anrechnung auf die Valuta in Zahlung genommen wird (man
kann sich denken, zu welchem Preise!), und zwar mit der Verpflichtung des Bau¬
unternehmers, diese Baustelle binnen kurzer Frist in Angriff zu nehmen. So
wird der Bauunternehmer mit Schulden und Verpflichtungen belastet, denen er
häufig genug nicht gewachsen ist, und in seinen Ruin werden dann die Hand¬
werker mit hineingezogen, welche den Bau fertiggestellt haben und nun auf die
schnmhlichste Weise ihr Geld verlieren. Das Gesetz zur Sicherung der For¬
derungen der Bauhandwerker sollte bekanntlich diesen Mißstand durch Einräumung
einer gesetzlichen Hypothek mildern; man hat aber in übergroßer Zaghaftigkeit
das Inkrafttreten desselben hinausgeschoben, und die Verordnung, die es ein¬
fuhren soll, wird wohl, so hat es den Anschein, noch lange auf sich warten
lassen. Angesichts dieser Zustände hat sich nun die Meinung gebildet, in der
Organisation unseres Rcalkredits sei etwas nicht in Ordnung, es müßte der
Bautätigkeit doch so viel Kapital zur Verfügung gestellt werden können, um
die Kosten des Neubaues zu decken. Man bemüht sich also, Mittel und Wege
ausfindig zu machen, um neue Kreditquellen für diese „zweiten Hypotheken" zu
erschließen. So ist denn auch auf dem Wohnuugskongreß eine ganze Anzahl
solcher Projekte ventiliert worden. Die einen wollen die Hilfe der Kommunen
in Anspruch nehmen, andere denken an die Errichtung besonderer Kreditinstitute
nach Art der Hypothekenbanken, noch andere wollen die Sparkassen verpflichten,
in gewissem Umfang und unter bestimmten Kautelen Geld auf zweite Hypo¬
theken herzugeben. Durch alle diese Vorschläge zieht sich aber wie ein roter
Faden der Gedanke: dem städtischen Grundbesitz und der Bautätigkeit steht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/649>, abgerufen am 17.06.2024.