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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Die Börse stand in der vergangenen Woche hauptsächlich unter dem
Eindruck des Kurssturzes der Warschau-Wiener Eisenbahnaktien. Gerüchte über
die bevorstehende Verstaatlichung der Bahn, die sich augenblicklich zu sehr un¬
günstigem Preise vollziehen müßte, weil die dioidendenlosen Jahre den konzessions¬
gemäßen Kaufpreis schmälern, gaben zu der Preisbewegung Anlaß. Dieselbe
wurde aber anscheinend noch durch unlautere Manöver gefördert. Im übrigen
war die Tendenz namentlich für Jndnstriewerte lustlos und abwartend. Die
große Frage, wie sich die Konjunktur für die schwere Industrie demnächst
gestalten wird, ist noch immer ungelöst. Allerdings werden einige der großen
Montangesellschaften, wie Bochumer, Phönix, Laura, für das zu Ende gehende
Geschäftsjahr eine etwas höhere Dividende deklarieren. Dies beweist jedoch nur,
daß die großen, gemischten Werke auch unter ungünstigen Verhältnissen noch
befriedigend arbeiten können. Die Gesamtlage der Industrie ist aber augen¬
blicklich kritisch. Eine bis auf das äußerste Maß gestiegene Überproduktion bei
weichenden Preisen gibt dem Markt ein ungesundes Gepräge. Aber ein
Hoffnungsschimmer winkt: die amerikanischen Ernten werden aller Voraussicht
nach außerordentlich reich ausfallen. Das wird dem Wirtschaftsleben drüben
einen kräftigen Impuls verleihen, und die Rückwirkung auf den internationalen
Markt kann dann nicht ausbleiben. Wahrscheinlich wird sogar die New-Uorker




Reichsspiegel

Die Börse stand in der vergangenen Woche hauptsächlich unter dem
Eindruck des Kurssturzes der Warschau-Wiener Eisenbahnaktien. Gerüchte über
die bevorstehende Verstaatlichung der Bahn, die sich augenblicklich zu sehr un¬
günstigem Preise vollziehen müßte, weil die dioidendenlosen Jahre den konzessions¬
gemäßen Kaufpreis schmälern, gaben zu der Preisbewegung Anlaß. Dieselbe
wurde aber anscheinend noch durch unlautere Manöver gefördert. Im übrigen
war die Tendenz namentlich für Jndnstriewerte lustlos und abwartend. Die
große Frage, wie sich die Konjunktur für die schwere Industrie demnächst
gestalten wird, ist noch immer ungelöst. Allerdings werden einige der großen
Montangesellschaften, wie Bochumer, Phönix, Laura, für das zu Ende gehende
Geschäftsjahr eine etwas höhere Dividende deklarieren. Dies beweist jedoch nur,
daß die großen, gemischten Werke auch unter ungünstigen Verhältnissen noch
befriedigend arbeiten können. Die Gesamtlage der Industrie ist aber augen¬
blicklich kritisch. Eine bis auf das äußerste Maß gestiegene Überproduktion bei
weichenden Preisen gibt dem Markt ein ungesundes Gepräge. Aber ein
Hoffnungsschimmer winkt: die amerikanischen Ernten werden aller Voraussicht
nach außerordentlich reich ausfallen. Das wird dem Wirtschaftsleben drüben
einen kräftigen Impuls verleihen, und die Rückwirkung auf den internationalen
Markt kann dann nicht ausbleiben. Wahrscheinlich wird sogar die New-Uorker




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[0658] Reichsspiegel Die Börse stand in der vergangenen Woche hauptsächlich unter dem Eindruck des Kurssturzes der Warschau-Wiener Eisenbahnaktien. Gerüchte über die bevorstehende Verstaatlichung der Bahn, die sich augenblicklich zu sehr un¬ günstigem Preise vollziehen müßte, weil die dioidendenlosen Jahre den konzessions¬ gemäßen Kaufpreis schmälern, gaben zu der Preisbewegung Anlaß. Dieselbe wurde aber anscheinend noch durch unlautere Manöver gefördert. Im übrigen war die Tendenz namentlich für Jndnstriewerte lustlos und abwartend. Die große Frage, wie sich die Konjunktur für die schwere Industrie demnächst gestalten wird, ist noch immer ungelöst. Allerdings werden einige der großen Montangesellschaften, wie Bochumer, Phönix, Laura, für das zu Ende gehende Geschäftsjahr eine etwas höhere Dividende deklarieren. Dies beweist jedoch nur, daß die großen, gemischten Werke auch unter ungünstigen Verhältnissen noch befriedigend arbeiten können. Die Gesamtlage der Industrie ist aber augen¬ blicklich kritisch. Eine bis auf das äußerste Maß gestiegene Überproduktion bei weichenden Preisen gibt dem Markt ein ungesundes Gepräge. Aber ein Hoffnungsschimmer winkt: die amerikanischen Ernten werden aller Voraussicht nach außerordentlich reich ausfallen. Das wird dem Wirtschaftsleben drüben einen kräftigen Impuls verleihen, und die Rückwirkung auf den internationalen Markt kann dann nicht ausbleiben. Wahrscheinlich wird sogar die New-Uorker

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/658>, abgerufen am 17.06.2024.