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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr.

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Naturerkenntnis und Weltanschauung

die Dinge kommt, sollte es da eines Gottes weniger würdig sein, Ordnung
zu schaffen und zu erhalten?

Durch Aufzeigung der großen Gesetzmäßigkeit in der Welt hat die Natur¬
wissenschaft sicher wie keine andere dazu beigetragen, den Gottesbegriff von
irdischen Schlacken zu läutern. Seine Nichtexistenz aber hat sie nicht beweisen können.

Und selbst der beim flüchtigen Durcheilen vorhin so vollendet erscheinende
Aufbau physikalischer und astronomischer Erkenntnis läßt klaffende Lücken offen
gerade an der Stelle, wo wir sie am wenigsten ertragen können. Gar keine
Antwort gibt uns die Naturwissenschaft auf die Frage nach dem Anfang der
Dinge, dem Ursprung der Bewegung. Wenn Häckel das Rätsel dadurch zu
umgehen sucht, daß er die Bewegung für eine der Materie seit Ewigkeit inne¬
wohnende Eigenschaft erklärt, so ist das erstens eine rein willkürliche Annahme
ohne jeden Beweis. Zweitens aber kann damit logischerweise nur eine Bewegung
der kleinsten Teilchen, also eine Molekular- oder Atombewegung gemeint sein.
Wie aber aus dieser die großen, gesetzmäßigen Bewegungen der Weltkörper
hervorgegangen sein sollen, bleibt dunkel.

Darum erklärt Häckel weiter die Welt für ein Perpetuum mobile, das in
ständigen: Wechsel Weltkörper schafft und vernichtet, ohne Anfang, ohne Ende.

Daß die Welt aber kein Perpetuum mobile ist, lehrt das dritte universale
Gesetz, das ich vorhin in dem kurzen Überblick nicht erwähnte, das aber bedeu¬
tende Physiker wie Chwolson den Gesetzen von der Konstanz der Materie und
der Energie mindestens gleichgesetzt wissen wollen, das Gesetz der Entropie.
Dasselbe findet in populären Schriften selten eine Erwähnung, und mit gutem
Grund, da es einen der dunklen Flecken auf der strahlenden Sonne mechanischer
Welterklärung darstellt. Es sagt aus, daß bei jeder Umsetzung von einer Energie¬
form in die andere ein Teil der ersten Energie in Wärme verwandelt wird.
Diese läßt sich zwar im Moment der Entstehung nachweisen, dann aber zerrinnt
sie unter den Händen und strahlt aus in den Weltenraum. Da solcher Verlust
durch Wärmeverstrahlung bei jedem Energieumsatz statthat, so muß, freilich in
unausdenkbar ferner Zukunft, eine Zeit kommen, wo der gesamte Energievorrat
der Welt, in Wärme verwandelt, sich in unendlicher Verdünnung im Welten¬
raum vorfindet, ohne die Möglichkeit, noch irgendwelche Arbeit zu leisten.
Das ist das nach physikalischer Einsicht notwendige Ende der Welt. Wo aber
ein Ende ist, war auch ein Anfang, und wie wenig uns die Naturwissenschaft
darüber sagen kann, möge man daraus entnehmen, daß selbst überzeugte Mate¬
rialisten wie Weismann und Ladenburg zugestehen, wenn sich jemand den
Anfang der Dinge durch einen schöpferischen Akt Gottes bewirkt denken wolle,
so könne die Naturwissenschaft nichts dagegen einwenden.

Keine Antwort gibt uns ferner die Naturwissenschaft auf die Frage nach
dem Ursprung des Lebens und dem der bewußten Empfindung. Überall sagt
sie uns in letzter Linie nur, wie die Dinge sind, und bestenfalls, daß sie immer
so sind, aber niemals, warum sie so sind. Ja, sie kann uns, da sie trotz aller


Naturerkenntnis und Weltanschauung

die Dinge kommt, sollte es da eines Gottes weniger würdig sein, Ordnung
zu schaffen und zu erhalten?

Durch Aufzeigung der großen Gesetzmäßigkeit in der Welt hat die Natur¬
wissenschaft sicher wie keine andere dazu beigetragen, den Gottesbegriff von
irdischen Schlacken zu läutern. Seine Nichtexistenz aber hat sie nicht beweisen können.

Und selbst der beim flüchtigen Durcheilen vorhin so vollendet erscheinende
Aufbau physikalischer und astronomischer Erkenntnis läßt klaffende Lücken offen
gerade an der Stelle, wo wir sie am wenigsten ertragen können. Gar keine
Antwort gibt uns die Naturwissenschaft auf die Frage nach dem Anfang der
Dinge, dem Ursprung der Bewegung. Wenn Häckel das Rätsel dadurch zu
umgehen sucht, daß er die Bewegung für eine der Materie seit Ewigkeit inne¬
wohnende Eigenschaft erklärt, so ist das erstens eine rein willkürliche Annahme
ohne jeden Beweis. Zweitens aber kann damit logischerweise nur eine Bewegung
der kleinsten Teilchen, also eine Molekular- oder Atombewegung gemeint sein.
Wie aber aus dieser die großen, gesetzmäßigen Bewegungen der Weltkörper
hervorgegangen sein sollen, bleibt dunkel.

Darum erklärt Häckel weiter die Welt für ein Perpetuum mobile, das in
ständigen: Wechsel Weltkörper schafft und vernichtet, ohne Anfang, ohne Ende.

Daß die Welt aber kein Perpetuum mobile ist, lehrt das dritte universale
Gesetz, das ich vorhin in dem kurzen Überblick nicht erwähnte, das aber bedeu¬
tende Physiker wie Chwolson den Gesetzen von der Konstanz der Materie und
der Energie mindestens gleichgesetzt wissen wollen, das Gesetz der Entropie.
Dasselbe findet in populären Schriften selten eine Erwähnung, und mit gutem
Grund, da es einen der dunklen Flecken auf der strahlenden Sonne mechanischer
Welterklärung darstellt. Es sagt aus, daß bei jeder Umsetzung von einer Energie¬
form in die andere ein Teil der ersten Energie in Wärme verwandelt wird.
Diese läßt sich zwar im Moment der Entstehung nachweisen, dann aber zerrinnt
sie unter den Händen und strahlt aus in den Weltenraum. Da solcher Verlust
durch Wärmeverstrahlung bei jedem Energieumsatz statthat, so muß, freilich in
unausdenkbar ferner Zukunft, eine Zeit kommen, wo der gesamte Energievorrat
der Welt, in Wärme verwandelt, sich in unendlicher Verdünnung im Welten¬
raum vorfindet, ohne die Möglichkeit, noch irgendwelche Arbeit zu leisten.
Das ist das nach physikalischer Einsicht notwendige Ende der Welt. Wo aber
ein Ende ist, war auch ein Anfang, und wie wenig uns die Naturwissenschaft
darüber sagen kann, möge man daraus entnehmen, daß selbst überzeugte Mate¬
rialisten wie Weismann und Ladenburg zugestehen, wenn sich jemand den
Anfang der Dinge durch einen schöpferischen Akt Gottes bewirkt denken wolle,
so könne die Naturwissenschaft nichts dagegen einwenden.

Keine Antwort gibt uns ferner die Naturwissenschaft auf die Frage nach
dem Ursprung des Lebens und dem der bewußten Empfindung. Überall sagt
sie uns in letzter Linie nur, wie die Dinge sind, und bestenfalls, daß sie immer
so sind, aber niemals, warum sie so sind. Ja, sie kann uns, da sie trotz aller


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[0080] Naturerkenntnis und Weltanschauung die Dinge kommt, sollte es da eines Gottes weniger würdig sein, Ordnung zu schaffen und zu erhalten? Durch Aufzeigung der großen Gesetzmäßigkeit in der Welt hat die Natur¬ wissenschaft sicher wie keine andere dazu beigetragen, den Gottesbegriff von irdischen Schlacken zu läutern. Seine Nichtexistenz aber hat sie nicht beweisen können. Und selbst der beim flüchtigen Durcheilen vorhin so vollendet erscheinende Aufbau physikalischer und astronomischer Erkenntnis läßt klaffende Lücken offen gerade an der Stelle, wo wir sie am wenigsten ertragen können. Gar keine Antwort gibt uns die Naturwissenschaft auf die Frage nach dem Anfang der Dinge, dem Ursprung der Bewegung. Wenn Häckel das Rätsel dadurch zu umgehen sucht, daß er die Bewegung für eine der Materie seit Ewigkeit inne¬ wohnende Eigenschaft erklärt, so ist das erstens eine rein willkürliche Annahme ohne jeden Beweis. Zweitens aber kann damit logischerweise nur eine Bewegung der kleinsten Teilchen, also eine Molekular- oder Atombewegung gemeint sein. Wie aber aus dieser die großen, gesetzmäßigen Bewegungen der Weltkörper hervorgegangen sein sollen, bleibt dunkel. Darum erklärt Häckel weiter die Welt für ein Perpetuum mobile, das in ständigen: Wechsel Weltkörper schafft und vernichtet, ohne Anfang, ohne Ende. Daß die Welt aber kein Perpetuum mobile ist, lehrt das dritte universale Gesetz, das ich vorhin in dem kurzen Überblick nicht erwähnte, das aber bedeu¬ tende Physiker wie Chwolson den Gesetzen von der Konstanz der Materie und der Energie mindestens gleichgesetzt wissen wollen, das Gesetz der Entropie. Dasselbe findet in populären Schriften selten eine Erwähnung, und mit gutem Grund, da es einen der dunklen Flecken auf der strahlenden Sonne mechanischer Welterklärung darstellt. Es sagt aus, daß bei jeder Umsetzung von einer Energie¬ form in die andere ein Teil der ersten Energie in Wärme verwandelt wird. Diese läßt sich zwar im Moment der Entstehung nachweisen, dann aber zerrinnt sie unter den Händen und strahlt aus in den Weltenraum. Da solcher Verlust durch Wärmeverstrahlung bei jedem Energieumsatz statthat, so muß, freilich in unausdenkbar ferner Zukunft, eine Zeit kommen, wo der gesamte Energievorrat der Welt, in Wärme verwandelt, sich in unendlicher Verdünnung im Welten¬ raum vorfindet, ohne die Möglichkeit, noch irgendwelche Arbeit zu leisten. Das ist das nach physikalischer Einsicht notwendige Ende der Welt. Wo aber ein Ende ist, war auch ein Anfang, und wie wenig uns die Naturwissenschaft darüber sagen kann, möge man daraus entnehmen, daß selbst überzeugte Mate¬ rialisten wie Weismann und Ladenburg zugestehen, wenn sich jemand den Anfang der Dinge durch einen schöpferischen Akt Gottes bewirkt denken wolle, so könne die Naturwissenschaft nichts dagegen einwenden. Keine Antwort gibt uns ferner die Naturwissenschaft auf die Frage nach dem Ursprung des Lebens und dem der bewußten Empfindung. Überall sagt sie uns in letzter Linie nur, wie die Dinge sind, und bestenfalls, daß sie immer so sind, aber niemals, warum sie so sind. Ja, sie kann uns, da sie trotz aller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_318282/80>, abgerufen am 02.06.2024.