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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Lyhne" und "Frau Marie Grnbbe" von I, P.
Jacobson, "Ivanhoe"und "DcrTalisman" von
Walter Scott, "FrcmBovary" von Flaubcrt,
"Die Hosen des Herrn von Bredow" von
Willibald Alexis, "Die Bohöme" von Murger,
"Väter und Söhne" von Turgenjeff, "Wie Ali
der Knecht glücklich ward" von Jeremicis Gott¬
helf. In jedem Jahre sollen zehn Bände
herausgegeben werden, die schlicht-vornehm
ausgestattet in Leinen je 3 M, in Leder 5 M,
kosten. -- Das Ausland ist, wie man sieht,
stark bevorzugt, wobei gern anerkannt sei,
daß die Übersetzungen, soweit ich bei Stich-
Proben sehen konnte, sorgfältig und dem Geist
der deutschen Sprache gemäß ausgeführt sind.
Aber gibt es nicht genügend deutsche Romane
der nahen und ferneren Vergangenheit, die
es verdienen, in die Sammlung aufgenommen
und so uns wieder nahe gebracht und
leicht zugänglich zu werden? Ähnliche
Schätze, wie Gotthclfs "Ali der Knecht",
die nur den Literarhistorikern -- und dann
auch oft bloß dem Namen nach -- bekannt
sind, harren noch reichlich der Wiedererweckung.
Dabei braucht man gar nicht an die Werke
der "großen und kleinen" Klassiker zu denken.
Hoffentlich wird sich dieser Mangel der Bi¬
bliothekin den nächsten Jahren ausgleichen. --
Der Herausgeber hat den meisten Romanen
ein kurzes Nachwort beigefügt. Dagegen wäre
natürlich durchaus nichts einzuwenden, wenn
darin etwa eine kurze Biographie des Autors
und eine knappe Einführung in sein hier neu¬
gedrucktes Werk gegeben würde, wie es bei
Turgenjeffs "Väter und Söhne" geschehen ist.
Paul Ernst aber berichtet z. B., daß Walter
Scott sich durch seine Schriftstellerei bald ein
bedeutendes Vermögen erworben habe, und
daß es wenige Dichter geben dürfte, die so
viel verdient hätten wie er. Von Willibald
Alexis dagegen erfährt man, daß er nußer
zu redaktioneller und journalistischer Tätig¬
keit zu einer gewissen Vielschreiberei gezwun¬
gen gewesen sei, da es ja für einen guten
Dichter in Deutschland nur selten möglich
wäre, von dem Ertrage seiner Arbeiten zu
leben. Ist das Hervorheben dieser Tatsachen
wirklich so wichtig in einem Nachwort, das
kaum vierzig Zeilen lang ist? Doch nicht
darauf kommt eS an, was uns der Heraus¬
geber zu sagen hat, sondern was uns die


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orliegenden Romane selbst bieten. Und da
rscheint es mir besonders glücklich, daß das
eue großzügige Unternehmen des JnselverlagS
mit Luise von FranyoiS Meisterwerk "Die letzte
Reckenburgerin" eingeleitet wird, von dem
Gustav Freytag vor nunmehr vierzig Jahren
agte: "Es ist echte Dichtergäbe. Die Leser
werden mit der Empfindung von dein Werke
cheiden, daß sie eine sehr ungewöhnliche
Gabe empfangen haben. Der Roman soll,
o hoffen wir, sich in den Herzen einbürgern
und seine Bedeutung in unserer schönen
°" Literatur bewahren."

Vor kurzen: brachten die Zeitungen die
Nachricht, daß die Preußische Regierung dem
Berliner Phonogramm-Archiv für das Jahr
911/12 einen Beitrag von 6000 Mark be¬
willigt habe. Damit hat der Staat ein neues
Wissensgebiet offiziell anerkannt, das heute
noch von vielen als ein ziemlich nutzloser
wissenschaftlicher Sportplatz angesehen wird.
Der Grund dieser bösen Verkennung ist Wohl
n dein Umstand zu suchen, daß es den meisten
bis jetzt schwer möglich war, sich eingehend
über das Wesen der vergleichenden Musik¬
wissenschaft zu unterrichten. Denn wenn deren
Materie auch in gelegentlichen Aufsätzen einem
größeren Publikum vorgeführt wurde (auch
ie Grenzboten enthielten in Heft Is einen
Artikel über exotische Musik), so fehlte es doch
an einem Werke, das durch eine genaue und
übersichtliche Zusammenstellung aller wesent¬
ichen Punkte sowie der bisherigen Forschungen
und Ergebnisse dem Leser die junge Wissen¬
chaft in allgemein verständlicher Form nahe¬
gebracht hätte. Dieser Mangel ist nun be¬
hoben durch das kürzlich im Verlage von
I. A. Barth in Leipzig erschienene Buch:
"Die Anfänge der Musik" von Carl Stumpf,
dem das Berliner Phonogramm-Archiv be¬
anntlich seine Entstehung zu verdanken hat.

"Alle Dokumente, die Licht auf die Ur¬
geschichte und die noch bestehenden tieferen
Kulturstufen unseres Geschlechtes werfen kön¬
nen, verdienen genaueste Analyse. Untersuchen
wir gewissenhaft prähistorische Töpfe und Scher¬
ben und jede Kante eines Eolithen, ... so
müssen wir auch den musikalischen Produkten
primitiver Völker ein objektives und eindrin-

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Musik

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Lyhne" und „Frau Marie Grnbbe" von I, P.
Jacobson, „Ivanhoe"und „DcrTalisman" von
Walter Scott, „FrcmBovary" von Flaubcrt,
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Willibald Alexis, „Die Bohöme" von Murger,
„Väter und Söhne" von Turgenjeff, „Wie Ali
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kosten. — Das Ausland ist, wie man sieht,
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der deutschen Sprache gemäß ausgeführt sind.
Aber gibt es nicht genügend deutsche Romane
der nahen und ferneren Vergangenheit, die
es verdienen, in die Sammlung aufgenommen
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Schätze, wie Gotthclfs „Ali der Knecht",
die nur den Literarhistorikern — und dann
auch oft bloß dem Namen nach — bekannt
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Dabei braucht man gar nicht an die Werke
der „großen und kleinen" Klassiker zu denken.
Hoffentlich wird sich dieser Mangel der Bi¬
bliothekin den nächsten Jahren ausgleichen. —
Der Herausgeber hat den meisten Romanen
ein kurzes Nachwort beigefügt. Dagegen wäre
natürlich durchaus nichts einzuwenden, wenn
darin etwa eine kurze Biographie des Autors
und eine knappe Einführung in sein hier neu¬
gedrucktes Werk gegeben würde, wie es bei
Turgenjeffs „Väter und Söhne" geschehen ist.
Paul Ernst aber berichtet z. B., daß Walter
Scott sich durch seine Schriftstellerei bald ein
bedeutendes Vermögen erworben habe, und
daß es wenige Dichter geben dürfte, die so
viel verdient hätten wie er. Von Willibald
Alexis dagegen erfährt man, daß er nußer
zu redaktioneller und journalistischer Tätig¬
keit zu einer gewissen Vielschreiberei gezwun¬
gen gewesen sei, da es ja für einen guten
Dichter in Deutschland nur selten möglich
wäre, von dem Ertrage seiner Arbeiten zu
leben. Ist das Hervorheben dieser Tatsachen
wirklich so wichtig in einem Nachwort, das
kaum vierzig Zeilen lang ist? Doch nicht
darauf kommt eS an, was uns der Heraus¬
geber zu sagen hat, sondern was uns die


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orliegenden Romane selbst bieten. Und da
rscheint es mir besonders glücklich, daß das
eue großzügige Unternehmen des JnselverlagS
mit Luise von FranyoiS Meisterwerk „Die letzte
Reckenburgerin" eingeleitet wird, von dem
Gustav Freytag vor nunmehr vierzig Jahren
agte: „Es ist echte Dichtergäbe. Die Leser
werden mit der Empfindung von dein Werke
cheiden, daß sie eine sehr ungewöhnliche
Gabe empfangen haben. Der Roman soll,
o hoffen wir, sich in den Herzen einbürgern
und seine Bedeutung in unserer schönen
°" Literatur bewahren."

Vor kurzen: brachten die Zeitungen die
Nachricht, daß die Preußische Regierung dem
Berliner Phonogramm-Archiv für das Jahr
911/12 einen Beitrag von 6000 Mark be¬
willigt habe. Damit hat der Staat ein neues
Wissensgebiet offiziell anerkannt, das heute
noch von vielen als ein ziemlich nutzloser
wissenschaftlicher Sportplatz angesehen wird.
Der Grund dieser bösen Verkennung ist Wohl
n dein Umstand zu suchen, daß es den meisten
bis jetzt schwer möglich war, sich eingehend
über das Wesen der vergleichenden Musik¬
wissenschaft zu unterrichten. Denn wenn deren
Materie auch in gelegentlichen Aufsätzen einem
größeren Publikum vorgeführt wurde (auch
ie Grenzboten enthielten in Heft Is einen
Artikel über exotische Musik), so fehlte es doch
an einem Werke, das durch eine genaue und
übersichtliche Zusammenstellung aller wesent¬
ichen Punkte sowie der bisherigen Forschungen
und Ergebnisse dem Leser die junge Wissen¬
chaft in allgemein verständlicher Form nahe¬
gebracht hätte. Dieser Mangel ist nun be¬
hoben durch das kürzlich im Verlage von
I. A. Barth in Leipzig erschienene Buch:
„Die Anfänge der Musik" von Carl Stumpf,
dem das Berliner Phonogramm-Archiv be¬
anntlich seine Entstehung zu verdanken hat.

„Alle Dokumente, die Licht auf die Ur¬
geschichte und die noch bestehenden tieferen
Kulturstufen unseres Geschlechtes werfen kön¬
nen, verdienen genaueste Analyse. Untersuchen
wir gewissenhaft prähistorische Töpfe und Scher¬
ben und jede Kante eines Eolithen, ... so
müssen wir auch den musikalischen Produkten
primitiver Völker ein objektives und eindrin-

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[0250] Maßgebliches und Unmaßgebliches Lyhne" und „Frau Marie Grnbbe" von I, P. Jacobson, „Ivanhoe"und „DcrTalisman" von Walter Scott, „FrcmBovary" von Flaubcrt, „Die Hosen des Herrn von Bredow" von Willibald Alexis, „Die Bohöme" von Murger, „Väter und Söhne" von Turgenjeff, „Wie Ali der Knecht glücklich ward" von Jeremicis Gott¬ helf. In jedem Jahre sollen zehn Bände herausgegeben werden, die schlicht-vornehm ausgestattet in Leinen je 3 M, in Leder 5 M, kosten. — Das Ausland ist, wie man sieht, stark bevorzugt, wobei gern anerkannt sei, daß die Übersetzungen, soweit ich bei Stich- Proben sehen konnte, sorgfältig und dem Geist der deutschen Sprache gemäß ausgeführt sind. Aber gibt es nicht genügend deutsche Romane der nahen und ferneren Vergangenheit, die es verdienen, in die Sammlung aufgenommen und so uns wieder nahe gebracht und leicht zugänglich zu werden? Ähnliche Schätze, wie Gotthclfs „Ali der Knecht", die nur den Literarhistorikern — und dann auch oft bloß dem Namen nach — bekannt sind, harren noch reichlich der Wiedererweckung. Dabei braucht man gar nicht an die Werke der „großen und kleinen" Klassiker zu denken. Hoffentlich wird sich dieser Mangel der Bi¬ bliothekin den nächsten Jahren ausgleichen. — Der Herausgeber hat den meisten Romanen ein kurzes Nachwort beigefügt. Dagegen wäre natürlich durchaus nichts einzuwenden, wenn darin etwa eine kurze Biographie des Autors und eine knappe Einführung in sein hier neu¬ gedrucktes Werk gegeben würde, wie es bei Turgenjeffs „Väter und Söhne" geschehen ist. Paul Ernst aber berichtet z. B., daß Walter Scott sich durch seine Schriftstellerei bald ein bedeutendes Vermögen erworben habe, und daß es wenige Dichter geben dürfte, die so viel verdient hätten wie er. Von Willibald Alexis dagegen erfährt man, daß er nußer zu redaktioneller und journalistischer Tätig¬ keit zu einer gewissen Vielschreiberei gezwun¬ gen gewesen sei, da es ja für einen guten Dichter in Deutschland nur selten möglich wäre, von dem Ertrage seiner Arbeiten zu leben. Ist das Hervorheben dieser Tatsachen wirklich so wichtig in einem Nachwort, das kaum vierzig Zeilen lang ist? Doch nicht darauf kommt eS an, was uns der Heraus¬ geber zu sagen hat, sondern was uns die orliegenden Romane selbst bieten. Und da rscheint es mir besonders glücklich, daß das eue großzügige Unternehmen des JnselverlagS mit Luise von FranyoiS Meisterwerk „Die letzte Reckenburgerin" eingeleitet wird, von dem Gustav Freytag vor nunmehr vierzig Jahren agte: „Es ist echte Dichtergäbe. Die Leser werden mit der Empfindung von dein Werke cheiden, daß sie eine sehr ungewöhnliche Gabe empfangen haben. Der Roman soll, o hoffen wir, sich in den Herzen einbürgern und seine Bedeutung in unserer schönen °" Literatur bewahren." Vor kurzen: brachten die Zeitungen die Nachricht, daß die Preußische Regierung dem Berliner Phonogramm-Archiv für das Jahr 911/12 einen Beitrag von 6000 Mark be¬ willigt habe. Damit hat der Staat ein neues Wissensgebiet offiziell anerkannt, das heute noch von vielen als ein ziemlich nutzloser wissenschaftlicher Sportplatz angesehen wird. Der Grund dieser bösen Verkennung ist Wohl n dein Umstand zu suchen, daß es den meisten bis jetzt schwer möglich war, sich eingehend über das Wesen der vergleichenden Musik¬ wissenschaft zu unterrichten. Denn wenn deren Materie auch in gelegentlichen Aufsätzen einem größeren Publikum vorgeführt wurde (auch ie Grenzboten enthielten in Heft Is einen Artikel über exotische Musik), so fehlte es doch an einem Werke, das durch eine genaue und übersichtliche Zusammenstellung aller wesent¬ ichen Punkte sowie der bisherigen Forschungen und Ergebnisse dem Leser die junge Wissen¬ chaft in allgemein verständlicher Form nahe¬ gebracht hätte. Dieser Mangel ist nun be¬ hoben durch das kürzlich im Verlage von I. A. Barth in Leipzig erschienene Buch: „Die Anfänge der Musik" von Carl Stumpf, dem das Berliner Phonogramm-Archiv be¬ anntlich seine Entstehung zu verdanken hat. „Alle Dokumente, die Licht auf die Ur¬ geschichte und die noch bestehenden tieferen Kulturstufen unseres Geschlechtes werfen kön¬ nen, verdienen genaueste Analyse. Untersuchen wir gewissenhaft prähistorische Töpfe und Scher¬ ben und jede Kante eines Eolithen, ... so müssen wir auch den musikalischen Produkten primitiver Völker ein objektives und eindrin- Musik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/250>, abgerufen am 19.05.2024.