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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr.

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Wilhelm v, Humboldt

gehen, als zu ihrer Sicherstellung gegen sich selbst und gegen auswärtige Feinde
notwendig sei. Die Erziehung insbesondere schien dem Verfasser ganz außerhalb
der Schranken zu liegen, in welchen der Staat seine Wirksamkeit halten müsse.
Gewiß sei es wohltätig, wenn die Verhältnisse des-Menschen und des Bürgers
soviel als möglich zusammenfielen; aber nur alsdann, wenn das des Bürgers
so wenig eigentümliche Eigenschaften fordere, daß sich die natürliche Gestalt des
Menschen, ohne etwas aufzuopfern, erhalten könne.

Das berührt uns heute wie ein Klang aus einer fremden Welt -- in die
hinüüerzulauschen und ihres Geistes einen Hauch zu verspüren doch gerade sehr
heilsam wäre in einer Zeit, da "staatsbürgerliche Erziehung" auf dem Wege ist,
ein Schlagwort, und also ein gefährliches Wort, zu werden. Die Übertriebenheit
freilich seiner idealen Forderung muß dem jugendlichen Propheten der Freiheit
selber bald zum Bewußtsein gekommen sein; bei seinen Lebzeiten sind nur ein¬
zelne Abschnitte jener Schrift veröffentlicht worden. Aber der Grundanschauung
blieb er treu, der Freude am einzelnen Menschen und seiner individuellen Ent¬
wicklung, die vor allem gepflegt werden müsse. Diese Anschauung hing aufs
innigste zusammen mit seinen: Kultus der Griechen, bei denen er Stärke der
intellektuellen, Güte der moralischen, Empfänglichkeit der ästhetischen Fähigkeiten
harnionisch verbunden fand. Humboldts Begeisterung für das Altertum erhielt
später besondere Nahrung in den sechs Jahren, die er, von 1802 an, als
preußischer Gesandter in Rom zu verleben hatte. Während eines Urlaubs in
der Heimat war es, daß ihm, eben auf Steins Betreiben, die Aufgabe angetragen
wurde, innerhalb der Neuorganisation der gesamten Staatsverwaltung die Sorge
für Kultus und Unterricht zu übernehmen.

Als er sich nach längerem Widerstreben -- denn er liebte auch die eigene
Freiheit -- Ende Februar 1809 bereit erklärte und in Königsberg in die Re¬
gierung eintrat, war inzwischen im Dezember 1808 auf Napoleons Befehl Stein
entlassen worden, so daß dieser starke Rückhalt jetzt fehlte. Trotzdem darf
man sagen: die beiden Haupterfordernisse für ein erfolgreiches Wirken -- daß
man ein rechtes inneres Verhältnis zu den Dingen besitze, und daß man die
maßgebenden Entscheidungen zu treffen habe, -- waren hier, was so selten ist,
in einer Person vereinigt. Humboldts gute Beziehungen zum Hofe, die aus
der Universitätszeit stammende Freundschaft mit seinem nächsten Vorgesetzten,
dem Minister Grafen Dohna, machten es ihm möglich, an der Verwirklichung
selbstentworfener Pläne mit einer Machtvollkommenheit zu arbeiten, um die ein
heutiger Minister ihn beneiden könnte. Und doch war Humboldt nur Chef einer
Sektion. Die nach dem Tilsiter Frieden grundsätzlich durchgeführte Gliederung
der obersten Verwaltung in Fachministerien reichte nicht sogleich bis zur Bildung
eines besonderen Ministeriums für Kultus und Unterricht; freilich hat es dann
nicht mehr lange gedauert, bis die Einordnung in das Ministerium des Innern
sich als unhaltbar erwies. Mehr Bestand hatte eine andere damals getroffene
Maßregel. Stein hatte die Absicht gehabt, geistliche und Unterrichtsangelegen-


Wilhelm v, Humboldt

gehen, als zu ihrer Sicherstellung gegen sich selbst und gegen auswärtige Feinde
notwendig sei. Die Erziehung insbesondere schien dem Verfasser ganz außerhalb
der Schranken zu liegen, in welchen der Staat seine Wirksamkeit halten müsse.
Gewiß sei es wohltätig, wenn die Verhältnisse des-Menschen und des Bürgers
soviel als möglich zusammenfielen; aber nur alsdann, wenn das des Bürgers
so wenig eigentümliche Eigenschaften fordere, daß sich die natürliche Gestalt des
Menschen, ohne etwas aufzuopfern, erhalten könne.

Das berührt uns heute wie ein Klang aus einer fremden Welt — in die
hinüüerzulauschen und ihres Geistes einen Hauch zu verspüren doch gerade sehr
heilsam wäre in einer Zeit, da „staatsbürgerliche Erziehung" auf dem Wege ist,
ein Schlagwort, und also ein gefährliches Wort, zu werden. Die Übertriebenheit
freilich seiner idealen Forderung muß dem jugendlichen Propheten der Freiheit
selber bald zum Bewußtsein gekommen sein; bei seinen Lebzeiten sind nur ein¬
zelne Abschnitte jener Schrift veröffentlicht worden. Aber der Grundanschauung
blieb er treu, der Freude am einzelnen Menschen und seiner individuellen Ent¬
wicklung, die vor allem gepflegt werden müsse. Diese Anschauung hing aufs
innigste zusammen mit seinen: Kultus der Griechen, bei denen er Stärke der
intellektuellen, Güte der moralischen, Empfänglichkeit der ästhetischen Fähigkeiten
harnionisch verbunden fand. Humboldts Begeisterung für das Altertum erhielt
später besondere Nahrung in den sechs Jahren, die er, von 1802 an, als
preußischer Gesandter in Rom zu verleben hatte. Während eines Urlaubs in
der Heimat war es, daß ihm, eben auf Steins Betreiben, die Aufgabe angetragen
wurde, innerhalb der Neuorganisation der gesamten Staatsverwaltung die Sorge
für Kultus und Unterricht zu übernehmen.

Als er sich nach längerem Widerstreben — denn er liebte auch die eigene
Freiheit — Ende Februar 1809 bereit erklärte und in Königsberg in die Re¬
gierung eintrat, war inzwischen im Dezember 1808 auf Napoleons Befehl Stein
entlassen worden, so daß dieser starke Rückhalt jetzt fehlte. Trotzdem darf
man sagen: die beiden Haupterfordernisse für ein erfolgreiches Wirken — daß
man ein rechtes inneres Verhältnis zu den Dingen besitze, und daß man die
maßgebenden Entscheidungen zu treffen habe, — waren hier, was so selten ist,
in einer Person vereinigt. Humboldts gute Beziehungen zum Hofe, die aus
der Universitätszeit stammende Freundschaft mit seinem nächsten Vorgesetzten,
dem Minister Grafen Dohna, machten es ihm möglich, an der Verwirklichung
selbstentworfener Pläne mit einer Machtvollkommenheit zu arbeiten, um die ein
heutiger Minister ihn beneiden könnte. Und doch war Humboldt nur Chef einer
Sektion. Die nach dem Tilsiter Frieden grundsätzlich durchgeführte Gliederung
der obersten Verwaltung in Fachministerien reichte nicht sogleich bis zur Bildung
eines besonderen Ministeriums für Kultus und Unterricht; freilich hat es dann
nicht mehr lange gedauert, bis die Einordnung in das Ministerium des Innern
sich als unhaltbar erwies. Mehr Bestand hatte eine andere damals getroffene
Maßregel. Stein hatte die Absicht gehabt, geistliche und Unterrichtsangelegen-


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[0068] Wilhelm v, Humboldt gehen, als zu ihrer Sicherstellung gegen sich selbst und gegen auswärtige Feinde notwendig sei. Die Erziehung insbesondere schien dem Verfasser ganz außerhalb der Schranken zu liegen, in welchen der Staat seine Wirksamkeit halten müsse. Gewiß sei es wohltätig, wenn die Verhältnisse des-Menschen und des Bürgers soviel als möglich zusammenfielen; aber nur alsdann, wenn das des Bürgers so wenig eigentümliche Eigenschaften fordere, daß sich die natürliche Gestalt des Menschen, ohne etwas aufzuopfern, erhalten könne. Das berührt uns heute wie ein Klang aus einer fremden Welt — in die hinüüerzulauschen und ihres Geistes einen Hauch zu verspüren doch gerade sehr heilsam wäre in einer Zeit, da „staatsbürgerliche Erziehung" auf dem Wege ist, ein Schlagwort, und also ein gefährliches Wort, zu werden. Die Übertriebenheit freilich seiner idealen Forderung muß dem jugendlichen Propheten der Freiheit selber bald zum Bewußtsein gekommen sein; bei seinen Lebzeiten sind nur ein¬ zelne Abschnitte jener Schrift veröffentlicht worden. Aber der Grundanschauung blieb er treu, der Freude am einzelnen Menschen und seiner individuellen Ent¬ wicklung, die vor allem gepflegt werden müsse. Diese Anschauung hing aufs innigste zusammen mit seinen: Kultus der Griechen, bei denen er Stärke der intellektuellen, Güte der moralischen, Empfänglichkeit der ästhetischen Fähigkeiten harnionisch verbunden fand. Humboldts Begeisterung für das Altertum erhielt später besondere Nahrung in den sechs Jahren, die er, von 1802 an, als preußischer Gesandter in Rom zu verleben hatte. Während eines Urlaubs in der Heimat war es, daß ihm, eben auf Steins Betreiben, die Aufgabe angetragen wurde, innerhalb der Neuorganisation der gesamten Staatsverwaltung die Sorge für Kultus und Unterricht zu übernehmen. Als er sich nach längerem Widerstreben — denn er liebte auch die eigene Freiheit — Ende Februar 1809 bereit erklärte und in Königsberg in die Re¬ gierung eintrat, war inzwischen im Dezember 1808 auf Napoleons Befehl Stein entlassen worden, so daß dieser starke Rückhalt jetzt fehlte. Trotzdem darf man sagen: die beiden Haupterfordernisse für ein erfolgreiches Wirken — daß man ein rechtes inneres Verhältnis zu den Dingen besitze, und daß man die maßgebenden Entscheidungen zu treffen habe, — waren hier, was so selten ist, in einer Person vereinigt. Humboldts gute Beziehungen zum Hofe, die aus der Universitätszeit stammende Freundschaft mit seinem nächsten Vorgesetzten, dem Minister Grafen Dohna, machten es ihm möglich, an der Verwirklichung selbstentworfener Pläne mit einer Machtvollkommenheit zu arbeiten, um die ein heutiger Minister ihn beneiden könnte. Und doch war Humboldt nur Chef einer Sektion. Die nach dem Tilsiter Frieden grundsätzlich durchgeführte Gliederung der obersten Verwaltung in Fachministerien reichte nicht sogleich bis zur Bildung eines besonderen Ministeriums für Kultus und Unterricht; freilich hat es dann nicht mehr lange gedauert, bis die Einordnung in das Ministerium des Innern sich als unhaltbar erwies. Mehr Bestand hatte eine andere damals getroffene Maßregel. Stein hatte die Absicht gehabt, geistliche und Unterrichtsangelegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_319600/68>, abgerufen am 18.05.2024.