Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichsspiegel

Markt. Die bekannte Verteuerung der Lombardkredite hat auch diesmal genau
so gewirkt wie an den beiden vorangegangenen Quartalen. Die Lombardkredite
sind gegen das Vorjahr stark zurückgeblieben, die Wechselanlage ist umso schärfer
gestiegen, und zwar derart, daß auch die Nekordzahlen des letzten September¬
ausweises noch übertroffen worden sind. Nicht weniger als 1793 Millionen
betrug das Wechselportefeuille und nicht weniger als zwei und eine viertel
Milliarde der Notenumlauf! Um die Bedeutung dieser Zahlen zu würdigen,
muß man sich vergegenwärtigen, daß Ende 1907, als der Reichsbanksatz auf
71/2 Prozent stand, das Portefeuille nur 1493 Millionen, der Notenumlauf
1885 Millionen betrug. Der Metallbestand war aber damals um rund 300
Millionen kleiner, denn er hat sich jetzt auf der Höhe an eine Milliarde gehalten.
Der Vergleich dieser Ziffern bringt unwiderleglich zum Bewußtsein, wie sehr
unsere Volkswirtschaft in den vergangenen vier Jahren erstarkt ist. Die Reichs¬
bank darf sich an dieser Gestaltung der Dinge ein erhebliches Verdienst beimessen.
Denn wenn es gelungen ist, unter den überaus mißlichen und bedenklichen Ver¬
hältnissen des abgelaufenen Jahres den Metallschatz zu mehren und trotz der
so außerordenlich steigenden Ansprüche einen Zinsfuß von 5 Prozent festzu¬
stellen, so war dies nur möglich infolge der von der Reichsbank beobachteten
Devisenpolitik, welche durch Abgeben fremdländischer Wechsel einem Steigen der
Devisenkurse und einem Goldabfluß entgegenwirkte. Es wird sich nun zeigen
müssen, ob es gelingt, den Bankzinsfuß wieder den Sommer über auf einen:
niedrigeren Niveau festzuhalten, oder ob die wachsenden Kreditansprüche der
Industrie ein Steigen desselben erzwingen. Ist es richtig, daß wir jetzt an
der Pforte zu einer Hochkonjunktur stehen, deren Entfaltung bisher nur durch
die politischen Verhältnisse gehemmt wurde, so wird die Rückwirkung auf den
Geldmarkt nicht ausbleiben können. An der Stärke und Schnelligkeit dieser
Reaktion wird man abmessen können, wann die wirtschaftliche Entwicklung
anfängt, gesunde Bahnen zu verlassen. Der Geldmarkt hat sich noch stets als
ein untrüglicher Manometer erwiesen. Einstweilen aber liegen noch keinerlei
beängstigende Anzeichen vor. Im Gegenteil, trotz der auf das äußerste Maß
getriebenen industriellen Anspannung herrscht augenblicklich, wie zuvor erwähnt,
jene Geldfülle des Ouartalbeginns, welche den Anschein erweckt, als stände das
Kapital in unerschöpflichen Mengen den Ansprüchen der Industrie zu Gebote.
Wir wissen, daß dies nicht der Fall ist; aber eine Täuschung der Kreditsucher
über die Grenze des Erreichbaren könnte durch die scheinbare Fülle des Geld¬
marktes leicht herbeigeführt werden.

Für die schwere Industrie soll das kommende Jahr endlich die Ent¬
scheidung über die Erneuerung der großen Verbände bringen. So schwierig
die Verständigung sein mag, sie wird kommen. Schon hat sich der Fiskus
mit dem Kohlensyndikat über seinen Beitritt geeinigt, und mit dein Anschluß
der gewichtigen staatlichen Interessen erhält das Syndikat ein ganz anderes
Schwergewicht und eine andere Basis. Die wirtschaftlichen Gegner der Kar-


Reichsspiegel

Markt. Die bekannte Verteuerung der Lombardkredite hat auch diesmal genau
so gewirkt wie an den beiden vorangegangenen Quartalen. Die Lombardkredite
sind gegen das Vorjahr stark zurückgeblieben, die Wechselanlage ist umso schärfer
gestiegen, und zwar derart, daß auch die Nekordzahlen des letzten September¬
ausweises noch übertroffen worden sind. Nicht weniger als 1793 Millionen
betrug das Wechselportefeuille und nicht weniger als zwei und eine viertel
Milliarde der Notenumlauf! Um die Bedeutung dieser Zahlen zu würdigen,
muß man sich vergegenwärtigen, daß Ende 1907, als der Reichsbanksatz auf
71/2 Prozent stand, das Portefeuille nur 1493 Millionen, der Notenumlauf
1885 Millionen betrug. Der Metallbestand war aber damals um rund 300
Millionen kleiner, denn er hat sich jetzt auf der Höhe an eine Milliarde gehalten.
Der Vergleich dieser Ziffern bringt unwiderleglich zum Bewußtsein, wie sehr
unsere Volkswirtschaft in den vergangenen vier Jahren erstarkt ist. Die Reichs¬
bank darf sich an dieser Gestaltung der Dinge ein erhebliches Verdienst beimessen.
Denn wenn es gelungen ist, unter den überaus mißlichen und bedenklichen Ver¬
hältnissen des abgelaufenen Jahres den Metallschatz zu mehren und trotz der
so außerordenlich steigenden Ansprüche einen Zinsfuß von 5 Prozent festzu¬
stellen, so war dies nur möglich infolge der von der Reichsbank beobachteten
Devisenpolitik, welche durch Abgeben fremdländischer Wechsel einem Steigen der
Devisenkurse und einem Goldabfluß entgegenwirkte. Es wird sich nun zeigen
müssen, ob es gelingt, den Bankzinsfuß wieder den Sommer über auf einen:
niedrigeren Niveau festzuhalten, oder ob die wachsenden Kreditansprüche der
Industrie ein Steigen desselben erzwingen. Ist es richtig, daß wir jetzt an
der Pforte zu einer Hochkonjunktur stehen, deren Entfaltung bisher nur durch
die politischen Verhältnisse gehemmt wurde, so wird die Rückwirkung auf den
Geldmarkt nicht ausbleiben können. An der Stärke und Schnelligkeit dieser
Reaktion wird man abmessen können, wann die wirtschaftliche Entwicklung
anfängt, gesunde Bahnen zu verlassen. Der Geldmarkt hat sich noch stets als
ein untrüglicher Manometer erwiesen. Einstweilen aber liegen noch keinerlei
beängstigende Anzeichen vor. Im Gegenteil, trotz der auf das äußerste Maß
getriebenen industriellen Anspannung herrscht augenblicklich, wie zuvor erwähnt,
jene Geldfülle des Ouartalbeginns, welche den Anschein erweckt, als stände das
Kapital in unerschöpflichen Mengen den Ansprüchen der Industrie zu Gebote.
Wir wissen, daß dies nicht der Fall ist; aber eine Täuschung der Kreditsucher
über die Grenze des Erreichbaren könnte durch die scheinbare Fülle des Geld¬
marktes leicht herbeigeführt werden.

Für die schwere Industrie soll das kommende Jahr endlich die Ent¬
scheidung über die Erneuerung der großen Verbände bringen. So schwierig
die Verständigung sein mag, sie wird kommen. Schon hat sich der Fiskus
mit dem Kohlensyndikat über seinen Beitritt geeinigt, und mit dein Anschluß
der gewichtigen staatlichen Interessen erhält das Syndikat ein ganz anderes
Schwergewicht und eine andere Basis. Die wirtschaftlichen Gegner der Kar-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/320527"/>
            <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_390" prev="#ID_389"> Markt. Die bekannte Verteuerung der Lombardkredite hat auch diesmal genau<lb/>
so gewirkt wie an den beiden vorangegangenen Quartalen. Die Lombardkredite<lb/>
sind gegen das Vorjahr stark zurückgeblieben, die Wechselanlage ist umso schärfer<lb/>
gestiegen, und zwar derart, daß auch die Nekordzahlen des letzten September¬<lb/>
ausweises noch übertroffen worden sind. Nicht weniger als 1793 Millionen<lb/>
betrug das Wechselportefeuille und nicht weniger als zwei und eine viertel<lb/>
Milliarde der Notenumlauf! Um die Bedeutung dieser Zahlen zu würdigen,<lb/>
muß man sich vergegenwärtigen, daß Ende 1907, als der Reichsbanksatz auf<lb/>
71/2 Prozent stand, das Portefeuille nur 1493 Millionen, der Notenumlauf<lb/>
1885 Millionen betrug. Der Metallbestand war aber damals um rund 300<lb/>
Millionen kleiner, denn er hat sich jetzt auf der Höhe an eine Milliarde gehalten.<lb/>
Der Vergleich dieser Ziffern bringt unwiderleglich zum Bewußtsein, wie sehr<lb/>
unsere Volkswirtschaft in den vergangenen vier Jahren erstarkt ist. Die Reichs¬<lb/>
bank darf sich an dieser Gestaltung der Dinge ein erhebliches Verdienst beimessen.<lb/>
Denn wenn es gelungen ist, unter den überaus mißlichen und bedenklichen Ver¬<lb/>
hältnissen des abgelaufenen Jahres den Metallschatz zu mehren und trotz der<lb/>
so außerordenlich steigenden Ansprüche einen Zinsfuß von 5 Prozent festzu¬<lb/>
stellen, so war dies nur möglich infolge der von der Reichsbank beobachteten<lb/>
Devisenpolitik, welche durch Abgeben fremdländischer Wechsel einem Steigen der<lb/>
Devisenkurse und einem Goldabfluß entgegenwirkte. Es wird sich nun zeigen<lb/>
müssen, ob es gelingt, den Bankzinsfuß wieder den Sommer über auf einen:<lb/>
niedrigeren Niveau festzuhalten, oder ob die wachsenden Kreditansprüche der<lb/>
Industrie ein Steigen desselben erzwingen. Ist es richtig, daß wir jetzt an<lb/>
der Pforte zu einer Hochkonjunktur stehen, deren Entfaltung bisher nur durch<lb/>
die politischen Verhältnisse gehemmt wurde, so wird die Rückwirkung auf den<lb/>
Geldmarkt nicht ausbleiben können. An der Stärke und Schnelligkeit dieser<lb/>
Reaktion wird man abmessen können, wann die wirtschaftliche Entwicklung<lb/>
anfängt, gesunde Bahnen zu verlassen. Der Geldmarkt hat sich noch stets als<lb/>
ein untrüglicher Manometer erwiesen. Einstweilen aber liegen noch keinerlei<lb/>
beängstigende Anzeichen vor. Im Gegenteil, trotz der auf das äußerste Maß<lb/>
getriebenen industriellen Anspannung herrscht augenblicklich, wie zuvor erwähnt,<lb/>
jene Geldfülle des Ouartalbeginns, welche den Anschein erweckt, als stände das<lb/>
Kapital in unerschöpflichen Mengen den Ansprüchen der Industrie zu Gebote.<lb/>
Wir wissen, daß dies nicht der Fall ist; aber eine Täuschung der Kreditsucher<lb/>
über die Grenze des Erreichbaren könnte durch die scheinbare Fülle des Geld¬<lb/>
marktes leicht herbeigeführt werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_391" next="#ID_392"> Für die schwere Industrie soll das kommende Jahr endlich die Ent¬<lb/>
scheidung über die Erneuerung der großen Verbände bringen. So schwierig<lb/>
die Verständigung sein mag, sie wird kommen. Schon hat sich der Fiskus<lb/>
mit dem Kohlensyndikat über seinen Beitritt geeinigt, und mit dein Anschluß<lb/>
der gewichtigen staatlichen Interessen erhält das Syndikat ein ganz anderes<lb/>
Schwergewicht und eine andere Basis.  Die wirtschaftlichen Gegner der Kar-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] Reichsspiegel Markt. Die bekannte Verteuerung der Lombardkredite hat auch diesmal genau so gewirkt wie an den beiden vorangegangenen Quartalen. Die Lombardkredite sind gegen das Vorjahr stark zurückgeblieben, die Wechselanlage ist umso schärfer gestiegen, und zwar derart, daß auch die Nekordzahlen des letzten September¬ ausweises noch übertroffen worden sind. Nicht weniger als 1793 Millionen betrug das Wechselportefeuille und nicht weniger als zwei und eine viertel Milliarde der Notenumlauf! Um die Bedeutung dieser Zahlen zu würdigen, muß man sich vergegenwärtigen, daß Ende 1907, als der Reichsbanksatz auf 71/2 Prozent stand, das Portefeuille nur 1493 Millionen, der Notenumlauf 1885 Millionen betrug. Der Metallbestand war aber damals um rund 300 Millionen kleiner, denn er hat sich jetzt auf der Höhe an eine Milliarde gehalten. Der Vergleich dieser Ziffern bringt unwiderleglich zum Bewußtsein, wie sehr unsere Volkswirtschaft in den vergangenen vier Jahren erstarkt ist. Die Reichs¬ bank darf sich an dieser Gestaltung der Dinge ein erhebliches Verdienst beimessen. Denn wenn es gelungen ist, unter den überaus mißlichen und bedenklichen Ver¬ hältnissen des abgelaufenen Jahres den Metallschatz zu mehren und trotz der so außerordenlich steigenden Ansprüche einen Zinsfuß von 5 Prozent festzu¬ stellen, so war dies nur möglich infolge der von der Reichsbank beobachteten Devisenpolitik, welche durch Abgeben fremdländischer Wechsel einem Steigen der Devisenkurse und einem Goldabfluß entgegenwirkte. Es wird sich nun zeigen müssen, ob es gelingt, den Bankzinsfuß wieder den Sommer über auf einen: niedrigeren Niveau festzuhalten, oder ob die wachsenden Kreditansprüche der Industrie ein Steigen desselben erzwingen. Ist es richtig, daß wir jetzt an der Pforte zu einer Hochkonjunktur stehen, deren Entfaltung bisher nur durch die politischen Verhältnisse gehemmt wurde, so wird die Rückwirkung auf den Geldmarkt nicht ausbleiben können. An der Stärke und Schnelligkeit dieser Reaktion wird man abmessen können, wann die wirtschaftliche Entwicklung anfängt, gesunde Bahnen zu verlassen. Der Geldmarkt hat sich noch stets als ein untrüglicher Manometer erwiesen. Einstweilen aber liegen noch keinerlei beängstigende Anzeichen vor. Im Gegenteil, trotz der auf das äußerste Maß getriebenen industriellen Anspannung herrscht augenblicklich, wie zuvor erwähnt, jene Geldfülle des Ouartalbeginns, welche den Anschein erweckt, als stände das Kapital in unerschöpflichen Mengen den Ansprüchen der Industrie zu Gebote. Wir wissen, daß dies nicht der Fall ist; aber eine Täuschung der Kreditsucher über die Grenze des Erreichbaren könnte durch die scheinbare Fülle des Geld¬ marktes leicht herbeigeführt werden. Für die schwere Industrie soll das kommende Jahr endlich die Ent¬ scheidung über die Erneuerung der großen Verbände bringen. So schwierig die Verständigung sein mag, sie wird kommen. Schon hat sich der Fiskus mit dem Kohlensyndikat über seinen Beitritt geeinigt, und mit dein Anschluß der gewichtigen staatlichen Interessen erhält das Syndikat ein ganz anderes Schwergewicht und eine andere Basis. Die wirtschaftlichen Gegner der Kar-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/110>, abgerufen am 29.05.2024.