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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Briefe ans Persien

züglicher Jäger, der -- auf sich allein gestellt -- mehr Entschlossenheit und
Initiative besitzt, als irgendein Soldat der europäischen Massenheere. Ich bin
überzeugt, wenn ein aus diesen Scharen bestehendes Heer es heute mit einem
Europa vor der Zeit des Militarismus zu tun hätte, Europa würde auf der
ganzen Linie den kürzeren ziehen. Aber eine Reihe von Ursachen, unter denen
das Vorhandensein einer durchwegs seßhaften Bevölkerung und die einheitliche
Natur des Landes eine wichtige Rolle spielen, begünstigten im Abendland das
Zusammenfassen und Organisieren der Kräfte, deren Produkt seine heutige
finanzielle uno militärische Bereitschaft ist, während im Orient die durch Klima
und Oberflächengestaltung bedingte Notwendigkeit einer teilweisen Nomaden¬
wirtschaft die Bevölkerung in feindliche Klassen trennte und eine Zersplitterung
der Kräfte geradezu zur Notwendigkeit machte. Wohl gelang es bis in die
neueste Zeit hinein einzelnen energischen Herrschern, wie dem Perserkönig Nadir
Schah (ermordet 1747), vorübergehend alle Kräfte zu großen Erfolgen zusammen¬
zufassen, aber nur so lange die Beutelust ihre Befriedigung fand, also so lange
der Sieg sich an die Fahnen dieser Kriegerkönige heftete. Kamen aber nach
den Kriegen ruhige Zeiten, fo wurden die freiwerdenden -- zu friedlicher Arbeit
untauglichen -- Kräfte zu einer dauernden Gefahr. Entweder kehrten sie sich
gegen die seßhafte Bevölkerung des Landes und zerstörten so die Einnahme¬
quellen der Herrscher, oder sie wandten sich gar gegen die Herrscher selbst.

In Nord-Persien gibt es zwei, zwar zum persischen Reiche gehörige,
praktisch aber unabhängige Fürstentümer, Maku an der Nordwestecke des Reiches,
am Fuße des Ararat, und Budjnurd, fast an der entgegengesetzten nordöstlichen
Ecke. In beiden wiederholen sich genau dieselben Verhältnisse. Die fruchtbaren,
anbaufähigen Landstriche werden von einer seßhaften, ackerbautreibenden Be¬
völkerung bewohnt; in den anderen, hauptsächlich gebirgigen Teilen des Landes
sitzen nomadisierende Kurden. Der Serdar, der Beherrscher eines solchen Fürsten¬
tums, regiert mit Hilfe der Kurden als unumschränkter Despot. Er gewinnt
deren Treue durch Gewährung von Steuerfreiheit, Zahlung von Sold und Be¬
teiligung an der Beute etwa unternommener Kriegszüge. In unruhigen Zeiten
funktioniert daher das System ausgezeichnet. Herrscht aber ausnahmsweise
Friede, so muß die seßhafte Bevölkerung die Lasten für alle Soldzahlungen und
Geschenke, die der Serdar im Interesse seiner Sicherheit machen muß, allein
tragen. Je größer der Schatz des Serdars ist (der Serdar von Maku hat
mehrere Millionen auf russischen Banken deponiert), je mehr Gelegenheit er zu
Raub- und Plünderungszügen findet, um fo gesicherter ist seine Stellung, und
je ärmer die Landbevölkerung ist, um so weniger kann sie an Erhebung und
Unruhen denken. Danach kann man sich vielleicht ein Bild von den Zuständen
in diesen Fürstentümern machen. Als ich im vorigen Frühjahre von Budjunad
nach der russischen Grenze ritt, klagte mir der Führer der mir mitgegebenen
Kurdeneskorte, wie schlecht die Zeiten jetzt wären. Kriegerische Expeditionen,
bei denen man verdienen könne, würden immer seltener und von dem Friedens-


Briefe ans Persien

züglicher Jäger, der — auf sich allein gestellt — mehr Entschlossenheit und
Initiative besitzt, als irgendein Soldat der europäischen Massenheere. Ich bin
überzeugt, wenn ein aus diesen Scharen bestehendes Heer es heute mit einem
Europa vor der Zeit des Militarismus zu tun hätte, Europa würde auf der
ganzen Linie den kürzeren ziehen. Aber eine Reihe von Ursachen, unter denen
das Vorhandensein einer durchwegs seßhaften Bevölkerung und die einheitliche
Natur des Landes eine wichtige Rolle spielen, begünstigten im Abendland das
Zusammenfassen und Organisieren der Kräfte, deren Produkt seine heutige
finanzielle uno militärische Bereitschaft ist, während im Orient die durch Klima
und Oberflächengestaltung bedingte Notwendigkeit einer teilweisen Nomaden¬
wirtschaft die Bevölkerung in feindliche Klassen trennte und eine Zersplitterung
der Kräfte geradezu zur Notwendigkeit machte. Wohl gelang es bis in die
neueste Zeit hinein einzelnen energischen Herrschern, wie dem Perserkönig Nadir
Schah (ermordet 1747), vorübergehend alle Kräfte zu großen Erfolgen zusammen¬
zufassen, aber nur so lange die Beutelust ihre Befriedigung fand, also so lange
der Sieg sich an die Fahnen dieser Kriegerkönige heftete. Kamen aber nach
den Kriegen ruhige Zeiten, fo wurden die freiwerdenden — zu friedlicher Arbeit
untauglichen — Kräfte zu einer dauernden Gefahr. Entweder kehrten sie sich
gegen die seßhafte Bevölkerung des Landes und zerstörten so die Einnahme¬
quellen der Herrscher, oder sie wandten sich gar gegen die Herrscher selbst.

In Nord-Persien gibt es zwei, zwar zum persischen Reiche gehörige,
praktisch aber unabhängige Fürstentümer, Maku an der Nordwestecke des Reiches,
am Fuße des Ararat, und Budjnurd, fast an der entgegengesetzten nordöstlichen
Ecke. In beiden wiederholen sich genau dieselben Verhältnisse. Die fruchtbaren,
anbaufähigen Landstriche werden von einer seßhaften, ackerbautreibenden Be¬
völkerung bewohnt; in den anderen, hauptsächlich gebirgigen Teilen des Landes
sitzen nomadisierende Kurden. Der Serdar, der Beherrscher eines solchen Fürsten¬
tums, regiert mit Hilfe der Kurden als unumschränkter Despot. Er gewinnt
deren Treue durch Gewährung von Steuerfreiheit, Zahlung von Sold und Be¬
teiligung an der Beute etwa unternommener Kriegszüge. In unruhigen Zeiten
funktioniert daher das System ausgezeichnet. Herrscht aber ausnahmsweise
Friede, so muß die seßhafte Bevölkerung die Lasten für alle Soldzahlungen und
Geschenke, die der Serdar im Interesse seiner Sicherheit machen muß, allein
tragen. Je größer der Schatz des Serdars ist (der Serdar von Maku hat
mehrere Millionen auf russischen Banken deponiert), je mehr Gelegenheit er zu
Raub- und Plünderungszügen findet, um fo gesicherter ist seine Stellung, und
je ärmer die Landbevölkerung ist, um so weniger kann sie an Erhebung und
Unruhen denken. Danach kann man sich vielleicht ein Bild von den Zuständen
in diesen Fürstentümern machen. Als ich im vorigen Frühjahre von Budjunad
nach der russischen Grenze ritt, klagte mir der Führer der mir mitgegebenen
Kurdeneskorte, wie schlecht die Zeiten jetzt wären. Kriegerische Expeditionen,
bei denen man verdienen könne, würden immer seltener und von dem Friedens-


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[0128] Briefe ans Persien züglicher Jäger, der — auf sich allein gestellt — mehr Entschlossenheit und Initiative besitzt, als irgendein Soldat der europäischen Massenheere. Ich bin überzeugt, wenn ein aus diesen Scharen bestehendes Heer es heute mit einem Europa vor der Zeit des Militarismus zu tun hätte, Europa würde auf der ganzen Linie den kürzeren ziehen. Aber eine Reihe von Ursachen, unter denen das Vorhandensein einer durchwegs seßhaften Bevölkerung und die einheitliche Natur des Landes eine wichtige Rolle spielen, begünstigten im Abendland das Zusammenfassen und Organisieren der Kräfte, deren Produkt seine heutige finanzielle uno militärische Bereitschaft ist, während im Orient die durch Klima und Oberflächengestaltung bedingte Notwendigkeit einer teilweisen Nomaden¬ wirtschaft die Bevölkerung in feindliche Klassen trennte und eine Zersplitterung der Kräfte geradezu zur Notwendigkeit machte. Wohl gelang es bis in die neueste Zeit hinein einzelnen energischen Herrschern, wie dem Perserkönig Nadir Schah (ermordet 1747), vorübergehend alle Kräfte zu großen Erfolgen zusammen¬ zufassen, aber nur so lange die Beutelust ihre Befriedigung fand, also so lange der Sieg sich an die Fahnen dieser Kriegerkönige heftete. Kamen aber nach den Kriegen ruhige Zeiten, fo wurden die freiwerdenden — zu friedlicher Arbeit untauglichen — Kräfte zu einer dauernden Gefahr. Entweder kehrten sie sich gegen die seßhafte Bevölkerung des Landes und zerstörten so die Einnahme¬ quellen der Herrscher, oder sie wandten sich gar gegen die Herrscher selbst. In Nord-Persien gibt es zwei, zwar zum persischen Reiche gehörige, praktisch aber unabhängige Fürstentümer, Maku an der Nordwestecke des Reiches, am Fuße des Ararat, und Budjnurd, fast an der entgegengesetzten nordöstlichen Ecke. In beiden wiederholen sich genau dieselben Verhältnisse. Die fruchtbaren, anbaufähigen Landstriche werden von einer seßhaften, ackerbautreibenden Be¬ völkerung bewohnt; in den anderen, hauptsächlich gebirgigen Teilen des Landes sitzen nomadisierende Kurden. Der Serdar, der Beherrscher eines solchen Fürsten¬ tums, regiert mit Hilfe der Kurden als unumschränkter Despot. Er gewinnt deren Treue durch Gewährung von Steuerfreiheit, Zahlung von Sold und Be¬ teiligung an der Beute etwa unternommener Kriegszüge. In unruhigen Zeiten funktioniert daher das System ausgezeichnet. Herrscht aber ausnahmsweise Friede, so muß die seßhafte Bevölkerung die Lasten für alle Soldzahlungen und Geschenke, die der Serdar im Interesse seiner Sicherheit machen muß, allein tragen. Je größer der Schatz des Serdars ist (der Serdar von Maku hat mehrere Millionen auf russischen Banken deponiert), je mehr Gelegenheit er zu Raub- und Plünderungszügen findet, um fo gesicherter ist seine Stellung, und je ärmer die Landbevölkerung ist, um so weniger kann sie an Erhebung und Unruhen denken. Danach kann man sich vielleicht ein Bild von den Zuständen in diesen Fürstentümern machen. Als ich im vorigen Frühjahre von Budjunad nach der russischen Grenze ritt, klagte mir der Führer der mir mitgegebenen Kurdeneskorte, wie schlecht die Zeiten jetzt wären. Kriegerische Expeditionen, bei denen man verdienen könne, würden immer seltener und von dem Friedens-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/128>, abgerufen am 15.05.2024.