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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr.

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Ein Später Derer van Doorn

"Vielleicht, daß es jetzt um Ihr Glück ganz geschehen ist." sagte er plötzlich
ganz hart und ließ den Blick des geängstigten Regierungsherren noch immer
nicht aus seinen brennenden, schmerzlichen Augen.

Die Haare der Sterbenden lagen blond um ihr vom Fieber gequollenes,
hohles, erhitztes Gesicht. Die feinen Zähne zeigten weißen Glanz. Dann nahm
Frau Kroen die trockenen Lippen zusammen und schien zu hören, was um sie
herum vorging.

Hieronnmus van Doorn sah, daß das Gesicht des Herrn Kroen jetzt eine
verzweifelte Miene trug. Es deuchte ihn, daß er harte Worte geredet und ihn
noch tiefer erschreckt hatte. Es standen große Tränen in Herrn Kroens Augen.
Deshalb trat der junge Pfarrer noch einmal vom Bette zurück und begann in
Herrn Kroen neu hineinzuflttstern.

"Wir wissen nichts," sagte er ebenso eifrig und bestimmt. "Lassen Sie
sich von meinen Worten nicht ein Jota aus Ihrer Hoffnung und Ihrem Glauben
vertreiben! Wer glaubt, hat Gott im Blute. Auch ich werde jetzt mit Glauben
beten," sagte er. Und wenn man den diesen Blick "Zuversicht", der aus ihm
allem sprach, ein Lächeln nennen könnte, so war dieses Lächeln eine wonnevolle
Verheißung.

Draußen ums Haus heulte und pfiff der Herbststurm. Man hörte es,
weil die Stille um die Sterbende tief war. Ausgehöhlt das Harren, daß es
wie ein leerer Raum jeden heimlichen Laut einsog.

Auch in Hieronnmus van Doorn gingen Trauergewalten um und schüttelten
sein Herz.

Er kannte Herrn Kroen nicht. Er achtete auch nicht, daß der Reichtum
des Hauses groß schien. Er hatte nicht gesehen, daß Diener im Vorhause auf
den Stufen standen. Nun gar, wo sein gottgeweihter Sinn das stille Ge¬
schehnis in Himmel und Erde, dieses einzige, weite, junge Sterben in der Nähe
auskostete und einsog, das jetzt in den geschlossenen Lippen der Frau Kroen
sich selber auffing.

Hieronnmus war im priesterlichen Meßgewands wieder ans Bett getreten,
kostbaren Schmuck über Brust und Schultern gebreitet, indessen die Ministranten
sich anschickten, die heilige Handlung leise zu bedienen.

Vielleicht war jetzt die Zeit gekommen.

Die Nonne heftete ihre Blicke fragend auf den Priester und dann auf die
Sterbende. Sie versuchte noch vor sich wie einen abmahnenden Ratschlag. In
dem stillen Raume stand schon der heilige Beter hoch aufgerichtet. Und eine
Sterbende hielt ihr kleines Lebenslicht vom Winde hin und her geweht in ihren
weißen Händen. Nichts anderes schien bald im Raume zu leben. Herr Kroen
stand und sah in Starre nieder. Auch die Nonne hütete sich jetzt, die eherne
Ruhe des Rufers ums Heil mit einem Geflüster noch zu stören.

Wenn die Stürme ums Haus-pfeifen, sind die Wintergewalten ^ Aber
ein heißer Rufer ums Heil kann die Flockenstürme wegfegen und keinen die ster-


Ein Später Derer van Doorn

„Vielleicht, daß es jetzt um Ihr Glück ganz geschehen ist." sagte er plötzlich
ganz hart und ließ den Blick des geängstigten Regierungsherren noch immer
nicht aus seinen brennenden, schmerzlichen Augen.

Die Haare der Sterbenden lagen blond um ihr vom Fieber gequollenes,
hohles, erhitztes Gesicht. Die feinen Zähne zeigten weißen Glanz. Dann nahm
Frau Kroen die trockenen Lippen zusammen und schien zu hören, was um sie
herum vorging.

Hieronnmus van Doorn sah, daß das Gesicht des Herrn Kroen jetzt eine
verzweifelte Miene trug. Es deuchte ihn, daß er harte Worte geredet und ihn
noch tiefer erschreckt hatte. Es standen große Tränen in Herrn Kroens Augen.
Deshalb trat der junge Pfarrer noch einmal vom Bette zurück und begann in
Herrn Kroen neu hineinzuflttstern.

„Wir wissen nichts," sagte er ebenso eifrig und bestimmt. „Lassen Sie
sich von meinen Worten nicht ein Jota aus Ihrer Hoffnung und Ihrem Glauben
vertreiben! Wer glaubt, hat Gott im Blute. Auch ich werde jetzt mit Glauben
beten," sagte er. Und wenn man den diesen Blick „Zuversicht", der aus ihm
allem sprach, ein Lächeln nennen könnte, so war dieses Lächeln eine wonnevolle
Verheißung.

Draußen ums Haus heulte und pfiff der Herbststurm. Man hörte es,
weil die Stille um die Sterbende tief war. Ausgehöhlt das Harren, daß es
wie ein leerer Raum jeden heimlichen Laut einsog.

Auch in Hieronnmus van Doorn gingen Trauergewalten um und schüttelten
sein Herz.

Er kannte Herrn Kroen nicht. Er achtete auch nicht, daß der Reichtum
des Hauses groß schien. Er hatte nicht gesehen, daß Diener im Vorhause auf
den Stufen standen. Nun gar, wo sein gottgeweihter Sinn das stille Ge¬
schehnis in Himmel und Erde, dieses einzige, weite, junge Sterben in der Nähe
auskostete und einsog, das jetzt in den geschlossenen Lippen der Frau Kroen
sich selber auffing.

Hieronnmus war im priesterlichen Meßgewands wieder ans Bett getreten,
kostbaren Schmuck über Brust und Schultern gebreitet, indessen die Ministranten
sich anschickten, die heilige Handlung leise zu bedienen.

Vielleicht war jetzt die Zeit gekommen.

Die Nonne heftete ihre Blicke fragend auf den Priester und dann auf die
Sterbende. Sie versuchte noch vor sich wie einen abmahnenden Ratschlag. In
dem stillen Raume stand schon der heilige Beter hoch aufgerichtet. Und eine
Sterbende hielt ihr kleines Lebenslicht vom Winde hin und her geweht in ihren
weißen Händen. Nichts anderes schien bald im Raume zu leben. Herr Kroen
stand und sah in Starre nieder. Auch die Nonne hütete sich jetzt, die eherne
Ruhe des Rufers ums Heil mit einem Geflüster noch zu stören.

Wenn die Stürme ums Haus-pfeifen, sind die Wintergewalten ^ Aber
ein heißer Rufer ums Heil kann die Flockenstürme wegfegen und keinen die ster-


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[0141] Ein Später Derer van Doorn „Vielleicht, daß es jetzt um Ihr Glück ganz geschehen ist." sagte er plötzlich ganz hart und ließ den Blick des geängstigten Regierungsherren noch immer nicht aus seinen brennenden, schmerzlichen Augen. Die Haare der Sterbenden lagen blond um ihr vom Fieber gequollenes, hohles, erhitztes Gesicht. Die feinen Zähne zeigten weißen Glanz. Dann nahm Frau Kroen die trockenen Lippen zusammen und schien zu hören, was um sie herum vorging. Hieronnmus van Doorn sah, daß das Gesicht des Herrn Kroen jetzt eine verzweifelte Miene trug. Es deuchte ihn, daß er harte Worte geredet und ihn noch tiefer erschreckt hatte. Es standen große Tränen in Herrn Kroens Augen. Deshalb trat der junge Pfarrer noch einmal vom Bette zurück und begann in Herrn Kroen neu hineinzuflttstern. „Wir wissen nichts," sagte er ebenso eifrig und bestimmt. „Lassen Sie sich von meinen Worten nicht ein Jota aus Ihrer Hoffnung und Ihrem Glauben vertreiben! Wer glaubt, hat Gott im Blute. Auch ich werde jetzt mit Glauben beten," sagte er. Und wenn man den diesen Blick „Zuversicht", der aus ihm allem sprach, ein Lächeln nennen könnte, so war dieses Lächeln eine wonnevolle Verheißung. Draußen ums Haus heulte und pfiff der Herbststurm. Man hörte es, weil die Stille um die Sterbende tief war. Ausgehöhlt das Harren, daß es wie ein leerer Raum jeden heimlichen Laut einsog. Auch in Hieronnmus van Doorn gingen Trauergewalten um und schüttelten sein Herz. Er kannte Herrn Kroen nicht. Er achtete auch nicht, daß der Reichtum des Hauses groß schien. Er hatte nicht gesehen, daß Diener im Vorhause auf den Stufen standen. Nun gar, wo sein gottgeweihter Sinn das stille Ge¬ schehnis in Himmel und Erde, dieses einzige, weite, junge Sterben in der Nähe auskostete und einsog, das jetzt in den geschlossenen Lippen der Frau Kroen sich selber auffing. Hieronnmus war im priesterlichen Meßgewands wieder ans Bett getreten, kostbaren Schmuck über Brust und Schultern gebreitet, indessen die Ministranten sich anschickten, die heilige Handlung leise zu bedienen. Vielleicht war jetzt die Zeit gekommen. Die Nonne heftete ihre Blicke fragend auf den Priester und dann auf die Sterbende. Sie versuchte noch vor sich wie einen abmahnenden Ratschlag. In dem stillen Raume stand schon der heilige Beter hoch aufgerichtet. Und eine Sterbende hielt ihr kleines Lebenslicht vom Winde hin und her geweht in ihren weißen Händen. Nichts anderes schien bald im Raume zu leben. Herr Kroen stand und sah in Starre nieder. Auch die Nonne hütete sich jetzt, die eherne Ruhe des Rufers ums Heil mit einem Geflüster noch zu stören. Wenn die Stürme ums Haus-pfeifen, sind die Wintergewalten ^ Aber ein heißer Rufer ums Heil kann die Flockenstürme wegfegen und keinen die ster-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_320416/141>, abgerufen am 15.05.2024.